Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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27. Kapitel

Wie es uns unterwegen ergangen, item von dem erschrecklichen Tode des Amtshauptmanns bei der Mühlen

Wir hatten aber viel Wunder unterwegen und groß Herzeleid. Denn gleich an der Brücken, so über die Bach führet, die in den Schmollen läuft, stund der Ausgeberschen ihr abscheulicher Junge wieder, trommelte und schrie, so laut er kunnte: »Tom Gosebraden, tom Gosebraden!« Worüber das Volk alsobald ein groß Gelächter erhub und ihm nachrief: »Ja, tom Gosebraden, tom Gosebraden!« Doch als Meister Krekow den zwoten Vers anstimmte, waren sie wieder in etwas geruhlich, denn die meisten halfen ihm singen aus ihren Büchern, so sie sich mitgebracht hatten. Als er aber darauf in etwas innehielte, ging der Lärm wiederumb von vornean. Etzliche schrien, der Teufel hätte ihr dieses Kleid geben und sie also herausgeputzet, kamen dahero auch, und weil der Amtshauptmann voraufgeritten, umb den Wagen und befühleten ihr Kleid, insonderheit die Weiber und jungen Mädkens; etzliche aber schrien wiederumb dem Jungen nach: »Tom Gosebraden, tom Gosebraden!« Worauf ein Kerl zur Antwort gab: »Se wadd sich noch nich braden laten, gewt man Paß, se p...t dat für ut!« Dieses und annoch ein mehreres an Unflätereien mußten wir mit anhören, und schnitt es mir insonderheit durch mein Herze, als ein Kerl schwur, daß er von ihrer Aschen etwas haben wölle, da er von dem Stab nichts gekriegt, denn es gäbe fast nichts Besseres vor das Fieber und die Gicht denn Hexenasche. Winkete also dem Küster, wiederumb anzuheben, worauf sie sich eine Zeitlang, das ist, solange der Vers währete, auch wieder geruhsam hielten, nachgehends aber es fast noch ärger macheten denn zuvor. Doch dieweil wir jetzunder zwischen denen Wiesen waren und mein Töchterlein die schönen Blümeleins sahe, so rings umb den Garten stunden, verfiel sie in tiefe Gedanken und hub wieder an, aus dem feinen lateinischen Liedlein des St. Augustini zu rezitieren. Durch diesen Kasus gewannen wir, daß alles Volk sich fluchend von dem Wagen verlief und bei einem guten Musketenschuß hinter uns hertrottierete, dieweil sie gläubeten, daß mein Töchterlein den leidigen Satan umb Hülfe anriefe. Nur ein Bursche bei 25 Jahren, so ich aber nicht kunnte, blieb wenig Schritte hinter dem Wagen, bis sein Vater kam, und da er nit mit gutem weichen wollte, ihn also in den Graben stieß, daß er bis an die Hüften ins Wasser versank. Hierüber mußte selbst mein arm Töchterlein lächeln und fragete mich, ob ich nicht mehr lateinische Lieder wüßte, umb uns das dumme und unflätige Volk noch ferner vom Leibe zu halten. Aber sage, Lieber, wie hätte ich jetzunder lateinische Lieder rezitieren mügen, so ich sie auch gewußt! Doch mein Konfrater, Ehre Martinus, wußte annoch ein solches, so zwar ein ketzerisches Lied ist; doch weil es meinem Töchterlein über die Maßen gefiel und er ihr manchen Vers an die drei- oder viermal vorbeten mußte, bis sie ihn nachbeten kunnte, sagte ich nichtes. Sonst bin ich immer sehr streng gegen Ketzereien gewest. Aber ich tröstete mich, daß unser Herrgott es ihr in ihrer Einfalt wohl verzeihen würde. Und lautete die erste Zeile also: »Dies irae, dies illa«. Insonderheit aber gefielen ihr diese beiden Verse, die sie oftmals mit großer Erbauung betete und ich darumb hierhersetzen will:

Judex ergo cum sedebit, / Quidquid latet adparebit, / Nil inultum remanebit.

Rex tremendae majestatis, / Qui salvandos salvas gratis, / Salva me, fons pietatis!Wenn der ernste Richter schlichtet und des Herzens Dunkel lichtet, bleibt nichts Böses ungerichtet. König majestätischer Größe, der umsonst deckt unsre Blöße, Quell der Liebe, komm, erlöse!

Als aber die Kerls mit den Forken, so umb den Wagen gingen, solches höreten und zugleich ein schwer Wetter vom Achterwater aufkam, vermeineten sie nit anders, denn daß mein Töchterlein es gemachet, und da das Volk, so hinten nachsetzete, auch schrie: »Dat hett de Hex dahn, dat hett de verfluchte Hex dahn!«, sprungen sie alle zehn bis auf einen, so verblieb, über den Graben und liefen ihrer Straßen. Solches sahe aber Dn. Consul nit alsobald, welcher mit Eim ehrsamen Gericht hinter uns fuhr, als er dem Büttel zurief, was solches bedeute? Und der Büttel rief über den Amtshauptmann, so ein wenig vorauf war, aber alsobald umbkehrete und, nachdem er die Ursache erfahren, denen Kerls nachschrie, daß er sie alle wölle an den ersten Baum anhenken lassen und mit ihrem Fleisch seine Falken füttern, wenn sie nit alsobald umbkehreten. Solches half abereins, und als sie wiederkamen, gab er einem jeglichen an die sechs Schmisse mit seiner Reitpeitschen, worauf sie verblieben, doch so weit von dem Wagen sich hielten, als sie für den Graben kunnten.

Hierzwischen aber kam das Unwetter von Süden näher mit Donner, Blitz, Hagel und Sturmwind, als wenn der gerechte Gott seinen Zorn offenbaren wöllte über die ruchlosen Mörder, und schlug die Wipfel derer hohen Buchen umb uns zusammen wie Besen, also daß unser Wagen ganz mit Blättern wie mit Hagel bedeckt war und niemand vor dem Rumor sein eigen Wort hören kunnte. Solches geschahe gerade, als wir von dem Klosterdamm in die Heiden hinabfuhren. Und ritt der Amtshauptmann jetzunder hinter uns bei dem Wagen, auf welchem Dn. Consul saß. Doch als wir alsbald über die Brücke wollten vor der Wassermühlen, faßte uns der Sturmwind, so vom Achterwater aus einer Lucken herüberblies also, daß wir vermeineten, er würde unsern Wagen in den Abgrund stoßen, so wohl an die 30 Fuß tief war und drüber. Und da gleicherweise die Pferde täten, als gingen sie auf Glatteis, und nicht stehen kunnten, hielt der Kutscher stille, umb erst das Wetter fürübergehen zu lassen, welches aber der Amtshauptmann nit alsobald gewahr wurde, als er herbeigesprenget kam und dem Kutsche befahl, alsogleich weiterzufahren. Selbiger hauete also die Pferde an, aber sie spartelten, daß es absonderlich anzusehen war, wannenhero auch unsere Wächter mit den Forken zurückblieben und mein Töchterlein für Angst einen lauten Schrei tat. Und waren wir gerade so weit kommen, wo das große Rad unter uns lief, als der Kutscher mit dem Pferde stürzete und selbiges sich einen Fuß zerbrach. Jetzo sprang der Büttel vom Wagen, stürzete aber auch alsobald auf den glatten Boden, item der Kutscher, nachdem er sich aufgerichtet, fiel er alsbald wieder nieder. Dannenhero gab der Amtshauptmann seinem Schimmel fluchend die Sporen, welcher aber auch anhub zu sparteln, wie unsere Pferde getan. Doch kam er damit gegen uns gespartelt, ohne daß er gestürzet wäre, und dieweil er sahe, daß das Pferd mit dem zerbrochenen Fuß sich immer wieder aufrichten wollte, aber alsobald wieder auf dem glatten Boden zusammenschoß, brüllete und winkete er, daß die Kerls mit den Forken kommen möchten und die Mähre ausspannen, item den Wagen hinüberschieben, damit er nicht in den Abgrund gerissen würde.

Hierzwischen aber kam ein langer Blitzstrahl für uns in das Wasser niedergefahren, welchem ein Donner also plötzlich und greulich folgete, daß die ganze Brücke erhebete und dem Amtshauptmann sein Pferd (unsere Pferde wurden aber stille) einige Schritte zurückprallete, worauf es den Boden verlor und mit dem Amtshauptmann kopfüber in das große Mühlenrad hinunterschoß, daß sich ein ungeheuer Geschrei von allen Menschen erhub, so hinter uns an der Brücke stunden. Und war eine Zeitlang vor dem weißen Schaum nichtes zu sehen, bis dem Amtshauptmann seine Beine mit dem Rad in die Höhe kamen und hierauf auch der Rumpf, aber der Kopf steckete zwischen den Schaufeln des Rades, und also lief er, erschröcklich anzusehen, mit selbigem immer rundum. Seinem Schimmel aber fehlete nichts, sondern schwamm selbiger hinten im Mühlenteich. Als ich solches sahe, ergriff ich die Hand meines Lämmeleins und rief. »Siehstu, Maria, unser Herrgott lebet noch und fähret annoch heute auf dem Cherub und fliegt daher und schwebt auf den Fittigen des Windes und will unsere Feinde zerstoßen wie Staub vor dem Winde und will sie wegräumen wie den Kot auf den Gassen!«Psalm 18, 11; 43. Da schaue nieder, was der allmächtige Gott getan!«

Als sie hierauf ihre Augen seufzend gen Himmel erhub, höreten wir Dn. Consulem so laut hinter uns schreien, als er kunnte. Da aber niemand nicht für dem grausamen Wetter und Tumult des Gewässers ihn verstunden, sprung er von dem Wagen und wollte zu Fuß über die Brücke gehen, fiel aber gleichfalls auf seine Nase, also daß sie blutete und er nunmehro auf Händen und Füßen wieder zurückekroch und alsbald ein groß Wort mit Dn. Camerario hatte, welcher sich aber nicht auf dem Wagen rührete. Hierzwischen hatte schon der Büttel und der Kutscher das verwundete Pferd ausgespannet, gebunden und von der Brücken geschleift, kamen dahero wieder zum Wagen und befohlen uns, von selbigem zu steigen und zu Fuß über die Brücke zu gehen, welches auch geschahe, inmaßen der Büttel mit vielem Fluchen und Schimpfen mein Töchterlein ablösete, auch dräuete, sie nachgehends für ihre Bosheit bis auf den späten Abend zu braten. (Konnte es ihme nicht so sehr verdenken, denn es war fürwahr ein seltsam Ding!) Aber obwohl sie selbsten gut hinüberkam, fielen wir beide, Ehre Martinus und ich, wie alle anderen doch auch an die drei Malen zu Boden, bis wir endlich durch Gottes Gnade vor dem Müllerhause wohlbehalten angelangeten, allwo der Büttel dem Müller bei Leibes Leben mein Töchterlein übergab und an den Mühlenteich niederrannte, umb den Amtshauptmann seinen Schimmel zu retten. Der Kutscher sölle aber unterdes sehen, daß er den Wagen und die anderen Pferde von der behexten Brücke brächte.

Wir hatten aber noch nicht lange bei dem Müller vor der Türen unter einem großen Eichbaum gestanden, als Dn. Consul mit Eim ehrbaren Gericht und allem Volk schon über die kleine Brücke gefahren kam, so ein paar Musketenschüsse von der ersten entfernt ist, und selbiger kaum das Volk abhalten kunnte, daß sie nicht mein Kind angriffen und lebendig zerrissen, angesehen alle, wie auch Dn. Consul selbsten, vermeineten, daß kein anderer denn sie benebst dem Wetter auch die Brücke behext (zumalen sie selbsten nicht darauf gefallen) und den Amtshauptmann umb sein Leben gebracht, was doch allens erstunken und erlogen war, wie man weiteres hören wird. Er schalt sie dannenhero für eine vermaledeiete Unholdin, die nach abgelegter Beicht und dem Genuß des heiligen Abendmahls noch nicht von dem leidigen Satan abgefallen wäre. Aber es sölle ihr allens nicht helfen, sie werde dennoch ihren Lohn alsbald empfangen.

Und dieweil sie stille schwieg, gab ich hierauf zwar zur Antwort, ob er nicht sähe, daß der gerechte Gott dies also gefüget, daß der Amtshauptmann, so meim unschuldigen Kind Ehre, Leib und Leben zu nehmen gedacht, allhier als ein erschrecklich Exempel sein eigen Leben lassen müssen; aber es wollte nit verfangen, sondern er vermeinete, daß dieses Wetter unser Herrgott nicht gemacht, könne ein Kind einsehen, oder ob ich vielleicht auch vermeinete, daß unser Herrgott die Brücke behext? Ich müge doch endlich aufhören, mein boshaft Kind zu rechtfertigen, und sie lieber zur Buße vermahnen, da dies schon das zweite Mal sei, daß sie Wetter gemacht, und mir doch kein vernünftiger Mensch glauben würde, was ich sage etc.

Hierzwischen aber hatte der Müller allbereits die Mühle angehalten, item sein Wasser gestauet, und waren an die vier bis fünf Kerls mit dem Büttel auf das große Rad niedergestiegen, umb den Amtshauptmann, so bis dato noch immer auf und nieder gangen war, aus denen Schaufeln zu ziehen. Solches kunnten sie aber nicht ehender, als sie eine Schaufel zersäget, und wie sie ihn letzlich ans Land brachten, befand es sich, daß er sich das Genick abgefallen und bereits so blau als eine Tremse anzusehen war. Auch war ihme der Hals abgeschunden, und das Blut lief ihm annoch aus Maul und Nasen. Doch hatte das Volk mein Töchterlein nicht schimpfieret, so schimpfierete es sie jetzunder und wollte sie mit Kot und Steinen werfen, wenn es Ein ehrsam Gericht nicht mit aller Macht gewehret, sagend, sie würde ja alsbald ihre wohlverdiente Straf empfangen.

Auch stieg mein lieber Gevatter, Ehre Martinus, wieder auf den Wagen und vermahnete das Volk, der Oberkeit nit vorzugreifen, angesehen das Wetter wiederumb ein wenig nachgelassen, daß man ihn hören konnte. Und als es sich in etwas zufriedengestellet, übergab Dn. Consul dem Müller die Leich von dem Amtshauptmann, bis er mit Gottes Hülf wiederkäme, item den Schimmel ließ er solange an die Eiche binden, dieweil der Müller schwur, er hätte keinen Raum in der Mühlen, inmaßen sein Pferdestall annoch voll Stroh läge, er wölle dem Schimmel aber etwas Heu fürgeben und ein gut Augenmerk auf ihn haben. Und jetzo mußten wir elendigen Menschen, nachdem der unerforschliche Gott unsere Hoffnung aufs neue zu Wasser gemacht, wieder auf den Wagen steigen, und der Büttel fletschete die Zähne für Grimm, als er die Stricke aus der Taschen holete, umb mein armes Töchterlein abereins an die Leiter zu binden. Holete dannenhero, da ich leichtlich es ihm ansehen kunnte, was er im Sinne hätte, zween Schreckensberger aus meiner Taschen und bliese ihm in das Ohr: »Macht es gnädig, sie kann Euch ja nimmermehr fortlaufen, und helft Ihr ihr nachgehende recht bald zu Tode, so söllet Ihr annoch zehn Schreckensberger von mir haben!« Solches half, und wiewohl er für dem Volk sich gestellete, als holete er tüchtig an, dieweil es aus allen Kehlen schrie: »Hol düchtig, hol düchtig!«, bund er ihre Händekens in Wahrheit doch gelinder denn früher, und zwar ohne sie an der Leiter festezumachen, hockete aber wiederumb hinter uns mit dem blanken Schwert auf, und nachdeme Dn. Consul nunmehro ein lautes »Gott, der Vater, wohn uns bei« gebetet, auch der Küster wiederumb ein neu Lied angefangen (weiß nicht mehr, was er gesungen, mein Töchterlein weiß es auch nit mehr), ging es nach dem Willen des unerforschlichen Gottes weiter, und zwar also, daß Ein ehrsam Gericht nunmehro vorauf fuhr, alles Volk aber zu unserer Freude nachblieb, so wie auch die Kerls mit den Forken ein gut Ende hinter uns trottiereten, dieweil der Amtshauptmann tot war.


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