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Vierzigstes Kapitel

Die enge Straße von Sunda trennt Sumatra von Java. Sie liegt mitten in dem großen Inseldamm, der von dem verwegenen grünen Vorgebirge gestützt wird, das den Seeleuten als Java-Head bekannt ist.

Unter günstigem frischen Wind bewegte sich der »Pequod« auf diese Meerenge zu. Ahab wollte durch diese in das Meer bei Java fahren, von dort aus im Norden kreuzen in Gewässern, in denen der Pottwal manchmal umherschwimmt, wollte an der Küste der Philippinen vorbei die ferne Küste von Japan erreichen, wo die große Walfischzeit bevorstand. Der »Pequod« wollte auf seiner Weltumsegelung fast alle bekannten Gründe des Pottwales bestreichen, bevor er auf den Äquator im Stillen Ozean hinunterging. Ahab rechnete bestimmt damit, wenn er auch sonst allerorts nicht zu seinem Ziel kam, Moby-Dick in dem Meer eine Schlacht anzubieten, von dem man wußte, daß er sich dort aufhielt.

Aber berührt denn Ahab auf der Suche nach dieser Zone kein Land? Leben seine Leute denn von der Luft? Er muß doch mal halten, um Wasser aufzunehmen. Das braucht er kaum! Die im Kreis herumlaufende Sonne hat eine lange Zeit in ihrem Feuerring den Wettlauf gemacht und braucht keinen Unterhalt; sie hat ja alles selbst. So verhält es sich auch bei Ahab und bei dem Walschiff. Während andere Schiffe mit fremdem Material beladen sind, das nach fremden Gestaden befördert werden muß, so trägt das um die ganze Welt fahrende Walschiff nur seine eigene Ladung und Mannschaft, seine eigenen Waffen und was es sonst braucht. Ein ganzer See ist im weiten Kiel in Behälter gefüllt. Für Jahre ist es mit Wasser versehen. Mit klarem alten Wasser aus Nantucket, das nach drei Jahren der Nantucketer auf dem Stillen Ozean immer noch dem Brackwasser vorzieht. So kommt es denn, daß, während andere Schiffe von New York nach China gefahren sind und wieder zurück, und dabei einen Haufen Häfen angelaufen haben, das Walschiff in der ganzen Zeit nicht mal ein Körnchen Land gesichtet hat. Die Mannschaft hat keine Menschen gesehen, außer den Matrosen, die, wie sie selbst, auf dem Schiff fahren. Und so könnte es dann vorkommen, daß, wenn man ihnen die Nachricht brächte, eine zweite Sintflut wäre gekommen, sie ruhig antworten würden: »Schön, Jungens, hier ist die Arche!«

Auf der Höhe der Westküste von Java waren unmittelbar in der Nachbarschaft der Straße von Sunda Wale gefangen worden. Die Schiffer wußten im allgemeinen, daß die Gegend ein ausgezeichneter Walfischgrund war. Daher wurden die Posten wiederholt angerufen und ermahnt, gut acht zu geben, als der »Pequod« immer mehr auf Java-Head zukam. Aber obwohl die grünen Klippen mit den Palmenbäumen bald an der Steuerbordseite auftauchten und man den frischen Zimtgeruch mit entzückten Nasenlöchern einatmete, bekam man nicht eine einzige Fontäne zu sehen. Und so hatten wir schon den Gedanken aufgegeben, daß wir ein Wild in dieser Gegend zu Gesicht bekämen, als wir mit einem Male den gewohnten Schrei von oben vernahmen, und bald darauf sich ein Schauspiel von ungewöhnlicher Pracht unseren Blicken darbot.

Aber ich muß vorausschicken, daß dank der unermüdlichen Energie, mit der man die Wale in der letzten Zeit über die vier Ozeane gejagt hat, sie nun, statt in kleinen, vereinzelten Trupps wie früher, recht häufig in großen Herden angetroffen werden, die manchmal zu solchen Mengen anwachsen, daß es scheint, als ob sie, wie die Völker, ein feierliches Bündnis geschlossen hätten, zur gegenseitigen Hilfe und zum Schutz. Man kann bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß man sogar in den besten Walfischgründen oft wochen- und monatelang segeln kann, ohne eine einzige Fontäne zu Gesicht zu bekommen, und dann kann es vorkommen, daß man plötzlich von Tausenden und Abertausenden begrüßt wird.

Zu beiden Bugen, in einer Entfernung von zwei oder drei Meilen, bildete eine Kette von Walfischfontänen einen großen Halbkreis und nahm fast die Hälfte des Horizontes ein. In der Mittagsluft spielten sie und fielen in einem Sprühregen nieder. Während die gerade aufsteigende Doppelfontäne des gewöhnlichen Wales oben in zwei Teile zerfällt, wie die gespaltenen, herabfallenden Zweige einer Weide, so bildet die ungeteilte, schräg nach vorn geneigte Fontäne des Pottwales einen dicken, quirlartigen Busch von weißem Nebel, der fortwährend aufsteigt und an der Leeseite niederfällt.

Von dem Deck des »Pequod« aus gesehen, stieg die Fontäne zu einem hohen Berge auf, quirlte in die Luft, und wenn sie durch den blendenden, bläulichen Nebel betrachtet wurde, sah sie so aus, wie tausend lustige Schornsteine einer großen Handelsstadt, die an einem nebligen Herbstmorgen von einem Reiter von der Höhe aus betrachtet werden, wie Heere, die sich einem unfreundlichen Gebirgspaß nähern, ihren Marsch beschleunigen und bemüht sind, den gefährlichen Paß möglichst schnell zu überschreiten und sich der größeren Sicherheit der Ebene anzuvertrauen. So eilte nun diese ungeheure große Flotte von Walen durch die Straße vorwärts. Langsam zogen sich die beiden Flügel des Halbkreises zusammen, und in einem festen, wenn auch noch halbmondförmigen Zentrum schwammen sie weiter.

Der »Pequod« setzte alle Segel auf und sauste hinter ihnen her. Die Harpuniere hielten ihre Waffen bereit und schrien laut von den immer noch aufgehängten Booten. Wenn der Wind so anhielt, so bestand kein Zweifel, daß die große Schar, wenn man sie durch die Straße von Sunda hindurchjagte, in dem östlichen Meer in einer beträchtlichen Zahl gefangen würde. Und wer konnte sagen, ob bei dieser Karawane Moby-Dick nicht in eigener Person schwamm, wie der verehrte weiße Elefant bei der Krönungsprozession der Siamesen? So fuhren wir denn mit allen aufgesetzten Segeln dahin und trieben die Leviathans vor uns her. Da hörte man plötzlich die Stimme Tashtegos, der laut unsere Aufmerksamkeit auf eine Erscheinung in unserem Kielwasser richtete. Entsprechend der Erscheinung an der Vorderseite bemerkten wir eine andere auf unserer Rückseite. Es schien, als ob weiße Dämpfe sich loslösten, aufstiegen und wie Walfischfontänen niederfielen. Nur kamen sie nicht so plötzlich und verschwanden auch nicht wieder so vollständig. Sie sammelten sich auf einen Haufen, ohne schließlich zu verschwinden. Ahab griff nach dem Glas, beobachtete diese Erscheinung und drehte sich schnell in seinem Plankenloch, wobei er rief: »Schnell die Jollentaue und Eimer her und die Segel angefeuchtet! Malayen sind hinter uns!«

Als ob sie des langen Lauerns hinter dem Vorgebirge überdrüssig geworden wären und nicht warten wollten, bis der »Pequod« in die Straße gekommen wäre, stürzten diese Schufte von Asiaten wie wild hinter uns her. Aber da der schnelle »Pequod« mit einer frischen Brise selbst auf wilder Jagd war, so war es von diesen braunen Menschenfreunden sehr liebenswürdig, daß sie das Tempo der Jagd noch vergrößerten; sie waren wie Reitpeitschen und Spornrädchen, die den »Pequod« zur Eile anstachelten.

Ahab hatte das Fernglas unter dem Arm und schritt auf Deck auf und ab. Wenn er an der Vorderseite war, sah er die Ungeheuer, auf die die Jagd eröffnet war. Und wenn er auf die Achterseite kam, erblickte er die blutdürstigen Piraten, die auf ihn Jagd machten. Und wenn er auf die grünen Wälle des Engpasses des Meeres blickte, zwischen denen das Schiff segelte, hatte er den Gedanken, daß durch dieses Tor der Weg zu seiner Rache führte. Und dann sah er auch, daß er nun andere in den Tod hineinjagte und selbst von anderen hineingeschickt werden konnte.

Als die Piraten an der Heckseite beträchtlich zurückgeblieben waren und der »Pequod« an der grünen Kakaduspitze auf der Seite von Sumatra vorüber schließlich in breite Gewässer geglitten war, da schienen es die Harpuniere als sehr schmerzlich zu empfinden, daß die Wale mit ihrer Schnelligkeit dem Schiff weit voraus waren, und kaum zeigte man sich darüber erfreut, daß das Schiff den Malayen siegreich entronnen war. Aber als das Schiff noch in dem Kielwasser der Wale fuhr, schienen diese schließlich im Tempo nachzulassen. Langsam kam der »Pequod« ihnen näher. Als der Wind schwächer wurde, wurde befohlen, in die Boote zu springen. Aber kaum hatten es die Wale dank eines wunderbaren Instinktes gemerkt, daß die drei Kiele hinter ihnen herkamen – wenn sie auch noch eine Meile zurück waren –, als sie sich wieder sammelten und dichtgeschlossene Reihen und Bataillone bildeten, so daß ihre Fontänen wie leuchtende Reihen aufgepflanzter Bajonette aussahen, die mit doppelter Geschwindigkeit vorwärtsmarschieren.

Bis auf Hemd und Hose ausgezogen, sprangen wir an die Ruder. Nachdem wir mehrere Stunden gerudert hatten, waren wir geneigt, die Jagd aufzugeben. Da ließ eine allgemeine Aufregung unter den Walen erkennen, daß sie jetzt unter dem Einfluß der seltsamen Hilflosigkeit und Unentschlossenheit standen, die die Schiffer mit dem Ausdruck »Erschrockenheit« bezeichnen. Die geschlossenen Marschkolonnen, in denen sie bisher so schnell und sicher geschwommen waren, lösten sich nun in einer maßlosen Flucht auf. Wie die Elefanten des Königs Porus in der indischen Schlacht mit Alexander dem Großen, schienen sie vor Verwirrung toll geworden zu sein. Sie breiteten sich nach allen Richtungen in großen, unregelmäßigen Kreisen aus und schwammen ziellos hierhin und dorthin. Durch die kurzen und dicken Fontänen gaben sie deutlich zu erkennen, daß sie von einer wilden Panik ergriffen waren. Das zeigte sich noch mehr bei denen, die gleichsam vollständig gelähmt waren und hilflos wie abgetakelte, vom Wasser vollgesogene Schiffe umhertrieben.

Wären diese Leviathans eine Herde gewöhnlicher Schafe gewesen, die von drei Wölfen über eine Weide verfolgt werden, so hätten sie nicht kläglicher aussehen können. Aber diese momentane Erschrockenheit ist für alle in Herden lebenden Geschöpfe charakteristisch. Die Büffel aus dem Westen mit den Löwenmähnen, die in Tausenden und Abertausenden zusammenleben, haben vor einem einzigen Reiter Reißaus genommen. Man denke auch an alle menschlichen Wesen, die, wenn sie wie Schafe im Parterre eines Theaters zusammengepfercht sind, beim geringsten Feueralarm Hals über Kopf sich nach den Ausgängen stürzen, sich drängen, treten und drücken, wobei sie sich, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, gegenseitig tottrampeln. Man tut daher gut, wenn man sich bei der Verwirrung der so seltsam erschrockenen Wale Zurückhaltung auferlegt; denn keine Tollheit unter den Tieren der Erde ist so, daß sie nicht bei weitem durch die Tollheit der Menschen in den Schatten gestellt werden könnte! Obwohl diese Wale in großer Aufregung waren, so muß doch gesagt werden, daß die Herde als Ganzes weder vor- noch zurückging, sondern an ihrem Platze blieb. Wie es in solchen Fällen üblich ist, trennten sich die Boote mit einem Male, jedes nahm einen einzigen Wal an der Peripherie der Herde aufs Ziel. In drei Minuten flog die Harpune Queequegs ab. Der getroffene Fisch spritzte uns die blendende Fontäne ins Gesicht, lief mit uns fort und steuerte geradewegs mitten auf die Herde zu. Aber solch eine Bewegung bei einem getroffenen Wal ist unter diesen Umständen nichts Besonderes und ist schon mehr oder weniger oft vorgekommen. Und doch bedeutet sie einen der gefährlichen Momente der Fischerei. Der Wal zieht einen durch seine Geschwindigkeit tiefer in die verrückte Herde hinein, und man sagt dem geruhsamen Leben Lebewohl und existiert nur noch in einem wahnsinnigen Gedränge.

Der Wal stürmte, als ob er blind und taub wäre und sich durch die bloße Schnelligkeit von dem eisernen Blutegel befreien wollte, davon. Wir rissen so einen weißen Gischt in die See hinein und wurden von allen Seiten auf unserer Flucht durch die wahnsinnig gewordenen Geschöpfe bedroht, die hin und her und um uns herumliefen. Wir kamen uns in unserem Boot wie ein Schiff vor, das bei einem Sturm gegen Eisinseln gedrängt wird und versucht, durch komplizierte Kanäle und Straßen hindurchzusteuern und keinen Augenblick weiß, ob es eingeschlossen wird oder zerschellt.

Aber Queequeg war nicht im geringsten erschrocken und führte das Steuer tapfer. Mal rettete er uns vor der gefährlichen Nähe eines Ungeheuers und hielt den Kurs nach vorwärts, mal vermied er die Berührung mit einem anderen, dessen kolossale Schwanzflossen über uns hingen. Inzwischen stand Starbuck im Bug, hatte die Lanze in der Hand und maß unterwegs aus, welche Wale wir wohl mit kurzen Würfen treffen könnten; denn wir hatten keine Zeit, Abschüsse aus entsprechender Entfernung zu tun. Aber auch die Ruderleute waren nicht ganz müßig, wenn auch ihre übliche Tätigkeit nun nicht in Betracht kam. Sie warteten, bis sie Zurufe machen durften, so, wie es ihr Geschäft erforderte. »Platz da, Commodore!« rief einer einem großen Dromedar zu, das sich plötzlich an der Oberfläche zeigte und uns einen Augenblick lang damit drohte, uns zum Sinken zu bringen. »Deinen Schwanz herunter!« rief ein zweiter einem anderen zu, das sich dicht an unserem Dollbord in aller Ruhe dadurch abzukühlen suchte, daß es sich mit seinem äußersten Ende wie bei einem Ventilator Luft zufächelte. Alle Walboote führen gewisse Vorrichtungen mit, die ursprünglich von den Indianern von Nantucket erfunden sind. Zwei dicke viereckige Bohlen von gleicher Größe werden im rechten Winkel fest übereinander genagelt. Dann wird eine ziemlich lange Leine mitten an diesem Brett befestigt und das andere Ende der Leine mit einer Öse versehen, so daß sie sofort an einer Harpune befestigt werden kann. Dieser Block wird gewöhnlich bei »erschrockenen« Walen benutzt. Wenn mehrere Wale sich in unmittelbarer Nähe befinden, so hat man dann die Möglichkeit, mehrere zu gleicher Zeit zu jagen.

Pottwale trifft man nicht alle Tage. Daher muß man versuchen, alle zu töten, wenn es im Bereich der Möglichkeit liegt. Und wenn man sie nicht alle zugleich töten kann, so muß man sie bezeichnen, so daß man sie später töten kann. Daher kommt bei solchen Gelegenheiten der oben bezeichnete Block zur Anwendung. Unsere Boote besaßen drei solcher Art. Der erste und zweite Block wurde erfolgreich abgeschossen. Wir sahen, wie die Wale ins Schwanken kamen und davoneilten, wobei sie durch den großen seitlichen Widerstand des angetauten Blocks behindert wurden. Sie waren wie Verbrecher an Kette und Eisenkugel gefesselt. Aber als der dritte fortgeschleudert wurde, verfing sich der plumpe Holzblock unter einem Bootssitz, riß ihn sofort auseinander und nahm ihn mit fort, wobei der Bootsmann unten im Boot mit seinem Sitz mit hinunterfiel. Da kam das Meer zu beiden Seiten der zerstörten Planken zum Vorschein, aber wir steckten zwei Hosen und Hemden hinein und stopften so die Lecks eine Zeitlang zu.

Es wäre unmöglich gewesen, diese Blockharpunen abzuschießen, wenn nicht in dem Augenblick, als wir in die Herde hineinfuhren, die Geschwindigkeit unseres Wales stark nachgelassen hätte, um so mehr, als wir von dem Zentrum der allgemeinen Verwirrung weiter abkamen und sich die schreckliche Verwirrung legte. Als dann die Harpune abgeschnellt wurde und der am Tau hängende Wal seitlich abging, glitten wir zwischen zwei Walen hindurch und mitten in die Herde hinein, wobei wir das Gefühl hatten, als ob wir aus einem Gebirgsstrom in einen friedlichen Talsee kämen.

Hier hörten wir wohl das Poltern des Flusses in den Schluchten zwischen den Walen an der Außenseite, aber wir spürten es nicht mehr am eigenen Leibe. Mitten in diesem Gebiet zeigte sich der glatte seidenartige Spiegel des Meeres, der von der feinen Feuchtigkeit herrührte, die vom Wal in einer ruhigeren Stimmung ausgeworfen wird. Wir befanden uns nun in dem Zauber der Stille, die, wie man sagt, dem Sturm vorausgeht. Noch in weiter Entfernung erblickten wir den Tumult an den äußeren konzentrischen Kreisen und sahen aufeinanderfolgende Züge von Walen zu je acht oder zehn, die mit großer Geschwindigkeit im Kreis herumliefen, wie ein Haufen von Pferdegespannen. Sie hielten sich dicht Schulter an Schulter, so daß ein Riese von Zirkusreiter mit Leichtigkeit über die mittleren hätte hinüberspringen können, und so auf ihren Nacken gelandet wäre. Bei der dichten Menge der ausruhenden Wale, die sogleich die eingebuchtete Achse der Herde umgaben, bestand nicht die geringste Möglichkeit für uns, zu entkommen. Wir mußten warten, bis sich eine Bresche in der lebendigen Mauer auftat, die uns umschlossen hielt. Es schien, als ob die Mauer nur dazu da war, uns fest einzuschließen. Als wir uns in der Mitte des Sees hielten, wurden wir ab und zu von kleinen zahmen Kühen und Kälbern, den Frauen und Kindern der in die Flucht geschlagenen Herde, besucht.

Mit den zeitweiligen großen Zwischenräumen zwischen den sich drehenden äußeren Kreisen und mit den Räumen zwischen den verschiedenen Herden in diesen Kreisen mochte die Fläche, die von der ganzen Menge eingenommen wurde, zur Zeit mindestens zwei oder drei Quadratmeilen betragen. Auf jeden Fall sah man, wenn man sich auch zu solcher Zeit täuschen kann, Fontänen von unserem niedrigen Boot aus, die fast am Rande des Horizontes zu spritzen schienen.

Ich erwähne dies, weil es schien, als ob die Kühe und Kälber absichtlich im innersten Teil der Herde eingeschlossen wären und die weite Ausdehnung der Herde sie daran gehindert hätte, die wirkliche Ursache des Haltens derselben zu erfahren. Da sie noch so jung waren und nichts Böses im Schilde führen konnten und jeder Schritt noch unschuldig war und noch nicht aus Berechnung getan werden konnte, so lösten diese kleinen Wale, die unser ruhiges Boot vom Rande des Sees aus besuchten, eine erstaunliche Furchtlosigkeit und ein großes Vertrauen aus. Sonst hätte uns bestimmt eine Panik befallen, über die man sich unmöglich hätte wundern können.

Sie kamen wie Haushunde auf uns zu und schnupperten an dem Boot, gingen bis zu den Dollbords hoch und berührten sie, bis es schließlich so schien, als ob ein Zauber sie plötzlich uns zu Freunden gemacht hätte. Queequeg liebkoste ihre Stirn. Starbuck kitzelte sie mit der Lanze auf den Rücken. Aus Angst vor den Folgen hütete er sich zu dieser Zeit, einen Abschuß zu wagen.

Aber als wir nun zur Seite sahen, erlebten wir auf der Oberfläche dieser wunderbaren Welt einen noch seltsameren Anblick. Hoch in den Wassergewölben schwammen die Gestalten der säugenden Walfischmütter und derjenigen, die, wie ihr ungeheurer Leibesumfang zeigte, bald Mutter werden sollten. Die See, wie ich schon gesagt habe, war bis zu einer ziemlichen Tiefe durchscheinend. Und wie Kinder beim Säugen ruhig und starr von der Mutterbrust wegsehen, als ob sie zwei verschiedene Leben zu gleicher Zeit führten, und während sie Nahrung saugen, immer noch in ihrem Geist von einer überirdischen Erinnerung leben, so sahen die jungen kleinen Wale anscheinend zu uns auf, als ob wir nur ein Stück Meeresschilf in ihren neugeborenen Augen wären.

Die Mütter schwammen neben ihnen her und schienen uns in aller Ruhe anzublicken. Eins von den Kleinen, das wegen gewisser merkwürdiger Zeichen erst einen Tag alt zu sein schien, war wohl ungefähr vierzehn Fuß lang und sechs Fuß breit. Es war ziemlich ausgelassen, als ob es erst kurz vorher aus der schmerzlichen Lage befreit wäre, die es im Mutterleib eingenommen hatte; wo es mit dem Schwanz nahe dem Kopfe gelegen hatte und für den letzten Sprung bereit war, eine Stellung, in der der ungeborene Wal liegt, und die mit dem Bogen eines Tataren verglichen werden kann. Die zarten Seitenflossen und die feinen Schwanzflossen sahen aus wie die zerknüllten Ohren eines Babys, das eben erst zur Welt gekommen ist.

»Die Leine! die Leine!« rief Queequeg und sah über das Dollbord hinweg.

»Ihn fest, ihn fest! Wer Leine – ihm! Wer werfen? Zwei Wal, zwei Wal, ein großer und ein kleiner!«

»Was hast du denn, Mann?« rief Starbuck.

»Sehen hier!« sagte Queequeg und wies nach unten. So wie es oft beim Wal vorkommt, wenn er hundert Faden Leine von der Trommel abgewickelt hat, und nach tiefem Untertauchen wieder hochkommt, und die Leine nachgibt und spiralförmig sich in der Luft zusammenlegt, so sah nun Starbuck, wie lange spiralig gewickelte Teile der Mutterschnur eines weiblichen Leviathans auftauchten, an der das Kleine mit der Mutter verbunden zu sein schien. Es kommt bei den häufigen Wechselfällen der Walfischjagd ziemlich oft vor, daß die Leine mit dem freien Ende der Mutterschnur verwickelt wird und das Kleine dabei frei wird. Da schienen uns einige der zartesten Geheimnisse des Meeres in dieser verzauberten Herde enthüllt zu werden. Wir sahen das Liebesleben von jungen Leviathans in der Tiefe! Der Pottwal hat wie die anderen Arten des Leviathans, und nicht, wie die meisten anderen Fische, seine Brunstzeit in allen Jahreszeiten. Nach einer Tragzeit von ungefähr neun Monaten bringt er nur ein Junges zur Welt, wenn er auch in einigen bekannten Fällen einem Esau und einem Jakob zu gleicher Zeit das Leben schenkt. Für diesen Fall ist gesorgt durch die beiden Zitzen, die in einer merkwürdigen Lage an beiden Seiten des Afters liegen. Aber die Brüste breiten sich oberhalb desselben aus. Wenn diese edlen Teile bei einem solchen Walfisch zufällig von der Walfischlanze durchschnitten werden, so färben die ausströmende Milch der Mutter und das Blut die See eine Strecke weit. Die Milch ist sehr süß und kräftig. Man hat sie gekostet, und sie müßte gut schmecken, wenn Erdbeeren hinzugesetzt würden. Wenn die Wale von gegenseitiger Wertschätzung überfließen, liebkosen sie sich auf menschliche Weise.

Und obwohl in den Kreisen ringsum Entsetzen und Verwirrung herrschte, gaben sich die unergründlichen Tiere in der Mitte ungeniert und ohne Furcht friedlichen Liebkosungen hin.

Als wir so eingeschlossen lagen, regten die gelegentlichen Schauerbilder in der Ferne die Energie der anderen Boote an, die noch damit beschäftigt waren, die Wale an der Außenseite der Herde mit dem Block zu kennzeichnen. Möglicherweise führten sie auch Krieg mit dem ersten Kreis, wo ein weiter Raum und passende Rückzugsmöglichkeit vorhanden waren. Aber der Anblick der wild gewordenen geblockten Wale, die manchmal wie blind in den Kreisen hin- und herschossen, war nicht das einzige, was sich unseren Augen darbot.

Manchmal versucht man, wenn man einen Wal harpuniert hat, der stärker und geschwinder als gewöhnlich ist, ihm gleichsam die Kniekehlen durchzuschneiden; man schneidet ihm die riesenhafte Schwanzsehne durch oder verstümmelt sie. Das geschieht durch einen Spaten mit kurzem Griff, an dem ein Seil befestigt wird, um ihn zurückziehen zu können. Ein Wal, der, wie wir später erfuhren, an diesem Teil verwundet war, hatte sich von dem Boot davongemacht, schleppte die halbe Harpunenleine mit sich fort und sauste nun bei den außerordentlichen Schmerzen in den sich drehenden Kreisen herum wie der einzige berittene Desperado Arnold in der Schlacht von Saratoga und verbreitete überall, wohin er kam, Furcht und Entsetzen. Aber so groß die Qual auch war, die die Wunde dem Wal verursachte, so hatte der merkwürdige Schrecken, den er der übrigen Herde einflößte, doch einen Grund, den wir zuerst bei der weiten Entfernung nicht sehen konnten. Aber schließlich bemerkten wir, wie es so oft bei den unvorhergesehenen Unfällen der Fischerei vorkommt, daß der Wal sich in seine Harpunenleine verwickelt hatte. Er war mit dem Spaten in seinem Körper davongelaufen. Während das freie Ende des Seiles an dieser Waffe befestigt war, hatte er sich in die Leinen der Harpune mit dem Schwanz verwickelt. Und so hatte sich der Spaten aus dem Fleisch gelöst. Bis zum Wahnsinn gequält, schäumte er nun durch das Wasser, schlug wie ein Wilder mit dem beweglichen Schwanz dreschflegelartig um sich und sauste mit dem scharfen Spaten in der Gegend herum, wobei er die eigenen Gefährten verwundete und tötete.

Dieses Mordinstrument schien die ganze Herde aus ihrer Furcht, die sie an einen Punkt gebannt hielt, aufzurütteln. Zuerst sammelten sich die Wale, die den Rand unseres Sees bildeten, ein wenig und türmten sich gegeneinander auf, als ob sie von Wellen aus der Ferne in die Höhe gehoben würden. Dann fing die See an, sich schwach zu heben und anzuschwellen, und die unter der Meeresfläche befindlichen Brautgemache und Wochenstuben verschwanden. Die Wale in den inneren Kreisen fingen dann an, in den sich immer mehr zusammenziehenden Bahnen in dichten Haufen zu schwimmen. Die Stille war mit einemmal vorbei. Man hörte ein leises, stärker werdendes Brummen. Dann türmte sich der ganze Haufen der Wale auf der inneren Mitte zu einem Gebirge auf wie die krachenden Massen der Eisschollen, wenn der große Hudson im Frühling auftaut. Sofort wechselten Starbuck und Queequeg die Plätze. Starbuck nahm den Sitz am Heck ein.

»An die Ruder!« flüsterte er in scharfem Ton und faßte das Steuer. »An die Ruder, und nehmt euch zusammen! Paßt jetzt auf! Gott und Menschen steht mir bei! Queequeg, nimm dir den Wal dort! Prick ihn, triff ihn! Aufstehen! Aufstehen und bleib' so stehen! Los, Leute, in die Ruder! Rudert! Kümmert euch nicht um ihre Rücken! Reißt sie! Feste!«

Das Boot war nun ganz und gar zwischen die beiden schwarzen Riesenkörper gepreßt und ließ eine enge Dardanellenstraße zwischen den langen Körpern frei. Aber als wir uns wie wahnsinnig angestrengt hatten, schossen wir schließlich in eine zeitweilige Öffnung hinein. Dann bekamen wir plötzlich Luft, und zu gleicher Zeit wurde ernsthaft nach einem anderen Ausfallstor Umschau gehalten. Nachdem wir durch viele ähnliche fahrbreite Öffnungen hindurch waren, glitten wir schließlich mit großer Schnelligkeit in die obenerwähnten äußeren Kreise hinein, in denen aber nun zufällig hineingekommene Wale kreuzen, die alle wild auf einen Haufen zusammenliefen. Die Rettung wurde mit einem billigen Preis erkauft, nämlich mit Queequegs Hut, den ihm ein Luftwirbel, der durch die plötzlich klatschenden breiten Schwanzflossen in seiner Nähe entstanden war, vom Kopf gerissen hatte, als er im Bug stand und in die flüchtenden Walfische hineinstieß.

So aufrührerisch und sinnlos die allgemeine Aufregung in diesem Augenblick auch war, so führte sie schließlich doch zu einer anscheinend systematischen Bewegung. Als sie in einem dichten Haufen zusammengeballt waren, nahmen sie ihre Flucht mit erhöhter Geschwindigkeit wieder auf. Eine weitere Verfolgung war sinnlos, aber die Boote blieben noch in dem Kielwasser der Wale, um aufzulesen, was von den beblockten Walen übriggeblieben war, und um einen in Sicherheit zu bringen, den Flask getötet und mit einem Fundzeichen versehen hatte. Das ist eine mit einem Fähnchen versehene Stange. In jedem Boot werden zwei oder drei dieser Art mitgeführt. Wenn ein neues Wild in Sicht kommt und in der Nähe ist, werden Fundzeichen oben in einem toten Wal angebracht, um die Stelle auf der See zu bezeichnen; es ist zu gleicher Zeit ein Zeichen der Priorität für den Fall, daß die Boote eines anderen Schiffes in die Nähe kommen sollten.

Das Ergebnis war eine Erläuterung des klugen Schifferspruches in der Fischerei: »Je mehr Wale, um so weniger Fische!« Von allen Walen, die mit dem Block bezeichnet waren, wurde nur ein einziger gefangen.


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