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Neununddreißigstes Kapitel

Behend wie eine Katze kletterte Tashtego nach oben, ohne die aufrechte Haltung aufzugeben, und läuft gerade auf die überhängende Großrahe zu, wo sich das Rahnock senkrecht über dem aufgezogenen Faß befindet. Er hat ein kleines Jollentau mitgenommen, das aus zwei Teilen besteht und über eine einteilige Rolle läuft. Als er die Rolle so angebracht hat, daß sie an dem Rahnock hängt, wirft er das eine Ende des Taues nach unten, daß es aufgefangen und an Deck festgehakt wird. Dann wirft er das andere Ende über die Hand und läßt sich durch die Luft herab, bis er oben auf dem Kopf des Wales landet. Wie er nun hoch über der übrigen Mannschaft schwebt, der er lebhaft zuruft, scheint er ein türkischer Muezzin zu sein, der die guten Leute von der Turmspitze aus zum Gebet ruft.

Man reicht ihm einen scharfen Spaten mit einem kurzen Griff, und er bemüht sich, eine geeignete Stelle zu finden, um das Faß einschlagen zu können. Bei diesem Vorhaben geht er sehr vorsichtig zu Werke, wie ein Schatzgräber in einem alten Hause, der die Wände abtastet, um festzustellen, wo das Gold eingemauert ist. Mittlerweile hat er die richtige Stelle gefunden, und man hat ihm an das eine Ende des Jollentaus einen kräftigen Eimer, der von Eisen eingefaßt ist und einem Brunneneimer sehr ähnlich sieht, gebunden. Das andere Ende, das auf das Deck reicht, wird von zwei oder drei kräftigen Armen gehalten. Diese ziehen nun den Eimer hoch, daß ihn der Indianer greifen kann, und ein anderer hat ihm eine lange Stange gereicht. Mit Hilfe der Stange führt Tashtego den Eimer in das Faß, bis er völlig darin verschwunden ist. Dann ruft er den Matrosen am Jollentau ein Stichwort zu, worauf der Eimer wieder hervorkommt und ein Geräusch macht, wie der Eimer eines Milchmädchens, wenn gemolken wird. Er wird dann sorgfältig herabgelassen und von einer bestimmten Person in Empfang genommen und schnell in einer großen Tonne entleert. Dann geht er wieder in die Höhe und macht dieselbe Runde, bis der tiefe Brunnen nichts mehr gibt. Tashtego muß dann mit der langen Stange immer tiefer in die Tonne hineinstoßen, bis sie ungefähr zwanzig Fuß tief drin ist.

Die Leute des »Pequod« hatten eine Zeitlang auf diese Weise geschöpft. Verschiedene Fässer waren schon mit dem wohlriechenden Öl gefüllt, als mit einem Male ein merkwürdiger Vorfall eintrat. Ob nun Tashtego, der wilde Indianer, so unvorsichtig gewesen war, daß er einen Augenblick vergessen hatte, sich an den großen Rollen über sich festzuhalten, ob die Stelle, wo er stand, so verräterisch glatt war, oder ob der Teufel es nun mal so verhängt hatte, ohne seine besonderen Gründe dafür anzugeben, genug, wie es kam, kann man schlecht sagen, aber als der achtzehnte oder neunzehnte Eimer mit dem suckenden Geräusch hochkam, fiel der arme Tashtego – du lieber Gott! – mit einemmal wie der Eimer bei einem Brunnen Hals über Kopf in das große Heidelberger Faß und verschwand unter einem schrecklichen Gurgeln des Öls aus dem Gesichtskreis!

»Mann über Bord!« rief Daggoo, der bei der allgemeinen Bestürzung zuerst wieder zur Vernunft kam.

»Den Eimer hochziehen!« Er setzte den einen Fuß hinein, um an dem Jollentau, das mittlerweile glitschig geworden war, besseren Halt zu gewinnen. Die Leute am Tau zogen ihn nach oben, und so schnell, daß Tashtego kaum tief ins Faß gestürzt sein konnte. Inzwischen gab es einen großen Tumult. Als sie über die Reling sahen, bewegte sich der Kopf des Wales, der bisher noch so ruhig dagehangen hatte, mit einem großen Gepolter unter der Meeresoberfläche, als ob ihm plötzlich etwas eingefallen wäre. Aber nur der arme Indianer bekam unbewußt durch das wilde Gebaren des Wales eine Vorstellung von der gefährlichen Tiefe, in die er versunken war.

In diesem Augenblick, als Daggoo oben auf dem Kopf das Jollentau zurechtmachte, das unter den großen Flaschenzügen stark gelitten hatte, hörte man ein lautes Krachen. Was man nicht für möglich gehalten hätte: einer von den unheimlich großen Haken, die den Kopf des Wales hielten, ging mit einer gewaltigen Erschütterung los, und die Masse glitt seitwärts, so daß das Schiff hin- und herschaukelte und einen solchen Stoß erlitt, als ob es von einem Eisberg gepackt wäre. Der übrige Haken, an dem jetzt das ganze Gewicht hing, schien in jedem Augenblick nachgeben zu wollen.

»Herunterkommen, herunterkommen!« schrien die Matrosen Daggoo zu. Aber er hielt sich noch mit der einen Hand an den schweren Rollen fest, so daß, wenn der Walfischkopf herunterfiele, er immer noch in der Luft hängenblieb. Der Neger, der die fettige Leine abgewischt hatte, stieß den Eimer in den eingestürzten Brunnen, um dem begrabenen Harpunier die Möglichkeit zu geben, danach zu greifen und auf diese Weise herausgezogen zu werden.

»In Teufels Namen, Mann,« rief Stubb, »willst du denn eine Patronenhülse feststopfen? Hände weg! Ist ihm denn damit gedient, daß du den Eimer mit den eisernen Bändern über seinen Kopf quetschst? Davon bleiben!«

»Hände weg vom Flaschenzug!« rief eine Stimme, laut wie eine platzende Rakete.

Fast im selben Augenblick fiel mit einem unglaublichen Gepolter die Riesenmasse in die See, wie ein Felsen vom Niagara sich loslöst und in den Strudel hinabsinkt. Der Schiffskörper wurde mit einemmal frei und löste sich von seiner Last los und sank so tief ein, daß der Kupferglanz noch soeben zu sehen war. Jeder Mann hielt vor Schreck den Atem an, als Daggoo bald über den Matrosen, bald über dem Wasser pendelte und nur mit Mühe durch einen Nebel aufspritzenden Wassers zu sehen war; während der arme lebendig begrabene Tashtego ganz und gar tief in die See hinuntersank.

Kaum hatte sich der Wasserdampf, der alles bedeckte, verflüchtigt, als man eine nackte Gestalt mit dem Enterschwert in der Hand eine Sekunde lang von dem Schiffsgerüst untertauchen sah. Im nächsten Augenblick ließ ein lautes Klatschen erkennen, daß mein braver Queequeg untergetaucht war, um Tashtego zu retten. Da stürzte alles auf die Seite, und jeder suchte in den aufeinander folgenden Sekunden jede einzelne Rippe zu zählen. Und man war darauf bedacht, ob man nicht ein Zeichen von dem Unglücklichen oder von dem Taucher entdecken könnte. Einige sprangen nun in ein Boot längsseits und ruderten ein Stück vom Schiff weg.

»He! he!« rief Daggoo ganz plötzlich von seinem mittlerweile ruhig gewordenen schaukelnden Beobachtungspunkt von oben aus. Als wir nun nach der Seite lugten, sahen wir, wie ein Arm aus den blauen Fluten hoch ausgestreckt wurde; es war ein merkwürdiger Anblick, als ob ein Arm sich durch das grüne Gras über dem Grabmal einen Weg bahnen wollte.

»Sie sind's beide! Beide!« rief Daggoo wiederum mit großer Freude. Bald darauf sah man, wie Queequeg mit der einen Hand tapfer ruderte und mit der anderen den Indianer an den langen Haaren hielt. Sie wurden in das bereitstehende Boot gezogen und schnell an Deck gebracht. Aber es dauerte lange, bis Tashthego soweit kam, und Queequeg sah reichlich ermüdet aus.

Wie war denn dieses edle Rettungswerk vor sich gegangen? Nun, Queequeg war dem langsam absinkenden Kopf nachgetaucht, hatte mit seinem scharfen Schwert seitwärts unten in die Lunge einen Schnitt gemacht und auf diese Weise ein großes Loch hineingeschnitten. Er hatte dann das Schwert weggeworfen, hatte den langen Arm bis weit nach innen und oben gesteckt und so unseren armen Tashtego am Kopf herausgezogen.


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