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12. Kapitel.

Das Gartenschloß Monbijou befindet sich an der Spree im Spandauer Viertel, ist reizend gelegen und war heute ganz besonders festlich geschmückt worden. Im Garten brannten zahllose Lampions, welche die Bosketts in einen Feenschimmer hüllten, in den Zimmern flutete ein Meer von Licht, geschäftige Domestiken eilten hin und her, und unter dem Eingang stand der Hofmeister des Großherzogs, um die zahlreichen Gäste zu empfangen.

Nach dem Grundsatz, daß Verzögerung vornehm sei, hatten sich die Leutnants zuerst eingestellt, dann waren die anderen nach und nach gekommen, je höher der Rang, um so später und mit desto größerer Grandezza. Sie wurden im Vorzimmer von dem Adjutanten des Großherzogs empfangen und nach ihren Plätzen geleitet oder gewiesen. Zuletzt kamen der Brigade- und Divisionsgeneral mit einem ganzen Schweif von Damen.

Im großen Saal erblickte man das Musikkorps, das zum Tanz aufspielen sollte, jetzt herrschte noch jene Erwartung, in welcher man sich nur halblaut zu unterhalten pflegt. Die Diener reichten kleine Erfrischungen herum, vom Speisesaal aber hörte man bereits das Klirren von Glas und Porzellan, das dem Feinschmecker eine Verheißung ersehnter Genüsse bedeutet.

Da endlich wurde die Tür aufgerissen und die Ankunft des Großherzogs gemeldet. Er trat herbei, am Arm Rosa de Rodriganda, die jetzige Frau Sternau. Ihm folgten der Herzog von Olsunna mit Amy Lindsay, dann Sir Lindsay mit der Herzogin Olsunna, der früheren Erzieherin, und hinter diesem Paar kam Kurt mit Röschen am Arm.

Bei seinem Anblick rissen die Herren Husaren die Augen weit auf. Er trug auf der Brust den österreichischen Orden der Eisernen Krone und den militärischen Maria Theresien-Orden, ferner den hessischen Ludwigsorden, den Löwenorden und noch den Orden vom Eisernen Helm neben dem Kreuz für Militärverdienste.

Die Augen aller Damen richteten sich nach dem schmucken Leutnant, den keine von ihnen kannte, die Augen der Herren aber auf seine Dame, die in bestrickender Lieblichkeit neben ihm ging und so eng und so vertraut an seinem Arm hing, als ob sie seine Schwester sei.

Die Anwesenden hatten sich natürlich erhoben. Der Großherzog schritt auf den Divisionsgeneral zu und ließ sich seine Damen vorstellen, worauf er die Namen seiner Begleitung nannte.

Es läßt sich denken, welchen Eindruck das Erscheinen Kurts hinter dem Großherzog auf die Herren Leutnants machte. Adjutant Branden riß die Augen auf und murmelte zu Golzen hinüber:

»Du, sehe ich recht! Ist das nicht dieser Helmers?« – »Bei Gott, er ist es! Du hast recht!« antwortete dieser. »Wie kommt der Kerl in das Gefolge des Großherzogs?«

Branden hatte noch immer den Mund offen, aber dennoch gelangen ihm die Worte:

»Hole mich der Teufel! Fünf Orden und ein Verdienstkreuz! Bin ich behext?« – »Und an seinem Arm die Kutscherstochter! Ich glaube, Branden, wir sind fürchterlich düpiert worden!« – »Werden sehen, werden sehen! Seine Hoheit stellen jetzt die Herren vor. Horch! Ah, der Herzog von Olsunna nebst Miß Lindsay!« – »Jetzt Lord Lindsay mit der Herzogin von Olsunna. He, Platen, haben Sie den Namen der schönen Dame gehört, die der Großherzog selbst führt?« – »Er stellte sie als Frau Sternau vor, aber das ist inkognito. Sie ist eine Gräfin de Rodriganda und die zukünftige Herzogin von Olsunna«, antwortete Platen, der sich der Namen aus der Unterredung mit Kurt entsann. – »Horcht!« meinte Branden nochmals. »Jetzt kommt der Leutnant Hört! Ah, Leutnant Helmers und Fräulein Sternau! Was soll man da denken?« – »Auch inkognito«, antwortete Platen. »Fräulein Sternau ist die Enkelin des Herzogs von Olsunna und die Duzfreundin des Leutnants. Ravenow hat sich von dem schlauen Diener eines Freundes Helmers arg mystifizieren lassen.

Ravenow stand dabei, hörte diese Worte und knirschte mit den Zähnen.

»Donnerwetter! Was sagte jetzt der Großherzog zu unserem General en chef?« fragte Branden.

Platen lächelte und antwortete:

»Er übergab ihm den Leutnant Helmers und dessen Dame und forderte ihn auf, beide den Offizieren des Gardekorps vorzustellen.« »Ja soll mich gleich der Teufel holen, wenn ich schon so etwas erlebt habe!« rief Branden ziemlich laut. »Das scheint ja ganz, als ob es auf eine großartige Genugtuung abgesehen sei, die dieser Leutnant erhalten soll!« – »Das ist es auch«, bestätigte Platen. »Ich weiß aus ganz sicherem Munde, daß diese Soiree dansante nur Helmers' wegen veranstaltet ist. Helmers ist ein Liebling des Großherzogs, und dieser letztere erteilt gegenwärtig den Herren Gardehusaren einen Verweis, der gar nicht eklatanter ausfallen kann. Ein Oberst hatte gestern den Namen des Leutnants vergessen; heute bekommen er und wir alle diesen Namen aus dem Mund des Chefs der ganzen Garde zu hören.« – »Das ist noch nie dagewesen, das ist großartig, das ist pyramidal, auf Ehre!« meinte Golzen. »Jetzt geht der Leutnant aus einer Hand in die andere. Jetzt kommt er zum Obersten. Horcht! Der Kerl hat etwas vor; ich sehe seine Augen blitzen.«

Der Korpsgeneral trat soeben mit Helmers und Röschen zu dem Obersten.

»Herr Oberst«, sagte er, »ich gebe mir die Ehre, Ihnen hiermit Fräulein Sternau und den Herrn Leutnant Helmers vorzustellen. Er tritt in Ihr Regiment ein, und ich empfehle ihn Ihrer freundlichen Fürsorge.«

Dem Oberst würgte es im Hals; er brachte kein einziges Wort hervor und konnte sich nur verbindlich zustimmend verbeugen. Da wandte Helmers sich an den General:

»Exzellenz«, sagte er, »wir haben Ihre Güte bereits zu sehr in Anspruch genommen; gestatten Sie, daß es der Herr Oberst an Ihrer Stelle unternimmt, mich mit den Herren weiter bekanntzumachen?« – »Ein Teufelskerl! Ich ahnte so etwas, es lag in seinem Auge«, brummte Branden, der Adjutant. »Jetzt zwingt er den Oberst, den er gefordert hat und der ihn nicht für satisfaktionsfähig hält, sein gestriges Verhalten zu desavouieren und ihn in aller Form uns vorzustellen.«

Der General verbeugte sich und meinte freundlich:

»Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen diesen Dienst zu erweisen; aber da Sie es selbst wünschen, so übergebe ich Sie dem Herrn Oberst.«

Er ging, und nun mußte der Oberst wohl oder übel in den für ihn gewiß sehr sauren Apfel beißen. Auf seinen Wink traten die Offiziere seines Regiments heran, und er sah sich zu der nicht angenehmen Arbeit gezwungen, dem von ihm so schwer Beleidigten die lange Reihe ihrer Namen zu nennen.

»Ich danke, Herr Oberst!« sagte Kurt kühl zu ihm, als dies beendet war. Dann trat er zu Platen, stellte ihn und Röschen einander vor und fügte hinzu: »Er ist mein Freund. Willst du ihn nicht dem Großherzog empfehlen?«

Sie reichte Platen ihre Hand, die er an seine Lippen zog, und fragte:

»Tanzen Sie, Herr Leutnant?« – »Leidenschaftlich, gnädiges Fräulein«, antwortete er, indem ihm die Röte der Freude in das Gesicht stieg. – »So mag Ihnen Kurt nachher meine Karte bringen, damit Sie sich notieren. Seinem Freund gewähre ich nach ihm den ersten Tanz. Jetzt aber kommen Sie mit uns zum Großherzog, damit wir Sie den Herrschaften vorstellen.«

Sie entfernten sich, und nun stand der Oberst allein bei seinen Offizieren. Er nahm das Taschentuch, wischte sich, tief aufatmend, den Schweiß von der Stirn und gestand:

»Ich glaube, ich werde ohnmächtig! Mir ist weiß Gott gerade so, als ob ich eine Schlacht verloren hätte!« – »Hm!« brummte Branden, der Adjutant. »Dieser Helmers ist ein ausgezeichneter Schachspieler.« – »Das heißt, ein guter Stratege und Diplomat«, fügte Golzen hinzu. – »Ich muß mich setzen«, seufzte der Oberst.

Er ging zu seiner Frau, um sich bei ihr Trost zu holen. Es bildeten sich jetzt einzelne Gruppen, doch das Gespräch aller drehte sich meist um Helmers und die ungeheure Lektion, die dieser bürgerliche Leutnant dem Gardekorps gegeben hatte. Die Damen begeisterten sich für ihn. Er hatte bewiesen, daß er nicht nur ein schöner Mann, sondern überhaupt ein Mann im vollsten Sinne des Wortes sei. Die Herren begannen, ihn auch mit anderen Augen zu betrachten. Doch es sollte noch anders kommen. Die hohen Flügeltüren wurden aufgerissen, und es ertönte die laute Anmeldung:

»Seine Majestät, der König.«

Sofort schritt der Großherzog auf die Tür zu, um den hohen Gast zu empfangen. Dieser trat ein, und zwar an der Seite Bismarcks, der Kriegsminister und ein Kammerherr folgten. Der letztere trug einen Gegenstand in der Hand, den man bei näherem Hinblicken als ein Saffianetui erkannte.

»Ich konnte mir nicht versagen, einige Minuten bei Euer Hoheit einzutreten«, meinte der hohe Herr zum Großherzog. »Lassen Sie Ihre Gäste sehen!«

Bald waren die hervorragenden der anwesenden Herrschaften um die Majestät versammelt, während die anderen lauschend oder in leiser Unterredung von ferne standen.

Branden, der Adjutant, schien nicht leicht schweigen zu können.

»Der König, Bismarck und der Kriegsminister hier?« sagte er. »Das ist eine große Auszeichnung für unser Regiment. Wir können stolz sein. Ah, seht ihr das Etui in der Hand des Kammerherrn? Ich lasse mich köpfen, wenn das nicht einen Orden gibt, jedenfalls erhält ihn der Großherzog in dieser öffentlichen, doppelt ehrenden Weise. Seht, da zieht sich der Herzog von Olsunna mit dem Kriegsminister in die Fensternische zurück. Sie sprechen leise, ihre Mienen sind sehr ernst, und ihre Blicke treffen den Oberst. Meine Herren, ziehen wir uns ein wenig nach dem Obersten hin, es gibt etwas, ich kenne das! Man hat als Adjutant so seine Erfahrungen gemacht.«

Er hatte recht, denn bereits nach kurzer Zeit kam der Kriegsminister langsam auf den Obersten zugeschritten. Dieser erhob sich ehrfurchtsvoll, als er den Nahenden bemerkte, und ging ihm einige Schritte entgegen.

»Herr Oberst, haben Sie mein Handbillett betreffs des Leutnant Helmers empfangen?« fragte die Exzellenz in einem nicht sehr freundlichen Ton. – »Ich habe die Ehre gehabt«, lautete die Antwort. – »Und es auch gelesen?« – »Sofort, wie alles, was aus der Hand Euer Exzellenz kommt.« – »So ist es zu verwundern, daß diese Zeilen gerade das Gegenteil des Erfolges bewirkten, den ich beabsichtigte. Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen den Leutnant dringend empfahl?« – »Gewiß«, antwortete der Oberst.

Er hätte in den Boden sinken mögen. Es war geradezu eine Unmöglichkeit, wegen eines einfachen, noch dazu bürgerlichen Leutnants solch Aufhebens zu machen. Er hätte sich lieber an die Spitze einer Sturmkolonne gestellt, als vor einem Examen zu stehen, das nur zu seinem Schaden ausfallen konnte.

»Und dennoch erfahre ich, daß man ihn allerorts mit förmlich impertinenter Abweisung empfangen hat. Gar mancher hochgeborene Kopf ist hohl und steht nur aus Rücksicht auf seine Geburt in Reih und Glied. Der Leiter der militärischen Angelegenheiten ist stets erfreut, wenn er einen Mann findet, der brauchbar zu verwenden ist, und muß es um so schmerzlicher beklagen, wenn gerade solche Männer auf ungerechtfertigte, oftmals vielleicht sogar böswillige Schwierigkeiten stoßen. Ich erwarte mit aller Bestimmtheit, daß ich baldigst das Gegenteil von dem höre, was ich zu meinem Erstaunen gewahren muß.«

Er drehte sich scharf auf dem Absatz herum und schritt davon, während der Oberst einige Augenblicke wie geistesabwesend stehen blieb und dann auf seinen Sitz zurückkehrte. Selbst wer die Unterredung nicht vernommen hatte, mußte es ihm ansehen, daß er einen ganz ungewöhnlichen Verweis erhalten habe.

»Der ist für heute moralisch tot und physisch zerschmettert«, brummte der Adjutant. »Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Dieser Leutnant ist in unser Stilleben wie ein Teufel gefahren, wie eine Bombe unter uns hineingeplatzt, und nun fliegen einem die Stücke an den Kopf. Wo steckt er denn?« – »Dort am Spiegel. Bismarck spricht mit ihm«, antwortete Golzen. – »Bismarck? Bei Gott, es ist wahr. Welche Auszeichnung! Ich gäbe zwanzig Monatsgagen, wenn Bismarck mir nur einmal zunicken wollte, und dort steht dieser Helmers und plaudert mit dem Gewaltigen, als ob sie miteinander auf der Schulbank gesessen hätten. Heiliger Himmel, da geht weiß Gott sogar der König auf ihn los. Nun wird es mir ganz wirr im Kopf.«

Die Anwesenden blickten mit Staunen nach der Stelle hin, an der der junge Mann stand, mit dem die beiden Gewaltigen so herablassend sprachen. Man stand zu ferne, als daß man ein Wort hätte verstehen können, aber man sah an den wohlwollenden Zügen des Herrschers, daß es nur Ausdrücke der Güte waren.

Da winkte der König plötzlich dem Kammerherrn. Dieser trat in die Mitte des Saales und verkündigte mit lauter Stimme:

»Meine Herrschaften, ich gebe mir die Ehre, Ihnen im allerhöchsten Auftrag mitzuteilen, daß Seine Majestät geruhen, den Herrn Leutnant Helmers zum Ritter der zweiten Klasse des Roten Adlerordens zu ernennen, und zwar in Anbetracht der höchst wichtigen Dienste, die er seit seiner so kurzen Anwesenheit bei uns dem Vaterland geleistet hat. Seine Majestät haben zugleich befohlen, dem genannten Herrn die Insignien des Ordens auszuhändigen, und behalten sich vor, das weitere zu verfügen.«

Er öffnete das Etui, schritt auf Helmers, der bleich auf seinem Platz stand, zu und heftete ihm den Stern zu den anderen auf die Brust.

Es herrschte im Saal eine Stille wie in der Kirche. Welche Dienste waren das? In so kurzer Zeit geleistet. Sie mußten bedeutend sein, denn der Rote Adlerorden hat vier Klassen. Dieser Leutnant wurde vom Glück ja förmlich überschüttet!

Diese Gedanken und noch verschiedene andere gingen durch die Herzen der Anwesenden. Es bildete sich um den glücklichen jungen Mann ein Kreis von Gratulanten, denen der König das Beispiel gab. Bismarck und der Kriegsminister folgten und verabschiedeten sich dann von den Herrschaften.


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