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Dreißigstes Kapitel

Stubbs Wal war nicht weit vom Schiff getötet worden. Es war windstill. Wir bildeten ein Gespann aus den drei Booten und fingen an, die Kriegsbeute langsam an den »Pequod« zu ziehen.

Zu achtzehn Leuten machten wir uns mit unseren sechsunddreißig Armen und hundertachtzig Daumen und Fingern an der schwerfälligen Leiche im Meere zu schaffen. Es schien, als ob wir nur in großen Zwischenräumen mit unserer Arbeit vorwärtskämen. Die Masse, die wir so in Bewegung setzten, mußte demnach ungeheuer sein. Auf dem Hangho-Kanal in China oder wie er sonst heißt, können vier oder fünf Arbeiter eine schwer beladene Dschunke mit einer Geschwindigkeit von einer Meile in der Stunde weiterschleppen. Aber unsere gewaltige Fracht konnten wir nur schwer vorwärtsbringen, als ob sie Blei geladen hätte.

Es wurde dunkel. Drei im Takelwerk des »Pequod« aufgehängte Laternen beleuchteten soeben unseren Weg. Als wir näher kamen, sahen wir, daß Ahab eine Laterne über das Schiffsgerüst herabließ. Er streifte den herangeschleppten Wal einen Augenblick lang mit dem Blick, gab die üblichen Befehle, um ihn in der Nacht zu bergen, reichte die Laterne einem Matrosen, begab sich in die Kajüte und kam bis zum anderen Morgen nicht wieder zum Vorschein.

Kapitän Ahab hatte ja bei der Beaufsichtigung der Waljagd seine gewohnheitsmäßige Beschäftigung ausgeführt. Aber nun, da das Tier tot war, schien ein unbestimmtes Gefühl des Unbefriedigtseins, der Ungeduld oder der Verzweiflung in ihm Platz zu greifen. Als ob der Anblick des toten Tieres ihn daran erinnerte, daß Moby-Dick noch getötet werden müßte. Wenn ihm auch tausend andere Wale ans Schiff gebracht wurden, so kam er seinem grandiosen monomanischen Ziel nicht eine Idee näher. Bald hätte man aus dem anhebenden Geräusch an Deck schließen müssen, daß alle Mann darauf aus gewesen wären, den Anker in die Tiefe zu senken. Es wurden nämlich schwere Ketten über Deck gezogen und mit lautem Getöse aus den Pfortöffnungen geworfen. Aber mit Hilfe dieser klappernden Werkzeuge sollte der ungeheure Leichnam selbst und nicht das Schiff festgemacht werden. Mit dem Kopf am Heck und mit dem Schwanz am Bug lag nun der Wal mit seinem schwarzen Rumpf dicht an dem des Schiffes. Und wenn man die beiden bei der Dunkelheit der Nacht betrachtete, die die Spiere und das Takelwerk hoch oben unsichtbar machte, so schienen Schiff und Wal wie zwei ungeheure Ochsen nebeneinander eingejocht zu sein, und zwar war der eine etwas hinübergelehnt, während der andere aufrecht dastand.

Wenn in der Fischerei der Südsee ein gefangener Pottwal nach langwieriger und schwerer Arbeit spät am Abend an die Längsseite des Schiffes gebracht ist, so pflegt man nicht sofort dazu überzugehen, ihn auseinanderzuschneiden. Das ist ein zu mühevolles Geschäft, als daß man sich sofort damit befaßte, und erfordert die Arbeit der ganzen Schiffsmannschaft. Daher verlangt ein allgemeiner Brauch, daß man die Segel einzieht, das Steuer an der Leeseite festbindet, und jeden Mann bis Tagesanbruch nach unten in die Hängematte schickt. Nur muß bis dahin Ankerwache gestellt werden, und zwar zwei müssen alle Stunde an Deck gehen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber manchmal kann gerade in der Gegend des Äquators im Stillen Ozean dieser Plan nicht befolgt werden. Unvorhergesehene Scharen von Haifischen wimmeln am angetäuten Leichnam, so daß nach sechs Stunden höchstens noch das Skelett desselben übrig wäre. In den meisten Gebieten des Ozeans kann die ans Unglaubliche grenzende Gefräßigkeit dadurch eingeschränkt werden, daß man dem Hai mit scharfen Walfischspaten kräftig zu Leibe geht. Aber in manchen Fällen stachelt dieses Verfahren sie zu noch größerer Lebhaftigkeit an.

Aber bei den Haien, die sich jetzt um den »Pequod« herumtrieben, war das nicht der Fall. Wenn auch wohl mancher, der an diesen Anblick nicht gewöhnt war, sicherlich in dieser Nacht, wenn er über die Reling geschaut hätte, des Glaubens gewesen wäre, daß das ganze Meer ein Riesenkäse und die Haie die Maden darin gewesen wären. Und doch gab es, als Stubb nach beendeter Mahlzeit die Ankerwache übergab und Queequeg und ein Matrose von der Vorderkajüte an Deck kamen, unter den Haien eine große Aufregung. Die beiden Matrosen ließen sofort das Schneidegerüst zugleich mit drei Laternen an der Seite herab, so daß lange Lichtstrahlen über die stürmische See fielen, stießen mit den langen Walfischspaten in die Gegend und richteten ein fortwährendes Blutbad unter den Haien an, wobei sie mit den scharfen Eisen in die Schädel fuhren, wo das volle Leben zu sitzen schien.

Aber in dem von dem Wirrwarr der kämpfenden Haifischhaufen herrührenden Schaum war es den beiden Schützen schwer, immer das Ziel zu treffen. Dabei zeigte sich die unglaubliche Wildheit des Haies von einer neuen Seite. In wilder Raserei schnappten sie nicht nur um sich, um sich gegenseitig zu zerstückeln, sondern sie krümmten sich wie biegsame Bogen und bissen nach ihren eigenen Körperteilen, so daß das Maul desselben Tieres sich in den eigenen Eingeweiden festgebissen hatte und nun immer neue Wunden aufriß.

Aber das war noch nicht alles. Es war gefährlich, mit den Leichen und Geistern dieser Geschöpfe in Verbindung zu treten. Eine gewisse pantheistische Lebenskraft schien in den Gelenken und Knochen zu stecken, nachdem das sogenannte Leben des Individuums geschwunden war. Als ein getöteter Hai der Haut wegen an Deck gezogen war, hätte er beinah die Hand des armen Queequeg abgerissen, als er den abgestorbenen oberen mörderischen Kiefer zumachen wollte.

»Queequeg sich nicht darum kümmern, was für Gott Hai geschaffen hat«, sagte der Wilde, der vor Schmerz die Hand auf- und abbewegte. »Ob Fidji-Gott, ob Nantucket-Gott. Aber Gott, der Hai geschaffen hat, muß verteufelter Ingin gewesen sein.«


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