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Achtundzwanzigstes Kapitel

Als wir von den Crozetten nordostwärts steuerten, gerieten wir in weite Britwiesen, das feine gelbe Zeug, von dem sich der gewöhnliche Wal überwiegend ernährt. Meilenweit schwamm es um uns herum, so daß wir durch endlose Felder mit reifem und goldenem Weizen hindurchzusegeln schienen.

Am zweiten Tage sah man eine Menge gewöhnlicher Wale, die vor dem Angriff eines Pottwaljägers, wie es der »Pequod« war, mit offenem Maul sicher durch den Brit schwammen, der wie die grünen Netze einer wundervollen Jalousie in ihren Mäulern steckenblieb und so von dem Wasser, das wieder von den Lippen lief, geschieden wurde.

Wie die Morgenschnitter langsam ihre Sensen durch das lange grüne Gras der sumpfigen Wiesen vorwärtsbewegen, so vollzogen diese Ungeheuer beim Weiterschwimmen einen seltsamen grasigen scharfen Schnitt und ließen nur endlose Schwaden von blauer Farbe auf dem gelben Meere zurück.

Langsam watete der »Pequod« durch die Britwiesen und behielt immer noch den Nordostkurs auf die Insel Java bei. Ein sanfter Wind trieb seinen Kiel an, so daß die drei großen bebenden Masten bei einer so heiteren Umgebung der schlaffen Brise nachgaben, wie drei sanfte Palmen in der Ebene. Und immer noch sah man in großen Zwischenräumen die einsame verlockende Fontäne in der Silbernacht.

Aber an einem blauen Morgen, wo alle Dinge wie durchleuchtet erschienen, breitete sich eine fast übernatürliche Stille über das Meer aus, die jedoch nicht zu einer stagnierenden Ruhe wurde. Als der lange, gleichsam polierte Sonnenstreifen auf das Wasser fiel, schien es, als ob sich ein goldener Finger darauflegte und zur Verschwiegenheit ermahnte. Als sich die Dünung langsam weiterkräuselte, schienen die wie mit Pantoffelschritt schleichenden Wellen sich zu einem Geflüster zu vereinigen. Da erblickte Daggoo, als die sichtbare Welt an uns vorbeihuschte, oben vom Hauptmast aus ein seltsames Gespenst.

Ganz in der Ferne tauchte allmählich eine große träge weiße Masse auf, stieg höher und höher, entwirrte sich aus dem Azurblau und fiel schließlich aus der Höhe dicht vor unserem Bug wie fallender Schnee nieder. Es glitzerte einen Augenblick auf, dann sank es langsam und fiel schließlich ganz ins Meer. Es erhob sich dann noch einmal und leuchtete in aller Ruhe in seinem Glanz. Es schien nicht ein Wal zu sein. »Ist es am Ende unser ›Moby-Dick‹? dachte Daggoo. Wieder ging das Phantom unter. Aber als es noch einmal wieder zum Vorschein kam, rief der Neger mit seinem messerscharfen Laut, der jeden Mann aus seinem Schlaf aufschreckte, gellend: »Da! Da ist es wieder! Dort brandet sie! Zu rechter Hand, vorn! Der weiße Wal, der weiße Wal!« Als die Matrosen das hörten, eilten sie an die Rahnocken wie die Bienen zur Schwarmzeit auf die Zweige. Ahab stand barhäuptig auf dem Bugspriet und hielt die eine Hand bereit, um dem Steuermann seine Befehle zuzuwinken; er warf einen gierigen Blick nach der Richtung, die von oben durch den ausgestreckten starren Arm Daggoos angegeben wurde.

Ob die Erscheinung der immer noch auftretenden einsamen Fontäne auf Ahab allmählich eingewirkt hatte, und er nun darauf vorbereitet war, daß er mit dem Gedanken der tiefsten Stille das erstmalige Erscheinen des Wales, dem er auflauerte, verband oder ob seine Leidenschaft mit ihm durchging, genug, kaum hatte er die weiße Masse deutlich bemerkt, als er mit geschwinder Energie sofort Befehl gab, die Boote zu Wasser zu lassen.

Die vier Boote waren bald auf dem Wasser. Ahab war voran, und alle ruderten geschwind auf ihre Beute zu. Aber bald ging das Gespenst unter, und während wir mit eingelegten Rudern darauf warteten, bis es wiederkäme, erhob es sich noch einmal an derselben Stelle, wo es gesunken war. Einen Augenblick vergaßen wir beinah den Gedanken an »Moby-Dick« und starrten die wunderbare Erscheinung an, die die geheimen Tiefen bisher der Menschheit enthüllt haben. Eine ungeheure fleischige Masse, die eine Achtelmeile lang und breit war, von einer gelblich leuchtenden Farbe, lag auf dem Wasser. Unzählige lange Arme gingen in Strahlenformen von der Mitte aus und schlängelten sich wie ein Nest Riesenschlangen aus einem Haufen, als ob sie aufs Geratewohl einen Gegenstand, der in der Nähe war, packen wollten. Es war kein Gesicht und kein Kopf zu erkennen. Kein merkliches Zeichen eines Gefühls oder eines Instinktes. Vielmehr schwamm da auf den Wellen eine unirdische, gestaltlose Erscheinung des Lebens, die wie der Zufall gekommen war. Als das Gespenst mit einem leisen suckenden Laut wieder langsam verschwunden war, rief Starbuck, der immer noch das bewegte Meer, wo jenes Ding versunken war, betrachtete, mit einer wilden Stimme: »Lieber hätte ich ›Moby-Dick‹ gesehen und gejagt, als dich weißen Geist!«

»Was war denn das?« sagte Flask.

»Der große lebendige Tintenfisch. Nur wenige Walfischer, die den gesehen haben, sind in den Hafen zurückgekehrt und haben davon erzählen können.«

Aber Ahab sagte nichts. Er wandte sein Boot um und segelte langsam zum Schiff zurück. Die übrigen folgten ihm ebenso ruhig nach.

Welchen Aberglauben die Pottwalfischer auch im allgemeinen mit dem Anblick dieses Tieres verbunden haben, so steht doch fest, daß dieser ungewöhnlichen Erscheinung eine unheilvolle Bedeutung zuerkannt ist. Sie wird selten wahrgenommen, und viele Fischer erklären sie für das größte tierische Wesen im Ozean. Aber nur sehr wenige haben von Wesen und Gestalt dieses Tieres die undeutlichsten Vorstellungen. Trotzdem sind sie der Ansicht, daß es die einzige Nahrung des Pottwales bildet. Denn obwohl andere Abarten des Wales ihre Nahrung über Wasser finden, und man sie bei der Nahrungsaufnahme beobachten kann, so besorgt sich der Pottwall seine ganze Nahrung in unbekannten Zonen unter Wasser. Und nur durch Schlußfolgerung kann man sagen, worin, genau genommen, seine Nahrung besteht. Manchmal, wenn man ihm dicht auf den Fersen ist, speit er etwas aus, was man für die beweglichen Arme des Riesentintenfisches gehalten hat. Einige von diesen Armen sind mehr als zwanzig bis dreißig Fuß lang. Die Fischer glauben sogar, daß das Ungeheuer, dem diese Arme angehören, bis auf den Grund des Ozeans hinabreicht, und daß der Pottwal im Gegensatz zu anderen Tierarten mit Zähnen versehen ist, um den Tintenfisch anzugreifen und zu zerreißen.


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