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Dreizehntes Kapitel

Einige Tage vergingen und das Eis und die Eisberge verschwanden am Achterdeck. Da fuhr der »Pequod« durch den leuchtenden Frühling von Quito, der an der Schwelle des August in der tropischen Zone seit ewiger Zeit nahezu zur Herrschaft kommt. Die warmen, wenn auch noch ein wenig kühlen, klaren, duftenden und von aller Pracht überquellenden Tage waren wie kristallene Becher, die mit persischem Sorbet gefüllt sind, und in die man Schneewasser von Rosenduft getan hat. Die sternbedeckten und herrlichen Nächte waren wie stolze Damen in Sammetkleidern, mit Juwelenschmuck, die daheim in Stolz und Einsamkeit an ihre fernen Grafen, an die mit Goldhelmen versehenen Sonnen denken, die auf Abenteuer ausgezogen waren. Für einen Schlafenden war es schwer, sich zwischen solch lieblichen Tagen und solch herrlichen Nächten zu entscheiden. Aber aller Zauber des nicht nachlassenden wundervollen Wetters beeinflußte nicht nur die äußere Welt, er gab auch der Seele neue Spannkraft, besonders wenn die milden Abendstunden kamen. Dann trieb die Erinnerung ihre Kristalle, wie sich an stillen Dämmerabenden das helle Eis am leichtesten bildet. Und ganz besonders zeigte sich dieser Einfluß bei Ahab.

Das Alter findet nie rechten Schlaf und ist immer auf dem Posten. Je länger man mit dem Leben verknüpft ist, um so weniger hat man mit dem zu tun, was wie der Tod aussieht. Unter den Kommandanten verlassen die alten Graubärte am häufigsten ihre Koje, um das in den Mantel der Nacht gehüllte Deck zu besuchen. Bei Ahab war es genau so. Er schien sich nun sehr viel in der freien Luft aufzuhalten, und zwar galten seine Besuche mehr der Schiffskabine, als dem offenen Deck, das er von der Kajüte aus betreten mußte. »Es kommt einem so vor, als ob man in sein eigenes Grab marschierte,« brummte er vor sich hin, »wenn ein alter Kapitän wie ich zu diesem engen Loch heruntersteigt.«

Wenn die Nachtwachen bestimmt waren, lösten die Leute an Deck die anderen, die unten im Schlaf lagen, ab. Wenn ein Tau am Vorderdeck hochgezogen werden mußte, so warfen es die Matrosen nicht rücksichtslos wie am Tage herab, sondern ließen es mit der allergrößten Vorsicht an den bestimmten Platz herabfallen, um ja nicht den Schlaf ihrer Schiffskameraden zu stören. Als dies zur allgemeinen Regel wurde, saß auch der stille Steuermann in aller Ruhe da und sah nach dem Kabinenloch. Und bald darauf tauchte auch der Alte auf und hielt sich an dem eisernen Geländer fest, um seinem lahmen Bein etwas nachzuhelfen.

Eine gewisse Menschlichkeit mußte man ihm zuerkennen. Er legte keinen Wert darauf, zu solchen Zeiten das Achterdeck zu kontrollieren. Die müden Maaten hätte das Klappern seines elfenbeinernen Ganges schwere Träume gekostet, und sie hätten an die zermalmenden Zähne des Haies gedacht. Aber einmal dachte er in seiner Schwermut nicht an solche alltäglichen Dinge. Als er das Schiff vom Heck bis zum Hauptmast mit seinem schweren Tritt durchmaß, kam Stubb, der alte zweite Maat, von unten herauf. Mit seinem unbedachtsamen und geringschätzigen Humor wies er darauf hin, daß man nichts dagegen haben könne, wenn der Kapitän Ahab auf den Planken an Deck spazieren ginge. Aber das Geräusch ließe sich doch leicht dämpfen, und er wies etwas undeutlich und zögernd auf ein Stück Hanf vom Schiffstau hin, das man leicht um den elfenbeinernen Fuß wickeln könnte. Stubb, da hast du unseren Ahab aber schlecht gekannt!

»Bin ich denn eine Kanonenkugel, Stubb,« sagte Ahab, »daß du mich auf diese Weise in Watte wickeln willst? Aber kümmere dich um deine Sachen! Mach, daß du in dein Loch kommst! Da könnt ihr euch eure Bettdecke mit Watte vollpacken. Los, Hund, kusch dich!«

Der Zornesausbruch des Alten, der so ganz unerwartet kam, machte Stubb einen Augenblick sprachlos. Da sagte er in der Erregung: »Ich bin es nicht gewohnt, Kapitän, daß man mir gegenüber solche Ausdrücke gebraucht.«

»Weg!« knurrte Ahab zwischen den Zähnen und ging fort, um einem Zornesausbruch aus dem Wege zu gehen.

»Bis jetzt hat man mich noch nicht einen Hund genannt«, sagte Stubb, der nun etwas Mut gefaßt hatte.

»Dann laß dir gesagt sein, daß du ein Affe, ein Maultier und ein Esel bist, und daß du dich fortscheren sollst!«

Bei diesen Worten ging Ahab mit einem solchen Ausdruck des verhaltenen Zornes auf ihn zu, daß Stubb unwillkürlich ein paar Schritte zurückging.

»Ich habe immer noch jedem tüchtig herausgegeben«, brummte Stubb, als er wieder in das Kabinenloch herabstieg. »Das kommt mir ja seltsam vor. Halt! Ich weiß nicht, was ich tun soll, soll ich zurückgehen und ihm eins zwischen die Zähne schlagen, oder soll ich – was für ein blödsinniger Einfall! – vor ihm niederknien und ihn um Verzeihung bitten. Das wäre denn das allererstemal! Es ist wirklich seltsam! Vorn und hinten betrachtet, ist das der merkwürdigste Alte, mit dem ich jemals zur See gefahren bin. Wie er mich ansah, als ob ihm Blitze aus den Augen schössen. Ist er am Ende wahnsinnig? Sicher ist da etwas nicht in Ordnung. Er liegt nur drei Stunden im Bett, und dann schläft er noch nicht einmal. Hat der Lausejunge, der Steward, mir nicht gesagt, daß seine Hängematte alle Morgen zerknüllt und durcheinandergebracht ist, daß das Bettuch an das Fußende getreten und die Bettdecke auf einen Haufen zusammengeknüllt ist, daß das Kissen schrecklich heiß ist, als ob ein heißer Backstein darauf gelegen hätte? Das muß ja ein merkwürdig heißblütiger Alter sein.

Das reine Rätsel! Ich möchte bloß mal wissen, warum er jede Nacht, wie der Junge erzählt, hinten in den Kielraum geht, was er da nur zu suchen hat? Ist das nicht merkwürdig?«


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