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Einundzwanzigstes Kapitel

Kein turbanbedeckter Türke, kein angeworbener Venezianer oder Malaye hätte ihn mit größerer Bosheit treffen können! Es war leicht zu begreifen, daß Ahab seit diesem gefährlichen Treffen einen wilden Haß auf den Wal hatte, so daß er schließlich alle körperlichen Leiden und auch alle inneren und geistigen Verzweiflungszustände mit dem Wal identifizierte.

Seitdem schwamm der weiße Wal vor ihm her und war die Verkörperung aller bösen Triebkräfte, die an dem Innern von tief veranlagten Menschen oft zehren, so daß sie schließlich nur noch mit einer halben Lunge und mit halbem Herzen weiterleben. Diese unfaßbare Bosheit, die von Anfang an dagewesen und der nach Ansicht der modernen Christen die eine Hälfte der Welt ausgeliefert ist, und die die alten Ophiten des Ostens in einer Teufelsfigur verehrt haben. Aber Ahab fiel nicht davor nieder und betete sie an! Er übertrug seine fixe Idee wie ein Deliriumskranker auf den scheußlichen weißen Wal. Er häufte alle Wut und allen Haß, der seit Adams Zeiten erlebt worden ist, auf den Rücken des weißen Wals.

Es ist nicht anzunehmen, daß die Monomanie schon zur Zeit seiner Verstümmelung hervortrat. Als er mit dem Messer in der Hand auf das Ungeheuer losging, hatte er nur einer plötzlichen, leidenschaftlichen Feindschaft des Körpers Raum gegeben. Als er den gefährlichen Streich erhielt, fühlte er den Schmerz des verstümmelten Beines, aber weiter nichts. Doch, als er nach Hause mußte und monatelang in der Hängematte lag, und mitten im Winter um das düstere und stürmische Kap Horn segelte, da war es geschehen, daß sein wunder Körper und seine todkranke Seele zusammenflossen und durch ihre Vereinigung einen Verrückten aus ihm machten. Als er dann nach Hause fuhr, packte ihn die Monomanie vollständig. Es erhellt dies daraus, daß er während der Fahrt zeitweilig wie ein Tobsüchtiger wütete. Trotz des einen Beins zeigte sich in seiner starken Brust eine solche Lebenskraft, daß die Matrosen ihn bei einem Deliriumsanfall binden mußten. In der Zwangsjacke sauste er bei den tollen Stößen des Sturmes hin und her.

Als er dann in erträglichere Breiten kam, glitt das Schiff durch das ruhige tropische Gewässer, und die Tobsuchtsanfälle schienen nachzulassen. Da kam er aus seiner dunklen Höhle in das heilige Licht und die wohltuende Luft. Seine Stirn hatte einen sicheren Ausdruck, wenn sie auch etwas bleich war. Er gab wieder seine Befehle in aller Ruhe, und die Maate dankten Gott, daß die entsetzliche Tollheit vorüber war. Aber in seinem verborgenen Ich tobte es weiter.

Der Wahnsinn ist manchmal etwas Durchtriebenes und ganz Gemeines. Wenn man annimmt, er ist nicht mehr da, dann hat er sich nur in eine andere und elegantere Form verwandelt. Bei Ahab legte sich der Wahnsinn nicht, sondern zog sich nur zusammen und ging tiefer, so wie der unbändige Hudson in ein engeres Flußbett kommt, wenn er durch die Schlucht des Hochgebirges fließt, aber auch dann nicht bis auf den Grund gemessen werden kann. In der engen Form hatte seine Monomanie nichts von seiner früheren Kraft eingebüßt. Was früher nur ein Begleitumstand gewesen war, war jetzt das wirkliche Element. Sein spezifischer Wahnsinn kämpfte nun gegen seinen gesunden Körper und ging mit allen Geschützen darauf los. Mithin verfügte Ahab, der nicht im entferntesten an Kraft verloren hatte, über hundertmal mehr Energie, als er früher in gesundem Zustande für einen geeigneten Gegenstand aufgebracht hatte.

Innerlich begriff Ahab etwas davon, daß all seine Mittel gesund, Motiv und Objekt jedoch wahnsinnig waren. Aber er verfügte nicht über die Macht, zu töten, und ebensowenig über die Macht, diese Tatsache zu ändern oder aus der Welt zu schaffen. Er wußte auch, daß er sich vor den Menschen verstellt hatte und es in gewisser Hinsicht immer noch tat.

Aber diese Art Heuchelei unterlag nur der Aufnahmefähigkeit und nicht dem festen Willen. Und doch hatte er solches Glück mit seiner Heuchelei, daß jeder Nantucketer, wenn Ahab mit seinem künstlichen Bein nach einer Fahrt an Land ging, auf den Gedanken kam, sein Schmerz hätte eine natürliche Ursache und um so mehr, als ein schrecklicher Zufall ihn überkommen hatte.

Und als man von seinem unleugbaren Delirium auf hoher See hörte, schrieb man das allgemein einer verwandten Ursache zu. Und ebenso allen gesteigerten Trübsinn, der vom Tage der Abfahrt des »Pequod« bis zur gegenwärtigen Fahrt ihm auf der Stirn geschrieben stand. Man war weit davon entfernt, ihn für eine weitere Walfischfahrt ungeeignet zu halten, vielleicht neigte das berechnende Volk der klugen Insel auf Grund solcher Symptome zu der Annahme, daß er erst recht dafür geeignet wäre, ein an Mut und Wildheit so reiches Amt, wie die blutige Walfischjagd, zu übernehmen.


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