Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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Hierzwischen aber war dem Volk auf dem Berge, so von Koserow, vom Zitze, vom Gnitze etc. alldorten zusammengelaufen war, umb mein Töchterlein brennen zu sehen, die Zeit lang worden, und kamen sie nunmehro wie die Gänse, einer nach dem andern, in langer Reihe den Berg niedergelaufen, umb zu sehen, was sich zugetragen. Und war auch mein Ackersknecht Claus Neels darunter. Als selbiger aber sahe und hörete, was geschehen, hube der gute Kerl vor Freuden an, laut zu weinen, und verzählete nun auch, was er in dem Garten den Amtshauptmann zu der alten Lisen sprechend gehöret, und wie er ihr ein Schwein versprochen dafür, daß sie ihr eigen Ferkelken totgehexet, umb mein Töchterlein in ein böses Geschrei zu bringen; Summa: allens, was ich schon oben notieret habe und er bis dato aus Furcht vor der Marter verschwiegen.

Hierüber verwunderte sich alles Volk, und entstunde ein groß Lamentieren, so daß etzliche kamen, worunter auch der alte Paasch befindlich, und mir und meinem Töchterlein Hände und Füße küssen wollten und uns nunmehro ebenso lobeten, als sie uns vorhero verachtet hatten; dannenhero auch mein Vater seliger zu sagen pflegete:

»Volkes Haß: ein schneidend Glas;
Volkes Gunst: ein blauer Dunst!«

Auch karessierete mein lieber Gevatter mein Töchterlein in einem zu, sie auf seinen Schoß haltend und wie ein Vater weinend (denn ich kunnte nicht mehr weinen, als er weinete). Sie selbsten aber weinte nicht, besondern bat den Junker, welcher wieder an den Wagen getreten war, einen Reuter an ihre alte, treue Magd nach Pudagla zu schicken, umb ihr zu sagen, was vorgefallen, welches er auch alsogleich ihr zu Willen tat.

Aber Ein ehrsam Gericht (denn nunmehro hatten Dn. Camerarius und der Scriba sich auch ein Herz gefasset und waren von dem Wagen gestiegen) war annoch nicht zufriedengestellet, angesehen Dn. Consul anhub, dem Junker von der behexten Brücken zu erzählen, welche kein anderer könne bezaubert haben denn mein Töchterlein. Hierauf gab der Junker zur Antwort, daß solches in Wahrheit ein seltsam Ding sei, inmaßen sein eigen Roß sich darauf ein Bein zerbrochen und er darumb den Amtshauptmann sein Pferd genommen, so er unter der Mühlen angebunden gesehen. Er gläube aber nicht, daß dieses der Jungfer zuzuhalten wäre, sondern daß es ganz natürlich zuginge, wie er schon halb und halb verspüret, aber nit die Zeit gehabt, es zu untersuchen. Darumb wölle er bitten, daß Ein ehrsam Gericht und alles Volk, wie mein Töchterlein selbsten, wieder umbkehre, umb selbige mit Gottes Hülfe auch von solchem Verdacht reinzuwaschen und männiglich ihre gänzliche Unschuld zu bezeugen.

In solches Fürhaben willigte Ein ehrsam Gericht, und dieweil der Junker den Amtshauptmann seinen Schimmel meinem Ackersknecht übergeben, umb den Leichnam, so man dem Roß vorne über den Hals geleget, nacher Koserow abzuführen, stieg der Junker bei uns auf den Wagen, aber setzete sich nicht bei mein Töchterlein, besondern rückwärts bei meim lieben Gevatter nieder, gab auch Befehlig, daß nit der alte Kutscher, sondern einer von seinen Untertanen unsern Wagen fahren sölle, und also kehreten wir in Gottes Namen wieder umb. Custos Benzensis, welcher auch mit den Kindern in die Wicken gelaufen war (mein seliger Küster sollt es nicht gewest sein, der hatte mehr Courage), ging wieder mit der lieben Jugend vorauf und mußte nunmehro, auf Befehlig seines Herrn Pastoren, den Ambrosianischen Lobgesang anstimmen, welches uns alle mächtiglich erbarmte, insonderheit mein Töchterlein, so daß ihr Buch naß wurde von ihren Tränen und sie es letzlich weglegete und sprach, indem sie dem Junker ihre Hand reichete: »Wie soll ich es Gott und Ihme danken, was Er an mir getan?« Worauf der Junker zur Antwort gab: »Ich habe mehr Ursache, Gotte zu danken, als Sie, liebe Jungfer, angesehen Sie unschuldig in Ihrem Kerker gelitten, ich aber habe schuldig gelitten, dieweil ich durch meine Leichtfertigkeit Ihr Unglücke angerichtet. Gläube Sie mir, als ich heute morgen das Armesünderglöcklein zum ersten Male in meim Verlies klingen hörete, vermeinete ich schon zu vergehen, und als es sich zum dritten Male vernehmen ließe, wäre ich wohl unsinnig worden in meinem Schmerz, wenn der allmächtige Gott es nicht so gefüget, daß er fast in selbigem Augenblick meinem wunderlichen Vater sein Leben genommen, umb Ihr unschuldig Leben durch mich retten zu lassen. Darumb habe ich auch dem lieben Gotteshause einen neuen Turm angelobet und was sich sonsten befinden wird, denn nichts Bitteres hätte mir auf Erden geschehen mügen denn Ihr Tod, liebe Jungfer, und nichts Süßeres denn Ihr Leben!«

Aber mein Töchterlein weinete und seufzete nur bei diesen Worten, und wenn er sie ansahe, sahe sie zitternd auf ihren Schoß nieder, so daß ich gleich argumentierete, mein Jammer sei annoch nicht zu Ende, sondern solle nur ein ander Tränenfaß angestochen werden, wie denn auch geschahe. Hiezu kam, daß der Esel von Küster, nachdem er den Lobgesang beendet und wir annoch nicht zur Stelle waren, gleich den nachfolgenden Gesang anhube, welcher ein Sterbenslied war, nämlich dieses: »Nun lasset uns den Leib begraben.« (Gott sei Dank, hat solches aber bis dato noch nichts Böses bedeutet.) Mein lieber Herr Gevatter schnarchete ihn davor nicht wenig an, und sölle er aus Strafe vor seine Dummheit auch das Geld vor die Schuhe nit kriegen, so er ihm allbereits aus dem Kirchenblock versprochen. Aber mein Töchterlein getröstete ihn und versprach ihme vor eigene Unkosten ein Paar Schuhe, angesehen es vielleicht besser für sie wäre, er stimmete umb sie einen Leichen- denn einen Freudengesang an.

Und als den Junker solches verdroß und er sprach: »Ei, liebe Jungfer, Sie weiß nit, wie Sie Gott und mir vor Ihre Rettung danken soll, und Sie spricht also?«, gab sie wehmütig lächelnd zur Antwort, sie hab es nur gesaget, umb den armen Küster zu beruhigen. Aber ich sahe es ihr gleich an, daß es ihr Ernst war, dieweil sie schon jetzt bei sich befunden daß sie zwar aus einer Feuersbrunst gerettet, doch in die andere kommen sei.

Hierzwischen gelangeten wir wieder bei der Brücken an, und stunde alles Volk und sperreten die Mäuler auf, als der Junker vom Wagen sprang und, nachdem er zuvor sein Roß erstochen, so noch auf der Brücken lag und spartelte, auf seine Knie fiel, mit der Hand auf dem Boden hin und her wischete und letzlich Ein ehrsam Gericht herbeirief, dieweil er nunmehro den Zauber aufgefunden. Aber es wollte niemand nicht ihm folgen denn Dn. Consul und ein paar Kerls aus dem Haufen, worunter auch der alte Paasch befindlich, item ich und mein lieber Gevatter, und zeigete uns der Junker nunmehro ein Stücklein Talg bei der Größe einer guten Nuß, so auf dem Boden lag und womit die ganze Brücke übergeschmieret war, so daß sie fast ein weißlich Ansehn hatte, was aber männiglich in der Angst für Mehlstaub aus der Mühlen gehalten, item mit einer andern Materia, so als Marderdreck stunk, wir aber nicht erkannten. Bald darauf funde ein Kerl auch noch ein ander Stücklein Talg und zeigete es dem Volk, worauf ich ausrief: »Hoho, das hat niemand denn der gottlose Mühlenknappe getan vor die Prügel, die ihm der Amtshauptmann hat geben lassen, weil er mein Töchterlein gelästert!« Und erzählete nunmehro den Fürfall, von welchem Dn. Consul auch gehöret und dannenhero alsogleich den Müller rufen ließ.

Selbiger tat aber, als wüßte er von nichtes, und berichtete nur, daß sein Mühlenknappe seit einer Stunden abgewandert sei. Doch sagete ein Mädken, so bei dem Müller im Dienst stunde, daß sie heute morgen für Tagesanbruch, als sie aufgestanden, umb das Vieh auszulassen, den Knappen habe auf der Brücken liegen und scheuren sehen. Hätte sich weiter nicht daran gekehret, sondern wäre alsbald noch wieder eine Stunde schlafen gangen. Wohin der böse Bube aber gewandert, wöllte sie sowenig in Erfahrung gezogen haben denn der Müller. Als der Junker diese Kundschaft erlanget, stieg er auf den Wagen und hub an, das Volk zu vermahnen, wobei er letzlich es auch überzeugen wollte, nicht mehr an Zauberei zu gläuben, dieweil sie sähen, wie es mit der Hexerei befindlich wäre. Als ich solches hörete, entsatzte ich mich, wie billig, in meim priesterlichen Gewissen und stieg auf das Wagenrad und bliese ihm ein, daß er umb Gottes willen von dieser Materia aufhören sölle, dieweil das Volk, wenn es den Teufel nicht mehr fürchte, auch unsern Herrgott nicht mehr fürchten würde.Vielleicht eine tiefe Wahrheit?

Solches tät der liebe Junker mir auch alsogleich zu Gefallen und fragete nur das Volk noch, ob sie jetzunder mein Töchterlein ganz für unschuldig hielten? Und nachdem sie »Ja!« gesaget, bate er sie, nunmehro geruhsam nach Hause zu gehen und Gott zu danken, daß er unschuldig Blut gerettet. Er wölle jetzo auch wieder umbkehren, und hoffe er, daß niemand mich und mein Töchterlein beschweren würde, wenn er uns allein nacher Koserow zurückfahren ließe. Hierauf wandte er sich eilends an selbige, gab ihr die Hand und sprach: »Lebe Sie wohl, liebe Jungfer, ich hoffe, Ihre Ehre auch bald vor der Welt zu retten, und danke Sie nicht mir, sondern Gott!«

Also machte er's auch mit mir und meinem lieben Gevatter, worauf er von dem Wagen sprang und bei Dn. Consuli auf seinen Wagen sitzen ging. Selbiger hatte auch bereits etzliche Worte zum Volk gesprochen, auch mich und mein Kind umb Vergebung angerufen (und muß es ihme zur Ehre nachrühmen, daß seine Tränen dabei auf die Backen niederflossen), wurde aber von dem Junker also sehr gedränget, daß er kürzlich abbrechen mußte und sie, ohne sich umbzusehen, über die kleine Brücke von dannen fuhren. Nur Dn. Consul sahe sich noch einmal umb und rief mir zu, daß er in der Eil vergessen habe, dem Scharfrichter zu avertieren, daß heute nicht gebrennet würde. Ich müge also in seinem Namen meinen Fürsteher von Ückeritze auf den Berg schicken und ihm solches sagen lassen, was ich auch tat. Und ist der Bluthund auch noch in Wahrheit auf dem Berg gewest, doch obwohl er längst gehöret, was fürgefallen, hat er doch so erschröcklich zu fluchen angefangen, wie der Schulze ihm den Befehl Eines ehrsamen Gerichtes überbracht, daß es einen Stein hätte erwecken mögen, hat auch seine Mütze sich abgerissen und selbige mit Füßen getreten, woraus man schließen mag, was an ihme ist.

Doch umb wieder auf uns zu kommen, so saß mein Töchterlein also still und blaß wie eine Salzsäule, nachdem der Junker sie so plötziglich und unvermutet verlassen, wurde aber alsbald in etwas wieder getröstet, als die alte Magd angelaufen kam, ihre Röcke bis an die Knie aufgeschürzet und ihre Strümpfe und Schuh in den Händen tragend. Wir hörten sie schon aus der Ferne für Freuden heulen, dieweil die Mühle stillestund, und fiel sie wohl an die dreien Malen auf der Brücken, kam aber letzlich auch glücklich hinüber und küssete bald mir, bald meinem Töchterlein Hände und Füße, nur bittend, wir wöllten sie nicht verstoßen, besondern sie bis an ihr selig Ende bei uns behalten, was wir auch zu tun versprachen. Und mußte sie hinten aufhocken, wo der dreuste Büttel aufgehocket war, angesehen mein lieber Herr Gevatter mich nicht verlassen wollte, bis ich wieder in meine Widemen gekommen. Und da den Junker sein Kerl bei dem andern Wagen aufgehocket war, fuhr uns der alte Paasch zurück, und alles Volk, so bis dato gewartet, trottierete jetzt wieder umb den Wagen her und lobete und beklagete uns, wie es uns vorhero verachtet und geschmähet hatte. Wir waren aber kaum durch Ückeritze gelanget, als ein abermalig Geschrei erging: »De Junker kümmt, de Junker kümmt!«, so daß mein Töchterlein hoch auffuhr für Freuden und so rot wie eine Erdbeere wurde, von dem Volk aber etzliche schon wieder begunnten, in den Buchweizen zu laufen, so am Wege stunde, dieweil sie abermals vermeineten, es wäre ein Spükels. Es war aber in Wahrheit der Junker wieder, so auf einem schwarzen Rappen angesprenget kam und, als er gegen uns war, ausrief: »So eilig ich es auch habe, lieber Jungfer, so muß ich dennoch umbkehren und Sie bis in Ihr Haus geleiten, angesehen ich eben gehöret, daß das unflätige Volk Sie unterweges schimpfieret, und ich nicht weiß, ob Sie jetzunder sicher genug ist!« Hierauf trieb er den alten Paasch zur Eile an, und da das Ampeln mit seinen Beinen, so er fürnahm, nicht sonderlich die Pferde in den Trab bringen wollte, schlug er von Zeit zu Zeit das Sattelpferd mit der flachen Klingen über den Rücken, so daß wir in kurzem in das Dorf und vor die Widemen gelangeten. Doch als ich ihn bate, ein wenig abzusteigen, wollte er nicht, besondern entschuldigte sich, daß er heute noch über Usedom nacher Anklam reisen müßte, empfohle aber dem alten Paasch, so ein Schulze bei uns war, mein Töchterlein auf seinen Kopf an, und möge er alsogleich, wenn etwas Sonderbares sich ereignen söllte, selbiges dem Rentmeister in Pudagla oder Dn. Consuli in Usedom vermelden, worauf er, als der Mann solches zu tun versprach, mit der Hand uns winkete und wieder von dannen jagte, sosehr er kunnte.

Aber er war noch nit bei Pagels umb die Ecken kommen, kehrete er zum dritten Male zurück, und als wir uns verwunderten, sprach er, wir möchten ihme vergeben, daß er heute kurz von Gedanken sei.

Ich hätte ihme doch vormals gesaget, daß ich annoch meinen Adelsbrief hätte, und bäte er mich, ihm selbigen einige Zeit zu lehnen. Hierauf gab ich zur Antwort, daß ich selbigen erst herfürsuchen müßte, und müge er dannenhero ein wenig niedersteigen. Aber er wollte nit, besondern entschuldigte sich abereins, daß er keine Zeit nit hätte. Blieb darumb vor der Türen halten, bis ich ihme den Brief brachte, worauf er sich bedankete und sprach: »Laß Er sich dieses nicht verwundern; Er wird bald sehen, was ich im Sinne habe!« Und hiemit stieß er seinem Rappen die Sporen in die Seite und kam nicht wieder.


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