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Drittes Kapitel

Nach langem Umherlaufen und vielem Fragen erfuhr ich, daß drei Schiffe eine dreijährige Fahrt planten. Es waren der »Devil-dam«, der »Tit-bit« und der »Pequod«. Was »Devil-dam« bedeuten sollte, wußte ich nicht. »Titbit« ist ja allgemein bekannt, und »Pequod« ist ja der Name eines berühmten Stammes der Indianer in Massachusetts, der nun, wie die alten Meder, vollständig erloschen ist.

Ich guckte mir den »Devil-dam« lange an, dann den »Tit-bit« und ging schließlich an Bord des »Pequod«, besah ihn mir einen Augenblick von allen Seiten und kam zu dem Ergebnis, daß dieses das richtige Schiff sei.

Du hast gewiß manches komische Schiff gesehen, aber so etwas wie den alten »Pequod« hast du sicher noch nicht gesehen. Es war ein Schiff der alten Schule und ziemlich klein. Es war mit allen vier Ozeanen gesalzen, und Wind und Wetter hatten ihm die Farbe gegeben. Es war gebräunt wie ein französischer Grenadier, der in Ägypten und Rußland gekämpft hat. Die ehrwürdigen Schiffsbuge schienen Barte zu tragen. Die Masten waren bei einem Sturm an der Küste von Japan abgebrochen, und es waren nur noch die Stümpfe zu sehen wie bei den drei heiligen Königen in Köln. Die alten Decks waren abgenutzt und sahen wie die von Pilgern verehrte Steinplatte in der Kathedrale zu Canterbury aus, wo Thomas Becket verblutet ist.

Aber das war noch nicht alles. Noch andere merkwürdige Züge erinnerten an das abenteuerliche Leben, das das Schiff ein halbes Jahrhundert geführt hatte. Der alte Kapitän Peleg, der viele Jahre lang darauf Erster Offizier gewesen war, bevor er ein anderes eigenes Schiff kommandierte und der sich nun zur Ruhe gesetzt hatte und Mitbesitzer des »Pequod« war, dieser alte Peleg hatte dies merkwürdige Schiff gebaut.

Wie der Kaiser von Abessinien, war es am Halse mit Schmuck aus Elfenbein behangen. Es waren lauter Trophäen. Wie ein Kannibale hatte sich das Schiff mit dem erbeuteten Gebein der Feinde geschmückt. Das Schiffsgerüst war offen, und überall hingen die langen Zähne des Pottwals, so daß man sich wie in einem Walfischrachen vorkam. Die Zähne dienten statt der üblichen Haken, und an ihnen befestigte man die alten Hanftaue und Stricke. Die Taue hingen nicht an den hölzernen Halteblöcken, sondern liefen über Rollen von Walfischbein. Das übliche Steuerrad war nicht vorhanden, statt dessen diente ein Handgriff aus einem Stück, der aus dem Unterkiefer des Walfisches, des Erzfeindes, geschnitzt war. Der Steuermann, der sich dieses Griffes im Sturm bediente, mußte sich wie ein Tartar vorkommen, der sein feuriges Schlachtroß durch einen kühnen Griff am Gaumen zum Stehen bringt.

Es war ein edles, wenn auch schwermütiges Schiff. Alle edlen Dinge auf der Welt sind das nun mal zu gleicher Zeit!

Als ich auf dem Achterdeck Umschau hielt, um mich als junger Kandidat einer Autoritätsperson vorzustellen, sah ich vorerst niemand. Aber mir fiel ein seltsamer Verschlag, beinahe Wigwam, auf, der hinter dem Hauptmast aufgeschlagen war. Anscheinend war das nur eine vorübergehende Einrichtung für den Hafen. Das Zelt hatte die Form eines Kegels, war zehn Fuß hoch und bestand aus den riesigen Stäben des elastischen dunklen Knochenbeins, das dem mittleren und oberen Teil der Kiefer des gewöhnlichen Wals entnommen war.

Ich fand schließlich jemand, der in diesem merkwürdigen Gehäuse verborgen war. Dem Aussehen nach war er eine Autoritätsperson, und da um die Mittagszeit die Arbeit auf dem Schiff ruhte, erholte er sich nun von der Last des Kommandos. Er saß auf einem altmodischen eichenen Stuhle, der mit merkwürdiger Schnitzerei verziert war.

Der alte Mann sah übrigens gar nicht mal so sonderbar aus. Er war braun und sonnenverbrannt wie die meisten alten Matrosen und trug einen blauen Matrosenanzug von dem Schnitt der Quäker. Um die Augen hatte er ein mikroskopisch feines Netz sehr kleiner Falten, die er wohl von den langen Seefahrten in den vielen Meeresstürmen bekommen hatte. Bei einem Seitenblick sind solche Falten sehr wirkungsvoll.

»Ist hier der Kapitän des ›Pequod‹?« sagte ich und ging auf den Eingang des Zeltes zu.

»Wenn du glaubst, es ist der Kapitän des ›Pequod‹, was willst du denn von ihm?« sagte er.

»Ich dachte, ich wollte mit dem Schiff.«

»Verstehst du denn etwas vom Walfischfang?«

»Nein, aber ich denke, daß ich es bald lernen werde. Ich habe verschiedene Fahrten auf einem Handelsschiff mitgemacht, und ich glaube –«

»Mit deinem verdammten Handelsschiff, komm mir nicht damit. Ich schlage dir die Beine ab, wenn du mir noch einmal von dem Handelsschiff anfängst. Ich glaube, ihr seid sehr stolz darauf, daß ihr auf Handelsschiffen gefahren seid, aber wie kommst du darauf und willst auf ein Walfischschiff? Das scheint mir sehr merkwürdig zu sein. Du bist am Ende ein Seeräuber gewesen und hast deinen letzten Kapitän beraubt, nicht wahr? Du ermordest am Ende die Offiziere, wenn es auf See geht?«

Ich beteuerte meine Unschuld gegenüber diesen Vermutungen. Ich sah, daß dieser alte Seemann trotz seiner humoristischen Bemerkungen ein richtiger Nantucketer war, ein Quäker und ein Inselmensch mit allen Vorurteilen, der allen Fremden nicht traute, wenn sie nicht vom Kap Cod oder vom Vineyard herkamen.

»Aber weshalb willst du auf die Walfischfahrt? Das will ich erst wissen, bevor ich dich mit an Bord nehme.«

»Nun, ich will die Walfischjagd eben kennenlernen. Ich will die Welt kennenlernen.«

»Du willst die Walfischjagd kennenlernen? Hast du schon mal den Kapitän Ahab gesehen?«

»Wer ist denn der Kapitän Ahab?«

»Ich dachte, du wüßtest es. Ahab ist der Kapitän dieses Schiffes.«

»Da habe ich mich geirrt. Ich dachte, ich spräche mit dem Kapitän selbst.«

»Du sprichst mit dem Kapitän Peleg, junger Mann. Ich und der Kapitän Bildad müssen den ›Pequod‹ ausrüsten für die Reise und mit allem Nötigen versehen, auch mit der Mannschaft. Wir sind Teilhaber. Aber wenn du die Walfischjagd kennenlernen willst, wie du sagst, so will ich dir einen Weg angeben, und du kannst es dir überlegen, bevor du wieder ausreißt. Sieh dir den Kapitän Ahab an, junger Mann, dann wirst du finden, daß er nur ein Bein hat.«

»Was wollen Sie damit sagen? Hat er das andere durch einen Walfisch verloren?«

»Durch einen Walfisch verloren! Junger Mann, sieh her. Es wurde verschlungen, aufgekaut und von dem scheußlichsten Pottwal, der jemals ein Boot umgekippt hat, zerschmettert! Ach!«

Ich war ein wenig beunruhigt durch seine Heftigkeit und vielleicht auch ein wenig gerührt von dem Leid, das in seinem Ausruf am Schluß lag. Ich sagte so ruhig wie möglich: »Sie sagen natürlich die Wahrheit, aber wie konnte ich wissen, daß der Wal, von dem Sie erzählen, unglaublich wild war.«

»Sieh hierher, junger Mann. Deine Lungen sind noch nicht widerstandsfähig genug, deine Stimme ist noch nicht rauh genug, du bist doch schon vorher auf See gewesen?«

»Ich glaube, ich habe schon gesagt, daß ich vier Fahrten auf einem Handelsschiff gemacht habe.«

»Mund gehalten! Denk' daran, was ich von den Handelsschiffen gesagt habe. Wir wollen davon nicht reden, aber wir wollen uns verständigen. Ich habe dir klargemacht, was eine Walfischjagd bedeutet. Hast du nun noch Lust dazu?«

»Ja!«

»Das ist gut. Bist du denn auch der Mann dafür, der einem lebendigen Walfisch eine Harpune in die Kehle jagen und ihr dann nachspringen könnte? Antworte, aber schnell!«

»Ja, Herr, wenn das von mir verlangt würde.«

»Wieder gut. Nun, du wolltest nicht nur die Walfischjagd, du wolltest auch die Welt kennenlernen. Das sagtest du doch? Es kam mir wenigstens so vor. Nun, komm mal her und sieh mal über die Wetterseite, und dann komm mal wieder und sag' mir, was du da siehst!«

Ich stutzte einen Augenblick bei dieser merkwürdigen Aufforderung. Sollte ich sie humoristisch oder ernst nehmen? Aber Kapitän Peleg legte alle Verschlagenheit in seinen Blick und ließ mich die Aufforderung ausführen.

Als ich hinging und über die Wetterseite sah, da beobachtete ich, daß das Schiff, das an seinem Anker mit der Flut hin- und herging, schräg gegen die offene See gerichtet war. Der Horizont war nicht begrenzt, aber unglaublich eintönig und abstoßend; nicht die geringste Abwechslung war zu sehen.

»Nun, wie lautet der Bericht?« fragte Peleg, als ich wiederkam. »Was hast du gesehen?« – »Nicht viel,« erwiderte ich, »nichts als Wasser, sehr viel Horizont, und es scheint mir eine Sturmbö heraufzukommen.«

»Nun, was stellst du dir denn darunter vor, wenn du die Welt sehen willst? Willst du, wenn wir um das Kap Horn herumfahren, mehr davon sehen? Siehst du nicht die Welt überall da, wo du stehst?«

Ich war ein wenig aus dem Konzept gebracht. Aber ich wollte auf alle Fälle mit auf eine Walfischjagd. Der »Pequod« war jedenfalls ein vortreffliches Schiff, wenn nicht gar das beste. Das sagte ich nun Peleg. Als er mich so entschlossen sah, war er bereit, mich anzumustern.

»Du kannst ja mitkommen und die Schiffspapiere unterzeichnen«, fügte er hinzu, und so führte er mich zum Unterdeck in die Schiffskabine.

Da saß auf einem Balken jemand, der einen merkwürdigen und ungewöhnlichen Eindruck auf mich machte. Es war der Kapitän Bildad, der mit Kapitän Peleg der Hauptteilhaber des Schiffes war. Die anderen Teilhaber waren, wie es in diesen Häfen gewöhnlich der Fall ist, verschiedene alte Rentner, Witwen, Waisen und invalide Seeleute. Dem einen gehörte eine Schiffsplanke, dem anderen ein Stück Innenholz, dem dritten ein paar Schiffsnägel. In Nantucket legte man sein Geld in Walfischschiffen an, wie du es in sicheren Staatspapieren, die gute Zinsen tragen, anlegst.

Bildad, wie Peleg und viele andere Leute aus Nantucket waren Quäker. Die Insel ist ursprünglich von dieser Sekte besiedelt worden, und bis auf den heutigen Tag haben die Bewohner ungewöhnlich gut die Eigenheiten der Quäker bewahrt. Einige von diesen Quäkern sind die allerhitzigsten Seeleute und Walfischjäger; es sind kriegerische Quäker mit Rachegefühlen.

Sie haben biblische Namen, wie es auf der Insel allgemein üblich ist, und als Kind lernen sie das dramatisch klingende »thee« und »thou«. Bei ihrem wagemutigen und ungebundenen Leben entwickeln sie Eigenschaften, die eines skandinavischen Seekönigs oder eines heidnischen Römers nicht unwürdig sind.

Wie Kapitän Peleg, war Kapitän Bildad ein wohlhabender Walfischjäger, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Aber anders wie Kapitän Peleg, der sich um die ernsten Dinge nicht den Teufel kümmerte und die sogenannten wichtigen Sachen für die größten Kleinigkeiten hielt, war Kapitän Bildad nicht nur im Sinne der strengsten Sekte des Quäkertums von Nantucket erzogen, sondern auch das spätere Leben auf dem Meere und der Anblick so vieler Schönheiten auf den Inseln um Kap Horn herum hatten diesen eingefleischten Quäker nicht eine Spur ändern können.

Bei aller Unveränderlichkeit in diesen Dingen fehlte ihm doch in anderer Weise die Konsequenz. Aus Gewissensbedenken weigerte er sich, gegen fremde Eindringlinge Waffen zu tragen, aber er selbst war, ohne dazu berechtigt zu sein, in den Atlantischen und Pazifischen Ozean eingefallen. Er hatte geschworen, kein Menschenblut zu vergießen, und doch hatte er Tonnen vom Blut des Leviathans vergossen. Ob er am Abend seines Lebens über diese Dinge nachdachte und sich damit in der Erinnerung abfand, kann ich nicht sagen. Aber es schien ihm nicht viel auszumachen. Vielleicht war er seit langem zu dem weisen und tiefen Entschluß gekommen, daß die Religion und die Welt des Alltags etwas ganz Verschiedenes sind. Die Welt zahlt Dividende.

Von einem kleinen Schiffsjungen mit kurzem Rock aus grauem Tuch war er zu einem Harpunier mit einer großen Weste aufgestiegen, war dann Bootsführer, Obermaat, Kapitän und schließlich Schiffsherr geworden. Bildad hatte sich, wie ich schon sagte, nach dem abenteuerlichen Leben im stattlichen Alter von fünfzig Jahren zur Ruhe gesetzt. Und nun widmete er sich dem ruhigen Genuß seines wohlverdienten Einkommens.

Ich muß leider sagen, daß man Bildad für einen unverbesserlichen alten Geizkragen hielt. Als er noch zur See ging, galt er als strenger, unerbittlicher Herr, der viel von seinen Leuten verlangte. In Nantucket erfuhr ich die ziemlich merkwürdige Geschichte, daß nach der Heimreise die Leute erschöpft und ermüdet ankamen, ja zumeist ins Krankenhaus gebracht werden mußten. Für einen Frommen, und noch dazu für einen Quäker, hatte er ein ziemlich hartes Herz. Er fluchte niemals, aber seine Leute sagten, daß er ihnen ungewöhnlich harte und anstrengende Arbeit gab. Als Obermaat konnte er einen mit seinen grauen Augen so anstarren, daß man die Ruhe verlor, irgend etwas in die Hand nahm und wie blödsinnig arbeitete. Nachlässigkeit und Faulheit waren bei ihm unmöglich. Er selbst war die Verkörperung seines nüchternen und praktischen Charakters. An dem langen und hageren Körper hatte er kein Fleisch zuviel, er hatte nicht mal einen Bart, und das Kinn hatte ein dünnes Spierhaar, das, wie der Filz seines breitkrempigen Hutes, vom vielen Tragen abgenutzt war.

So sah die Person aus, die auf dem Heckbalken saß, als ich dem Kapitän Peleg unten in die Kajüte folgte. Auf Deck war nicht viel Platz, und da saß nun der alte Bildad kerzengrade und unangelehnt da, um seine Rockschöße zu schonen. Der Hut lag neben ihm, und die Beine waren übereinandergeschlagen. Der Rock war bis zum Kinn zugeknöpft, und mit der auf die Nase herabfallenden Brille schien er in ein dickbändiges Buch vertieft zu sein.

»Bildad,« rief Kapitän Peleg, »du hast nun die Heilige Schrift dreißig Jahre lang studiert, wie weit bist du gekommen, Bildad?«

Er schien solch ein weltliches Geschwätz bei seinem alten Schiffskameraden gewöhnt zu sein. Ohne auf seine Respektlosigkeit zu achten, sah er ruhig auf, und als er mich erblickte, warf er Peleg einen forschenden Blick zu.

»Er sagt, er will zu uns, Bildad!« sagte Peleg. »Er will aufs Schiff.«

»Willst du wirklich?« sagte Bildad in einem hohlen Tone und wandte sich an mich.

»Ja!« sagte ich.

»Was hältst du denn von ihm, Bildad?« sagte Peleg.

»Es wird gehen!« sagte Bildad, sah mich an, und dann buchstabierte er wieder in seinem Buch und las ganz vernehmlich vor sich hin.

Es war wohl der sonderbarste alte Quäker, den ich jemals kennengelernt habe, um so mehr, als Peleg, sein Freund und alter Schiffskamerad, solch ein Großmaul zu sein schien. Aber ich sagte nichts und sah mich nur um.

Peleg machte nun eine Kiste auf und zog die Schiffsartikel daraus hervor, legte Feder und Tinte vor sich hin und nahm an einem kleinen Tische Platz. Ich dachte darüber nach, daß es höchste Zeit wäre, sich darüber klar zu werden, unter welchen Bedingungen ich mich für die Fahrt anmustern lassen wollte. Ich wußte schon, daß man bei der Walfischerei keinen Lohn zahlt, sondern daß alle und auch der Kapitän gewisse Anteile am Gewinn beziehen. Die Höhe dieser Gewinnanteile richtet sich nach dem Geschäft, das man im Dienst der Gesellschaft ausführt. Ich wußte wohl, daß ich als völliger Neuling keinen großen Anteil beziehen konnte, aber wenn ich daran dachte, daß ich im Seedienst wohlerfahren war, daß ich ein Schiff steuern, ein paar Seile zusammenflechten und noch anderes mehr konnte, bezweifelte ich nicht, daß man mir den zweihundertfünfundsiebzigsten Anteil, das heißt den zweihundertfünfundsiebzigsten Teil des reinen Barverdienstes aushändigen könnte. Und wenn der zweihundertfünfundsiebzigste Anteil auch nicht viel war, so war es doch besser als gar nichts. Und wenn wir einigermaßen Glück hatten, so konnte ich doch meine Kleidung bezahlen, ohne zu reden von der Verpflegung für drei Jahre, die mich dann keinen Pfennig kosten würde.

Das war natürlich ein ärmlicher Weg, reich zu werden. Aber ich gehöre nicht zu denjenigen, die reich werden wollen, und bin völlig zufrieden, wenn man mich verpflegt und wohnen läßt. Ich dachte, der zweihundertfünfundsiebzigste Anteil wäre ganz angemessen, und ich würde mich nicht gewundert haben, wenn man mir den zweihundertsten angeboten hätte, da ich doch ziemlich breitschultrig war.

Aber die Aussichten auf einen anständigen Gewinnanteil wurden doch durch eins ziemlich herabgesetzt. An Land hörte ich schon von Kapitän Peleg und dem unberechenbaren alten Gesellen Bildad. Da sie die Hauptteilhaber des »Pequod« wären und die anderen Teilhaber nicht viel zu sagen hätten, so könnten sie die Angelegenheiten des Schiffes allein regeln. Ich merkte nichts davon, daß der geizige alte Bildad einen großen Einfluß auf die Anmusterung von Matrosen hatte, als ich ihn nun an Bord des »Pequod« sah, wie er in der Kabine wie zu Hause dasaß und in der Bibel wie vor dem eigenen Herd las. Währenddem versuchte Peleg vergeblich, mit seinem Schiffsmesser eine Feder zurechtzuschneiden. Der alte Bildad, der doch an den Vorgängen so sehr beteiligt sein sollte, schenkte uns keinen Blick, sondern las ruhig in seinem Buch weiter. »Habet acht, daß ihr nicht Schätze auf Erden sammelt, wo Motten und Rost –«

»Nun, Kapitän Bildad,« unterbrach ihn Peleg, »was, meinst du, sollen wir dem jungen Manne geben?«

»Das weißt du am besten«, war die Antwort, die wie eine Stimme aus dem Grabe klang. »Der siebenhundertsiebenundsiebzigste Anteil würde nicht zuviel sein, nicht wahr? Wo Motten und Rost sie verderben.«

Das war ja ein unglaublich kläglicher Anteil, und bei der großen Zahl hätte eine Landratte übers Ohr gehauen werden können.

»Aber was fällt dir denn ein, Bildad,« rief Peleg, »wir können doch diesen jungen Mann nicht übers Ohr hauen, wir müssen ihm mehr geben!«

»Den siebenhundertsiebenundsiebzigsten«, sagte wieder Bildad, ohne die Augen aufzuheben. Und dann las er weiter – – »Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz – –«

»Ich will ihn für den dreihundertsten anmustern,« sagte Peleg, »hörst du, Bildad? Den dreihundertsten Anteil, hörst du?«

Bildad legte sein Buch hin und wandte sich feierlich an ihn.

»Kapitän Peleg, du hast ein edelmütiges Herz, aber du mußt an die Pflicht denken, die du den anderen Teilhabern des Schiffes gegenüber hast, den Witwen und Waisen und vielen anderen, und wenn wir die Arbeit des jungen Mannes zu reichlich bezahlen, so nehmen wir den Witwen und Waisen das Brot weg. Der siebenhundertsiebenundsiebzigste Anteil genügt, Kapitän Peleg!«

»Bildad!« brüllte Peleg, sprang auf und lief wie ein Wilder in der Kabine herum. »Wenn ich deinem Rat in diesen Dingen gefolgt wäre, so hätte ich ein solch schweres Gewissen gehabt, das es mit seiner Ladung das größte Schiff zum Sinken gebracht hätte, das jemals um das Kap Horn herumgekommen ist.«

»Kapitän Peleg!« sagte Bildad mit fester Stimme, »ob dein Gewissen zehn Zoll oder zehn Faden tief ins Wasser gesunken wäre, kann ich nicht sagen. Aber du bist immer noch ein verstockter Sünder; ich befürchte, daß dein Gewissen leck ist und schließlich in dem tiefsten Höllenpfuhl versinken wird.«

»In dem Höllenpfuhl? Das ist eine Beleidigung! Du beleidigst mich über alles Menschenmaß hinaus. Es ist eine Unverschämtheit, zu sagen, daß ein Mensch für die Hölle bestimmt ist. Blitzschwerenot! Bildad, sag' das noch einmal, und ich will einen lebendigen Ziegenbock mit Haut und Haar auffressen! Hinaus aus der Kabine, du heuchlerisches schwindsüchtiges Musketengesicht. Hinaus mit dir!«

Als er diese Worte hervordonnerte, wollte er auf Bildad losspringen, aber dieser wich ihm mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit aus.

Ich war über diesen furchtbaren Zornesausbruch der beiden Hauptbesitzer des Schiffes entsetzt und wollte schon darauf verzichten, auf einem Schiff mitzufahren, das so merkwürdige Herren hatte. Ich machte Platz, um Bildad entweichen zu lassen, der ohne Zweifel vor der Wut Pelegs verschwinden mußte.

Aber zu meinem Erstaunen setzte er sich mit aller Seelenruhe auf seinen Heckbalken nieder und schien nicht im entferntesten daran zu denken, zu verschwinden. Er schien an den verstockten Peleg und seine Art gewöhnt zu sein. Peleg setzte sich, nachdem seine Wut verraucht war, wie ein Lamm hin, wenn er auch noch etwas nervös zitterte.

Schließlich sagte er: »Die Sturmbö ist wohl auf die Leeseite gegangen, Bildad. Du konntest doch immer so gut eine Lanze scharf machen. Willst du mal die Feder spitzen? Mein Messer muß geschliffen werden! Da ist er. Danke, Bildad! Nun, junger Mann, du heißt doch Ismael? Komm mal her, Ismael. Für den dreihundertsten Anteil kannst du bleiben!«

»Kapitän Peleg,« sagte ich, »ich habe einen Freund, der auch mit auf das Schiff will, soll ich ihn morgen mitbringen?«

»Ich habe nichts dagegen,« sagte Peleg, »bring' ihn mal her, und wir wollen ihn uns mal ansehen.«

»Welchen Anteil will er denn?« knurrte Bildad und sah von dem Buch auf, in das er sich wieder vergraben hatte.

»Bekümmere dich nicht darum, Bildad!« sagte Peleg. »Versteht er etwas von der Walfischjagd?« wandte er sich an mich.

»Er hat unzählig viele Wale getötet, Kapitän Peleg.«

»Nun, du kannst ihn ja mal herbringen!«

Nachdem ich die Papiere unterzeichnet hatte, ging ich fort. Es war kein Zweifel darüber, daß ich den Morgen gut ausgenutzt hatte.

Aber ich war noch nicht weit fort, da machte ich mir Gedanken, daß der Kapitän, mit dem ich segeln sollte, sich nicht gezeigt hatte. Aber in vielen Fällen ist ein Walschiff völlig ausgerüstet und hat die ganze Mannschaft schon an Bord, wenn der Kapitän erscheint und den Befehl übernimmt. Diese Fahrten dauern oft so lange, und die Augenblicke, wo das Schiff zu Hause ist, sind so kurz, daß der Kapitän, wenn er Familie oder etwas Ähnliches hat, sich nicht viel um sein Schiff im Hafen kümmern kann, sondern alles den Schiffsherren überläßt, bis alles zur Abfahrt bereit ist. Natürlich ist es ganz gut, wenn man ihn vorher gesehen hat, bevor man sich ihm unwiderruflich ausliefert. Als ich mich umwandte, redete ich Kapitän Peleg an und erkundigte mich, wo man den Kapitän Ahab antreffen könnte.

»Was willst du denn von Kapitän Ahab? Es ist alles in Ordnung; du bist angemustert.«

»Aber ich möchte ihn gerne sehen.«

»Das wird jetzt kaum möglich sein. Ich weiß nicht, was er jetzt treibt. Aber er hält sich zu Hause auf, er ist wohl krank und sieht doch nicht so aus. Auf jeden Fall, junger Mann, will er mich nicht gern sehen. Daher nehme ich an, daß er dich auch nicht gern sehen will. Er ist ein wunderlicher Mann. Das meinen wenigstens einige, aber er ist ein guter Kerl. Er wird dir schon gefallen. Hab' nur keine Angst! Er ist ein vornehmer, wenn nicht gerade gottesfürchtiger, aber göttlicher Mann, der Kapitän Ahab. Macht nicht viele Worte, aber wenn er etwas sagt, kannst du ihm wohl zuhören. Das sage ich dir von vornherein: Ahab ist kein Alltagsmensch. Ahab ist auf den Schulen gewesen und ebenso unter den Kannibalen. Er hat größere Wunder als die des Meeres kennengelernt. Er hat mit seiner feurigen Lanze auf mächtigere Feinde, als auf Wale gezielt. Er führt die kühnste und sicherste Lanze von unserer ganzen Insel. Das versteht er besser als der Kapitän Bildad und als der Kapitän Peleg. Er ist eben Ahab, mein Junge, und Ahab, der alte Ahab, war, wie du wohl weißt, ein gekrönter König.«

»Und ein ganz verderbter dazu! Als der böse König erschlagen war, haben da die Hunde nicht sein Blut geleckt?«

»Komm mal hierher«, sagte Peleg mit einem Blick, der mich erschrecken ließ.

»Sieh mich an, Bursche! Sag' das an Bord des ›Pequod‹ nicht noch einmal! Sag' das nicht noch einmal! Kapitän Ahab hat sich nicht selbst den Namen gegeben. Es war eine verrückte Laune seiner unglücklichen Mutter, die Witwe war und starb, als er zwölf Monate alt war. Und doch sagte die alte Frau Tistig in Gayhead, daß der Name eine prophetische Bedeutung hätte. Vielleicht werden die anderen Narren dasselbe erzählen. Ich möchte dich nur warnen. Es ist eine Lüge! Ich kenne Kapitän Ahab sehr gut, ich bin mit ihm als Maat gefahren. Ich weiß, daß er ein guter Mensch ist, nicht so fromm, wie Bildad, aber er ist ein guter Mann, der auch fluchen kann, so wie ich etwa – aber er ist viel mehr wert als ich. Ja, ich weiß, daß er nie sehr lustig war, und ich weiß, daß er auf der Heimreise ein wenig schwermütig schien. Aber das kam wohl von den brennenden Schmerzen in dem blutenden Stumpf. Ich weiß auch, daß er, seitdem er das Bein durch den verdammten Wal verloren hat, schwermütig, verzweifelt und wild ist. Aber das wird wohl vorübergehen. Und ein für allemal laß dir gesagt sein, junger Mann, es ist besser, man fährt mit einem schwermütigen guten Kapitän, als mit einem schlechten, der immer lacht. Nun leb' wohl – und tue dem Kapitän Ahab nicht Unrecht, weil er zufällig einen schlechten Namen hat. Außerdem ist er verheiratet seit den beiden letzten Fahrten mit einem lieben Mädchen, das sich in alles fügen kann. Denk' daran, daß der alte Mann von dem lieben Mädchen ein Kind hat! Du mußt nicht glauben, daß Ahab nur unglücklich und hoffnungslos verloren ist. Nein, mein Junge, so unglücklich und geknickt er auch ist, so hat er doch seine guten Eigenschaften!«

Als ich fortging, hatte ich den Kopf voll von Gedanken. Was ich zufälligerweise von dem Kapitän Ahab gehört hatte, erfüllte mich mit einem gewissen schmerzvollen Mitleid. Er tat mir leid, aber ich weiß nicht, weshalb. Vielleicht war es der grausame Verlust seines Beines. Zu gleicher Zeit empfand ich merkwürdige Ehrfurcht vor ihm, aber diese Ehrfurcht war eigentlich nicht Ehrfurcht. Es fällt mir schwer, dieses Gefühl zu beschreiben. Aber ich empfand es, und es zog mich zu ihm hin, wenn ich auch über das Geheimnis, das in ihm steckte, eine gewisse Ungeduld empfand. Schließlich wurden meine Gedanken in andere Bahnen gelenkt, so daß der mystische Ahab meinen Vorstellungen entschwand.


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