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30. Kapitel.

Der Gouverneur beging mit seinen Eröffnungen über die entflohenen weißen Sklaven eine große Unvorsichtigkeit, denn der Kapitän wurde aufmerksam. Weiße Christen, also Europäer! sagte er sich. Vielleicht galt es hier, ein Bubenstück zu hintertreiben, darum fragte en

»Weißt du, aus welchem Land diese Leute waren?« – »Ja. Man nennt es Espania.«

Espania, also Spanien! Der Kapitän fand seine Vermutung bestätigt.

»Und woher war die Sklavin?« fragte er weiter. – »Das weiß der Sultan nicht.« – »Welche Sprache redet sie?« – »Diejenige, die der eine Gefangene redete. Sie haben den Sultan gebunden und seine ganze Schatzkammer ausgeraubt Sie haben ferner seine Kamele genommen und sind mit zwei Somali entflohen, die jedenfalls ihre Führer und Beschützer gewesen sind. Am anderen Morgen haben die Diener den Sultan gefunden und von seinen Banden befreit« – »Was hat er dann getan?« – »Er hat sogleich eine große Menge Krieger zur Verfolgung ausgesandt« – »Wohin?« – »Nach der Küste, denn die Flüchtlinge hatten keine andere Gelegenheit zu entkommen, als nur durch ein Schiff, das sie zufällig an der Küste treffen konnten. Der ganze Meeresstrand ist besetzt. Der Sultan hat seinen Wesir nach Berbera geschickt, er selbst aber ist zu mir nach Seila gekommen. Er ist sehr mächtig; man muß tun, was er will, sonst würde er sich an uns rächen.« – »Sind die mitgenommenen Schätze groß?« – »Viel Gold, schöne Kleider und Sachen und dann Edelsteine, die viele Millionen kosten. Man kann ein ganzes Land dafür kaufen.« – »So sind die Sklaven wohl entkommen?« – »Nein. Sie haben sich zwar die besten und schnellsten Kamele geraubt und infolgedessen die Küste eher erreicht als ihre Verfolger, doch wissen wir ganz genau, daß sich in der letzten Zeit kein einziges Schiff hat sehen lassen. Es herrschte ein starker Südwind, der für unsere See so gefährlich ist, daß jedes Schiff sie meiden muß, und um ganz sicher zu gehen, habe ich die meisten meiner Schiffe ausgesandt, um zu kreuzen. Sie werden die Flüchtlinge treffen, wenn diese ein Fahrzeug gefunden haben oder noch finden sollten.«

Der Kapitän blickte nachdenklich vor sich nieder. Es ging ihm ein Gedanke durch den Kopf. Die beiden Männer waren Spanier, das Mädchen jedenfalls auch. Wie waren sie in die Hände des als so grausam verrufenen Sultans von Harrar gekommen? Klug, mutig, ja, verwegene und umsichtige Männer waren sie sicher, also wohl nicht von gewöhnlichem Stand. Sie befanden sich jedenfalls in einer höchst schlimmen Lage, und vielleicht war es möglich, sie aus derselben zu befreien. Als Christ und als wackerer, gutmütiger Deutscher fühlte der Kapitän die Verpflichtung zu versuchen, ob er nicht etwas für sie tun könne. Darum fragte er in ziemlich gleichgültigem Ton:

»Und ihr habt gar nichts über sie erforschen können? Ihr habt gar keine Spur von ihnen gefunden?«

Das Gesicht des Gouverneurs nahm einen boshaften Ausdruck an, seine Augen blitzte heimtückisch, und im Ton wilder Befriedigung antwortete er:

»Eine Spur haben wir nicht gefunden, sondern etwas viel Besseres.« – »Was?« – »Sage erst, daß du sie nicht bei dir hast!« – »Nein. Ich habe gar nichts von ihnen gewußt.« – »Ist dies wahr?« – »Vollständig wahr.« – »Kannst du es mir beschwören?« – »Ich schwöre es dir.« – »Gut, ich will dir Glauben schenken und dir also sagen, daß wir einen der beiden Somali gefangen haben, welche die Flüchtlinge begleiten.« – »Ah!« – »Ja. Ich sandte meine Krieger aus, die ganze Küstengegend zu durchforschen. In der Nähe des Elmasberges, da, wo er sich zur See absenkt, fanden sie einen jungen Somali. Sie überraschten ihn, als er an einer Quelle ausruhte. Er fand keine Zeit, zu entfliehen, obgleich er ein ausgezeichnetes Kamel ritt, und wurde gefangen, obgleich er sich wie ein Teufel verteidigte und sogar mehrere meiner Krieger verwundete. Sie fragen ihn aus; er aber antwortete nicht, und auch als sie ihn zu mir hierher nach Seila brachten, hat er mir noch kein Wort geantwortet« – »So weiß er nichts von den Flüchtlingen!« – »O doch! Der Sultan von Harrar hat ihn sogleich erkannt; er ist der jüngere der beiden Somali, die Vater und Sohn waren. Und auch in dem Kamel hat der Sultan eines seiner Tiere erkannt Es ist demselben das Zeichen in die Ohren geschnitten.« – »Ah! So muß man ihn so lange fragen, bis er antwortet.« – Er spricht kein Wort. Aber morgen soll er gemartert werden, bis er redet!« – »Und wenn er lieber stirbt, als daß er spricht?« – »So wird er in die Hölle fahren, und wir wissen nicht was wir tun sollen!« – »Ihr werdet euch vergebens Mühe geben, denn eure Krieger taugen nichts und eure Schiffe noch weniger.« – »Willst du mich beleidigen?« – »Nein. Aber du hast gesehen, daß ich dir und ganz Seila überlegen bin, obgleich wir nur vierzehn Männer sind. Wie wollt ihr die Flüchtlinge fangen, wenn sie ein Fahrzeug gefunden haben? Habt ihr solche Waffen und Kanonen wie ich? Habt ihr ein solches Schiff wie ich, das so schnell segelt, daß ihm kein Flüchtling entkommen kann? Ich wiederhole es: Ihr werdet sie nicht fangen!«

Der Gouverneur blickte nachdenklich zu Boden. Die Gründe des Kapitäns schienen ihm einzuleuchten. Er hatte ja selbst erfahren, wie klug, tatkräftig und umsichtig derselbe aufgetreten war. Darum sagte er zustimmend:

»Ja, wenn wir nur ein solches Schiff hätten, wie das deinige!« – »Ihr habt es aber nicht!« meinte der schlaue Deutsche, ihn heimlich beobachtend. – »Oder so kluge Leute, wie du hast!« – »Ja, auf meine Männer kann man sich verlassen. Ich wollte wetten, daß ich diese Flüchtlinge fangen würde, wenn ich mich damit befassen wollte.« – »Der Sultan hat einen großen Preis auf sie gesetzt Zwanzig starke Kamele mit Kaffee beladen.« – »Himmel! Das ist ja ein Reichtum!«

Über das Gesicht des Arabers glitt ein Zug häßlicher Habgier, und diese nahm seine Klugheit und Vorsicht so gefangen, daß er ausrief:

»Wieviel von diesem Preis verlangst du, wenn es dir gelingt sie zu fangen?« – »Wer sagt dir denn, daß ich Lust habe, mich mit ihnen abzugeben?« – »Du wirst ja den Preis mit gewinnen.« – »Oh, er würde ganz mein sein!« – »Aber du würdest mir doch einen Teil davon geben, da ich es dir ja erst erzählt habe!«

Da stimmte der Deutsche ein sehr gut geheucheltes Lachen an und erwiderte:

»Bah, ich bin reicher als du, ich brauche deinen Kaffee gar nicht!« – »Auch nicht die Kamele?« – »Nein. Ich bin Seemann. Was sollen sie mir nützen!« – »Du kannst sie ja verkaufen.« – »Ich habe dir bereits gesagt, daß ich reich genug bin! Aber ich würde es mir zum Spaß machen, die Entflohenen aufzusuchen.« – »Tue es, tue es!« rief da der Araber, dem es gewaltig in die Augen stach, daß er den ganzen Preis bekommen sollte, ohne dabei etwas tun zu müssen. – »Es geht nicht«, entgegnete der Deutsche im Ton des Bedauerns. »Ich muß hierbleiben, um meine Ladung zu verkaufen.« – »Oh, die hast du in einigen Stunden verkauft, wenn ich es will.« – »Ah! Das ist unmöglich!«

Der Kapitän konnte so etwas nicht glauben, aber wenn es dennoch möglich war, so erwuchs ihm neben dem Erfolg in Beziehung auf die flüchtigen Spanier noch ein zweiter, ungeheurer Vorteil. Darum fragte er:

»Wie willst du dies anfangen?« – »Es sind vier große Karawanen da aus Abessinien, Dankeli, Efat und Gurage. Ich selbst brauche viel, die Bewohner von Seila auch, und der Sultan von Harrar würde sehr viel kaufen, nur daß du fahren könntest.« – »Ich denke, er ist jetzt arm, weil ihm der Schatz geraubt worden ist?« – »Er hat viel Silber bei sich, das die Spanier nicht mitgenommen haben. Auch hat er den Bewohnern von Harrar alles Geld genommen. Was ihnen gehört, ist sein Eigentum, und er braucht ja viel Gold und Silber, um die Verfolgung bezahlen zu können.« – »Und womit bezahlen die Karawanen?« – »Mit Elfenbein und Butter. In Seila zahlen wir jetzt mit Perlen, die an der Küste gefischt werden. Wenn ich befehle, daß nur heute von dir gekauft werden kann, so hast du bereits heute abend keine Ladung mehr.«

Das stach dem Kapitän bedeutend in die Augen. Zunächst war es ja ein ganz außerordentlicher Vorteil für ihn, an einem einzigen Nachmittag verkaufen zu können, anstatt wochen- oder monatelang hier zu liegen oder von einem Hafen zum anderen fahren zu müssen, und sodann waren ihm auch die angebotenen Tauschartikel höchst willkommen. Elfenbein und Perlen, hier so billig, hatten in Deutschland einen hohen Wert, und die Butter, die er hier erhielt, konnte er zu guten Preisen in Ostindien losschlagen, er brauchte nur nach Kalkutta zu segeln. Darum sagte er

»Wird der Sultan zustimmen?« – »Sogleich! Du mußt nur selbst mit ihm sprechen. Ich werde dich ihm empfehlen!«

Aber jetzt erst schien dem Gouverneur der Gedanke zu kommen, den er längst schon hätte haben sollen. Er fragte nämlich mit besorgtem Ton:

»Aber du bist ja auch ein Christ, wie die Spanier! Wohnt ihr in einem Land?« – »Nein. Es ist ein sehr großes Reich dazwischen.« – »Aber ihr habt eine Religion?« – »Nein, wir glauben anders als sie. Sie sind Katholiken, wir aber Protestanten.« – »Was heißt das?«

Da fiel dem Kapitän ein trefflicher Vergleich ein. Er antwortete:

»Das ist wie bei euch die Sunniten und Schiiten.« – »Ah, da darf ich keine Sorge haben!« sagte der Gouverneur beruhigt. »Wir Sunniten hassen die Schiiten mehr als die Ungläubigen, ihr haßt euch auch, und so sind wir deiner sicher. Ich werde mich sogleich aufmachen, um mit dem Sultan zu sprechen und den Befehl des Verkaufs zu geben.« – »Ja, aber vorher wirst du die Abbitte unterschreiben.«

Das war dem Araber außerordentlich unlieb. Er sah sich gezwungen, sich selbst zu blamieren, dies behagte ihm nicht, daher fragte er:

»Willst du mir dies nicht erlassen?« – »Jetzt nicht. Aber das will ich dir versprechen, wenn ich mit dir zufrieden bin, so gebe ich dir die Schrift zurück und will auch nicht auf die Bestrafung deiner Diener dringen. Du siehst, daß ich es gut mit dir meine, ich hoffe, daß ich mich nicht in dir täusche!«

Diese Zugeständnisse erregten die Freude des Arabers in so hohem Maße, und die Hoffnung, zwanzig Ladungen Kaffee nebst den Kamelen zu erhalten, nahm ihn so sehr ein, daß er ausrief:

»Ich bin dein Freund! Wie ist dein Name?« – »Ich heiße Wagner«, antwortete der Gefragte. – »Dieser Name ist sehr schwer auszusprechen, fast geht dabei die Zunge auseinander, aber dies soll nichts an unserer Freundschaft ändern. Willst du nicht mit mir nach Seila fahren?« – »Warum?« –»Du sollst selbst mit dem Sultan von Harrar sprechen!«

Dies war eigentlich ein ganz annehmbarer Vorschlag, der Kapitän konnte sich dabei den Somali ansehen und ihm ein Zeichen geben. Aber wie stand es mit der persönlichen Sicherheit?

»Werde ich unbeschädigt zurückkehren können?« fragte er darum. – »Ich schwöre dir bei Allah, bei dem Barte des Propheten und bei allen heiligen Kalifen, daß du als freier Mann kommen und gehen darfst und daß ich jeden töten lassen werde, der dich beleidigt. Du kannst deine Waren ohne Furcht nach der Stadt schaffen lassen und dort verkaufen.« – »Nein, das tue ich nicht, denn es könnten nicht alle Käufer so ehrlich sein wie du. Ich lasse die Kisten und Pakete auf das Deck schaffen und öffnen, und nur immer zehn Männer dürfen das Schiff besteigen und sich die Waren ansehen, die ich nicht im einzelnen, sondern im ganzen verkaufen werde. Ich werde dir Papier senden und mich vorbereiten, mit dir an das Land zu gehen, während du schreibst.«

Der Kapitän gab dem Steuermann die nötigen Befehle und trat in seine Kajüte. Er hatte da zweierlei zu tun. Erstens kleidete er sich um und behing sich mit einer ganzen Menge von Waffen, denn er wollte den Eindruck eines vornehmen Mannes machen. Und sodann besaß er ein arabisches Wörterbuch, das er sich angeschafft hatte, um den Dolmetscher einigermaßen kontrollieren zu können. In diesem blätterte er jetzt, indem er halblaut vor sich hinmurmelte:

»Wer doch diese Sprache verstände! Jetzt muß ich die Wörter mühsam zusammensuchen. Was heißt denn eigentlich ›ich‹? Ah, da steht es! Ich heißt ana. Und ›bin‹? Das finde ich nicht, aber hier steht eida, das ›auch‹ bedeutet. Und ›Christ‹ heißt nassrani. Wenn ich also sage: ›Ana eida nassrani‹, so heißt das: ›Ich auch ein Christ‹, und der Somali wird sofort bedenken, daß ich ihn und die anderen retten will. Er wird dann Hoffnung haben. Ah, was heißt ›Hoffnung‹? Hier steht es: amel. Wenn es mir möglich ist, befreie ich ihn, das kann nur des Nachts geschehen. Hm! Hier steht nossf el leel ist Mitternacht. Gut, das schreibe ich nieder, obgleich es mir schwerfallen wird, diese arabischen Buchstaben nachzumalen.«

Er nahm einen kleinen Zettel und schrieb darauf von rechts nach links: »Ana eida nassrani – amel – nossf el leel.«

»So«, brummte er dann vergnügt. »Das heißt auf deutsch und frei übersetzt: ›Ich bin auch ein Christ, habe Hoffnung, ich komme um Mitternacht!‹ Wenn es mir gelingt, dies dem Kerl zuzustecken, so wird er mich verstehen. Wagner, Wagner, wenn das deine Alte daheim wüßte, daß du dich in einen so gefährlichen Roman verstrickst, um so eine wunderschöne Sklavin zu befreien! Na, man hat ein gutes Herz, man hat einen passablen Kopf, und man hat ein Paar tüchtige Fäuste, das ist die Hauptsache!«

Der Kapitän rollte den Zettel ganz klein zusammen, steckte ihn ein und kehrte dann auf das Deck zurück, wo der Gouverneur bereits seiner wartete.

Er ließ sich das angefertigte Schriftstück vorlesen und übersetzen, es erhielt seinen Beifall, und so gab er es dem Steuermann zur einstweiligen Aufbewahrung. Dieser, der ihm mehr Freund als Untergebener war und sich darum auch du mit ihm nannte, sagte in besorgtem Ton zu ihm:

»Du begibst dich in die größte Gefahr. Wie nun, wenn man dich gefangennimmt!« – »Das tut man sicher nicht! Der Gouverneur hat geschworen, und ein Mohammedaner bricht seinen Schwur niemals.« – »Wann kommst du wieder?« – »Das weiß ich nicht« – »Nun, ich denke, daß der Besuch in anderthalb Stunden gemacht sein kann.« – »Ich auch.« – »Nun wohl! Bist du in zwei Stunden nicht zurück, so bombardiere ich die Stadt« – »Dasselbe wollte ich dir sagen. Und bin ich heute abend noch nicht zurück, so hängst du unsere Gefangenen auf, einen neben den anderen.« – »Willst du keine Begleitung mitnehmen?« – »Nein. Es heißt zwar im Orient: Je größer die Begleitung, desto vornehmer der Herr, aber die Kerle könnten wahrhaftig denken, daß ich mich fürchte. Und übrigens brauchst du die Leute hier nötiger als ich. Verkaufen kannst du allerdings erst nach meiner Rückkehr, denn ich muß den Dolmetscher mitnehmen.«


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