Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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8. Kapitel

Wie unsere Not immer größer wird, ich die alte Ilse mit einem andern Schreiben gen Pudagla sandte, und was mir daraus noch für ein größer Leid erfolget

Als ich des andern Tags mit gemeinem Geschrei des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdiget (Merke: Da wo die Linde über die Mauer schattet, seind sie alle begraben), hörete ich mit vielen Seufzern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwasser etwas hergeben gewöllt. Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk fast kein Fisches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero auf das Feld und sanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der Tür und kein Korn, kein Fisch, kein Apfel, kein Fleisch nicht sowohl im Dorfe als im ganzen Kapsel mehr zu finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugsam in der Koserowschen und Ückeritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Nehring war im verschienen Jahr an der Pestilenz gestorben und noch kein neuer daselbsten. Auch war im ganzen Kapsel, keine einzige Muskete oder Kraut dazu aufzufinden, sintemalen der Feind alles geraubet und zerbrochen. Wir mußten dahero alle Tage ansehen, wie Hirsche, Rehe, Hasen, Schweine et cetera uns fürbeisprangen, da wir sie doch lieber in unserm Magen gehabt, aber in unserer Unmacht sie nicht gewinnen kunnten. Und in Gruben wollten sie sich nicht fahen lassen. Doch hatte Claas Peer ein Rehe darin gefangen und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott lohnen wölle. Item an zahmen Vieh war fast gar nichts mehr im Kapsel fürhanden, auch kein Hund, weder eine Katze, welche das Volk in der großen Hungersnot zum Teile gegessen, zum Teile aber vorlängst geschlagen oder versäufet. Doch hatte der alte Bauer Paasch noch zwei Kühe, item soll in Ückeritze noch ein alter Mann ein Ferkelken gehabt haben, das war alles. Darumb lebete fast alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren, welche aber auch schon begunnten, selten zu werden, wie man leichtlich schließen mag. Auch hatte sich dabei allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verlaufen (dem alten Labahn sein Junge) und nie nichts wieder von sich hören lassen, so daß ich schier befürchte, daß ihn die Wülfe gefressen.

Hieraus möge nun ein christlich Herze vor sich selbsten abnehmen, in was Gram und Trübsal ich meinen Stecken zur Hand genommen, angesehen mein Töchterlein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging, obschon ich selbsten, als ein alter Körper, durch die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen sonderbaren Abgang meiner Kräfte verspürete. Indeme ich nun so ginge, im Fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Ückeritze, so ich eingeschlagen, einen Bettlersmann, der saß mit seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein Brot. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunnte: »Wer bistu und wo kommstu her, daß du Brot hast?« Worauf er antwortete, daß er ein armer Mann aus Bannemin sei, deme der Feind allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel fast lange Frieden gehabt, hätt er sich aufgemacht, daselbsten zu schnurren. »Nun«, sage ich darauf, »du armer Bettlersmann, so teile einem betrübten Diener Christi, der ärmer ist denn du, nur eine kleine Schnede Brot für sein armes Töchterlein ab, denn du sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf, und mein Kind will sterben für Hunger. Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest, ohne dich mein zu erbarmen, wie man sich dein erbarmt hat.« Aber der Bettlersmann wollte mir nichts abteilen, sprechend, daß er selbsten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, maßen die Not in Bannemin noch viel größer sei denn hier, wo wir doch Beeren hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geschlachtet und für Hunger aufgezehretDieses entsetzliche Ereignis führt auch Mieraelius in seiner pommerschen Geschichte an.? Könne mir dahero nicht helfen, und möchte ich selbsten nach dem Lieper Winkel gehen.

Für solche Rede entsatzte ich mich, wie leicht zu erachten, da in unserer Not noch nichts davon vernommen, auch wenig oder gar kein Wanken ist von einem Dorf in das andere, und an Jerusalem gedenkend und schier verzweifelnd, daß uns der Herr heimsuchete wie weiland diese gottlose Stadt, wiewohl wir ihn nicht verraten noch gekreuziget, vergaß ich fast meiner Not und setzte meinen Stecken an, umb fürbaß zu gehen. Doch war ich kaum ein paar Ellen geschritten, als mir der Bettlersmann nachrief, daß ich stehen söllte. Wandte mich dahero wieder, als er mir mit einer guten Schnede Brot, so er aus seinem Quersack geholet, entgegentrat und sprach: »Da! Äwer bedet uck för mi, dat ick to Huse kame, denn wenn se unnerweges rücken, dat uck Brot hebbe, schleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glöwen!»Da! Aber betet auch für mich, daß ich zu Hause komme, denn wenn man unterwegs riechet, daß ich Brot habe, schlägt mich mein eigener Bruder tot, könnt Ihr glauben!« Solliches versprach mit Freuden und kehrete flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Christ zu bringen, so ich in meiner Rocktaschen verborgen. Doch siehe, als ich gegen die Straßen komme, so vom Wege nach Loddin führet (vorhero hatt ich es in meiner Betrübnis übersehen), trauete kaum meinen Augen, als ich alldorten mein Ackerstück, bei sieben Scheffeln groß, begatet, besäet und bestandet antraf, so daß die liebe Roggensaat schon bei eines Fingers Länge lustig aus der Erden geschossen war. Konnte nicht anders gläuben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk fürgespielet, doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen und bliebe Roggen. Und weil den alten Paasch sein Stück so danebenstieß, imgleichen besäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den meinigen geschlossen waren, kunnte gar leicht bei mir abnehmen, daß der gute Kerl solliches getan, anerwogen die andern Stücken allesamt wüste lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß er den Morgensegen nit gewußt, und dem Herrn dankend vor so viel Liebe bei meinen Kapselkindern und ihn brünstiglich anflehend, er wölle mir Kraft und Glauben gewähren, bei ihnen nunmehro auch unverdrossen auszuhalten und alle Kümmernis und Trübsal, so er nach seinem grundgütigen Willen uns ferner auferlegen söllte, williglich zu tragen, lief ich mehr, denn ich ginge, in das Dorf zurücke und auf den alten Paasch seinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben seine Kuh zuhauete, so er für grimmigem Hunger nunmehro auch geschlachtet. »Gott hilf dir«, sage ich, »du frommer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet hast, wie soll ich dir's lohnen?« Aber der alte Mann gab zur Antwort: »Lat He dat man wesen, und bede He man för uns!« Und als ich solliches gerne zusagete und ihn fragete, wie er sein Korn für dem grimmigen Feind geborgen, verzählete er mir, daß er es in der Höhlen im Streckelberge heimlichen versteckt gehabt, nunmehro aber auch all sein Fürrat aufgezehret sei. Inzwischen schnitt er ein groß schön Stück Fleisch dem Tier aus der Lenden und sprach: »Da hett He uck wat, und wenn et all is, kann He noch eis kamen!« Als ich nun mit vielen Danksagungen gehen wöllt, griff mich seine kleine Marie bei der Hand, ein Kindlein bei sieben Jahren, so im Steckelberge das Gratias gebetet, und wollt mit zu meiner Tochter nach der Schulen. Denn da, wie vorbemeldet, mein Kustos in der Pestzeit auch dieses Zeitliche gesegnet, muß sie die paar kleinen Kinder im Dorf informieren, welches aber seit lange unterblieben. Wollt es ihr dahero nicht weigern, obwohl ich gleich besorgete, daß mein Töchterlein das Brot mit ihr teilen würd, angesehen wie das Mägdlein sehr lieb hatte, da es ihre Pate war. Und so geschahe denn auch. Denn als das Kind sahe, daß ich das Brot herfürlangete, schrie es gleich für Freuden auf und begunnte, auf die Bank zu klettern. Daher bekam sie einen Teil von der Schnede, einen Teil unsere Magd, und den dritten Teil steckte mein Töchterlein in den Mund, da ich nichtes haben wollte, sondern sprach, ich verspüre keinen Hunger und wölle warten, bis sie das Fleisch gesotten, welches ich nunmehro auch auf die Bank warf. Da hätte man sehen sollen, welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, schluchzete, hob alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzte mit selbiger in der Stuben und rezitierete nach ihrer Weis dazu allerhand lateinische versus, so sie auswendig wußte. Nun wollte sie uns auch ein recht schön Abendbrot zurichten, da in einer Fleischtonnen, so die Kaiserlichen zerschlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblieben. Ließ sie also ihr Wesen treiben und kratzete etwas Ruß aus dem Schornstein, so ich mit Wasser vermengete, riß alsdann ein fast weißes Blatt aus dem Virgilio und schriebe an den Pastorem Liepensem, Ehre Abraham Tiburtius, daß er um Gottes willen sich wölle unsere Not zu Herzen gehen lassen und seine Kapselleute vermahnen, daß sie uns für dem grimmigem Hungertod schützen und mildtätiglich an Speise und Trank abteilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen gelassen, angesehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß sie seit langer Zeit Friede für dem erschröcklichen Feind gehabt. – Wußte aber nit, womit ich den Brief verschließen söllte, als ich in der Kirchen noch ein wenig Wachs in einem hölzernen Altarleuchter funde, so die Kaiserlichen nicht wert geachtet, daß sie ihn aufhüben, und nur die messingschen mit sich geführt hatten. Mit solchem Brief mußten sich drei Kerls und der Fürsteher Hinrich Seden in ein Boot setzen und nach der Liepe aufmachen.

Eher noch stellte aber meiner alten Ilsen für, so aus der Liepe bürtig war, ob sie nit lieber wöllte mit in ihre Heimat ziehen, maßen sie sähe, wie es stünd, ich ihr auch vors erste keinen Witten an Lohn geben künnte. (Merke: Sie hatten sich ein schön Sümmlein ersparet, angesehen sie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienst gewest, aber das Kriegsvolk hatte ihr allen abgenommen.) Aber ich kunnte sie nicht dazu bringen, sondern sie weinete bitterlich und bate, daß ich sie nur bei der guten Jungfer lassen söllte, so sie schon in der Wiegen gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es sein müßt, möchte sie nur nit verstoßen. Dahero ließ ich sie, und fuhren die andern allein ab.

Unterdes war auch die Suppen gar worden. Doch als wir kaum das Gratias gebetet und zulangen wollten, kamen alle Kindlein aus dem ganzen Dorfe, bei sieben an der Zahl, zur Türe herein und wollten Brot haben, welches sie von meiner Tochter ihrer kleinen Pate gehöret. Da brach selbiger nun wieder das Herze, und obgleich ich sie bate, sich hart zu machen, vertröstete sie mich doch mit der Lieper Botschaft und kellete einem jeden Kindlein sein Teil Suppen auf einen hölzernen Teller (denn diese hatte der Feind nicht geachtet) und stach ihm auch ein wenig Fleisch in die Händeken, so daß unser Fürrat mit einmal aufgezehret ward. Blieben dahero des andern Morgens wieder nüchtern bis gegen Mittag, wo das ganze Dorf sich auf der Wiesen am Ufer versammlet hatte, als das Boot zurückekam. Aber Gott erbarm's, wir hatten fast umbsonst gehoffet! – Nur sechs Brote und ein Hammel, item ein Viert Backäpfel, war allens, was sie hatten. Denn Ehre Abraham Tiburtius schriebe mir, daß, nachdem das Geschrei von ihrem Reichtum über die ganze Insel erschollen, so viel Bettlersleute bei ihnen umbgingen, daß sie ihnen unmöglich gerecht werden könnten, angesehen sie selbsten nicht wüßten, wie es noch mit ihnen in dieser schweren, betrübten Zeit ablaufen würd. Indessen wollte er sehen, ob er noch mehr auftreiben künnte. Ließ also den kleinen Fürrat mit vielem Seufzen in die Widemen tragen, und obgleich zwei Brote, wie Pastor Liepensis schriebe, vor mich allein sein sollten, gabe ich sie doch mit in die Teilung, womit auch alle sich zufrieden stellten, ausgenommen den alten Seden sein gluderäugigt Weib nit, so noch apart für ihren Mann seine Reise etwas haben wollte, was aber, wie leicht zu erachten, nit geschah, weshalben sie wieder, da sie abzoge, etzliche Worte zwischen die Zähne mummelte, die aber niemand nit verstand.

Es war ein schier verrucht Weib, so sich durch Gottes Wort nicht beikommen ließ.

Nun kann aber männiglich von sich selbsten abnehmen, daß solcher Fürrat nit lange aushielt. Da nun zugleich auch bei allen Kapselleuten ein brünstig Verlangen nach der geistlichen Speise sich verspüren ließ, ich selbsten und der Fürsteher aber nur 8 Witten im ganzen Kapsel auftreiben kunnten, so nit auslangeten, umb Brot und Wein anzuschaffen, kam ich auf die Gedanken, abermals dem Herrn Amtshauptmann unsere Not zu vermelden. Mit wie schwerem Herzen ich solliches tat, kann man leicht erachten. Aber Not kennt kein Gebot. Risse dahero auch das Hinterblättlein aus dem Virgilio und bate, ümb der heiligen Dreieinigkeit willen, daß Seine Gestrengen sich meiner und des ganzen Kapsels gemeine Not wöllte zu Herzen gehen lassen und ein wenig Geld hergeben, zum Trost der betrübten Seelen das heilige Sakrament zu halten, auch, wo müglich, einen Kelch zu kaufen, so er auch nur von Zinne sein söllte, sintemalen der Feind die fürhandenen geraubet und ich sonsten gezwungen wär, das heilige Nachtmahl in einem Topf zu konsakrieren. Item möcht er sich auch unserer leiblichen Not erbarmen und mir endiglichen mein seit so viel Jahren hinterstelliges Mistkorn verabreichen. Wöllte es nicht allein vor mich selbsten haben, sondern es gern mit dem ganzen Kapsel teilen, bis der grundgütige Gott mehr bescheren würd.

Hierzwischen fiel mir aber ein stattlicher Klecks auf das Papier. Denn da die Fenster mit Brettern verspundet waren, ware das Zimmer dunkel, und nur ein wenig Licht kam durch zwei kleine Scheiblein Glas, so ich aus der Kirchen gebrochen und hineingesetzt. Solliches mochte wohl die Ursache sein, daß ich mich nit besser fürsah. Da ich aber kein neues Stücklein Papier mehr auftreiben kunnte, ließ ich es passieren und befahle der Magd, so ich mit dem Brieflein gen Pudagla sandte, solliches bei Sr. Gestrengen, dem Herrn Amtshauptmann, zu entschuldigen, welches sie auch zu tun versprach, angesehen ich selbsten kein Wörtlein mehr auf dem Papier beisetzen kunnte, dieweil alles beschrieben war. Siegeln tät ich es wie vorbemeldet.


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