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36. Kapitel.

Der Wind wehte günstig, und das Schiff war kein schlechter Segler; darum wurde Kalkutta glücklich in noch nicht viel über drei Wochen erreicht. Kapitän Wagner fand dort passende Ladung, und während seine Leute beschäftigt waren, dieselbe zu stauen, sah er sich nach einem Dampfer um. Leider war keiner zu finden, der für irgendeinen Preis verkäuflich gewesen wäre, denn diejenigen, die im Hafen lagen, waren Eigentum von Regierungen oder Gesellschaften, so daß nicht eigenmächtig über sie verfügt werden konnte. Schon wollte Wagner zweifeln, ob er hier überhaupt seinen Zweck erreichen könne, als ein Engländer auf einem eigenen Steamer ankam und, da er als Offizier hier bleiben wollte, das Fahrzeug zum Verkauf bot

Diese Gelegenheit kam so günstig und unerwartet daß sie von Wagner augenblicklich benutzt wurde. Er untersuchte das Fahrzeug, fand es neu und vortrefflich, kaufte es zu einem nicht zu hohen Preis und behielt das sämtliche Personal in seinem Dienst was diesen Leuten natürlich sehr willkommen war.

Bei den ungeheuren Reichtümern, die in Kalkutta aufgespeichert liegen, den zahlreichen Millionären, die es dort gibt und dem bedeutenden Handel, den man daselbst mit Edelsteinen und Perlen treibt, wurde es dem Grafen nicht schwer, seine Kostbarkeiten so weit zu verkaufen, daß er eine hinreichende Summe in die Hand bekam.

Der Dampfer wurde sogleich bezahlt, verproviantiert und mit Kohlen und allem Nötigen versehen. Auch sich selbst rüsteten die Reisenden aus. Emma erhielt nun wieder Damenkleider, und der Graf gönnte sich und dem treuen Bernardo alle Annehmlichkeiten, auf die zu verzichten sie beide so lange Zeit gezwungen gewesen waren.

Über sein Vorhaben beobachtete er die größte Verschwiegenheit, da man nicht wissen konnte, ob das Gegenteil von nützlichen Folgen sein werde. Nur dem spanischen Konsul vertraute er sich an, der ihn mit Legitimationen und anderen notwendigen Papieren versah und ihm außerdem in jeder Hinsicht förderlich war. Dann endlich konnten die Anker zur rettenden Fahrt gelichtet werden.

Die Hauptsache war, die Lage der einsamen Insel zu wissen. Emma hatte dieselbe zwar so angegeben, wie sie von Sternau bestimmt worden war; aber dieser hatte nicht die nötigen und genauen Instrumente gehabt, und so mußte trotz des Reichtums seiner Kenntnisse seine Angabe eine mangelhafte sein. Es galt also, in der angegebenen Gegend so lange zu suchen und zu kreuzen, bis die Insel gefunden war.

Da jetzt ein glücklicher Passatwind wehte, so ging die Fahrt unter Zuhilfenahme der Segel rasch vonstatten. Es wurden an mehreren Stellen Kohlen eingenommen, und endlich erreichte der Dampfer Ducie, die östlichste der Pomutu-Inseln.

Fünfzehn Grad nach Süden und dreizehn Grad nach Osten von hier, ganz in der Länge der Osterinseln, sollte nach Sternaus Berechnung das Eiland liegen. Kapitän Wagner begann also zu kreuzen. Dies tat er mehrere Tage lang, aber ohne allen Erfolg. Da man hier sehr leicht auf unterirdische Korallenklippen stößt, so mußte man sehr vorsichtig sein, darum gab er des Nachts keinen Dampf und ließ das Schiff vor schleppendem Anker treiben. Auf diese Weise wurde ein doppelter Zweck erreicht, man vermied die Gefahr, aufzulaufen, und man ersparte Kohlen, von denen der Dampfer nur einen entsprechenden Vorrat aufzunehmen vermochte.

Eines Nachts stand Wagner, der jetzt nur am Tag einige Stunden ruhte, auf der hohen Kommandobrücke und musterte den mit glänzenden Sternen besäten Horizont. Neben ihm stand der Graf, das Nachtrohr am Auge. Da machte der Kapitän eine rasche Bewegung und sagte:

»Bitte, Don Ferdinando, lassen Sie mir einmal das Rohr.« – »Hier! Sehen Sie etwas?« fragte der Graf gespannt. – »Hm! Da hinten, ganz am Meer, bemerke ich einen Stern, dessen Licht mir ungewöhnlich erscheint. Fast möchte ich wetten, daß er unter dem Horizont steht.« – »Dann wäre es ja kein Stern.« – »Nein, sondern ein künstliches Licht, eine Flamme.«

Wagner nahm das Rohr an das Auge und blickte lange Zeit forschend hindurch. Endlich setzte er es ab und sagte im Ton bestimmtester Überzeugung:

»Es ist kein Stern.« – »Ah! Vielleicht die Laterne eines Schiffes, das uns entgegenkommt?« – »Nein. Es ist die Flamme eines Feuers, das am Land brennt.« – »Mein Gott, wir nähern uns also einer Insel?« – »Jedenfalls.« – »Und Sie glauben nicht, daß Sie irren, Kapitän?« – »Nein, ich irre nicht Mein Rohr hat mich noch nie betrogen. Zwar weiß ich aus meiner heutigen Rechnung ganz genau, an welchem Punkte wir uns befinden und daß dort auf meiner sonst ausgezeichneten Karte keine Insel verzeichnet ist, aber daraus ist doch nur zu schließen, daß wir uns einer bisher unbekannten Insel nähern.« – »Gott, wenn das die gesuchte wäre.« – »Ich wünsche es von Herzen!« – »Soll ich Señorita Emma wecken?« – »Nein, noch nicht. Sehen Sie jetzt hin. Das Feuer scheint zu verlöschen.«

Der Graf bemerkte auch, daß der Lichtschein langsam zusammensank.

»Vielleicht war es irgendein Meteor, aber kein künstliches Feuer«, sagte er mit bangem Zweifel. – »O nein, es war ein Feuer, von Menschenhänden angebrannt. Sehen Sie, jetzt ist es vollständig verlöscht, während es vor kaum zwei Minuten noch hoch aufloderte. Was würden Sie aus diesem Umstand schließen, Herr Graf?« – »Daß das Brennmaterial ein sehr leichtes ist.« – »Richtig. Und dies paßt ganz auf das gesuchte Eiland. Ein Feuer, das durch Holzstämme oder ein anderes kräftiges Material genährt wird, fällt nicht so schnell zusammen, und Señorita Emma hat uns gesagt, daß Holz da eine Seltenheit ist.« – »Sie wollen also behaupten, daß dort, wo wir das Licht gesehen haben, jetzt Menschen sich befinden?« – Ja.« – »Werden diese unser Licht sehen?« – »Nein. Das Licht war meiner Schätzung nach ungefähr drei Seemeilen von uns entfernt Seine Flamme flackerte hoch, unsere Laterne gibt nur ein kleines, ruhiges Licht.« – »Und wenn sie es bemerken, werden sie es für einen Stern halten?« – »Jedenfalls. Ich werde ihnen aber ein Zeichen geben.«

Wagner befahl nunmehr, einige Raketen steigen zu lassen. Dies geschah, jedoch ohne allen Erfolg.

»Man bemerkt uns nicht«, meinte Wagner. »Hätten sie unser Signal gesehen, so würden sie jedenfalls geantwortet haben, indem sie die Flamme wieder anfachten. Wir werden wohl bis morgen warten müssen.« – »Wer kann dies aber aushalten!« rief der Graf im Ton der Ungeduld. – »Wir, Señor«, antwortete der Kapitän. – »Können wir nicht Dampf geben, um näher zu kommen?« – »Nein. Señorita Emma hat gesagt, daß die Insel von gefährlichen Klippen umgeben ist, vor denen wir uns hüten müssen. Wir haben Windstille, aber einen leichten Seegang von West nach Ost. Infolgedessen treiben wir vor Anker langsam aber stetig weiter und werden bei Tagesgrauen sehen, was wir vor uns haben.«

Der Graf blieb eine Weile ruhig. Als sich aber in ihm die Überzeugung festgesetzt hatte, daß das Ziel endlich erreicht sei, beendete er die entstandene Pause in der Unterhaltung mit der Frage:

»Wollen wir nicht eine Kanone lösen, Kapitän?« – »Ich möchte davon abraten«, entgegnete der Gefragte. – »Warum?« – »Aus mehreren Gründen. Ist diese Insel eine andere als die gesuchte, so sind die Menschen, die da wohnen, wahrscheinlich Wilde, die sich aus Furcht verstecken würden, wenn sie die Schüsse hörten. Überraschen wir sie aber mit Tagesanbruch, so können wir bei ihnen Erkundigungen einziehen, die uns vielleicht nützlich sein werden.« – »Ist es aber dennoch die gesuchte ...« – »So erreichen wir durch die Schüsse nichts weiter, als daß wir den Schlaf dieser armen Leute und auch den von Señorita stören! Dies ist zwar kein stichhaltiger Grund, da er mehr als zur Genüge aufgewogen würde durch die Freude, endlich die ersehnte Rettung nahe zu wissen, aber ich bin ein Egoist, ich möchte diese Leute überraschen.« – »Ah, ich verstehe!« nickte der Graf. – »Ja, und die Señorita auch. Darum werde ich sogar die Laterne auslöschen lassen.«

Wagner gab nun den Befehl dazu und beorderte zugleich einen Mann hinaus in die Sprietwanten, um auf das Geräusch der Wellen zu horchen und vor einer etwaigen Brandung zu warnen.

So verging eine Viertelstunde nach der anderen. Der Kapitän bat den Grafen, endlich sich zur Ruhe zu begeben. Dieser aber konnte sich nicht dazu entschließen. Er wanderte unruhig auf dem Verdeck hin und her. Die Minuten wurden ihm zu Stunden und die Stunden zu Tagen, bis endlich kurz vor Anbruch des Morgens der Ausguck warnte:

»Brandung im Steuer vor uns!« – »Fall ab nach Backbord!« kommandierte der Kapitän.

Das Schiff drehte sich gehorsam nach links und ließ die gefährliche Stelle rechts liegen. Nach einiger Zeit begann es, am östlichen Horizont zu grauen, und wenige Minuten später erkannte man die noch unbestimmten Umrisse einer Insel, die von einem Ring von Korallenklippen umgeben war, durch den es nur eine einzige Pforte zu geben schien. Die See war so ruhig, daß dieser Eingang, wenigstens heute, nicht schwer zu passieren war. Nach einigen Minuten konnte man die Masse der Insel deutlich erkennen. Man bemerkte eine mit Sträuchern bewachsene Höhe, aber keine Spur von einer menschlichen Wohnung, trotzdem diese Sträucher so regelmäßig in Reihen standen, daß anzunehmen war, sie seien auf künstliche Weise gepflanzt worden. Der Graf kam auf die Kommandobrücke herauf und fragte:

»Nun, Kapitän, was denken Sie?«

Seine Stimme zitterte unter einer Erregung, deren er nicht Herr werden konnte.

Da sah ihm der Kapitän ernst und feuchten Blickes in das Auge und antwortete:

»Wir sind am Ziel, Don Ferdinando!« – »Wirklich? Glauben Sie das bestimmt?« rief der Graf in lautem Ton. – »Pst!« warnte Wagner. »Sie werden mir die Señorita wecken!« – »Warum soll sie nicht geweckt werden?« – »Weil ich sie überraschen will. Sie soll die Gefährten an Bord sehen, wenn sie erwacht.« – »Ah, so wollen Sie vorerst ohne sie an das Land?« – »Ja.« – »Aber mich nehmen Sie mit?« – »Das versteht sich ganz von selbst.« – »Aber welche Gründe haben Sie, zu glauben, daß diese Insel die gesuchte ist?« – »Weil sie ganz mit der Beschreibung übereinstimmt, die die Señorita uns von ihr gegeben hat. Ich beginne, auch in nautischer Beziehung alle Achtung vor diesem Sternau zu haben. Er hat trotz des Mangels aller Instrumente die Lage des Eilandes fast ganz genau angegeben. Ich hätte diesen Punkt eher aufsuchen sollen.« – »Ich sehe aber keine Wohnungen!«

Der Kapitän zuckte lächelnd die Achseln und antwortete:

»Sie werden hinter der Anhöhe liegen, wo sie vor den Stürmen geschützt sind. Lassen Sie uns Anker werfen und leise ein Boot aussetzen. Die Bewohner dieses Ländchens werden im tiefsten Morgenschlaf liegen.«

Die Hälfte der Mannschaft, die noch zur Ruhe lag, wurde vorsichtig geweckt, und dann führte man mit möglichster Vermeidung allen Geräusches den Befehl des Kapitäns aus. Er stieg mit dem Grafen und vier Ruderern in das Boot. Die Mannen kannten alle den Zweck der Fahrt und waren begierig, zu erfahren, ob die gesuchte Insel endlich gefunden sei. Sie freuten sich bereits im voraus ganz so, als ob sie eigene Freunde und Verwandte zu entdecken hätten.

Das Boot stieß ab und gelangte glücklich durch die Öffnung der Klippen. Am Strand wurde es angelegt, die Ruderer blieben zurück, während der Kapitän und der Graf langsam und vorsichtig vorwärts schritten.


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