Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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25. Kapitel

Wie Satanas mich wie den Weizen sichtet, mein Töchterlein aber ihm wackeren Widerstand tut

Am Montag fuhr ich bei guter Zeit von meinem Lager, und alldieweil ich mich ziemlich wacker fühlete, ging ich aufs Schloß, ob ich nicht möchte zu meim Töchterlein gelangen. Konnte aber keinen einzigen Büttel nit finden, vor die ich ein paar Schreckensberger als ein Biergeld mitgenommen. Das Volk, so ich antraf, wollte mir's auch nit sagen, wo sie wären, item des dreusten Büttel sein Weib auch nit, so in der Küchen stand und Schwefelfaden machete. Und als ich fragete, wann ihr Mann denn wiederkäme, vermeinete sie, es würde wohl nit viel vor morgen frühe werden, item käm auch der andere Büttel nit ehender. So bat ich sie denn, mich selbsten zu meinem Töchterlein zu geleiten, ihr die zwo Schreckensberger zeigend, aber sie gab zur Antwort, daß sie die Schlüssel nit hätte und auch nicht zu überkommen wüßte. Ebenmäßig wollte sie auch nit in Erfahrung gezogen haben, so mein Töchterlein jetzunder säße, damit ich durch die Tür mit ihr sprechen künnte. Item sageten der Koch, der Jäger, und weme ich sonsten in meinem Gram begegnete, sie wüßten nicht, in welchem Loch die Hexe sitzen müge.

Ging dannenhero rund umb das Schloß und legete an jedes Fensterken, so mir wohl den Anschein hatte, daß es ihr Fensterken wär, meine Ohren und rufete: »Maria, mein Töchterlein, wo bistu?« Item wo ich ein Gegitter fand, fiel ich auf meine Knie, neigete mein Haupt und rufete ebenalso in den Keller. Doch es war allens umbsonst, ich bekam nirgends nicht eine Antwort. Solches hatte endiglichen der Amtshauptmann gesehen und kam mit gar freundlicher Mienen zu mir aus dem Schloß gangen, griff mich bei meiner Hand und fragete, was ich wölle? Und als ich ihm zur Antwort gab, daß ich mein einzig Kind seit verschienenen Donnerstag nit gesehen und er sich erbarmen möge und mich zu ihr fahren lassen, sprach er, daß solches nit anginge, doch sölle ich mit ihm auf sein Zimmer kommen, umb über die Sache ein mehres zu reden. Unterwegs sagete er: »Die alte Hex hat Euch wohl was Schönes von mir verzählet, aber Ihr sehet, wie der allmächtige Gott sie in sein gerecht Gericht genommen. Sie ist schon lange gewest vor das Feuer, aber meine große Langmut, worin eine gute Obrigkeit immer dem Herren nacheifern muß, hat es bis dato übersehen, und nun machet sie mir zum Dank solches Geschreie.« Und als ich ihm versetzete: »Wie weiß Ew. Gestrengen, daß die Hexe Ihme ein solch Geschrei gemachet?«, hub er anfänglich an zu stöttern und sprach alsdann: »Ei, Ihr habt es ja selbsten dem Richter geklaget! Aber derowegen habe ich dennoch keinen Zorn auf Euch, sondern, weiß Gott im Himmel, daß Ihr alter, schwacher Mann mich erbarmet, und ich Euch gerne hülfe, so ich könnte.« Hierzwischen führete er mich an die vier bis fünf Treppen hinauf, so daß ich alter Mann ihme letzlich nit mehr folgen kunnte und stillstund und nach Luft jappete. Aber er fassete mich bei meiner Hand und sprach: »Kummet nur, ich muß Euch allhier erst sehen lassen, wie es steht, denn sonst nehmet Ihr doch nit meine Hülf an, wie ich sorge, und stürzet Euch selbsten ins Verderben!« Und traten wir anjetzo auf ein Altan oben am Schloß, wo man nach dem Wasser überschauet, worauf der Bösewicht fortfuhr also zu sprechen: »Ehre Abraham, müget Ihr gut in der Ferne sehen?« Und als ich sagete, daß ich solches ehender wohl gekunnt, mir aber die vielen Tränen anjetzo wohl möchten meine Augen betrübt haben, zeigete er auf den Streckelberg und sprach: »Sehet Ihr dorten nichtes?« Ego: »Nichtes denn ein schwarzes Flecklein, so ich aber nicht erkennen mag.« Ille: »So wisset, dieses ist der Scheiterhaufen, auf dem Euer Kind morgen frühe umb 10 Uhren soll gebrennet werden und den die Büttel bauen!« Als der Höllenhund solches sagte, tät ich einen lauten Schrei und wurde unmächtig. Ach, du lieber Gott, ich weiß nicht, wie ich diesen Schmerz mit meinem Leben überwunden, aber du hast mich selbsten unnatürlich gestärket, umb mich nach so vielem Heulen und Weinen wieder mit Freude zu überschütten, denn sonst, achte ich, wäre es unmöglich gewesen, solche Trübsal zu überwinden, darumb sei deinem Namen auch ewiglich Preis und Ehr!

Als ich wieder zu mir selbsten kam, lag ich in eim schönen Zimmer auf einem Bett und empfande einen Geschmack in meinem Munde wie Wein. Aber dieweil ich den Amtshauptmann allein umb mich sahe mit einem Kreuz in der Hand, schudderte ich mich und tät meine Augen wieder zu, umb mich zu besinnen, was ich tun und sagen wöllte. Solches wurde er aber alsobald gewahr und sprach: »Schuddert Euch nicht also, ich meine es gut mit Euch und will Euch darumb eine Frage vorlegen, welche Ihr mir auf Euer priesterlich Gewissen beantworten sollet. Saget, Ehre Abraham, welches ist eine größere Sünde: Hurerei treiben oder zween Menschen ihr Leben nehmen?« Und als ich ihm zur Antwort gab: »Zween Menschen ihr Leben nehmen!«, fuhre er fort: »Ei, nun sehet, das will Euer verstockt Kind tun! Ehender sie sich mir ergiebet, der ich sie immer retten gewöllt und noch heute retten kann, wiewohl ihr Scheiterhaufen schon aufgebauet wird, will sie sich selbsten das Leben nehmen und Euch elendem Menschen, ihrem Vater, dazu, denn ich achte, daß Ihr diese Trübsal schwerlich überwinden werdet. Darumb beredet sie doch umb Gottes willen, daß sie sich auf ein Besseres besinnet, solange es mir noch müglich ist, sie zu erlösen. Sehet, ich habe ein Häuslein zwo Meilen von hier, mitten in der Heiden belegen, wo kein Mensch hingelanget, dahin lasse ich sie in dieser Nacht annoch bringen, und möget Ihr bei ihr wohnen Euer lebelang, so es Euch gefällt. Ihr sollet es so gut haben, als Ihr nur wünschen möget, und lasse ich morgen frühe ein Geschrei machen, die Hexe wäre zur Nacht mit ihrem Vater fortgelaufen und niemand wisse, wohin sie kommen sei.«

Also sprach die Schlange zu mir wie weiland zu unserer Ältermutter, der Eva, und mir elenden Sünder kam es auch für, als ob der Baum des Todes, den sie mir zeigete, ein Baum des Lebens wäre, also lieblich war er anzuschauen. Doch gab ich zur Antwort: »Dieses wird mein Töchterlein nimmermehr tun und ihrer Seelen Seligkeit aufgeben, umb ihr arm Leben sich zu erhalten.« Aber auch jetzo war die Schlange wieder listiger denn alle Tiere des Feldes (verstehe: insonderheit mich alten Toren) und sprach: »Ei, wer saget denn, daß sie ihrer Seelen Seligkeit aufgeben soll? Ehre Abraham, muß ich Euch die Schrift lehren? Hat nicht unser Herr Christus die Mariam Magdalenam zu Gnaden aufgenommen, so doch in offenbarer Hurerei gelebet, und hat er nicht der armen Ehebrecherin die Vergebung angekündiget, so doch noch ein weit größer Crimen begangen; ja, sagt St. Paulus nit geradezu, daß die Hure Rahab selig worden – Hebräer am 11ten, item St. Jakobus am 2ten das nämliche? Wo aber leset Ihr, daß ein Mensche selig worden, so sich selbsten und seinen Vater mutwillig das Leben genommen? Darumb beredet doch umb Gottes willen Euer Kind, daß sie in ihrem verstockten Sinn nicht mutwillig Leib und Seele dem Teufel übergebe, sondern sich retten lasse, dieweil es noch Zeit ist. Ihr möget ja bei ihr bleiben und allens wieder wegbeten, so sie gesündiget, auch mir mit Eurem Beistand gegenwärtig sein, der ich gar gerne bekenne, daß ich ein armer Sünder bin und Euch viel Leides zugefüget, doch noch lange nicht so viel Leides, Ehre Abraham, denn David dem Uriae, welcher aber gleichwohl selig worden, unangesehen er den Mann schändlich umb sein Leben brachte und nachgehende sein Weib beschlief. Darumb hoffe ich armer Mensch, auch selig zu werden, der ich möglichst noch eine größere Brunst zu Eurem Töchterlein habe denn dieser David zu Bathseba. Und will ich Euch allens gar gerne doppelt wiedervergelten, wenn wir nur erstlich in der Hütten sein.«

Als der Versucher solches geredet, bedünketen mich seine Worte süßer dem Honig, und gab ich zur Antwort: »Ach, gestrenger Herr, ich schäme mich, ihr mit solchem Antrag unter die Augen zu treten!« Worauf er aber alsobald sprach: »So schreibet es ihr, hier ist Black, Feder und Papier!«

Da nahm ich wie Eva die Frucht und aß und gab sie meinem Töchterlein, daß sie auch essen söllte, will sagen, ich rekapitulierete allens, so mir Satanas eingegeben, auf dem Papier, jedoch in lateinischer Sprachen, dieweil ich mich schämete, es deutsch zu schreiben, und beschwure sie letztlich, nicht sich und mich umb das Leben zu bringen, sondern sich in Gottes wunderliche Schickung zu fügen. Auch wurden mir meine Augen gar nicht aufgetan, als ich gessen (verstehe: geschrieben), noch merkete ich, daß nicht Honig, besondern Galle unter der Tinten war, sondern ich übersetzete dem Amtshauptmann denselbigen mit Lächeln wie ein besoffener Mensche (dieweil er kein Lateinisch verstunde), worauf er mich auf die Schulter klopfete, und nachdem ich den Brief mit seinem Signet verschlossen, rief er den Jäger und gab ihm selbigen, umb ihm meinem Töchterlein zu bringen, item fügte er Black, Feder und Papier benebst dem Signet hinzu, daß sie mir alsogleich antworten möge.

Hierzwischen nun war er gar lieblich zu reden, lobete mich und mein Kind, und mußte ich ihm unterschiedlichen Malen Bescheid tun aus seinem großen Kruge, in welchem er einen fast schönen Wein hatte, trat auch an einen Schrank und holete mir Pretzeln zum Zubeißen, sagend, so söllte ich es nunmehro alle Tage haben. Als aber nach einer halben Stunden wohl der Jäger mit ihrer Antwort zurückekehrete und ich selbige angesehen, begab es sich allererste daß meine Augen aufgetan wurden und ich erkannte, was gut und böse war. Hätte ich ein Feigenblatt gehabt, so würde ich selbiges auch vor Scham dafürgehalten haben, so aber hielt ich meine Hand dafür und weinete also heftiglich, daß der Amtshauptmann in einen schweren Zorn geriet und fluchend mir befahl, ihm zu sagen, was sie geschrieben. Verdolmetschete ihm also den lateinischen Brief, welchen ich anhero setze, damit man meine Torheit und meines Töchterleins Weisheit daraus erlerne.

Es lautete aber derselbe wie folget:

 
»Jesus! – Unglücklicher Vater!

Ich werde morgen nicht mehr erblassen, wenn ich den Scheiterhaufen erblicke, und der Scheiterhaufen wird nicht mehr erröten, wenn er mich aufnimmt, als ich erblassete und wiederumb errötete, als ich deinen Brief las. Wie? Auch dich frommen Vater und frommen Knecht hat Satan so verführet, daß du Gemeinschaft machst mit meinen Feinden und nicht einsiehst, daß der Tod in solchem Leben und in solchem Tod das Leben sei? Denn wenn der gnädige Gott der Maria Magdalena und andern verziehen hat, so verziehe er ihnen, weil sie Buße taten wegen der Schwäche ihres Fleisches und nicht abermalen sündigten. Und ich söllte sündigen bei einem gänzlichen Abscheue meines Fleisches, und nicht einmal, sondern wiederholet, ohne Umbkehr, bis an meinen Tod? Wie würde der gnädige Gott dies dem verworrensten aller Weiber verzeihen können? Unglücklicher Vater, erinnere dich, was du mir gesaget hast von den heiligen Märtyrern und den Jungfrauen des Herrn, welche alle lieber das Leben denn ihrer Keuschheit verlieren wöllten! Diesen will auch ich folgen, und mein Heiland Jesus Christus wird auch mir Elenden, so ich hoffe, die ewige Kronen geben, obgleich ich ihn nit minder beleidiget hab, wegen Schwäche meines Fleisches, wie Maria, und mich für schuldig erkläret, so ich doch unschuldig bin. Suche also stark zu werden und bitte für mich bei Gott und nicht beim Teufel, damit auch ich bald im Angesichte Gottes für dich beten kann.

Die gefangene Maria S.«Er ist sichtbar von einer weiblichen Hand geschrieben und wahrscheinlich die Originalhandschrift. Siegellack oder Wachs ist aber daran nicht zu bemerken, weshalb ich annehmen möchte, daß er offen überbracht wurde, was bei seinem fremdsprachigen Inhalt ja auch keine Gefahr hatte.

Als der Amtshauptmann solches gehöret, wurf er den Krug, so er annoch in Händen hielt, also zur Erden nieder, daß er zerborste, und schrie: »Die verfluchte Teufelshure! So soll der Büttel sie dafür auch eine ganze Stunde piepen lassen!« und was er ein mehres herfürstieß in seiner Bosheit, und ich vergessen hab. Doch bald wurde er wieder als gütlich und sprach: »Sie ist unklug, gehet einmal selbsten zu ihr, ob Ihr sie zu Eurem und ihrem Vorteil bereden möget! Der Jäger soll Euch einlassen, und horchet der Kerl, so gebet ihm nur gleich in meinem Namen ein paar Ohrfeigen, höret Ihr, Ehre Abraham! Geht geschwinde, und bringt mir sobald als müglich eine Antwort!« Ging also dem Jäger nach, welcher mich in einen Keller geleite, wohin kaum so viel Licht durch ein Loch fiel als ein Gulden groß und wo mein Töchterlein auf ihrem Bette saß und weinete. Und kann man vor sich selbsten abnehmen, daß ich auch alsogleich angefangen hab und nichts Besseres kunnte denn sie. Lagen uns also eine lange Zeit stumm in den Armen, bis ich sie letzlich um Vergebung bat von wegen meinem Brief, aber von dem Amtshauptmann seinen Auftrag sagete ich ihr nichtes, wie es gleich mein Fürsatz war. Es währete aber nit lange, so hörten wir ihn selbsten schon in den Keller von oben niederschreien: »Was – (hier tät er einen schweren Fluch) machet Ihr dort so lange? Im Augenblick, Ehre Abraham, herauf!«, so daß ich kaum noch Zeit hatte, ihr ein Küßeken zu geben, als der Jäger auch schon wieder mit den Schlüsseln da war, und wir uns trennen mußten, obgleich wir annoch von nichtes gesprochen, als daß ich ihr mit wenigem verzählet, wie's mit der alten Lisen ergangen sei. Und kann man schwerlich gläuben, in welche Bosheit der Amtshauptmann geriete, als ich ihm sagete, mein Töchterlein verbliebe stark und wolle ihm nicht Gehör geben. Er stieß mich vor meine Brust und rief: »So geh zum Teufel, infamer Pfaff!« Und als ich mich umbwendete, umb wegzugehen, riß er mich wieder zurück und sprach: »Aber sagstu von allem, so wir fürgehabt ein Wörtlein, siehe, so laß ich dich auch brennen, du alter, grauer Hexenvater!« Worauf ich mir ein Herze faßte und zur Antwort gab, daß mir solches eine große Freude sein würde, insonderheit wenn es schon morgen mit meim Töchterlein zusammen beschehen könnte. Antwortete aber nichtes, sondern schlug die Türe hinter mir zu. Aber schlag du nur, ich sorge, der gerechte Gott wird dir die Türe des Himmelsreichs auch dermaleinst wieder vor deiner Nasen zuschlagen!


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