Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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19. Kapitel

Wie der leidige Satan unter des gerechten Gottes Zulassung uns ganz zu unterdrücken beflissen und wir alle Hoffnung fahrenlassen

Selbigen Tages, wohl um 3 Uhren, nachmittags, als ich zu dem Krüger Conrad Seep gangen war, umb doch etwas zu genießen, anerwogen ich nunmehro in zwei Tagen nichts nicht in meinen Mund bekommen denn meine Tränen, er mir auch etwas Brot und Wurst benebst einer Kannen Bier fürgesetzet, trat der Büttel ins Zimmer und grüßete von dem Amtshauptmann, ohne daß er seine Küsse anrührete, ob ich nicht wölle bei Sr. Gestrengen das Mittagsmahl speisen. Se. Gestrengen hätt es nicht gleich beachtet, daß ich wohl noch nüchtern wär, dieweil das Verhör so lange gezögert. Ich gab hierauf dem Büttel zur Antwort, daß ich mir allbereits, wie er wohl einsäh, mein Mittagsbrot hätte verabreichen lassen und mich bei Se. Gestrengen bedankete. Darüber verwunderte sich der Kerl und gab zur Antwort, ob ich nicht säh, wie gut es Se. Gestrengen mit mir vermeinete, wiewohl ich ihn wie einen Juden abgekanzelt. Söllte doch an mein Töchterchen denken und nachlässig gegen Sr. Gnaden sein, so könnte vielleicht noch allens gut ablaufen. Denn Sr. Gnaden wäre nicht ein so grober Esel als Dn. Consul und hätt es gut mit mir und meim Kind im Sinn, als einer rechtschaffenen Obrigkeit geziemete.

Als ich nun mit Mühe den dreusten Fuchs loswerden, versuchete ich, ein wenig zu genießen, aber es wöllte nicht herunter bis auf das Bier. Saß dahero bald wieder und sanne, ob ich mich bei Conrad Seep einmieten wöllte, umb immer umb mein Kind zu sein, item ob ich M. Vigelio, dem Pfarrherrn zu Benz, nicht wöllte meine arme und verführte Gemeind übergeben, solange mich der Herr noch in Versuchung hielte. Da wurd ich wohl nach einer Stunden durchs Fenster gewahr, daß ein lediger Wagen für das Schloß gefahren kam, auf welchen alsobald der Amtshauptmann und Dn. Consul mit meinem Töchterlein stiegen, item der Büttel, so hinten aufhockte. Ließ dannenhero allens stehn und liegen und lief zu dem Wagen, demütig fragend, wohin man mein arm Kind zu führen gesonnen? Und als ich hörete, daß sie in den Streckelberg wollten, umb nach dem Bernstein zu sehen, bat ich, daß man mich müge mitnehmen und bei mein Kind sitzen lassen, wer wüßte, wie lange ich noch bei ihr säß.

Solches wurde mir auch verstattet, und bote mir der Amtshauptmann unterweges an, daß ich könnte im Schloß meine Wohnung aufschlagen und an seinem Tisch speisen, solange mir geliebte, wie er auch meim Töchterlein alle Tage von seinem Tisch schicken würd. Denn er hätte ein christlich Herze und wüßte ganz wohl, daß wir sollten unserm Feinde verzeihen. Vor solche Freundschaft bedankete mich aber untertänigst, wie mein Töchterlein auch tat, anerwogen es uns jetzunder noch nit so arm erginge, umb uns nicht selbsten unterhalten zu können. Als wir vor der Wassermühlen vorbeikamen, hatte der gottlose Knappe wieder den Kopf durch ein Loch gestecket und schnitt meinem Töchterlein ein schiefes Maul. Aber, Lieber, es sollt ihm aufgedruckt werden! Denn der Amtshauptmann winkete dem Büttel, daß er den Buben herausholen mußte, und nachdeme er ihm seinen doppelten Schabernack, so er gegen mein Kind bewiesen, fürgehalten, mußte der Büttel den Kutscher seine neue Peitsche nehmen und ihme 50 Prügel aufzählen, die weiß Gott nicht aus Salz und Wasser waren. Er brüllete letzlich wie ein Ochse, welches aber niemand vor dem Rumor der Räder in der Mühlen hörete, und da er sich stellete, als könnte er nicht mehr gehen, ließen wir ihn auf der Erden liegen und fuhren unsrer Straßen.

In Ückeritze lief auch viel Volks zusammen, als wir durchkamen, so sich aber ziemlich geruhsam hielte, ohn allein einen Kerl, so, salva venia, in den Weg hoffierete, als er uns kommen sah.Entweder wohl um seine Verachtung auszudrücken oder aus einem abergläubischen Bewegungsgrund. Der Büttel mußte auch wieder abspringen, kunnte ihn aber nicht einholen, und die andern wollten ihn nicht verraten, sondern gaben für, sie hätten nur auf unsern Wagen gesehen und es nicht beachtet. Kann auch immer wahr sein! Und will es mir dahero fürkommen, daß es der leidige Satan selbsten gewest, umb über uns zu spotten, denn merke umb Gottes willen, was uns im Streckelberg begegnete! Ach, wir kunnten durch Verblendung des bösen Feindes die Stelle nicht wiederfinden, wo wir den Bernstein gegraben. Denn wo wir vermeineten, daß sie sein mußte, war ein großer Berg Sand wie von eim Sturmwind zusammengeblasen, und auch die tännen Zweige, so mein Töchterlein hingedecket, waren weg. Sie ward fast unmächtig, als sie solches sahe, und range die Hände und schrie mit ihrem Erlöser: »Mein Gott, mein Gott, warumb hastu mich verlassen!«

Hierzwischen jedoch mußten der Büttel und der Kutscher graben. Aber es befand sich kein Stücklein Bernstein bei eines Körnleins Größe, worauf Dn. Consul das Haupt schüttelte und mein arm Kind fast hart anschnauzete. Und als ich zur Antwort gab, daß der leidige Satan, wie es den Anschein hätte, uns wohl die Kuhle verschüttet, umb uns ganz in seine Gewalt zu überkommen, mußte der Büttel aus dem Busch einen hohen Staken holen, umb damit noch tiefer zu stoßen. Aber es war nirgends ein hart Objektum zu fühlen, obgleich der Amtshauptmann wie Dn. Consul und ich selbsten in meiner Angst überall mit der Stangen probiereten.

Dannenhero bat mein Töchterlein das Gericht, mit gen Koserow zu kommen, wo sie annoch vielen Bernstein in ihrem Koffer hätte, so sie allhier gefunden. Denn wär es damit Teufelswerk, so würde selbiger auch wohl verwandelt sein, dieweil sie in Erfahrung gezogen, daß alle Geschenke, so der Teufel denen Hexen zu verehren pflege, sich alsobald in Kot oder Kohlen umbwandelten. Aber Gott erbarm's, Gott erbarm's, als wir in Koserow zu gemeiner Verwunderung wieder ankamen und mein Töchterlein an ihren Kasten trat, war alles Zeug darinnen umbgerissen und der Bernstein fort. Sie schrie hierauf so laut, daß es hätte einen Stein erbarmen mögen, und rief: »Das hat der böse Büttel getan! Als er die Salbe aus meinem Koffer geholet, hat er mir elenden Magd auch den Bernstein gestohlen!« Aber der Büttel, so dabeistund, wollte ihr in die Haare fahren und schrie: »Du Hexe, du vermaledeiete Hexe, ist es nit genug, daß du meinen Herrn verleumdet, willtu mich nun auch noch verleumden?« Aber Dn. Consul wehrete ihm, daß er sie nicht anfassen durfte. Item war all ihr Geld fort, so sie sich für heimlich verkauften Bernstein gesparet und, wie sie vermeinete, schon an die 10 Fl. betragen.

Aber ihr Kleid, welches sie bei der Ankunft des durchlautigsten Königs Gustavi Adolphi getragen, wie die güldene Ketten mit dem Konterfei, so er ihr verehret, hatte ich wie ein Heiligtum in meinen Kirchenkasten bei denen Altar- und Kanzeltüchern verschlossen, und fanden wir's auch noch für. Doch als ich solches entschuldigte und sagete, daß ich es hier bis auf ihren Hochzeitstag aufheben wöllen, sahe sie mit starren Augen in den Kasten und rief: »Ja, wenn ich gebrennet werd, o Jesu, Jesu, Jesu!« – Hier schudderte sich Dn. Consul und sprach: »Sieh, wie du immerdar dich mit deinen eigenen Worten schlägest. Umb Gottes und deiner Seligkeit willen bekenne, denn wenn du dich unschuldig befindest, wie kannstu daran denken, daß du brennen sollt.« Aber sie schauete ihm noch immer starr in die Augen und hube an, auf lateinisch auszurufen: »Innocentia, quid est innocentia? Ubi libido dominatur, innocentiae leve praesidium est!«»Unschuld, was ist Unschuld? Wo die Begierde gebietet, da hat die Unschuld eine schwache Schutzwehr!« – Worte von Cicero, wenn ich nicht irre.

Hier schudderte sich Dn. Consul abereins also, daß ihm der Bart wackelte, und sprach: »Was, kannstu in Wahrheit Lateinisch? Wo hastu das Lateinische gelernet?« Und als ich solche Frage ihm beantwortet, soviel ich für Schluchzen dazu imstande war, schüttelte er sein Haupt und sprach: »Habe im Leben nicht vernommen, daß ein Weibsbild Lateinisch kann.« Hierauf fiel er vor ihrem Kasten auf die Knie und suchete alles darinnen durch, rückete ihn darauf von der Wand, und als er nichts gefunden, ließ er sich ihr Bette zeigen und machte es damit auch so. Solches verdroß letzlich den Amtshauptmann und fragete ihn, ob sie nicht wieder fahren wöllten, inmaßen es sonsten Nacht würde? Aber er gab zur Antwort: »Nein, ich muß erst den PackzeddulMan stand nämlich in dem Wahn, daß wie der Mensch dem Teufel, so der Teufel dem Menschen sich handschriftlich verpflichte. haben, so ihr der Satan gegeben!« und fuhr fort, überall umbherzusuchen, bis es fast dunkel war. Aber sie fanden nichtes nicht, wiewohl Dn. Consul samt dem Büttel in der Küchen wie im Keller kein Plätzlein verschoneten. Darauf stiege er brummend wieder auf den Wagen und befahl, daß mein Töchterlein sich so setzen mußte, daß sie ihne nicht ansäh. Und hatten wir jetzunder mit der vermaledeieten Hexen, der alten Lise Kolken, wieder dasselbige Spektakulum, angesehen sie wieder in ihrer Türen saß, als wir vorbeifuhren, und aus voller Kehlen »Herr Gott, dich loben wir!« anstimmte. Quäkete aber wie ein angestochen Kalb, so daß es Dn. Consul verwunderte, und nachdem er vernommen, wer sie wäre, fragete er den Amtshauptmann, ob er sie nicht gleich wölle durch den Büttel aufgreifen und hinten an den Wagen binden lassen, umb nachzulaufen, da wir keinen Platz mehr vor sie hatten. Denn er hätte nun schon oftmalen in Erfahrung gezogen, daß alle alte Weiber, so rote Gluderaugen und eine finnige Kehle hätten, auch Hexen wären, unangesehen, was Rea Verdächtiges gegen sie aussaget. Aber er gab zur Antwort, daß er solches nit tun könne, dieweil die alte Lise ein unbescholten und gottefürchtig Weibsbild wäre, wie Dn. Consul anjetzo auch selbsten hören künnte. Doch hätte er sie auf morgen mit den andern Zeugen fordern lassen.

Ja wahrlich, ein schön gottesfürchtig Weibsbild! Denn wir waren kaum aus dem Dorf, als ein also schwer Wetter einbrach mit Donner, Blitze, Sturm und Hagel, daß rund umb uns das Korn zu Boden geschlagen wurde wie von eim Drescher und die Pferde fast wild für dem Wagen wurden; währete aber nit lange. Doch mußte mein arm Töchterlein auch wieder die Schuld tragen, inmaßen Dn. Consul vermeinete, daß nicht die alte Lise, wie es doch so klar wie die Sonne ist, sondern mein arm Kind dies Wetter gemacht.Denn die Entstehung von dergleichen plötzlichen Ungewittern schrieb man auch den Hexen zu. Denn, Lieber, sage, was hätt es ihr nutzen können, wenn sie auch die Kunst verstanden? Aber solches sahe Dn. Consul nicht ein, und der leidige Satan sollte unter des gerechten Gottes Zulassung es alsobald noch ärger mit uns machen. Denn wir waren allererst an den HerrendammFührt bis auf den heutigen Tag diesen Namen und ist eine Viertelmeile von Koserow entfernt. kommen, als er wie ein Adebar über uns angefahren kam und eine Pogge also exakt von oben niederwarf, daß sie meim Töchterlein in den Schoß fiel. Selbige schrie hell empor, aber ich bliese ihr ein, stille zu sitzen, und wollte die Pogge heimlich bei eim Fuß vom Wagen werfen.

Aber der Büttel hatte es gesehen und rief: »Herrje, herrje, kiekt, de verfluchte Hex, wat schmitt ihr de Düwel in den Schoot?« Worauf sich der Amtshauptmann und Dn. Consul umbsahen und befunden, wie ihr ein Pogge in den Schoß kroch, so der Büttel aber zuvor erst dreimal anbliese, ehe er sie aufhub und den Herren zeigete. Davor bekam Dn. Consul das Speien und befahl, nachdem es fürüber, dem Kutscher stillezuhalten, stieg vom Wagen und sagete, wir söllten nur nach Hause fahren, ihm wäre übel, und wölle er zu Fuß nachlaufen, ob es besser werden möchte. Zuvor aber bliese er noch dem Büttel heimlich ein (wie wir aber deutlich verstanden), er sölle alsogleich, wenn er zu Haus käm, mein arm Kind, jedoch menschlich, anschließen, worauf weder sie noch ich für Tränen und Schluchzen antworten konnten. Aber der Amtshauptmann hatte es auch gehöret, was er sagte, und als wir ihn nit mehr sehen konnten, hub er an, meim Töchterlein von hintenzu die Wangen zu streicheln; sie sölle nur zufrieden sein, er hätte auch noch ein Wörtlein dazwischenzureden, und der Büttel solle sie noch nicht schließen. Sie möge aber doch aufhören, gegen ihn sich also hart zu gebärden wie bishero, und übersteigen, bei ihm auf sein Bund sitzen gehen, damit er ihr heimlich einen guten Rat geben könne, was zu tun wäre. Hierauf gab sie mit vielen Tränen zur Antwort, sie wölle nur bei ihre Vater sitzen bleiben, inmaßen sie nit wüßte, wie lange sie noch bei ihm säß, und bäte sie um nichtes mehr, denn daß Se. Gestrengen sie möge in Frieden lassen. Aber solches tat er nicht, sondern druckete sie mit seinen Knien in den Rücken und in die Seiten, und da sie solches litte, weilen es nicht zu ändern stund, wurd er dreuster und nahm es für ein gut Zeichen. Hierzwischen schrie aber Dn. Consul dicht hinter uns (denn dieweilen ihn grauete, trottierete er dicht hinter dem Wagen): »Büttel, Büttel, kommt geschwinde her, allhier liegt ein Schweinsigel mitten im Weg!« Worauf der Büttel auch vom Wagen sprang.

Solches aber machte den Amtshauptmann noch dreuster, und stund letzlich mein Töchterlein auf und sprach: »Vater, wir wollen auch zu Fuß gehen, ich kann mich vor ihme hier hinten nit mehr bergen!« Aber er riß sie beim Kleid wieder nieder und rief zornig: »Warte, du boshafte Hex, ich werde dir helfen zu Fuß gehen! Willtu also, so solltu in Wahrheit noch diese Nacht an den Block!« Worauf sie zur Antwort gab: »Tu Er, was Er nicht lassen kann. Der gerechte Gott wird hoffentlich auch einst mit ihm tun, was er nicht lassen kann!«

Hierzwischen aber waren wir beim Schloß ankommen und kaum vom Wagen niedergestiegen, als Dn. Consul, so sich einen guten Schwitz gelaufen, auch mit dem Büttel anlangete und diesem sogleich mein Kind übergab, so daß ich ihr kaum noch valedizieren konnte. Blieb also händeringend im Dunklen auf der Dielen stehn und horchete, wohin sie gingen, alldieweil ich nicht das Herz hatte nachzufolgen, als Dn. Consul, so mit dem Amtshauptmann in ein Zimmer getreten war, wieder aus der Türen schauete und dem Büttel nachrief, Ream noch einmal wieder anherzubringen. Und als er solches tät und ich mit in das Zimmer trate, hielt Dn. Consul einen Brief in der Hand, und nachdem er dreimal ausgespucket, hub er an: »Willstu noch leugnen, du versteckte Hex? Horch mal zu, was der alte Ritter Hans von Nienkerken an das Gerichte schreibt!« Und hierauf las er uns für, daß sein Sohn also verstürzt sei über die Sage, so die vermaledeiete Hexe auf ihn getan, daß er von Stund an krank worden wäre, und ihme, dem Vater, ginge es auch nicht besser. Sein Sohn Rüdiger wäre wohl einigemal, wenn es der Weg so gefüget, beim Pastore Schweidler eingekehret, mit dem er auf einer Reise Kundschaft gemachet, schwüre aber, daß er schwarz werden wölle, wenn er jemalen mit der verfluchten Teufelshuren, seiner Tochter, irgendeine Kurzweil oder Narreteiding betrieben, geschweige nachts auf dem Berg gewest wäre und sie dort umbhalset hätte.

Auf solche erschröckliche Botschaft fielen wir beide (verstehe: mein Töchterlein und ich) zu gleicher Zeit in Unmacht, angesehen wir auf den Junker annoch unsere letzte Hoffnung gesetzet, und weiß ich nicht, was man weiters mit mir fürgenommen. Denn als ich wieder bei mir kam, stund der Krüger Conrad Seep über mir und hielt mir einen Trichter zwischen den Zähnen, in welchen er mir eine Biersuppen einkellete, und hatte ich mich niemalen elender in meinem Leben befunden, wannenhero Meister Seep mich auch wie ein klein Kindlein ausziehen und zu Bette bringen mußte.


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