Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundvierzigstes Kapitel

Wie es so üblich war, wurde am nächsten Morgen das Schiff ausgepumpt. Zur allgemeinen Überraschung kamen beträchtliche Mengen Öl mit dem Wasser nach oben. Die Fässer unten mußten ein Leck haben. Es gab eine allgemeine Aufregung. Starbuck ging in die Kabine, um die ungünstige Angelegenheit zu melden. Vom Süden und Westen kam der ›Pequod‹ dicht an Formosa und an die Baschi-Inseln heran, zwischen denen die tropischen Mündungen der Flüsse liegen, die von China her in den Stillen Ozean fließen. Starbuck traf Ahab an, wie er eine große Karte der östlichen Inselgruppen vor sich ausgebreitet hielt. Eine andere stellte die langen östlichen Küsten der japanischen Inseln Nippon, Matsmai und Sikoke dar. Das schneeweiße neue künstliche Bein war in das schraubenartige Tischbein eingeklemmt. Er hatte die lange Heckensichel seines Schiffermessers in der Hand. Der wunderliche alte Mann hatte den Rücken gegen die Lukenklappe gerichtet. Seine Stirn lag in Falten, und er zeichnete wieder seine alten Kurse.

»Wer ist da?« sagte er, als er den Tritt an der Tür hörte, ohne sich umzusehen. »An Deck! Verschwinden!«

»Kapitän Ahab irrt sich, ich bin es. Das Öl im Schiffsboden läuft. Wir müssen die Taljen aufziehen und ausladen!«

»Taljen aufziehen und ausladen? Jetzt, wo wir in die Nähe von Japan kommen? Sollen wir hier eine Woche lang aufhuven, um ein paar alte Reifen auszuflicken?«

»Entweder tun wir das, oder wir verlieren an einem Tag mehr Öl, als wir in einem Jahre bekommen können. Wenn wir dazu zwanzigtausend Meilen gebrauchen, so ist das schon der Mühe wert.«

»Ja, ist recht, wenn wir ihn kriegen können.«

»Ich sprach vom Öl im Kielraum, Kapitän.«

»Und ich sprach nicht davon, ich habe auch nicht daran gedacht. Marsch, weg! Meinetwegen kann es auslaufen! Ich bin auch leck. Alles ist leck in lecken Schiffen. Die Fässer sind nicht nur leck, sondern auch das Schiff ist leck. Wer will denn das Leck in dem tiefgeladenen Unterschiff finden? Und wer will es denn, wenn man es gefunden hat, in dem heulenden Sturm des Lebens zustopfen? Starbuck? Die Taljen sollen nicht aufgezogen werden!!«

»Was werden aber die Besitzer dazu sagen?«

»Die Besitzer sollen meinetwegen am Strande von Nantucket dastehen und versuchen, lauter zu brüllen als die Taifune! Was geht das Ahab an? Besitzer, was sind denn Besitzer? Du schwätzt nur immer von diesen kläglichen Besitzern, als ob ich mir ein Gewissen daraus machte. Aber beachte wohl, der einzige wirkliche Besitzer ist der Kommandant selbst, und merke dir das: Mein Gewissen ist im Kiel dieses Schiffes. Marsch, an Deck!«

»Kapitän Ahab«, sagte der Maat, dem die Röte ins Gesicht stieg. Er ging etwas weiter in die Kajüte hinein und sah dabei so merkwürdig respektvoll und vorsichtig aus, daß es fast schien, er wollte die geringste Respektlosigkeit nach außen hin vermeiden; er war dabei aber von einer merkwürdigen Festigkeit. »Ein besserer Mensch als ich könnte dir das wohl verzeihen, was er bei einem jüngeren Menschen übelnehmen würde, und der noch dazu glücklicher ist, Kapitän Ahab.«

»Teufelspack! Wagst du es denn, mir mit einer Kritik zu kommen? An Deck!«

»Nein, Kapitän, noch nicht. Ich bitte nur darum – und ich wage es – es mir nicht nachzutragen. Wäre es nicht möglich, daß wir uns besser verständen als bisher, Kapitän Ahab?«

Ahab holte eine geladene Muskete vom Streckrahmen, der einen Teil der Kajütenausrüstung der Südseeleute bildet. Er hielt sie gegen Starbuck und rief aus: »Es gibt einen Gott, der Herr über die Erde ist, und einen Kapitän, der Herr über den ›Pequod‹ ist. An Deck, marsch!«

Die Augen des Maates flackerten auf und seine Wangen waren feuerrot, so daß man einen Augenblick hätte der Meinung sein können, er hätte wirklich die Ladung des gezielten Rohres ins Gesicht bekommen. Er wurde aber seiner Erregung Herr, stand beruhigt auf, und als er die Kabine verließ, blieb er einen Augenblick stehen und sagte: »Du hast mich vergewaltigt, aber nicht beleidigt. Ich sage dir nicht, daß du dich vor Starbuck in acht nehmen solltest. Darüber würdest du doch nur lachen. Aber Ahab soll sich vor Ahab in acht nehmen! Hüte dich vor dir selbst!«

»Er wird so langsam tapfer, gehorcht aber trotzdem«, brummte Ahab, als Starbuck verschwand. »Was hat er gesagt? Ahab soll sich vor Ahab in acht nehmen? Da ist etwas dran!« Dann benutzte er die Muskete, ohne daß er es merkte, als Stock. Mit einer eisenharten Stirn ging er in der kleinen Kajüte hin und her. Da aber sogleich die dicken Adern seiner Stirn verebbten, stellte er das Gewehr wieder in den Streckrahmen und ging an Deck.

»Du paßt doch gut auf, Starbuck«, sagte er leise zu dem Maaten. Dann verstärkte er die Stimme und sagte zu der Mannschaft: »Die Hauptsegel beschlagen und die Toppsegel vorn und hinten eng gerafft! Die Großrahen backbrassen! Die Taljen hochziehen! Und die ganze Ladung im Hauptkielraum ausladen!«

Es war wohl unmöglich, genau festzustellen, aus welchen Gründen Ahab sich Starbuck gegenüber so verhielt. Vielleicht flackerte die anständige Gesinnung in ihm auf; vielleicht verlangte es unter den gegebenen Umständen eine kluge Politik, daß er sich nicht das geringste Zeichen einer Antipathie gegen den bedeutenden Offizier seines Schiffes merken ließ. Wie es zuging, kann gleichgültig sein. Jedenfalls wurden seine Befehle ausgeführt und die Taljen hochgezogen.


 << zurück weiter >>