Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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16. Kapitel

Wie die kleine Maria Paaschin vom Teufel übel geplaget wird und mir die ganze Gemein abfällt

Ehe ich weiters gehe, will ich zuvorab vermelden, daß der durchläuchtigste König Gustavus Adolphus, wie wir alsbald die Zeitung bekommen, auf der Swine an die 300 Krabaten niedergehauen und darauf zu Schiff nacher Stettin gefahren ist. Gott wölle ihm ferner gnädig sein. Amen.

Nunmehro aber nahm meine Not von Tage zu Tage zu, angesehen der Teufel bald so lustig wurde, wie er nie nicht gewesen. Gläubete schon, daß Gottes Ohren auf unser brünstig Gebet gemerket hätten, aber es gefiele ihm, uns noch härter heimzusuchen. Denn etzliche Tage nach der Ankunft des durchläuchtigsten Königs G. A. kam das Geschreie, daß meiner Tochter ihre kleine Pate von dem leidigen Satan besessen sei und gar erbärmlich auf ihrem Lager haushalte, so daß sie niemand nit halten könne. Machte sich mein Töchterlein alsogleich auf nach ihrer kleinen Pate, kam aber alsobald weinend zurücke, daß der alte Paasch sie gar nit zu ihr gelassen, sondern sie fast hart angeschnauzet und gesaget, sie sölle ihm nie wieder in sein Haus kömmen, inmaßen sein Kind es von dem Stuten gekriegt, so sie ihm am Morgen verehret. Und es ist wahr, daß mein Töchterlein ihr einen Stuten geschenket, indem die Magd den Tag vorher nacher Wolgast gewesen war und ein Tüchlein voll Stutens mitgebracht.

Solche Botschaft verdroß mich fast heftig, und nachdeme ich meinen Priesterrock angezogen, machte ich mich auf den Weg zum alten Paaschen, umb den leidigen Satan zu beschwören und solchen Schimpf von meinem Kinde abzuwenden. Fand also den alten Mann auf der Dielen, wie er an der Bodenleiter stand und weinete, und nachdem ich den »Frieden Gottes« gesprochen, fragete ihn allererste ob er in Wahrheit gläube, daß seine kleine Marie es von dem Stuten gekriegt, so ihr mein Töchterlein verehret? Er sagete: »Ja.« Und als ich darauf zur Antwort gab, daß denn ich selbsten es auch hätte kriegen müssen, item Pagels sein klein Mädchen, angesehen wir auch von dem Stuten gessen, schwieg er stille und sprach mit einem Seufzer, ob ich nit wölle in die Stube gehen und sehen, wie es stünd. Als ich dannenhero mit dem »Frieden Gottes« hereintrat, stunden an die sechs Menschen umb der kleinen Marie ihr Bette, und hatte sie die Augen zu und war so steif wie ein Brett, weshalben Stoffer Wels (als er denn ein junger und wähliger Kerl ist) das Kindlein bei eim Bein ergriff und es von sich reckete wie einen Zaunpfahl, damit ich sähe, wie der Teufel es plagete. Als ich nun ein Gebet anhob und Satanas merkete, daß ein Diener Christi angekommen, fing er an, so schrecklich in dem Kindlein zu rumoren, daß es ein Jammer anzusehen war. Denn sie schlug also mit Händen und Füßen umb sich, daß sie kaum vier Kerls halten kunnten, item ging ihr das Bäucheken so auf und nieder, als wenn ein lebendiges Geschöpf darinnen säße, so daß letztlich die alte Hexe Lise Kolken sich oben auf das Bäucheken setzete. Als es nun ein wenig besser wurd und ich das Kindlein aufforderte, den Glauben zu beten, umb zu sehen, ob es wirklich der Teufel sei, so sie besessenMan nahm nämlich in jener schrecklichen Zeit an, daß, wenn der Kranke die drei Artikel und außerdem einige auf das Erlösungswerk bezügliche Bibelsprüche nachsprechen konnte, er nicht besessen sei, weil niemand Jesum einen Herrn heißen könne, ohne durch den Heiligen Geist, 1. Kor., 12,3., wurd es noch ärger denn zuvor, angesehen sie anhub, mit den Zähnen zu knirschen, die Augen zu verkehren und also greulich mit den Händen und Füßen zu schlagen, daß sie ihren Vater, so auch ein Bein hielt, fast mitten in die Stuben warf, und darauf sich den Fuß gegen das Bettholz zerquetschte, daß das Blut ihr herfürsprang, auch die alte Lise Kolken mit ihrem Bäucheken auf und nieder flog als ein Mensch, so in einem Schockreep sitzet. Und als ich hierauf nit müde wurd, sondern den Satan beschwore, aus ihr zu fahren, finge sie allererst an zu heulen und darauf wie ein Hund zu bellen, item zu lachen, und sprach endlich mit grober Baßstimme, als sie ein alter Kerl führet: »Ik wieke nich!«

Aber er hätte schon weichen sollen, wenn nicht Vater und Mutter mich bei Gotts Sakrament beschworen, ihr arm Kind in Frieden zu lassen, dieweil es ja nichts hülfe, sondern immer ärger mit ihr würd. Stunde also notgedrungen von meinem Fürhaben ab und vermahnete nur die Eltern, daß sie wie das kananäische Weib sollten Hülfe suchen in wahrer Bußfertigkeit und unablässigem Gebet, auch mit ihr im beständigen Glauben seufzen: »Ach, Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein, meine Tochter wird vom Teufel übel geplaget!« (Matth. am 15ten). Dem Heiland würde dann alsbald das Herze brechen, daß er sich ihres Töchterleins erbarmte und dem Satan zu weichen befehle. Item versprach ich, am Sonntag mit der ganzen Gemein für ihr armes Töchterlein zu beten, und möchten sie selbige, wo irgend möglich, selbst zur Kirchen tragen, anerwogen ein brünstig Kirchengebet durch die Wolken drünge. Solliches versprachen sie auch zu tun, und ging ich nunmehro betrübt zu Hause, wo ich aber bald erfuhr, daß es etwas besser mit ihr worden wär, und war also wieder wahr, daß der Satan außer dem Herrn Jesu nichts mehr hasset denn die Diener des Evangeliums. Aber harre, er bringet dich doch unter die Füße, es wird dir nichtes helfen!

Bevorab aber noch der liebe Sonntag kam, merkete ich, daß mir männiglich aus dem Wege ging, sowohl im Dorfe als im Kapsel, wo ich etzliche Kranken heimsuchte. Insonderheit als ich in Ückeritze zu dem jungen Tittelwitz wollte, arrivierete es mir wir folget. Clas Pieper, der Bauer, stund in seinem Hofe und klöbete Holz, wurf aber alsobald, als er mein ansichtig wurde, die Axt aus der Faust, daß sie in die Erde fuhr, und wollte in seinen Schweinestall laufen, indem er ein Kreuze schlug. Winkete ihm also, daß er bleiben sölle, und warumb er für mir als seinem Beichtvater liefe? Ob er vielleicht auch gläube, daß mein Töchterlein ihre kleine Pate behext? Ille: Ja, so gläube er, dieweil es der ganze Kapsel gläube. Ego: Warumb sie ihr denn vorhero so viel Gutes getan und in der schrecklichsten Hungersnot sie wie ein Schwesterlein gehalten? Ille: Sie hätte wohl schon mehr verwirket denn dieses. Ego: Was sie denn verwirket hätte? Ille: Das bliebe sich gleich. Ego: Er sölle es mir sagen, oder ich müßte es dem Richter klagen. Ille: Das sölle ich nur tun. Worauf er trotziglich seiner Straßen ging.

Und kann man nunmehro leichtlich schließen, daß ich nichtes versäumte, überall Kundschaft einzuziehen, was man meinete, daß mein Töchterlein verwirket, aber es wolle mir niemand nichtes sagen, und hätte ich mich zu Tode grämen mügen über solchen bösen Leumund. Auch kam in dieser ganzen Wochen kein Kind zu meinem Töchterlein in die Schule, und als ich ursachshalber die Magd ausschickete, brachte sie Botschaft, daß die Kinderken krank wären oder auch die Eltern sie zu ihrem Handwerk gebrauchten. Judizierete also und judizierete, doch half es mir allens nicht, bis der liebe Sonntag in das Land kam, wo ich gläubte, ein groß Nachtmahl zu haben, angesehen sich schon viele zu Gottes Tisch im vorab gemeldet. Doch kam es mir gleich seltsam für, daß niemand, wie sie doch sonsten zu tun pflegeten, auf dem Kirchhof stehen sahe, meinete aber, sie wären in die Häuser getreten. Aber als ich endlich mit meim Töchterlein in die Kirche kam, waren nur bei sechs Menschen versammlet, unter welchen die alte Lise Kolken, und sahe die vermaledeiete Hexe nit alsobald mein Töchterlein mir folgen, als sie ein Kreuze schlug und wieder zur Turmtüren hinausrannte, worauf die übrigen fünf, benebst meinem einigen Fürsteher Claus Bulken (denn für den alten Seden hatte ich annoch keinen wieder angenommen) ihr folgeten. Ich entsatzte mich, daß mir das Blut geranne und ich also zu zittern begunnte, daß ich mit der Achsel an den Beichtstuhl fiel. Fragete mein Töchterlein also, welcher ich noch nichtes gesaget hatte, umb sie zu verschonen: »Vater, was fehlet den Leuten, sind sie vielleicht auch besessen?« Worauf ich wieder bei mir kam und auf den Kirchhof ging, umb nachzusehen. Aber sie waren alle weg bis auf meinen Fürsteher Claus Bulken, welcher an der Linden stand und für sich ein Liedlein pfiff. Trat also hinzu und fragete, was den Leuten angekommen, worauf er zur Antwort gab, das wisse er nicht. Und als ich abermals fragete, warumb er selbsten denn auch gelaufen wär, sagte er, was er hätte allein in der Kirchen tun sollen, dieweil der Bedelt doch nit hätte gehen können. Beschwure ihn also, mir die Wahrheit zu sagen, welch greulicher Verdacht gegen mich in die Gemein gekommen? Aber er antwortete, ich würd es bald schon selbsten erfahren, und sprang über die Mauer und ging in der alten Lisen ihr Haus, so dicht am Kirchhofe steht.

Mein Töchterlein hatte eine Kälbersuppen zum Mittag, vor die ich sonst allens stehenlasse, aber ich kunnte keine Löffel voll in den Hals bringen, sondern saß und hatte mein Haupt gestützet und sanne, ob ich es ihr sagen wöllte oder nicht. Hierzwischen kam die alte Magd herein, ganz reisig und mit einem Tuch voll Zeug in der Hand, und bat weinend, daß ich ihr den Abschied geben wölle. Mein arm Kind wurde blaß wie ein Leich und fragete verwundert, was ihr angekommen? Aber sie antwortete bloß: »Nicks!« und wischte sich mit der Schürzen die Augen. Als ich die Sprache wiedergewunnen, so mir schier vergangen war, dieweil ich sahe, daß dies alte, treue Mensch mir auch abtrünnig worden, hub ich an, sie zu examinieren, warumb sie fort wölle, da sie doch so lange bei mir verharret, auch in der großen Hungersnot uns nicht verlassen wöllen, besondern getreulich ausgehalten, ja mich selbsten mit ihrem Glauben gedemütiget und ritterlich auszuhalten vermahnet, was ich ihr nie vergessen würd, solange ich lebte. Hierauf finge sie wieder an, nur noch heftiger zu weinen und zu schluchzen, und brachte endlich herfür, daß sie annoch eine alte Mutter bei 80 Jahren in der Liepen wohnend hätte, und wölle sie hin, selbige bis an ihr Ende zu pflegen. Worauf mein Töchterlein aufsprunge und weinend zur Antwort gab: »Ach, alte Ilse, darumb willtu nit weg, denn dein Mütterlein ist ja bei deinem Bruder. Sage mir doch, warumb du mich verlassen willt und was ich gegen dich verwirket, damit ich es wiedergutmachen kann?« Aber sie verbarg ihr Gesicht in der Schürzen und schluchzete nur, ohne ein Wörtlein herfürzubringen, wannenhero mein Töchterlein ihr die Schürzen wegziehen und ihr die Wangen streicheln wollte, umb sie zum Reden zu bringen. Aber als sie solliches merkete, schlug sie mein arm Kind auf die Finger und rief: »Pfui!«, spie auch vor ihr aus und ging alsobald aus der Türen. Solliches hatte sie nie nit getan, da mein Töchterlein ein klein Mädken war, und entsetzten wir beide uns also, daß wir kein Wörtlein sprechen kunnten.

Währete aber nit lange, so erhob mein arm Kind ein groß Geschrei und warf sich über die Bank und lamentierete, immerdar rufend: »Was ist geschehn, was ist geschehn?« Gläubete also, daß ich ihr sagen müßte, was ich in Kundschaft gezogen, nämlich daß man sie vor eine Hexe ansäh, worauf sie anfinge zu lächeln, anstatt noch mehr zu weinen, und aus der Türen lief, umb die Magd einzuholen, so bereits aus dem Hause gangen war, wie wir gesehen hatten. Kehrete aber nach einer Glockenstunden mit großem Geschrei zurücke, daß alle Leute im Dorfe vor ihr gelaufen, als sie sich von der Magd hätte Kundschaft einziehen wöllen, wo sie geblieben. Item hätten die kleinsten Kinder geschrien, so sie in der Schulen gehabt, und sich vor ihr verkrochen; auch hätte ihr niemand nit ein Wörtlein geantwortet, sondern wie die Magd vor ihr ausgespien. Wäre jedoch auf dem Heimwege gewahr worden, daß schon ein Boot auf dem Wasser sei, darauf eilends an das Ufer gelaufen und der alten Ilsen aus vollen Kräften nachgeschrien, so allbereits in dem Boot gesessen. Aber sie hätte sich an nichtes gekehrt, sich auch gar nit einmal nach ihr umbgesehen, sondern sie mit der Hand fortgewinket. – Und nunmehro fuhr sie fort zu weinen und zu schluchzen den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch, daß ich elender war denn zuvor in der großen Hungersnot. Doch sollt es noch ärger kommen, wie man im folgenden Kapitel sehen wird.


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