Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe Maria Schweidler
Wilhelm Meinhold

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26. Kapitel

Wie ich mit meinem Töchterlein und der alten Magd das heilige Abendmahl genieße und sie darauf mit dem blanken Schwert und dem Zetergeschrei zum letzten Mal vor Gericht geführet wird, umb ihr Urteil zu vernehmen

Nun sollte wohl männiglich judizieret haben, daß ich in der schweren Dienstagsnacht kein Auge zugetan, aber Lieber, hier siehstu, daß der Herr mehr tun kann, denn wir bitten und verstehen, und seine Barmherzigkeit alle Morgen neu ist. Denn ich schlief wieder umb die Morgenzeit ganz geruhlich ein, als hätte ich keine Sorge mehr auf meim Herzen. Und als ich aufwachete, kunnte ich auch wiederumb so wacker beten, als ich lange nicht gekonnt, so daß ich in aller meiner Trübsal für Freuden weinete über solche Gnade des Herrn. Doch betete ich nun nichtes, als daß er meinem Töchterlein wölle Kraft und Stärke verleihen, ihr Martertum, so er ihr auferleget, in christlicher Geduld zu ertragen, mir Elenden aber einen solchen Schmerzensstich durch seinen Engel in mein Herze zu geben, wenn ich mein Töchterlein brennen säh, daß es alsofort stillestünd und ich ihr folgen künnte. Also betete noch, als die Magd in ihrem schwarzen Putz hereintrat, mit meines Lämmeleins seidin Zeug auf ihrem Ärmel, und mit vielen Tränen vermeldete, daß das Armesünderglöcklein vom Schloßturm schon zum ersten Male geläutet, auch mein Töchterlein nach ihr geschicket, umb sie anzuputzen, dieweil das Gerichte aus Usedom allbereits angelanget und sie umb zween Stunden schon ihren letzten Gang tun würde. Auch ließe sie ihr sagen, daß sie ihr Blümekens, blau und gelb von Farb, zu einem Kranz mitbringen möge, fragete dannenhero, was für Blümekens sie nehmen sölle. Und dieweil für dem Fenster ein Topf mit Feuerlilien und Blauäugeleins stunde, so sie mir gestern hereingesetzet, sprach ich: »Du kannst keine besseren Blümekens vor sie pflücken, denn diese seind, darum bringe ihr solche und sage ihr, daß ich um eine halbe Glockenstunden dir nachkommen würde, umb mit ihr das Nachtmahl zu genießen. Hierauf bat die alte treue Person, daß sie mit zum Nachtmahl gehen müge, was ich ihr auch versprach. Und hatte ich mich kaum verkleidet und meinen Chorrock angezogen, als Pastor Benzensis auch schon in die Türe trat und mir stumm wie ein Fisch umb meinen Hals fiel und weinete. Als er die Sprache wieder gewunn, verzählete er von einem großen Mirakulum (verstehe: Daemonis), so beim Begräbnis der alten Lisen sich ereignet. Denn als die Träger den Sarg hätten in die Grube hinunterlassen wöllen, hätt es also laut in selbigem rumort, als wenn ein Tischler ein tännen Brett bohret. Hätten also gegläubet, die alte Vettel wäre wieder aufgelebet, und den Sarg wiederumb aufgemachet. Aber sie wäre noch gelegen wie sonst, braun und blau von Farb und kalt wie ein Eis, doch wären ihr ihre Augen offengangen gewest, so daß männiglich sich entsetzet und einen Teufelsspök vermutet, als denn auch gleich darauf eine lebendige Ratte aus dem Sarg gesprungen und in einen Totenkopf gefahren wäre, der am Grabe gelegen. Nunmehro wäre allens fortgelaufen, dieweil die alte Lise von jeher in eim bösen Geschrei gewest, bis er selbsten letzlich wieder an das Grab getreten, worauf die Ratte verschwunden gewesen und nunmehro die andern auch wieder einen Mut bekommen hätten. Also verzählete der Mann, und wird man nun leichtlich schließen, daß dies in Wahrheit Satanas gewest, so die Gestalt einer Ratten gehabt. Ich entsatzte mich nicht wenig für seiner Rede und fragete ihn, was er nunmehro von dem Amtshauptmann gläube? Hierauf zuckete er mit seinen Achseln und sprach, selbiger wäre, solange er denken könne, ein böser Bube gewesen, hätte ihm inner 10 Jahren auch sein Mistkorn nicht mehr geliefert, doch daß er en Hexer wäre, wie die alte Lise gesagt, gläube er nicht. Denn wiewohlen er bei ihm noch gar nicht zu Gottes Tisch gewest, hätt er doch vernommen, daß er in Stettin oftermalen mit Se. Fürstlichen Gnaden, dem Herzogen, hingegangen und ihme der Pastor an der Schloßkirchen solches selbsten durch sein Kommunionbuch dokumentieret. Dannenhero könne er auch unmöglich gläuben, daß er mein Töchterlein sölle unschuldig in ihr Elend stürzen, wie die Vettel gesaget. Auch hätte mein Töchterlein sich ja gutwillig für eine Hexe ausgeben. Hierauf gab ich zur Antwort, daß sie es aus Furcht vor der Marter getan, sonst, ihren Tod anlangend so scheue sie selbigen nicht. Worauf ich ihm mit vielen Seufzern berichtete, wie der Amtshauptmann gestern mich elenden und ungläubigen Knecht zum Bösen gereizet, daß ich schier willens gewest, mein einzig Kind ihme und dem Satan zu verkaufen, und nicht würdig wäre, heute das Sakrament zu empfahen. Wie mein Töchterlein aber einen viel steiferen Glauben denn ich gehabt, was er aus ihrem Schreiben sehen könnte, so ich annoch in der Taschen hätte. Gab es ihn also in seine Hand, und nachdeme er es gelesen, seufzete er nicht anders denn ein Vater und sprach: »Wäre es müglich, so könnte ich für Schmerz in die Erde sinken, aber kummet, kummet, mein Bruder, auf daß ich ihren Glauben selbsten sehe!«

Und gingen wir nunmehro auf das Schloß; doch stand unterweges auf dem Brink vor dem Förster, item umb das Schloß, schon allens voller Menschen, so aber sich annoch geruhsam verhielten, als wir fürübergingen. Meldeten uns also wieder bei dem Jäger (seinen Namen habe ich niemals behalten mügen, dieweil er ein Pole war, doch war er ein andrer als der Kerl, welcher mein Töchterlein freien sollte und den der Amtshauptmann weggejaget), welcher uns alsofort in ein schön groß Zimmer brachte, wohin mein Töchterlein schon aus dem Gefängnis abgeholet war. Auch hatte die Magd sie allbereits geputzet, und war sie so schön als ein Engel anzusehen. Hatte die güldene Ketten mit dem Konterfei wieder umb ihren Hals, item den Kranz in ihren Haaren, und lächelte, als wir hineintraten, sagend: »Ich bin bereit!« – Hierfür entsatzte sich aber Ehre Martinus und sprach: »Ei, du gottlos Weibsbild, nun sage mir niemand mehr von deiner Unschuld! Du willst zum Nachtmahl und nachgehende zum Tode gehen und stolzierest einher als ein Weltkind, so auf den Tanzboden trottieret?« Hierauf gab sie zur Antwort: »Verdenk Er's mir nicht, Herr Pate, daß ich in demselbigen Putz, in welchem ich letzlich für den guten schwedischen König getreten, auch will für meinen guten himmlischen König treten. Solches stärket mein schwaches und verzagtes Fleisch, angesehen ich hoffe, daß der treue Heiland mich auch so an sein Herz nehmen und mir sein Konterfei umbhängen wird, wenn ich demütig die Hände zu ihm ausstrecke und ihm mein Carmen aufsage, welches lautet: ›O Lamm Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet, gib mir deinen Frieden, o Jesu!« Solches erbarmte meinen lieben Gevatter, und er sprach: »Ach Pate, Pate, ich wollte dir zürnen, und du zwingest mich, mit dir zu weinen, bistu denn unschuldig?« – »Ja«, sprach sie, »Ihme, Herr Pate, kann ich's wohl sagen: Ich bin unschuldig, so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Not durch Jesum Christum. Amen.«

Als dieses die Magd hörete, erhube sie ein so großes Geschreie, daß es mir leid wurde, daß ich sie mitgenommen, und hatten wir alle sie genug aus Gotts Wort zu trösten, bis sie wieder in etwas geruhlich wurde. Und als solches beschehen, sprach mein lieber Gevatter: »Wenn du so hoch deine Unschuld beteurest, muß ich solches zuvor dem Gericht auf mein priesterlich Gewissen vermelden!« und wollte aus der Türen. Aber sie hielt ihn feste und fiel zur Erden und umklammerte seine Füße und sprach: »Ich bitte Ihne umb die Wunden Jesu, daß Er schweiget! Sie werden mich auf die Folter strecken und meine Scham blößen, und ich elendes, schwaches Weib werde allens in solcher Marter bekennen, was sie wöllen, zumalen wenn mein Vater wieder dabei ist, und mir also Leib und Seele zusammen gemartert wird. Darumb bleib Er, bleib Er! Ist es denn ein Unglück, unschuldig zu sterben, und nicht besser unschuldig denn schuldig?«

Solches versprach mein guter Gevatter letzlich, und nachdeme er eine Zeit gestanden und vor sich gebetet, wischte er sich seine Tränen ab und hielt nunmehro die Vermahnung zur Beichte über Jesajas 43, V. 1 und 2: »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! So du ins Feuer gehest, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht anzünden, denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige in Israel, dein Heiland.«

Und als er seine tröstende Ansprach geendiget und sie nunmehro fragete, ob sie auch williglich bis zur letzten Stunde das Kreuz tragen wölle, so der barmherzige Gott ihr nach seinem unerforschlichen Willen auferleget, sprach sie die schönen Worte, von welchen mein Gevatter nachgehende sagte, daß er sie in seinem Leben nicht vergessen würde, dieweil er niemalen eine also gläubige, freudige und dennoch hochbetrübte Gebärde gesehen. Sie sprach aber: »O heiliges Kreuz, welches mein Jesu mit seinem unschuldigen Leiden geheiliget, o liebes Kreuz, welches von der Hand eines gnädigen Vaters mir auferleget wird, o seliges Kreuz, durch welches ich meinem Jesu gleichgemacht und zur ewigen Herrlichkeit und Seligkeit gefördert werde, was sollt ich dich nicht willig tragen, du süßes Kreuz meines Bräutigams und Bruders!«

Kaum hatte Ehre Martinus uns darauf die Absolution und nachgehende das heilige Sakrament mit vielen Tränen gereichet, als wir auch schon einen großen Tumult auf der Dielen vernahmen und gleich darauf der dreuste Büttel zur Türen hereinschauete und fragete, ob wir fertig wären, alldieweil Ein ehrsam Gericht schon auf uns warte. Und als er solches vernommen, wollte mein Töchterlein erstlich von mir ihren Abschied nehmen, was ich ihr aber wehrete und sprach: »Nicht also, du weißt, was du mir versprochen: Wo du hingehest, da will ich auch hingehen, wo du bleibest, da bleibe ich auch, wo du stirbst, da sterbe ich auch,Buch Ruth I, V. 16. so anders der Herr, wie ich hoffe, die brünstigen Seufzer meiner armen Seelen erhöret.« Darumb ließ sie mich fahren und umbhalsete nur die alte Magd und dankete ihr für alles Gute, so sie ihr von Jugend auf getan, und bate, daß sie nicht mitgehen und ihr ihren Tod durch ihr Geschreie noch mehr verbittern wölle. Die alte, treue Person kunnte lange nicht für ihren Tränen zu Worte kommen. Letzlich aber bat sie mein arm Töchterlein um Vergebung, daß sie selbige auch unwissend angeklaget, und sagte, daß sie ihr für ihr Lohn an die 5 Ließpfund Flachs gekaufet, damit sie bald von ihrem Leben käm. Solches hätte heute morgen schon der Schäfer von Pudagla mit gen Koserow genommen, und sölle sie es sich recht dicht umb ihren Leib legen, dieweil sie gesehen, daß die alte Schurnsche, so in der Liepen gebrennet wäre, viele Qual ausgestanden von wegen dem nassen Holz, ehebevor sie zu Tode kommen.

Doch ehnder ihr mein Töchterlein noch danken kunnte, begunnte das erschreckliche Blutgeschrei im Gerichtszimmer, denn eine Stimme schrie, so laut sie konnte: »Zeter über die vermaledeiete Hexe Maria Schweidlerin, daß sie von dem lebendigen Gotte abgefallen!« Und alles Volk draußen schrie nach: »Zeter über die vermaledeiete Hexen!« Als ich solches hörete, fiel ich gegen die Wand, aber mein süßes Kind strakete mir mit ihren süßen Händeleins meine Wangen und sprach: »Vater, Vater, gedenket doch, daß das Volk über den unschuldigen Jesum auch ›Kreuzige, kreuzige!‹ geschrien, sollten wir den Kelch nicht trinken, den uns unser himmlischer Vater gegeben hat?«

Nunmehro ging auch schon die Türe auf, und trat der Büttel unter eim großen Tumult des Volkes herein, ein blankes, scharfes Schwert in seinen Händen tragend, neigete es dreimal vor meinem Töchterlein und schrie: »Zeter über die vermaledeiete Hexe Maria Schweidlerin, daß sie von dem lebendigen Gotte abgefallen!« Und alles Volk auf der Dielen und draußen schrie ihm nach, so laut es kunnte: »Zeter über die vermaledeiete Hexe!«

Hierauf sprach er: »Maria Schweidlerin, komm für ein hochnotpeinliches Halsgericht!« Worauf sie ihme mit uns beiden elenden Männern folgete (denn Pastor Benzensis war nicht weniger geschlagen als ich selbsten), die alte Magd aber blieb für tot auf der Erden liegen.

Und als wir uns mit Not durch das viele Volk durchgedränget, blieb der Büttel vor dem offenen Gerichtszimmer stehen, senkete abermalen sein Schwert vor meim Töchterlein und schrie zum dritten Mal: »Zeter über die vermaledeiete Hexe Maria Schweidlerin, daß sie von dem lebendigen Gotte abgefallen!« Und alles Volk, wie die grausamen Richter selbsten, schrien nach, so laut sie kunnten: »Zeter über die vermaledeiete Hexe!«

Als wir nunmehro ins Zimmer traten, fragete Dn. Consul erstlich meinen Herrn Gevatter, ob die Hexe bei ihrem freiwilligen Bekenntnis in der Beichte verblieben, worauf er nach kurzem Besinnen zur Antwort gabe, man müge sie selbsten fragen, da stünde sie ja. Selbiger sprach also, ein Papier in seine Hand nehmend, so vor ihm auf dem Tische lag: »Maria Schweidlerin, nachdem du deine Beichte getan und das heilige hochwürdige Sakrament des Abendmahls empfangen, so gib mir noch mal Antwort auf folgende Fragen:

  1. Wahr, daß du von dem lebendigen Gott abgefallen und dich dem leidigen Satan ergeben?
  2. Wahr, daß du einen Geist gehabt, Disidaemonia genannt, der dich umgetaufet und mit welchem du dich unnatürlich vermischet?
  3. Wahr, daß du dem Vieh allerhand Übels zugefüget?
  4. Wahr, daß dir Satanas auf dem Streckelberg als ein haarigter Riese erschienen?«

Als sie dieses alles mit vielen Seufzern bejahete, stund er auf, nahm seinen Stab in eine Hand und ein zwotes Papier in die andere, setzte auch seine Brill auf die Nasen und sprach: »So höre jetzunder dein Urteil.« (Dieses Urteil hab ich mir abgeschrieben, die anderen Akta wollte er mir aber nicht überlassen, sondern gab für, daß sie in Wolgast lägen, und lautete selbiges also:) »Wir zu einem hochnotpeinlichen Halsgericht verordnete Amtshauptmann und Schöppen:

Nachdem Maria Schweidlerin, des Pastoren zu Koserow Abraham Schweidleri Tochter, nach angestellter Inquisition wiederholentlich das gütliche Bekenntnis abgeleget, daß sie einen Teufel habe, Disidaemonia genennet, der sie in der Sehe umbgetaufet und mit dem sie sich fleischlich und unnatürlich vermischet, item daß sie durch selbigen dem Vieh Schaden zugefüget, er ihr auch auf dem Streckelberg als ein haarigter Riese erschienen, erkennen und sprechen für Recht, daß Rea ihr zur wohlverdienten Strafe und andern zum Exempel billig mit vier glühnden Zangenrissen an ihren Brüsten zu belegen und nachmals mit dem Feuer vom Leben zum Tode zu bringen sei. Dieweil wir aber, in Betrachtung ihres Alters, sie mit den Zangenrissen aus Gnaden zu verschonen gewilliget, als soll sie nur durch die einfache Feuerstraf vom Leben zum Tode gebracht werden. Inmaßen sie denn dazu hiemit kondemnieret und verurteilt wird. Von peinlichen Rechts wegen.

Publicatum Pudagla zu Schloß, den 30sten mensis Augusti anno salutis 1630.«Leser, welche mit der abscheulichen Gerechtigkeitspflege dieser Zeit nicht bekannt sind, werden sich wundern über dies schnelle und eigenmächtige Verfahren. Allein es liegen mir Original-Hexenprozesse vor, worin ein simpler Notar auf die Folter wie auf den Tod ohne weiteres erkannt hat, und es ist schon als ein Zeichen der Humanität zu betrachten, wenn man die Akten zur Feststellung der peinlichen Frage an eine Universität oder einen fremden Schöppenstuhl versandte. Das Todesurteil scheint dagegen fast immer von den Untergerichten gesprochen zu sein, wobei an Appellation nicht zu denken war. Dabei sputeten und hasteten sich die Herren so unglaublich, wie es hier auch wieder geschieht, daß dies, beiläufig gesagt, die einzige gute Eigenschaft sein möchte, die der neueren Gerechtigkeitspflege von der alten anzuwünschen wäre.

Als er das letzte Wort ausgesprochen, zerbrach er seinen Stab und warf meinem unschuldigen Lämmelein die Stücken vor ihre Füße, indem er zu dem Büttel sprach: »Jetzt tut Eure Schuldigkeit!« Aber es stürzeten so viel Menschen, beides, Männer und Weiber, auf die Erde, um die Stücken des Stabs zu greifen (dieweil es gut sein soll vor die reißende Gicht item vor das Vieh, wenn es Läuse hat), daß der Büttel über ein Weibsbild zu Boden fiel, so vor ihm auf den Knien lag, und ihm also auch von dem gerechten Gott sein naher Tod vorgebildet wurde. Solches beschahe auch dem Amtshauptmann jetzunder zum andernmal, denn da das Gerichte nunmehro aufstand und Tische, Stühle und Bänke umbwarf, fiel ihm ein Tisch, dieweil ein paar Jungen darunter saßen, so sich umb den Stab schlugen, also auf seinen Fuß, daß er in großen Zorn geriet und dem Volk mit der Faust dräuete, daß jeder solle 50 Arschprügel haben, beides, Männer und Weiber, so sie nicht augenblicklich geruhsam wären und aus der Stuben gingen. Solches setzte eine Furcht, und nachdem sich das Volk auf die Straße verlaufen, zog der Büttel ein Seil aus seiner Taschen, womit er meim Lämmelein also ihre Hände auf dem Rücken zusammenbande, daß sie laut zu schreien begunnte; aber dieweil sie sahe, wie es mich wieder an mein Herze stieß, sich alsofort begriff und sprach: »Ach Vater, bedenket, daß es dem lieben Heiland auch nicht besser ergangen!« Dieweil aber mein lieber Gevatter, so hinter ihr stunde, sahe, daß ihre Händelein und absonderlich die Nägel braun und blau worden waren, tät er eine Fürsprache bei Eim ehrsamen Gericht, worauf aber der abscheuliche Amtshauptmann zur Antwort gab: »Ei, lasset sie nur, sie muß fühlen, was es bedeutet, von dem lebendigen Gotte abzufallen!« Aber Dn. Consul war glimpflicher, inmaßen er dem Büttel Befehl gab, nachdem er die Stricke befühlet, sie menschlich zu binden und ein wenig nachzulassen, was selbiger nunmehro auch tun mußte. Hiemit war mein lieber Gevatter aber noch nicht zufrieden, sondern bat, daß man sie müge ohne Bande auf den Wagen setzen, damit sie ihr Gesangbuch gebrauchen könne. Denn er hätte die Schule bestellet, um unterweges ein geistlich Lied zu ihrer Tröstunge zu singen, und wollte sich verbürgen, da er selbsten mitzufahren gesonnen, daß sie nicht von dem Wagen kommen sölle. Im übrigen pflegeten ja auch Kerls mit Forken umb den Wagen der armen Sünder und absonderlich der Hexen zu gehen. Aber solches wollte der grausame Amtshauptmann nit zugeben, dahero es verblieb, wie es war, indeme der dreuste Büttel sie alsbald auch bei ihrem Arm ergriff und aus dem Gerichtszimmer führete. Auf der Dielen aber hatte es einen großen Skandalum, so mir wiederumb mein Herze durchschnitt. Denn die Ausgebersche und den dreusten Büttel sein Weib schlugen sich dort umb meines Töchterleins ihre Betten wie um ihr Alltagszeug, so die Ausgebersche vor sich geholet, das andere Weib aber auch haben wollte.

Selbige rief nunmehro gleich ihren Mann zur Hülfe, welcher auch forts mein Töchterlein fahrenließe und der Ausgeberschen mit seiner Faust also in ihr Maul schlug, daß ihr das Blut daraus herfürging und sie ein grausam Geschrei gegen den Amtshauptmann erhube, welcher mit dem Gericht uns folgete. Selbiger bedräuete sie beide vergeblich und sagte, daß er nachgehends, wenn er wiederkäm, die Sache untersuchen und einem jeglichen seinen Teil geben wölle. – Hierauf wollten sie aber nicht hören, bis mein Töchterlein Dn. Consulem fragte, ob ein jeder, so da stürbe, und also auch ein armer Sünder die Macht habe, sein Habe und Gut zu vermachen, weme er wölle? Und als er zur Antwort gab: »Ja, bis auf die Kleider, so dem Scharfrichter gehören!«, sprach sie: »Gut, so kann der Büttel meine Kleider nehmen, mein Bette aber soll niemand haben denn meine alte, getreue Magd, Ilse geheißen!« Hierauf erhub die Ausgebersche ein lautes Fluchen und Schimpfen gegen mein Kind, welche aber nicht darauf achtete, sondern nunmehro aus den Türen vor den Wagen trat, wo also viel Volks stunde, daß man nichtes sahe denn Kopf an Kopf. Und drängete sich solches alsbald mit solchem Rumor umb uns zusammen, daß der Amtshauptmann, so inzwischen auf seinen Schimmel gestiegen war, dem Volk immer rechtes und linkes mit seiner Reitpeitschen in die Augen hauete, und sie doch kaum weichen wollten. Und als es letztlich doch half und sich an die zehn Kerls mit langen Forken umb unsern Wagen gestellet, so meistenteils auch noch Stoßdegen an ihrer Seiten hatten, hub der Büttel mein Töchterlein hinauf und band sie an den Leiterbaum feste. Mich selbsten hub der alte Paasch hinauf, so dabeistunde, und auch mein lieber Gevatter mußte sich hinaufheben lassen, also schwach war er von allem Jammer worden. Selbiger winkete nunmehro seinem Küster, Meister Krekow, daß er mit der Schulen vor dem Wagen voraufgehen und von Zeit zu Zeit einen Vers aus dem feinen Liedlein »Ich hab mein Sach Gott heimgestellt« anheben sölle, was er auch zu tun versprach. Und will ich annoch notieren, daß ich selbsten mich bei meim Töchterlein auf das Stroh setzte und unser lieber Beichtvater, Ehre Martinus, rückwärts saß. Der Büttel jedoch hockete mit dem bloßen Schwerte hinten auf. Als solches allens beschehen, item das Gericht auf einen andern Wagen gestiegen, gab der Amtshauptmann Befehlig zum Abfahren.


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