Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

»Habt ihr euch für das Schiff anmustern lassen?« Diese Worte wurden von einem Fremden an uns gerichtet, als Queequeg und ich gerade den »Pequod« verlassen hatten und von der See fortschlenderten, und jeder gerade mit eigenen Gedanken beschäftigt war. Der Fremde blieb vor uns stehen und zeigte mit seinem dicken Zeigefinger auf das in Frage kommende Schiff. Er war nicht gut angezogen, hatte eine abgetragene Jacke und geflickte Hosen an. Ein Fetzen schwarzen Taschentuchs schützte ihm den Nacken. Pockennarben bedeckten sein ganzes Gesicht, so daß es wie ein kompliziertes Flußbett mit vielen Rillen bei Trockenheit aussah.

»Habt ihr euch dafür anmustern lassen?« wiederholte er.

»Sie meinen wohl das Schiff ›Pequod‹«, sagte ich und versuchte, sein Gesicht näher kennenzulernen.

»Ja, den ›Pequod‹, das Schiff meine ich«, sagte er, zog den ganzen Arm zurück und schnellte dann den Finger in seiner vollen Länge vor wie ein Bajonett und zeigte auf das Schiff.

»Ja,« sagte ich, »wir haben gerade unterschrieben.«

»Habt ihr auch keine Angst?«

»Warum denn?«

»Oh, vielleicht könntet ihr doch Angst haben,« sagte er schnell, »es wäre auch nicht so schlimm, ich habe viele Burschen gekannt, die sie auch gehabt haben. Es ist ihr Glück gewesen, und sie sind gut davongekommen.«

»Was schwatzen Sie für dummes Zeug«, sagte ich.

»Er hat sein Teil gekriegt«, sagte der Fremde unverständlich und betonte das Wort »Er« besonders.

»Queequeg,« sagte ich, »wir wollen gehen, der scheint irgendwie nicht ganz richtig zu sein. Er spricht von jemandem, den wir nicht kennen.«

»Einen Augenblick,« rief der Fremde, »Sie haben den alten Donnerkeil wirklich nicht gesehen?« – »Wer ist der ›alte Donnerkeil‹?« sagte ich und wunderte mich wieder über den irrsinnigen Ernst, mit dem er das sagte.

»Kapitän Ahab!«

»Was, der Kapitän unseres Schiffes, des ›Pequod‹?«

»Ja. Unter einigen von uns alten Seeleuten geht er unter diesem Namen. Ihr habt ihn wohl noch nicht gesehen?«

»Nein, noch nicht. Er soll krank sein. Aber es geht ihm schon viel besser, und bald wird er wieder in Ordnung sein.«

»Bald wird er wieder in Ordnung sein!« lachte der Fremde mit einem ungewöhnlich spöttischen Lachen. »Seht her, wenn der Kapitän Ahab wieder in Ordnung ist, dann wird auch mein linker Arm hier wieder in Ordnung sein; eher nicht.«

»Was wissen Sie denn von ihm?«

»Was hat man euch denn von ihm erzählt?«

»Man hat uns nicht viel von ihm erzählt. Ich weiß nur, daß er ein guter Walfischjäger und seiner Mannschaft ein guter Kapitän ist.«

»Das ist schon richtig, alles beides ist richtig. Aber ihr müßt springen, wenn er einen Befehl gibt. Aber davon hat man euch nichts gesagt, daß er drei Tage und drei Nächte auf der Höhe des Kap Horn tot dagelegen hat, daß er mit dem Spanier vor dem Altar in Santa Schreckliches erlebt hat? Und ihr habt auch nichts davon gehört, daß er in die Silberschale gespuckt hat? Und auch nichts davon, daß er auf der letzten Reise sein Bein verloren hat, ganz wie es eine Prophezeiung vorhergesagt hatte? Habt ihr von solchen Dingen nichts gehört? Ich glaube, ihr wißt nichts davon! Wie solltet ihr es auch erfahren haben? Das weiß ja auch nicht mal ganz Nantucket. Aber jedenfalls habt ihr davon gehört, wie er das Bein verloren hat. Das wissen sie alle. Ich meine, daß er nur noch ein Bein hat, und daß ein Pottwal ihm das andere abgerissen hat.«

»Ich weiß nicht, was Ihr Geschwätz bedeuten soll, und es kann mir auch vollkommen egal sein. Wie mir scheint, sind Sie da oben nicht ganz in Ordnung. Aber wenn Sie von dem Kapitän Ahab und von dem Schiff da, dem ›Pequod‹ sprechen, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich weiß, wie er sein Bein verloren hat.«

»Wissen Sie das alles, bestimmt alles?«

»So ziemlich.«

Mit erhobenem Finger und nach dem »Pequod« gerichteten Augen stand der wie ein Bettler gekleidete Fremde träumerisch und besorgt da. Dann brauste er auf und wandte sich mit den Worten an uns: »Ihr habt euch anmustern lassen? Habt schon unterschrieben? Nun, wenn ihr unterschrieben habt, so ist nichts mehr zu machen. Was geschehen soll, trifft ein. Und dann braucht es ja nicht immer einzutreffen! Auf jeden Fall ist schon alles festgesetzt und geregelt. Vermutlich werden wieder einige Matrosen mit ihm gehen. Möge Gott mit ihnen wie mit den anderen Erbarmen haben! Morgen wird es losgehen, der unaussprechliche Himmel möge euch schützen! Verzeiht, daß ich euch angehalten habe.«

»Wenn Sie uns etwas Wichtiges zu sagen haben, so tun Sie es doch! Aber wenn Sie uns nur zum Narren haben wollen, so haben Sie kein Glück damit, das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe«, sagte ich.

»Es ist ganz gut gesagt, und ich habe es gern, wenn ein Bursche so mit mir redet. Sie sind der richtige Mann für ihn. Guten Morgen, Kameraden, guten Morgen! Aber wenn ihr dort hinkommt, sagt ihnen, daß ich nicht für sie zu haben wäre.«

»Auf diese Weise können Sie uns nicht verkohlen, alter Freund! Das ist auch furchtbar leicht, sich den Anschein zu geben, als ob man ein großes Geheimnis wüßte.«

»Morgen, Kameraden, guten Morgen!«

»Es ist schon Morgen«, sagte ich. »Komm, Queequeg, lassen wir diesen Verrückten allein, aber wollen Sie bitte mir Ihren Namen sagen.«

»Elias!«

»Elias?« dachte ich, und wir gingen beide fort, und jeder dachte auf seine Art über den zerlumpten alten Matrosen nach. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß es nichts als Unsinn wäre, und der Mann sich nur aufspielen wollte. Aber kaum waren wir hundert Yards gegangen, als ich mich an einer Ecke umsah und merkte, daß uns jemand folgte. Es konnte nur Elias sein, wenn er auch ziemlich weit von uns entfernt war.

Der Anblick dieses Menschen machte einen solchen Eindruck auf mich, daß ich Queequeg nichts davon sagte und mit ihm in aller Ruhe weiterging und neugierig war, ob der Fremde auch wieder an derselben Ecke einbiegen würde. Es geschah. Und da kam es mir vor, als ob er sich über uns lustig machen wollte. Aber weshalb er das tat, konnte ich mir nicht denken. Dieser Umstand, sein merkwürdiges Geschwätz mit den halben Beweisen und Andeutungen erregten in mir allerhand Befürchtungen. Ich dachte an das Bein, das der Kapitän Ahab verloren hatte, an den Anfall bei Kap Horn, an die Silberschale und an die Worte, die der Kapitän Peleg über ihn gesagt hatte, als ich das Schiff am Tage zuvor verließ, dachte an die Prophezeiung der Frau Tistig und an die Fahrt, für die wir angemustert waren und an hundert andere dunkle Dinge.

Ich wollte mir Klarheit verschaffen, ob dieser zerlumpte Elias uns zum Narren haben wollte oder nicht. Ich ging mit Queequeg über die Straße und ging absichtlich etwas langsamer. Aber Elias ging vorüber, ohne auf uns zu achten. Das war für mich eine Erlösung, und noch einmal und zum allerletztenmal sagte ich mir innerlich, daß das Ganze nichts als Blödsinn wäre.


 << zurück weiter >>