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Zwanzigstes Kapitel

Ich gehörte auch zu der Mannschaft, die so laut gerufen hatte. Mein Eid war mit den Eiden der anderen zusammengeschweißt worden. Ich hatte besonders laut gerufen und meinen Eid besonders stark bekräftigt, weil ich in meinem tiefsten Innern Angst hatte. Ich hatte ein wildes, mystisches, mit Ahab sympathisierendes Gefühl. Ahabs unlöschbarer Kampfeszorn war auch der meinige. Mit gierigen Ohren vernahm ich die Geschichte von dem schrecklichen Ungeheuer, an dem uns zu rächen wir alle durch unsere furchtbaren Eide gelobt hatten. Eine Zeitlang vorher hatte der weiße Wal, der nie in Gesellschaft von anderen war, die ungastlichen Meere heimgesucht, die meist von den Pottwalfischern aufgesucht werden.

Aber nicht alle wußten, daß er existierte. Nur wenige hatten ihn aus eigener Erfahrung kennengelernt. Und die Zahl derjenigen, die sich mit ihm wirklich herumgeschlagen hatten, war nur klein.

Im Anfang hatten sie ebenso kühn und unerschrocken, wie bei anderen Gelegenheiten, die Boote heruntergelassen, als ob es sich um einen gewöhnlichen Wal handelte. Aber dann waren schließlich immer mehr Unglücksfälle vorgekommen; man hatte von gebrochenen Gliedern, zerschlagenen Booten und abgerissenen Körperteilen, höchst bedenklichen Vorfällen gehört. Als so etwas wiederholt vorkam, hatte man hinter allen Schrecken Moby-Dick vermutet und sie auf sein Konto gesetzt. Es war so weit gekommen, daß viele tapfere Jäger es mit der Angst bekamen.

Der Pottwal zeichnet sich von allen anderen Walen auf schreckliche Weise aus. So hört man es schon in den ältesten Geschichten. Bis auf den heutigen Tag gibt es Leute, die sich bei einem Kampf mit einem Grönlandwal geschickt und klug benehmen. Sie würden aber vielleicht, weil es ihnen an Erfahrung fehlt, oder weil sie es sich nicht zutrauen, einen Kampf mit einem Pottwal ablehnen.

Und schon in legendarischen Zeiten hat er seinen Schatten vorausgeworfen. Bei Olassen und Povelson finden wir die Auffassung, daß er nicht nur den Schrecken jedes Lebewesens in der See bilde, sondern daß er unglaublich wild sei und fortwährend Durst auf Menschenblut habe. Noch bis auf Cuviers Zeiten herrscht diese Auffassung. In seiner Naturgeschichte erzählt der Baron, »daß alle Fische, auch die Haie, beim Anblick des Pottwales von dem allergrößten Schrecken ergriffen werden und oft in der Hast ihrer Flucht mit solcher Heftigkeit gegen die Felsen sausen, daß der Tod die unmittelbare Folge ist.« Die allgemeinen Erfahrungen mögen solche Berichte wohl etwas mildern. Aber die Schrecklichkeit des Untiers, die bis zum Blutdurst geht, wenn es auch ein Aberglaube ist, lebt im Gemüt der Walfischjäger fort.

Wer zu Aberglauben und zu wilden Mutmaßungen neigte, hatte die irreale Vorstellung, daß Moby-Dick an mehreren Orten zugleich wäre. Man glaubte, daß er in ganz verschiedenen Längen zu ein und derselben Zeit gesichtet worden wäre.

Solch eine irrige Ansicht hat nicht den geringsten Grad von Wahrscheinlichkeit. Die Meeresströmungen sind trotz der gelehrtesten Forschungen immer noch ein Geheimnis. Und so konnten sich die Verfolger die verborgenen Wege des Pottwales, wenn er sich unter der Meeresoberfläche befindet, nicht erklären. Es gingen daher die merkwürdigsten Ansichten herum, die sich widersprachen. Es war ein Geheimnis, wie er mit einer solch großen Geschwindigkeit, nachdem er getaucht war, bis zu den entferntest gelegenen Punkten gekommen war.

Amerikanische und englische Walschiffe wissen recht wohl, und durch Scoresby wird es bestätigt, daß einige Wale, die im nördlichen Stillen Ozean gefangen wurden, in ihren Körpern die Widerhaken von Harpunen hatten, die in den grönländischen Gewässern abgeschossen wurden. Man hat auch nicht bestritten, daß in einigen Fällen zwischen den beiden Angriffen nur ein Zeitraum von einigen Tagen lag. Einige Walfischfänger haben angenommen, daß die nordwestliche Durchfahrt, die den Menschen so lange ein Problem war, dem Walfisch nie ein Problem gewesen ist.

Wenn man Moby-Dick solche Wunder zutraute und er nach wiederholten tapferen Angriffen stets lebendig entkommen war, kann es nicht überraschen, daß einige Walfischjäger in ihrem Aberglauben noch weitergingen und sogar behaupteten, Moby-Dick wäre nicht nur an mehreren Stellen zugleich, sondern er wäre auch unsterblich. Unsterblichkeit ist ja nur Allgegenwärtigkeit in der Zeit. Wenn man auch Wälder von Speeren in seine Seiten geschossen hätte, so würde er doch unbehelligt davonschwimmen. Wenn auch dickes Blut aus seinen Seiten herausflösse, so wäre das nur eine geisterhafte Täuschung. Hunderte von Meilen entfernt, wäre dennoch seine unbesudelte Fontäne in Wellen zu sehen, die nicht vom Blut beschmutzt wären.

Wenn man auch von diesen übernatürlichen Mutmaßungen absah, so hatte das Ungeheuer doch unbestreitbar genügend Merkmale einer irdischen Gestalt, die der Phantasie einen starken Impuls geben mußten. Er unterschied sich durch seinen ungewöhnlichen Körper nicht so sehr von den anderen Pottwalen. Aber er hatte eine merkwürdige Stirn von schneeweißer Farbe mit vielen Falten und einen hohen, weißen Höcker in Form einer Pyramide.

Der ganze übrige Körper war gestreift und gefleckt und hatte überall dieselbe Farbe, so daß man ihn zur Unterscheidung den »weißen Wal« nannte. Dieser Name wurde durch den lebhaften Eindruck gerechtfertigt, wenn man ihn um Mitternacht durch die tiefblaue See gleiten sah. Da zeichnete er eine milchweiße Straße mit cremartigem Schaum, worin es goldig schimmerte.

Es war nicht die ungewöhnliche Größe, nicht die auffallende Farbe und nicht sein entstellter Unterkiefer, wodurch er solch großen Schrecken einflößte. Es war die durchtriebene Bosheit ohnegleichen, die er nach den einzelnen Berichten bei seinen Angriffen immer wieder an den Tag gelegt hatte. Vor allem jagten seine tückischen Rückzugsbewegungen einen furchtbaren Schrecken ein. Wenn er den in Wut geratenen Verfolgern unter allen Anzeichen von Beunruhigung davonschwamm, war er verschiedene Male plötzlich umgekehrt und auf sie zugestürmt. Entweder hatte er ihre Boote in Stücke geschlagen oder sie voller Verzweiflung in das Schiff zurückgetrieben.

Auf der Jagd nach ihm hatten sich sehr verschiedene Unglücksfälle ereignet. Nun waren ähnliche Vorfälle bei der Walfischjagd nicht ungewöhnlich, aber der weiße Wal schien mit einer vorsätzlichen teuflischen Wildheit vorgegangen zu sein.

Man kann sich vorstellen, in welche Wut seine immer mehr verzweifelten Jäger geraten mußten, wenn sie mit den Splittern ihrer Boote und den sinkenden Gliedern verstümmelter Kameraden aus dem weißen Wutschaum des Wals wieder in das heitere aufreizende Sonnenlicht schwammen, das wie bei einem glücklichen Vorfall weiterlächelte.

Als die drei Boote um ihn herum eingestoßen wurden und Ruder und Leute in dem Strudel herumwirbelten, hatte ein Kapitän in seinem zerschellten Schiffsbug nach dem Schiffsmesser gegriffen. Wie bei einem amerikanischen Duell war er auf den Wal losgegangen und hatte mit einer sechs Zoll langen Klinge versucht, das Leben des Wals, das einen Faden tief lag, zu erreichen. Dieser Kapitän war Ahab gewesen! Da war es geschehen, daß Moby-Dick mit seinem sichelförmigen Unterkiefer Ahabs Bein unter sich abgetrennt hatte, so, wie ein Mäher auf dem Felde einen Grashalm abmäht.


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