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Dreiundvierzigstes Kapitel

Bis jetzt haben wir erzählt, daß Ahab auf dem Achterdeck herummarschierte und an dem Kompaßhäuschen und am Hauptmast regelmäßig umkehrte. Aber es waren so viele Dinge zu erzählen und es ist nicht erwähnt worden, daß er regelmäßig bei seinem Spaziergang an einer Stelle stehenblieb und das merkwürdige Objekt mit seltsamem Blick betrachtete. Wenn er vor dem Kompaßhäuschen anhielt, heftete sich sein Blick fest auf die spitze Nadel. Dieser Blick schoß wie ein Speer auf das Objekt, wie von einem scharfen Willen gelenkt. Und wenn er dann seinen Spaziergang wieder antrat, blieb er vor dem Hauptmast stehen und heftete den speerartig scharfen Blick auf die dort angebrachte Goldmünze. In seinem Blick lag noch dieselbe Festigkeit, die durch eine gewisse wilde Sehnsucht, die die Grenze der Hoffnungslosigkeit streifte, erhöht wurde.

Als er eines Morgens an der Dublone vorbeikam, schien es so, als ob er wieder von neuem durch die seltsamen Figuren und Inschriften, die darauf eingeprägt waren, angezogen würde. Es schien, als ob er sich jetzt erst in seiner monomanischen Art zurechtlegte, welch verborgener Sinn hinter den Inschriften läge. Nun liegt ja allen Dingen ein gewisser Sinn zugrunde. Sonst wären ja alle Dinge nichts wert. Und die ganze Welt wäre ein leeres Zifferblatt!

Die Dublone war aus dem reinsten und edelsten Gold, das aus den Schluchten der Berge geholt war, von wo aus die Wasserläufe von manch einem Pactolus nach Osten und Westen über goldene Sandmassen fließen. Und wenn das Gold mitten zwischen rostige Eisenhaken und mit Grünspan bedeckte Kupferspieken genagelt war, so war es doch unberührt und rein geblieben und hatte seinen alten Quitoglanz bewahrt. Und wenn die Dublone auch zwischen einer gewissenlosen Schiffsmannschaft hing und hinter dem Schutze der ewig langen, dunklen Nacht ein Diebstahl sehr begünstigt werden konnte, so war sie doch bei jedem Sonnenaufgang noch an der Stelle, wo sie des Abends gehangen hatte.

Die Dublone hatte man für das furchtbare und schreckliche Ende beiseitegelegt und geheiligt. Und wenn die Matrosen auch noch so rauhbeinig waren, so ehrten sie diese Münze als den Talisman des weißen Wales. Manchmal sprachen sie darüber auf einer schweren Nachtwache und sagten, wem sie wohl schließlich gehören würde, und ob der wohl in die Lage kommen würde, sie auszugeben.

Die edlen Goldstücke von Südamerika sind wie Münzen der Sonne und Kennzeichen der tropischen Welt. Da sind Palmen, Alpacos und Vulkane; da sind Sonnenscheiben und Sterne, wie auch Füllhörner und prächtige wehende Banner mit schwelgerischer Verschwendung darin eingeprägt. Und das kostbare Gold scheint der Abglanz einer erhöhten Kostbarkeit und eines gesteigerten Ruhmes zu sein, der in diesen phantastischen Münzen auf die so recht poetische Weise der Spanier zum Ausdruck kommt.

Die Dublone des »Pequod« war ein höchst wertvolles Beispiel für diese Dinge. Am äußeren Rand standen die Worte: »Republica del Ecuador: Quito«.

Diese leuchtende Münze kam aus einem Lande, das in der Mitte der Erde liegt, unterhalb des großen Äquators, und von ihm seinen Namen trägt. Sie war mitten in den Anden gefördert worden, in dem Klima, das nicht schwankt und keinen Herbst kennt. Zwischen den Lettern sah man etwas, das wie drei Andengipfel aussah. Von dem einen leuchtete eine Flamme, auf einem anderen erhob sich ein Turm. Und auf dem dritten stand ein krähender Hahn, während sich über das Ganze das Segment eines Tierkreises bogenförmig ausbreitete. Die Zeichen waren mit ihren gewöhnlichen Symbolen bezeichnet, und als Schlußstein trat die Sonne gerade in die Tagundnachtgleiche bei Libra. Unbeobachtet von den anderen, blieb Ahab vor dieser Münze aus Ecuador stehen. Wenn es sich um Berggipfel und Türme und um sonstige erhabene und hohe Dinge handelt, dann ist etwas Egoistisches dabei. Man sehe nur mal hierher! Die drei Gipfel sehen stolz aus wie Luzifer. Der feste Turm ist Ahab! Der Vulkan ist Ahab. Der mutige und sieghafte Vogel, der sich von nichts abschrecken läßt, ist auch Ahab. Alles ist Ahab!

Dies runde Goldstück ist nur das Bild des noch runderen Globus, der wie ein Zauberspiegel das geheimnisvolle Selbst eines jeden Menschen reflektiert. Wer die Welt fragt, ob sie die Rätsel lösen kann, muß große Schmerzen erdulden und hat wenig Gewinn. Die Welt kann sich nicht selbst erklären. Mir kommt es so vor, als ob die Sonne auf der Münze rötlich aussähe. Aber siehe: sie geht in das Zeichen der Stürme, der Tagundnachtgleiche, und noch sechs Monate vorher steuerte sie aus einer früheren Tagundnachtgleiche im Zeichen des Widders! Von einem Sturm zum anderen! So muß es auch sein. In Wehen geboren, ist der Mensch dazu auserlesen, in Schmerzen zu leben und in Zuckungen zu sterben! So mag es denn sein. An dieser Stelle kann das Leid ansetzen; so mag es denn sein! »Nicht die Hände einer Fee haben das Gold geformt, sondern die Klauen des Teufels müssen seit gestern ihre Eindrücke darin hinterlassen haben«, brummte Starbuck für sich und lehnte sich gegen das Schiffsgerüst. Der Alte scheint die schreckliche Schrift des Belsazar gelesen zu haben. Ich habe mir niemals die Münze genau angesehen; er geht nach unten. Ich will sie doch mal lesen. Zwischen drei mächtigen Gipfeln, die den Himmel bewohnen und die Dreieinigkeit bedeuten, liegt ein dunkles Tal, das Symbol der ohnmächtigen Erde. So ragt Gott in diesem Tal des Todes über uns. Und über unser Elend scheint die Sonne der Gerechtigkeit wie ein Leuchtturm und ein Strahl der Hoffnung. Wenn wir unsere Augen niederschlagen, zeigt das dunkle Tal seinen schmutzigen Boden. Aber wenn wir sie aufheben, kommt uns die helle Sonne auf halbem Wege entgegen, um uns zu erfreuen. Ja, die erhabene Sonne ist kein Trugbild. Und wenn wir um Mitternacht einen schwachen Trost suchen, schauen wir vergeblich nach ihr aus. Die Münze spricht weise, gütig und aufrichtig, aber traurig zu mir. Ich will sie nicht mehr ansehen, damit die Wahrheit mich nicht auf Irrwege bringen kann.

»Das ist der alte Mogul«, sagte Stubb an den Schmelzgeräten für sich hin. »Er hat es wohl verstanden. Und da kommt auch Starbuck her. Und beide Gesichter sehen so aus, als ob sie in die Tiefe geschaut hätten. Und das kommt daher, weil sie ein Goldstück angesehen haben. Wenn ich es in Negro-Hill oder in Corlaers Hoock hätte, so würde ich es nicht lange ansehen, bevor ich es ausgäbe. Nach meiner geringen und unbedeutenden Ansicht ist das albern. Ich habe auf meinen Reisen Dublonen genug gesehen. Ich habe die Dublonen vom alten Spanien, die Dublonen von Peru, die Dublonen von Chile, die Dublonen von Bolivien und die Dublonen von Popayan gesehen. Dazu viele goldene Moidoren, Pistolen und Josephs, halbe Josephs und viertel Josephs. Was ist denn bloß mit dieser Dublone von Ecuador los, daß sie so verdammt merkwürdig sein soll? Beim Colconda, ich will sie doch auch mal lesen, hallo! Hier geschehen ja Zeichen und Wunder!

Das ist ja das, was der alte Bowditch in seinem Abriß den Zodiacus nennt, und was mein Almanach ebenso bezeichnet. Ich will mir mal den Almanach heraufholen. Und da ich gehört habe, daß Teufel durch die Arithmetik des Daboll beschworen werden können, so will ich meine Hände daranlegen, um zu sehen, was diese merkwürdigen Zeichen hier im Kalender von Massachusetts bedeuten.

So, da ist das Buch. Nun wollen wir mal nachsehen. Zeichen und Wunder, und die Sonne ist immer dabei! Hm, hm, hm! Hier sind sie, hier sind sie alle lebendig. Der Widder oder der Sturmbock. Der Stier und die Zwillinge! Hier sind die Zwillinge selbst. Schön! Die Sonne gondelt zwischen ihnen herum. Ja. Auf dieser Münze kreuzt sie gerade die Schwelle zwischen zwei von zwölf Wohnzimmern, die alle in einem Kreise liegen. Das ist falsch, Buch! Ihr Bücher müßt wissen, wie die Plätze sind! Ihr gebt uns die bloßen Worte und Tatsachen, aber wir kommen, um die Gedanken zu geben. Das ist meine Erfahrung, soweit der Kalender von Massachusetts, der Seefahrer von Bowditch und die Arithmetik von Daboll in Betracht kommen. Sollen das Zeichen und Wunder sein?

Es ist dumm, wenn in den Zeichen nichts Wunderbares und in den Wundern nichts Bedeutungsvolles ist! Da ist irgendwo ein Haken! Augenblick mal! Ruhig! Da hab' ich's! Hersehen, Dublone! Dein Zodiacus bedeutet das Leben des Menschen, und nun will ich es ablesen, gerade aus dem Buch. Komm, Almanach! Da ist der Widder oder der Sturmbock, ein gefährlicher Hund, der uns an den Leib will. Dann kommt der Stier, der boxt uns von vorn, dann kommen die Zwillinge, das sind Tugend und Laster. Wir suchen die Tugend zu erreichen, aber da kommt der Krebs und zieht uns zurück. Und wenn wir von der Tugend kommen, kommt Leo, ein brüllender Löwe, der am Wege liegt. Der beißt uns heftig in den Nacken und versetzt uns einen Schlag mit seiner Klaue. Wir machen uns davon und begrüßen die Jungfrau. Das ist unsere erste Liebe. Wir verheiraten uns und glauben, wir sind für ewig glücklich. Da kommt bums die Wage. Sie wiegt das Glück ab, und es zeigt sich, daß etwas fehlt, und wenn wir darüber sehr traurig sind, dann springen wir mit einem Satze auf. Und da sticht uns der Skorpion von hinten! Wir wollen die Wunde heilen. Da werden wir ringsum von dem Bogenschützen beschossen, der sich einen Spaß daraus macht.

Wenn wir die Pfeile herausziehen, heißt es aufgepaßt! Da steht der Steinbock, der mit einem Satz auf uns zukommt und uns stößt, daß wir kopfüber fallen. Da gießt der Aquarius, der Wassermann, seine ganze Sündflut über uns aus, so daß wir ertrinken. Und wenn wir mit den Fischen nach oben gehen, geraten wir in den Schlaf.

Das ist ja die reine Predigt, die hoch oben im Himmel abgedruckt ist. Die Sonne geht jedes Jahr da durch und kommt doch lebendig und in guter Stimmung daraus hervor. Hoch oben gondelt sie lustig durch Mühseligkeiten und Kümmernis. Und wenn es erlaubt ist, ist Stubb ebenso lustig. Ja, lustig, das ist das richtige Wort! Lebe wohl, Dublone, aber einen Augenblick. Hier kommt der kleine King-Post, laßt die dummen Schmelztöpfe liegen, ich will doch mal hören, was er zu sagen hat. Nun steht er davor. Er wird schon gleich mit etwas kommen. So, nun fängt er an.« –

»Ich sehe nichts, als ein rundes Ding, das aus Gold gemacht ist. Und wer einen gewissen Wal meldet, dem soll dieses runde Ding gehören. Und was bringt denn dieses Herumstarren ein? Sechzehn Dollars, allerdings. Und wenn die Zigarre zwei Cents kostet, so gibt das neunhundertsechzig Zigarren. Ich rauche keine dreckigen Pfeifen, wie Stubb, aber ich rauche gern Zigarren, und hier hängen neunhundertsechzig. Hier geht Flask nach oben, um sie zu erwerben.

Soll ich das nun weise oder töricht nennen? Wenn es wirklich weise ist, so sieht es doch sehr töricht aus. Und wenn es wirklich töricht ist, so hat es doch einen gewissen Schein von Weisheit. Aber was anderes! Da kommt unser alter Mann von der Insel Man. Der alte Leichenkutscher, so etwas muß er gewesen sein, bevor er zur See ging. Er kommt angeluvt und bleibt vor der Dublone stehen. Hallo, und geht um sie herum auf die andere Seite des Mastes. Ah, da ist ein Hufeisen angeschlagen, und nun geht er wieder zurück, was soll das heißen? Halt! Er brummt vor sich hin. Eine Stimme wie eine ausgeleierte alte Kaffeemühle; die Ohren gespitzt und zugehört!«

»Wenn der Wal gesichtet wird, so muß das in einem Monat und an einem Tag geschehen, wenn die Sonne in einem von diesen Zeichen steht. Ich habe die Zeichen studiert und weiß, was sie bedeuten sollen. Als ich vor vierzig Jahren in Kopenhagen war, hat sie mir eine alte Hexe beigebracht. In was für einem Zeichen wird dann wohl die Sonne stehen? In welchem Zeichen steht denn nun die Sonne? Im Zeichen des Hufeisens. Das ist gerade der Sonne gegenüber. Und was bedeutet denn das Hufeisen? Das Hufeisen bedeutet den brüllenden Löwen, der alles verschlingt. Armes Schiff! Mein alter Kopf fängt an zu wackeln, wenn ich daran denke!«

Da ist eine andere Lesart: Alle Menschen stehen in einer Welt für sich. Da kommt Queequeg. Ist über und über tätowiert und sieht wie das Zeichen des Tierkreises selbst aus. Was sagt der Kannibale? Wahrhaftig, er vergleicht die Zeichen; er sieht nach seinem Schenkelknochen und glaubt, daß die Sonne im Schenkel, in der Wade oder im Eingeweide ist. So, wie die alte Frau über Astronomie redete in dem Lande, wo die Welt mit Brettern zugenagelt ist. Wahrhaftig! Er hat in der Gegend des Schenkels etwas entdeckt. Ich glaube, es ist der Bogenschütze. Nein! er weiß doch nicht, was er mit der Dublone anfangen soll. Er glaubt, es ist ein alter Hosenknopf von einem König. Aber aufgepaßt! Da kommt der Teufelsgeist, der Fedallah. Hat den Schwanz unsichtbar eingewickelt, wie bekannt. Hat Werg zwischen den Zehen, in seinem Tanzschuh, wie gewöhnlich. Was soll der Blick bedeuten? Ach, er macht nur ein Zeichen vor dem Zeichen und verbeugt sich. An der Ecke ist eine Sonne. Er ist ja Feueranbeter und verläßt sich darauf. Ach, da kommt noch mehr! Da kommt Pipp, dieser arme Junge! Ich wollte, er wäre gestorben, oder ich. Es geht mir ordentlich durch, wenn ich ihn sehe. Er hat die beiden Dolmetscher auch beobachtet, auch mich. Und kommt nun her und will auch lesen. Und hat dieses Idiotengesicht mit dem überirdischen Ausdruck. Etwas zur Seite und aufgepaßt! Pst! –

»Ich sehe, du siehst, er sieht, wir sehen, ihr seht, sie sehen!« –

Bei meiner Seele, er studiert die Grammatik! Er will seinen Geist läutern. Armer Junge. Aber was sagt er denn nun? Pst! –

»ich sehe, du siehst, er sieht, wir sehen, ihr seht, sie sehen!« –

Ach, er lernt es auswendig. Pst! Was gibt es nun? –

»Ich sehe, du siehst, er sieht, wir sehen, ihr sehet, sie sehen!« –

Nun, das ist ja komisch. Das »ich, du und er und wir und sie.« Damit sind alle Personen erschöpft. Und ich komme mir wie eine Krähe vor, besonders, wenn ich oben auf diesem Fichtenbaum stehe. Krah! Krah! Krah! Krah! Krah! Krah! Komme ich mir nicht wie eine Krähe vor, und wo ist die Vogelscheuche? Da steht sie. Zwei Knochen stecken in ein paar alten Hosen und zwei andere in den Schößen einer alten Jacke.

Wenn er am Ende mich meinte? Ein schönes Kompliment! Armer Bursche! Ich ginge hin und hängte mich auf! Fürs erste will ich mal die Nähe von Pipp meiden. Mit den übrigen werde ich schon fertig; denn sie haben normalen Verstand. Aber für mich hat er bei allem Irrsinn zuviel Verstand. Nun, ich will ihn seinem Gemurmel überlassen.

Da ist der Nabel des Schiffes, die Dublone. Und alle sind sie darum 'rum, um sie loszubringen. Aber man soll nur mal den eigenen Nabel losmachen, und man wird merken, was die Folge ist. Dann wäre es auch häßlich. Genau so, wie wenn etwas an den Mast genagelt ist, was ein Zeichen dafür ist, daß die Dinge gefährlich werden. Ha, ha, alter Ahab! Der weiße Wal wird dich an den Mast nageln! Das ist ein Fichtenbaum. Mein Vater legte im alten Holland mal eine Fichte nieder und fand darunter einen silbernen Ring, der überwachsen war. Es war der Hochzeitsring eines alten Negers. Wie war der nur dahingekommen? Und das wird man auch am Auferstehungstag sagen, wenn man unseren alten Mast auffischt und eine Dublone daran findet, und überall Austern in dem alten Kahn herumliegen. Ach, das Gold, das edle, edle Gold! Das Meer, der grüne Geizhals, wird dich bald auf einen Haufen werfen! Pst! Pst! Gott geht auf der Welt herum und sucht sich seine Brombeeren zusammen! Koch, heda, Koch! Koch' uns was! Jenny! Heda, Jenny!! Mach' den Maiskuchen fertig!


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