Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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22. Kapitel

Wie der Syndikus Dn. Michelsen gearrivieret und seine Defension für mein arm Töchterlein eingerichtet

Des andern Tages umb 3 Uhren nachmittags kam Dn. Syndikus angekarret und stieg bei mir im Kruge ab. Er hatte einen großen Sack mit Büchern bei sich, war aber nicht so freundlich, als ich sonsten an ihme gewohnet gewest, besondern ehrbar und geschweigsam. Und als er mich in meim Zimmer salutieret und gefraget, wie es müglich wäre, daß mein Kind zu solchem Unglück kommen, verzählete ich ihm den ganzen Fürgang, wobei er aber nur mit dem Kopf schüttelte. Auf meine Frag, ob er heute noch wölle zu meinem Töchterlein gehen, antwortete er »Nein«, sondern daß er zuvor erst die Akta studieren wölle. Nachdem er also ein wenig von einer wilden Enten gegessen, so meine alte Ilse vor ihm gebraten, hielt er sich auch nit auf, sondern ging alsofort aufs Schloß, von wannen er erst des andern Nachmittags heimkehrete. Er war aber nicht freundlicher, denn er bei seiner Ankunft gewest, und folgte ich ihm mit Seufzen, als er mich ersuchte, nunmehro ihn zu meinem Töchterlein zu geleiten.

Als wir mit dem Büttel eintraten und ich mein arm Kind, so in ihrem Leben niemalen ein Würmlein gekränket, zum erstenmal in Ketten vor mir sahe, hätte ich aufs neu für Jammer vergehen mögen. Doch sie lächelte und rief Dn. Syndiko entgegen: »Ist Er der Engel, der mich wie St. Petrum von meinen Ketten befreien will?»Apostelgeschichte 12,7. Worauf er mit einem Seufzer zur Antwort gab: »Das gebe der allmächtige Gott!« Und da weiter kein Stuhl im Gefängnis fürhanden (so ein garstig und stinkend Loch war, und worinnen es so viele Kellerwürmer hatte, als ich in meinem Leben nie gesehn) als der Stuhl, worauf sie an der Wand saß, setzeten Dn. Syndikus und ich uns auf ihr Bette, welches man ihr auf mein Bitten gelassen, und befahl selbiger dem Büttel, nunmehro wieder seiner Straßen zu gehen, bis er ihn rufen würd. Hierauf fragete er mein Töchterlein, was sie zu ihrer Entschuldigung herfürbringen wölle, und war sie noch nit weit in ihrer Defension gekommen, als ich an dem Schatten, so sich an der Türen rührete, abnahm, daß jemand vor selbiger stehen mußte. Trat also eiligst in die Türe, welche halb offenstund, und betraf den dreusten Büttel, welcher hiervor stehengeblieben, umb zu horchen. Solches verdroß Dn. Syndikum dermaßen, daß er seinen Stock ergriff, umb ihm das Kehraus zu geben, aber der Erzschalk lief alsobald von dannen, als er solches merkete. Dieses benützete mein Töchterlein, umb ihrem Herrn Defensori zu erzählen, was sie von diesem dreusten Kerl ausgehalten und daß ihr müge ein anderer Büttel geben werden, inmaßen er in vergangener Nacht noch in böser Absicht bei ihr gewest, so daß sie letzlich laut geschrien und ihn mit den Ketten aufs Haupt geschlagen, worauf er endlich von ihr gewichen. Solches versprach Dn. Syndikus zu besorgen, aber ihre Defension anlangend, die sie nunmehro fortsetzete, so vermeinete er, daß es besser geschähe, wenn des Impetus nicht weiter gedacht würde, so der Amtshauptmann auf ihre Keuschheit versuchet. »Denn«, sprach er, »dieweil das fürstliche Hofgericht in Wolgast dein Urteil spricht, würde dir solches Fürgeben mehr schaden denn nützen, angesehen der Präses desselbigen ein Vetter von dem Amtshauptmann ist und häufig mit ihm auf der Jagd konversieret. Dazu kömmt, daß du, als einer so großen Übeltat gerüchtiget, nicht Fidem hast, zumalen du keine Zeugen wider ihn stellen kannst. Es würde dannenhero nimmer zu Recht wider dich erkannt werden, daß du solche Sag in der Urgicht solltest bekräftigen, als von welcher ich dich durch meine Defension zu lösen doch anherokommen bin.« Solche Gründe schienen letzlich uns beiden vernünftig, und beschlossen wir, die Rache dem allmächtigen Gott zu überlassen, der in das Verborgene siehet und dem wir alleine unsere Unbill klagen wollten. da wir sie denen Menschen nicht klagen durften.

Was mein Töchterlein aber sonst fürbrachte, von der alten Lisen, item von dem guten Leumund, in welchem sie ehedem bei männiglich gestanden, wöllte er allens zu Papier bringen und von dem Seinen hinzufügen, so viel und so gut es ihm müglich, umb sie von der Marter mit des allmächtigen Gottes Hülfe zu erlösen. Sie söllte sich nur geruhsam halten und sich demselbigen anempfehlen. Binnen zweener Tage Frist hoffe er mit seiner Defension fertig zu sein, umb ihr solche fürlesen zu können.

Als er nunmehro den Büttel wieder rief, kam selbiger aber nit, sondern schickete sein Weib, umb die Gefängnis zuzuschließen, und nahm ich mit vielen Tränen von meim Kind Abschied, unterdes Dn. Syndikus auf ihren dreusten Kerl schalt und ihr verzählete, was fürgefallen, umb es ihm wiederzusagen. Doch schickete er das Weib noch einmal weg, sagend, er hätte vergessen, gewisse Kundschaft einzuziehen, ob sie wirklich die lateinische Sprach verstünde. Sie möge also ihre Defension einmal auf lateinisch sagen, so es ihr müglich. Und hob sie nunmehro an, eine Viertelstunde lang und darüber selbige also zu führen, daß nit bloß Dn. Syndikus, sondern ich selbsten mich über sie verwundern mußte, angesehen ihr kein einzig Wörtlein fehlte denn das Wörtlein »Schweinsigel«, so wir beide in der Eile aber auch nit wußten, als sie uns darumb befragete. Summa: Dn. Syndikus wurde ein groß Teil freundlicher, als sie ihre Rede beendiget, und nahm Abschied von ihr mit dem Versprechen, sich alsofort an die Arbeit zu machen.

Und sahe ich ihn nunmehro nit wieder bis auf den dritten Tag morgens umb 10 Uhren, angesehen er im Schloß auf einem Zimmer arbeitete, so ihm der Amtshauptmann gegeben, allwo er auch gessen, wie er mir durch die alte Lise sagen ließ, als sie ihm des andern Tages die Frühkost bringen wollte.

Umb vorbemeldete Zeit aber ließ er mich durch den neuen Büttel rufen, so allbereits auf sein Fürwort aus Usedom angekommen. Denn der Amtshauptmann hätte sich fast sehr erzürnet, als er vernommen, daß der dreuste Kerl mein Kind im Gefängnis wäre angegangen, und im Zorn gerufen: »Potz Element, ich werde dich karessieren helfen!«, ihm darauf auch mit einer Hundepeitschen den Buckel wacker abgebläuet, so daß sie jetzunder wohl Friede vor ihm haben sölle.

Aber der neue Büttel war fast ärger denn der alte, wie man leider bald weiters hören wird. Er hieß Meister Köppner und war ein langer Kerl mit eim grausamen Antlitz und einem also großen Maul, daß ihm bei jeglichem Wort der Speichel zur Seiten herausfuhr und an seim langen Bart wie ein Saufenschaum bekleben blieb, also daß mein Töchterlein für ihm eine absonderliche Angst hatte. Auch tat er bei jeglicher Gelegenheit, als wenn er hohnlachete, welches auch beschah, als er uns die Gefängnistüre aufgeschlossen und mein arm Kind in ihrem Jammer sitzen sah. Ging aber alsbald ungefordert seiner Straßen, worauf Dn. Syndikus seine Defension aus der Taschen zog, umb uns solche fürzulesen. Und haben wir nur die fürnehmsten Stücke davon behalten, so ich hier anführen will:

1. Hub er an, daß mein Töchterlein bishero immer in eim gut Geschrei gewesen, wie nicht nur das ganze Dorf, sondern auch meine Dienstleute bezeugeten, ergo könne sie keine Hexe sein, inmaßen der Heiland gesaget: »Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen.« (Matth. am 7ten)

2. Was die Zauberei im Dorf anbelangte, so möchte solche wohl die alte Lise angerichtet haben, angesehen sie einen Haß gegen Ream trüge und schon lange in eim bösen Geschrei gewest, und hätte nur die Gemein aus Furcht für dieser alten Hexen nit sprechen wöllen. Darumb müsse noch Zutern ihr klein Mädchen verhöret werden, als welche es gehört, daß ihr Ehekerl zu der alten Lisen gesaget, sie hätte einen Geist, und wölle er's dem Priester sagen. Denn wiewohl selbige annoch ein Kind wäre, stünde doch geschrieben (Ps. 8): »Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hastu dir eine Macht zugerichtet.« Und hätte der Heiland selbsten (Matth. 21) auf das Gezeugnis derer Kinder sich berufen.

3. Dannenhero möchte die alte Lise auch wohl die Ackerstücke item die Obstbäume bezaubert haben, anerwogen nicht anzunehmen stünde, daß Rea, so sich bishero als eine artige Tochter bezeuget, ihrem eigenen Vater sölle das Korn behexet oder ihm Raupen gemacht haben. Denn niemand, sage die Schrift, könne zween Herrn dienen.

4. Item möchte sie auch wohl der Grünspecht gewesen sein, so Rea wie dem alten Paaschen im Streckelberg begegnet wäre, und selbsten ihren Ehekerl aus Furcht vor dem Priester dem bösen Feind übergeben haben, anerwogen der Malleus maleficarumDer berühmte »Hexenhammer« Innocentius' VIII., welcher 1489 erschien und das bei den Hexenprozessen zu beobachtende Verfahren vorschrieb. außer Zweifel setzete, daß die leidigen Kinder des Satanas sich oftermalen in allerlei Tiere verkehreten, nicht minder als es der garstige Unhold selbsten schon im Paradiese getan, da er unsere ersten Eltern unter der Gestalt einer Schlangen verführet (Genes. am 3ten).

5. Hätte die alte Lise auch wohl das böse Wetter gemacht, als Dn. Consul mit Rea vom Streckelberg gekommen, alldieweil es unmöglich wäre, daß dieses Rea gewest, indem sie auf dem Wagen gesessen, und die Hexen, wenn sie Wetter macheten, immer im Wasser stünden und sich solches rücklings über den Kopf würfen, item die Steine mit eim Stock abklopfeten. Selbige möge denn auch wohl am besten um die Pogge und den Schweinsigel wissen.

6. Würde Rea irrtümlich als ein Crimen ausgeleget, was doch zu ihrer Rechtfertigung gedeihen müßte, nämlich ihr plötzlicher Reichtum. Denn der Malleus maleficarum besage ausdrücklich, daß nie eine Hexe nicht reich würde, besondern Satanas zur Unehre Gottes sie immer umb ein Spottgeld kaufe, damit sie nit durch solchen Reichtum sich verrieten.Nach den Originalworten des »Hexenhammers«, Tom. I., Quaest. 18. Dieweil nun aber Rea reich worden wäre, könne sie ihr Gut nicht durch den leidigen Erzfeind gewonnen haben, besondern es wäre wahr, daß sie Bernstein im Berg gefunden. Daß solche Ader aber nachmalen nit zu finden gewest, möge auchwohl durch den Zauber der alten Lisen beschehen sein, oder die Sehe hätte auch den Berg unten abgespület, wie oftermalen geschähe, also daß er oben nachgeschossen und die Stätte verschüttet wäre, so daß hierbei nur ein miraculum naturale sich ereignet. (Den Beweis, den er aus der Schrift beibrachte, haben wir vergessen, da er auch nur gadlich war.)

7. Ihre Umtaufe anlangend, so hätte die alte Vettel selbsten gesaget, daß sie weder den Teufel noch irgendeinen Geist oder Menschen umb Ream gesehen, und möge sie sich dannenhero immer natürlich gebadet haben, umb des andern Tages den schwedischen König zu begrüßen, angesehen es heißes Wetter gewesen und solches nicht geradezu die Schamhaftigkeit einer Jungfer turbiere. Denn daß sie einer sehen würd, hätte sie wohl so wenig vermutet als die Bathseba, die Tochter Eliams, das Weib Uriae, des Hetiters, so sich auch gebadet, wie 2. Sam. 11,2 geschrieben stünd, ohne zu wissen, daß David ihrer ansichtig worden. Auch könne ihr Mal kein Satansmahl sein, dieweil ein Gefühl darinnen vorhanden gewest, ergo wäre es ein natürlich Mal und erlogen, daß sie es vor ihrem Bade noch nicht gehabt. Überdies wär an diesem Punkt der alten Vettel gar nit zu trauen, da sie dabei von einer Widersprechung in die andere geraten, wie Akta besageten.

8. Auch die Zauberei mit Paaschen sein klein Töchterlein möge Ream nit mit Recht zugemutet werden. Denn da die alte Lisen auch in der Stuben aus und ein gegangen, ja sich auf das Bäucheken des kleinen Mägdleins gesetzet, als Pastor sie besuchet, möge dieses böse Weib, so einmalen einen großen Groll auf Ream trüge, solches Zauberwerk mit der Macht des bösen Feindes und unter Zulassung des gerechten Gottes auch wohl fürgenommen haben. Denn der Satanas sei ein Lügner und ein Vater der Lügen, wie unser Herr Christus sage (Johannes am 8ten).

9. Anlangend nun den Spök des leidigen Bösewichts, so in Gestalt eines haarigten Riesen auf den Berg erschienen, so wäre dieses freilich das schwerste Gravamen, anerwogen nit bloß die alte Lise, sondern auch drei achtbare Zeugen sein ansichtig worden. Allein, wer wüßte, ob die alte Lise nit auch diesen Teufelsspök herfürgebracht, umb ihren Feind ganz zu verderben. Denn wiewohlen solcher Spök der Junker nit gewest, wie Rea fürgegeben, wäre es gar leichtlich müglich, daß sie dennoch nit gelogen, besondern den Satanas, der die Gestalt des Junkers angenommen, für selbigen angesehen. Ein Exempel gäbe die Schrift selbsten. Denn alle Theologen der gesamten protestantischen Kirchen stimmten darinnen überein, daß der Spök, so die Hexe von Endor dem Könige Saul gewiesen, nicht Samuel selbsten, besondere der leidige Satanas gewest. Nichtsdestoweniger hätte Saulus ihn für den Samuel gehalten. Also möge die alte Vettel Reae auch wohl den leidigen Teufel fürgezaubert haben, ohne daß sie es gemerket, daß es nicht der Junker, sondern Satanas gewest, der nur des Junkers Gestalt genommen, umb sie zu verführen. Denn da Rea ein schön Weib sei, wäre es nicht zu verwundern, daß der Teufel sich mehr Müh umb sie gäbe denn umb eine alte trockene Vettel, angesehen er von jehero nach schönen Weibern getrachtet, umb sie zu beschlafen (Genes. 6,2).

Endlich brachte er für, daß Rea auch nicht als eine Hexe gezeichnet und weder eine krumme Nase noch rote Gluderaugen hätte. Wohl aber hätte die alte Lise beides, so Thephrastus Paracelsus als ein sicher Merkzeichen der Zauberei angäbe, sprechend: »Die Natur zeichnet niemands also, es sei denn ein Mißgerät, und seind dies die Hauptzeichen, so die Hexen an ihnen haben, wenn sie der Geist des Bösen überwunden hat.«

Als Dn. Syndikus nunmehro mit seiner Defension fertig war, war mein Töchterlein so erfreut darüber, daß sie ihm wollte die Hand küssen: allein er riß seine Hand zurücke und pustete dreimal darüber, so daß wir leichtlich vermuten kunnten, es wäre ihme mit solcher Defension annoch selbsten kein Ernst. Brach auch alsobald mürrisch auf, nachdem er sie dem Schutz des Höchsten empfohlen, und bat mich, meinen Abschied kurz zu machen, da er heute noch wieder nach Hause wölle, was ich denn auch leider tun mußte.


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