Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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20. Kapitel

Von der Bosheit des Amtshauptmanns und der alten Lisen, item vom Zeugenverhör

Am andern Morgen waren meine Haare, so bis dato graumenglieret gewest, ganz weiß wie ein Schnee, wiewohlen mich der Herre sonsten wunderlich gesegnet. Denn umb Tagesanbruch kam eine Nachtigall in den Fliederbusch vor mein Fenster und sange also lieblich, daß ich gleich gläubte, sie sei ein guter Engel gewest. Denn nachdem ich sie eine Zeitlang angehöret, kunnte ich mit einemmal wieder beten, was ich seit dem Sonntag nit mehr können. Und da nun der Geist unsers Herrn Jesu Christi anhub, in meinem Herzen zu schreien: »Vater, lieber Vater!«, nahm ich daraus eine gute Zuversicht: Gott wölle mich, sein elendig Kind, wieder zu Gnaden annehmen, und nachdem ich ihm für soviel Barmherzigkeit gedanket, gewann ich nach langer Zeit wieder eine so erquickliche Ruhe, daß die liebe Sonne schon hoch am Himmel stund, als ich aufwachte.

Und dieweil mir noch also zuversichtlich umbs Herze war, richtete ich mich im Bette empor und sang mit heller Stimme: »Verzage nicht, du Häuflein klein!« Worauf Meister Seep in die Kammer trat, vermeinend, ich hätte ihn gerufen. Blieb aber andächtig stehen, bis ich fertig war, und nachdem er sich anfänglich über meine schlohweißen Haare verwundert, verzählete er, daß es schon bei 7 Uhren wär, item wäre meine halbe Gemein schon allhier bei ihme versammlet, um heute Zeugnis abzulegen, worunter auch mein Ackersknecht Claus Neels. Als ich solches vernommen, mußte der Krüger selbigen alsofort aufs Schloß schicken, umb zu fragen, wann das Verhör anhübe, worauf er die Botschaft brachte, daß man es nit wisse, inmaßen Dn. Consul schon heute gen Mellenthin zu dem alten Nienkerken gefahren, aber noch nicht wieder zurück wär. Diese Botschaft gab mir wieder einen guten Mut, und fragete ich den Burschen, ob er auch kommen wär, umb gegen mein arm Kind zu zeugen? Darauf sagete er: »Nein, ich weiß nichtes von ihr denn Gutes, und wollte ich den Kerls wohl was brauchen, aber...«

Solche Rede verwunderte mich, und drang ich fast heftig in ihn, mir sein Herze zu offenbaren. Aber er hub an zu weinen und sagte letzlich, er wisse nichtes. Ach, er wußte nur zuviel und hätte jetzunder mein arm Kind retten können, so er gewollt. Aber aus Furcht vor der Marter schwieg er stille, wie er nachgehende bekannte. Und will ich hier gleich einrücken, was ihm diesen Morgen begegnet:

Er gehet, umb allein mit seiner Braut zu sein, welche ihm das Geleit geben (sie ist Steffen seine Tochter von Zempin, aber nicht den Bauern, sondern den lahmen Gicht-Steffen seine), heute in guter Frühzeit von Haus und gelanget schon gegen 5 Uhren in Pudagla an, wo er aber noch niemand im Kruge fürfindet denn die alte Lise Kolken, welche aber auch alsobald auf das Schloß wackelt. Und dieweil seine Braut wieder heimgekehret, wird ihm die Zeit lang und er steiget über den Krügerzaun in den Schloßgarten, allwo er hinter eim Buschwerk sich auf den Bauch wirft, umb zu schlafen. Währet aber nit lange, so kömmt der Amtshauptmann mit der alten Lisen an, und nachdem sie sich überall umbgeschauet und niemand befunden, gehen sie in eine Laube dicht vor ihm, worauf sie ein solch Gespräch geführet:

Ille: Jetzunder wären sie beide allein, was sie nun von ihm wölle?

Illa: Sie käme, umb sich das Geld zu holen vor die Zauberei, so sie im Dorf angerichtet.

Ille: Was ihm all diese Zauberei genützet? Mein Töchterlein ließe sich nicht schrecken, sondern würde immer trutziger, und gläube er nicht, daß er sie jemalen zu seinem Willen bekäm.

Illa: Sölle sich nur Zeit lassen, wenn es erst zur Angstbank ginge, würd ihr schon das Brusen ankommen.

Ille: Das wäre möglich, aber eher bekäme sie auch kein Geld.

Illa: Was? Ob sie ihm vor sein Vieh auch was brauchen sölle?

Ille: Ja, wenn ihr der Podex früre, möge sie's tun. Im übrigen gläube er, daß sie ihm selbsten schon was gebrauchet, angesehen er eine Brunst zu der Pfarrerstochter hätte, wie er vormals nie verspüret.

Illa (lachend): Dasselbige hätt er vor dreißig Jahren gesagt, als er sich allererst an sie gemacht.

Ille: Pfui, du alte Vettel, hilf mir nicht darauf, sondern siehe nur zu, daß du drei Zeugen bekömmst, wie ich dir letzlich gesaget, denn sonsten, sorge ich, recken sie dir doch noch die alten lahmen Lenden!

Illa: Sie hätte die drei Zeugen und verließe sich im übrigen auf ihn. Denn wenn sie gerecket würde, würde sie allens offenbaren, was sie wüßte.

Ille: Sie sölle ihr großes Maul halten und zum Teufel gehen.

Illa: Ja, aber zuerst müßte sie ihr Geld haben.

Ille: Sie kriegte kein Geld nicht, ehbevor er mein Töchterlein zu seinem Willen bracht.

Illa: So möge er ihr doch allererst ihr Ferkelken bezahlen, so sie sich selbsten, umb nicht in Mißgunst zu kommen, zu Tode gehext.

Ille: Sie könne sich wieder eines aussuchen, wenn seine Schweine trieben, und sölle nur sagen, sie hätt es ihm bezahlt.

Hiermit, sagte mein Ackersknecht, wären auch schon die Schweine getrieben und eines in den Garten gelaufen, da die Pforte aufgestanden, und weil der Sauhirt ihm gefolget, wären sie beide auseinandergegangen, doch hätte die Hexe noch für sich gemurmelt: »Nu help, Düwel, help, datt ick...«, aber ein mehreres hätte er nicht verstanden.

Solches alles verschwieg mir aber der furchtsam Knabe, wie oben bemeldet, und sagete nur mit Tränen, er wisse nichts. Gläubete ihm also und satzte mich vor das Fenster, umb auszuschauen, wenn Dn. Consul wieder heimkehren würde. Und als ich solches gesehen, hub ich mich alsogleich empor und ging auf das Schloß, wo mir der Büttel auch schon mit meim Töchterlein, so er bringen sollte, vor dem Gerichtszimmer begegnete. Ach, sie sahe so froh aus, wie ich sie lange nit gesehen, und lächelte mich an mit ihrem lieblichen Mündlein. Da sie aber mein schlohweiß Haar erblickte, tät sie einen Schrei, also daß Dn. Consul das Gerichtszimmer offenschlug und herausrief: »Ha, ha, du merkest wohl schon, welch Zeitung ich dir bringe, komm nur herein, du verstockt Teufelskind!« Worauf wir zu ihm in das Zimmer traten und er anhube, seine Worte an mich zu richten, nachdem er sich mit dem Amtshauptmann, so bei ihm war, niedergesetzet.

Als er mich gestern abend vor einen Toten hätte zu Meister Seep tragen lassen, sagte er, und dies mein verstockt Kind wieder wär ins Leben bracht, hätt er sie abereins aus allen Kräften beschworen, nicht länger dem lebendigen Gott zu lügen, sondern die Wahrheit zu bekennen, worauf sie sich aber fast ungebärdig gestellet, die Hände gerungen, geweint und geschluchzet und letzlich zur Antwort geben, daß der junge Adlige solches unmöglich könne gesaget haben, besondern sein Vater hätte dieses geschrieben, welcher ihr abhold wäre, wie sie wohl gemerket, als der schwedische König in Koserow gewest wäre. Diese ihre Sag hätte er, Dn. Consul, zwar gleich in Zweifel gezogen, wäre aber als ein gerechter Richter heute morgen zu guter Zeit mit dem Scriba nacher Mellenthin gefahren, umb den Junker zu verhören.

Und könne ich nun selbsten abnehmen, welch erschröckliche Bosheit in meim Kind stecke. Denn der alte Ritter hätte ihn an das Bett seines Sohne geführet, so noch für Ärger krank läge, und selbiger hätte allens, was der Vater geschrieben, bestätiget und die schändliche Unholdin (wie er mein Kind genennet) verfluchet, daß sie ihm wölle seine adlige Ehre rauben. »Was sagstu nun«, fuhr er fort, »willtu noch deine große Übeltat leugnen? Sieh hier das Protokollum, so der Junker manu propria unterschrieben!«

Aber die elendige Magd war hierzwischen schon wieder umbgefallen, und der Büttel hatte solches nicht alsobald gesehen, als er nach der Küchen lief und mit einem brennenden Schwefelfaden zurückekam, den er ihr unter der Nasen halten wollte.

Aber ich wehrete es ihm und sprützete ihr einen Topf mit Wasser über das Gesicht, so daß sie auch wieder die Augen aufschlug und sich an einem Tisch in die Höhe richtete. Stand aber jetzo eine ganze Zeit, ohne ein Wörtlein zu sagen noch meines Jammers zu achten, bis sie anhub, freundlich zu lächeln und also zu sprechen: Sie sähe wohl, wie wahr der Heilige Geist gesaget: »Verflucht ist, der sich auf Menschen verläßt!«Jeremias 17,5.

Und hätte die Untreue, so der Junker an ihr bewiesen, gewißlich ihr armes Herze gebrochen, wenn der barmherzige Gott ihme nicht gnädig zuvorgekommen und ihr in dieser Nacht einen Traum eingegeben, so sie erzählen wölle, nicht umb den Richter zu persuadieren, sondern umb das weiße Haupt ihres armen Vaters wieder aufzurichten.

»Nachdeme ich die ganze Nacht gesessen und gewachet«, sagete sie, »hörte ich gegen den Morgen eine Nachtigall gar lieblich in dem Schloßgarten singen, worauf mir die Augen zufielen und ich entschlief. Alsbald kam es mir für, als wäre ich ein Lämmlein und weidete in Koserow ruhig auf meiner Bleichen. Da sprang der Amtshauptmann über den Zaun, wandelte sich aber in einen Wulf umb, der mich in sein Maul nahm und mit mir auf den Streckelberg zu lief, allwo er sein Nest hatte. Ich armes Lämmlein zitterte und blökete vergeblich und sahe meinen Tod für Augen, als er mich vor sein Nest niedersetzte, allwo die Wülfin mit ihren Jungen lag. Aber siehe, alsobald reckete sich eine Hand, wie eines Mannes Hand, durch das Gebüsche und ergriff die Wülfe, einen jeglichen unter ihnen mit eim Finger, und zerscheiterte sie also, daß nichtes von ihnen übrigblieb denn ein grau Pulver. Darauf nahm die Hand mich selbsten auf und trug mich wieder zu meiner Bleichen.«

Lieber, wie ward mir anjetzo zumute, als ich dies allens und auch von der lieben Nachtigallen hörete, woran du nunmehro auch nit mehr zweifeln wirst, daß sie Gottes Dienerin gewest. Ich umbhalsete mein Töchterlein sogleich mit tausend Tränen und verzählete ihr, wie's mir gangen, und gewunnen wir beide einen solchen Mut und Zuversicht, als wir noch nie gehabt, so daß sich Dn. Consul verwunderte, wie es den Anschein hatte, der Amtshauptmann aber blaß wurde wie ein Laken, als sie anjetzo auf die beiden Herrschaften hinzutrat und sprach: »Jetzo machet mit mir, als Euch geliebet. Das Lämmlein erschröcket nicht, denn es stehet in der Hand des guten Hirten!«

Hierzwischen trat nun auch Dn. Camerarius mit dem Scriba ein, entsatzte sich aber, als er ungefährlich mit dem Rockzipf meim Töchterlein an die Schürzen stieß, und stund und schrapete an seim Rock als ein Weib, so Fische schrapet. Endiglich, nachdem er zuvor zu dreien Malen ausgespien, redete er das Gerichte an, ob sie nicht anheben wöllten, den Zeugeneid abzunehmen, angesehen alles Volk schon längstens im Schloß und Kruge versammlet wäre. Solches ward angenehm aufgenommen, und erhielt der Büttel Befehl, mein Kind so lange in seinem Zimmer aufzubewahren, bis das Gericht sie wieder rufen würd. Ging also mit ihr, hatten aber viel Plage von dem dreusten Schalk, inmaßen er nicht blöde war, den Arm meinem Töchterlein umb die Schulter zu legen und in mea praesentia von ihr ein Küsseken zu verlangen. Aber ehbevor ich noch kunnte zu Worte kommen, riß sie sich los und rief: »Ei, du böser Schalk, soll ich's dem Gerichte klagen, hastu vergessen, was du schon aufgeladen?« Worauf er aber lachend zur Antwort gab: »Kiek, kiek, wo oet!« und nunmehro fortfuhr, sie zu persuadieren, daß sie sich sölle williger finden lassen und ihren eignen Vorteil nicht vergessen. Denn er hab es ebensogut mit ihr im Sinn als sein Herr, sie möge es gläuben oder nicht, und was er weiters herumlärmte und ich überhöret hab. Denn ich nahm mein Töchterlein auf meinen Schoß und legte mein Haupt an ihren Nacken, und so saßen wir stille und weineten.


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