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18. Kapitel.

Der Morgen brach an, als die beiden Husarenoberleutnants miteinander im Kupee saßen und ihrem Ziel entgegendampften. Während ihrer Unterhaltung zog Platen den Handschuh ab, um Kurt eine Zigarre anzubieten. Dabei fiel die Morgensonne auf den Ring an seiner Hand, und die Reflexe zuckten blitzend in dem kleinen, behaglichen Raum erster Klasse umher.

»Ah, welch ein Ring!« sagte Kurt, indem er tat, als habe er ihn noch gar nicht gesehen. »Er ist gewiß ein altes Erb- und Familienstück?« – »Allerdings«, antwortete Platen. »Aus meiner eigenen Familie stammt er freilich nicht, er ist vielmehr ein Geschenk meines Onkels.« – »Des Bankiers, den du besuchst?« – »Ja, ich leistete ihm einst einen Dienst, der ihm wichtig genug erschien, mir eine kleine Belohnung zu erteilten. Er ist sehr geizig; mit Geld, was einem Offizier doch stets das allerliebste ist, rückte er nie heraus, und so gab er mir den Ring, der zwar höchst wertvoll ist, ihn aber jedenfalls nichts gekostet hat. Willst du dir ihn einmal betrachten?« – »Ich bitte darum.«

Platen zog den Ring vom Finger und gab ihn Kurt, der ihn einer genauen Untersuchung unterwarf und die Steine nach allen Richtungen hin spielen ließ.

»Das ist keine neue Arbeit«, sagte er endlich. – »Auch keine deutsche. Ich bin überhaupt sehr im Zweifel, wie ich diese Arbeit unterbringen soll.« – »Ich halte sie für mexikanisch.« – »Ich auch. Aber wie sollte Onkel Wallner zu diesem Stein kommen? Seine Familie hat niemals Verbindung mit Mexiko oder Spanien gehabt.« – »Oh, was das betrifft, so kann ein Bankier leicht in den Besitz eines solchen Gegenstandes kommen«, meinte Kurt, indem er dem Kameraden den Ring zurückgab. »Ich wäre neugierig, zu erfahren, ob es wirklich ein Erbstück, ein verfallenes Pfand oder so etwas Ähnliches ist. Du mußt nämlich wissen, daß ich mich für solche Sachen lebhaft interessiere. Ein jeder hat sein Steckenpferd, und das meinige ist die Liebhaberei für altes Geschmeide.« – »Diese Frage kann ich dir genau beantworten. Dieser Ring ist wirklich ein Familienstück. Der Onkel besitzt noch andere Sachen, mit denen er aber sehr besorgt tut. Er zeigt sie keinem Menschen. Einmal aber habe ich ihn doch überrascht, als ich unerwartet in sein Arbeitszimmer trat. Er hat nämlich außer dem Kontor noch ein Privatarbeitszimmer im Gartenhaus. Dort befindet er sich sehr oft des Nachts und schläft auch dort. Ich trat unvermutet bei ihm ein und sah einige Schmuckgegenstände auf seinem Tisch liegen. Es waren kostbare Ketten, Diademe, Armringe und anderes Geschmeide von einer außerordentlich fremdartigen Arbeit. Er erschrak sehr, und ich mußte lachen, daß ich in sein Geheimnis eingedrungen war.« – »In sein Geheimnis?« – »Ja«, meinte Platen sorglos. »Es hängt nämlich in diesem Arbeitszimmer eine alte Schwarzwälder Uhr an der Wand. Diese hatte er abgenommen, und nun sah ich, daß sich hinter derselben ein Loch befand, das durch ein eisernes Türchen verschlossen werden konnte. In diesem Loch schien noch anderes Geschmeide zu liegen, denn ich bemerkte da ein Kästchen, aus dem ein Halsband herabhing.« – »Wie lange ist dies her?« – »Bereits drei Jahre.« – »So wird er das Geschmeide seit dieser Zeit an einem anderen Ort aufbewahrt haben; das ist sehr leicht zu denken«, meinte Kurt, indem er sich den Anschein der Gleichgültigkeit zu geben suchte.

Platen bemerkte auch wirklich das Interesse nicht, das Kurt an dieser Unterhaltung nahm, und antwortete lachend:

»O nein. Er scheint keinen anderen Ort zu wissen, denn ich mußte ihm bei meinem Offizierswort geloben, ihn nicht zu verraten. Das verstand sich ja von selbst, und das feierliche Gelöbnis kam mir daher spaßhaft vor. Ich glaube nicht, daß ich es gebrochen habe, indem ich zu dir davon spreche, denn bei dir ist dieses entsetzliche Geheimnis ja ebensogut aufgehoben wie bei mir. Ich glaube nicht, daß du Lust hast, beim Onkel einzubrechen.«

Platen lachte bei diesen Worten abermals. Der Gedanke, den Freund sich als Einbrecher vorstellen zu sollen, kam ihm doch zu komisch vor. Kurt blickte eine Minute lang ernst zum Fenster hinaus und erwiderte:

»Und wenn ich nun doch Lust hätte, den Einbrecher zu machen?« – »Unsinn!« – »Wenigstens mir das Geschmeide einmal zu betrachten?« – »Weshalb? Was sollte das dir nützen?« – »Viel oder wenig, je nachdem. Du weißt gar nicht, wie wertvoll mir deine Mitteilung ist.« – »Du setzt mich in Erstaunen!« meinte Platen. »Was interessiert es dich, ob mein Onkel Goldschmuck besitzt oder nicht?« – »Lieber Platen, wir sind Freunde und wollen als solche handeln! Es ist unbeschränktes Vertrauen von dir, daß du von dem Versteck deines Oheims zu mir gesprochen hast; ich will dasselbe Vertrauen auch zu dir haben.« – »Mensch, du machst mich wirklich neugierig!« meinte Platen, indem er sich eine neue Zigarre ansteckte und sich zurechtsetzte, um die jedenfalls interessante Mitteilung des Freundes bequem entgegenzunehmen.« – »So höre«, begann Kurt. »Mein Vater ging nach Mexiko und traf dort seinen Bruder. Dieser war auf eine Weise, von der ich dir später erzählen werde, in den Besitz eines Schatzes gekommen, der aus alten, kostbaren mexikanischen Schmucksachen bestand.« – »Alle Teufel, das beginnt wirklich interessant zu werden«, meinte Platen. – »Weiter. Die beiden Brüder befanden sich bei einem Haziendero, dessen Tochter die Braut meines Oheims war. Ein Kriegszug rief sie ab, und seitdem sind sie verschollen. Der Onkel hatte bestimmt, daß die Hälfte dieses Schatzes mir gehören solle; die Gegenstände sollten mir geschickt werden, um sie hier zu verwerten und mit dem Ertrag die Kosten meiner Ausbildung zu bestreiten und mir mit dem übrigen einen festen, pekuniären Halt zu geben.« – »Glückskind!« lächelte Platen. – »Daran dachte der alte Haziendero, als die beiden Brüder verschollen waren und nicht zurückkehrten«, fuhr Kurt fort. »Als ein Jahr vergangen war, ohne daß er etwas von ihnen vernommen hatte, nahm er meinen Anteil und trug ihn zur Hauptstadt, wo er ihn Benito Juarez übergab.« – »Dem Präsidenten?« – »Ja; dieser war aber damals noch Oberrichter. Juarez übernahm es, die Gegenstände sicher nach Deutschland zu schicken.« – »Das klingt ganz wie ein Roman. Woher weißt du das alles?« – »Du hast Sir Lindsay und seine Tochter kennengelernt ...« – »Allerdings«, fiel Platen ein. »Ein prächtiges Mädchen, wenn auch nicht mehr jung, aber doch eine Schönheit ersten Ranges!« – »Nun, dieser Lindsay befand sich damals als Vertreter Englands in Mexiko und war dem Haziendero bekannt. Zu ihm wollte dieser Haziendero das Geschmeide bringen; da er aber vorher bei Juarez abstieg und mit diesem von der Sache redete, bot sich der Oberrichter selbst an, die Sendung zu besorgen, weil sie, als von ihm ausgehend, sicherer die Küste erreiche als sonst. Er forderte den Haziendero auf, einen Brief beizulegen; da diesem aber das Schreiben schwerfiel, so hat Miß Amy Lindsay den Brief geschrieben.« – »Ist er auch abgegangen?« – »Ja.« – »Mit dem Geschmeide?« – »Mit dem Geschmeide«, nickte Kurt. – »Du bist dessen sicher?« – »Vollständig. Juarez hat die Sendung sogar versichert. Aber sie ist nie angekommen.« – »Donnerwetter! Warum ist nicht nachgeforscht worden?« – »Weil ich nichts von der Sache gewußt habe. Juarez hat geglaubt, daß alles in Ordnung sei. Sir Lindsay wurde kurz darauf mit Miß Amy von einem mexikanischen Bandenführer aufgehoben und gefangen in die Berge geschleppt. Es ist ihm erst seit drei Vierteljahren gelungen, seine Freiheit wiederzuerlangen, und so habe ich erst gestern von der Sache erfahren, auf die er ganz zufällig zu sprechen kam.« – »Sonderbar!« – »Aber noch sonderbarer, als du vielleicht denkst. Der Haziendero wußte meinen Namen, aber nicht mehr meinen Wohnort. Er hatte sich nur gemerkt, daß ich bei Mainz auf einem Schloß zu finden sei, das einem Hauptmann von Rodenstein gehöre. Daher sandte Juarez die Gegenstände an einen Mainzer Bankier mit dem Auftrag, mich ausfindig zu machen und mir die Gegenstände auszuhändigen.«

Platen fuhr empor.

»Himmel Bataillon! Jetzt scheint ein Zusammenhang hervorzutreten!« – »Das meine ich auch. Die Sendung ist nicht nach Rheinswalden gelangt. Eine Meldung, daß sie verlorengegangen sei, ist von keiner Seite aus erfolgt. Dein Oheim ist Bankier in Mainz, du trägst einen mexikanischen Ring, der ein Geschenk von ihm ist, und er besitzt noch ähnliches Geschmeide – schließe weiter!«

Platen lehnte sich in das Kissen zurück. Er war bleich geworden, aber an seinen Schläfen traten die Adern blutig rot hervor. Es war ihm anzusehen, daß er mit seinen Empfindungen kämpfte. Endlich sagte er:

»Kurt, du bist ein entsetzlicher Mensch!« – »Ich erwarte deine Verzeihung oder deine Forderung.« – »Bah, du sagtest selbst, daß wir Freunde sind. Wir wollen diese Angelegenheit mit offenem Auge und ganz objektiv betrachten. Allerdings gestehe ich dir: Hätte ein anderer so zu mir gesprochen, so hätte ich ihm mit der Hand in das Gesicht geschlagen. Du aber bist mein Freund, du sprichst aufrichtig zu mir, obgleich du mir deinen Verdacht verschweigen konntest. Du zeigst mir damit dein vollstes Vertrauen, daß ich dir nicht hinderlich in den Weg treten werde, und du sollst dich nicht getäuscht haben, lieber Helmers. Es scheint allerdings eine Kühnheit, zu behaupten, daß mein Oheim dich beraubt habe, doch er ist ja im Besitz ähnlicher Sachen, und – und ...« – »Sprich weiter.« – »Es fällt mir schwer, auf Ehre. Aber zu dir darf ich es sagen, daß ich den Oheim nicht für einen Bankier halte, der jeder Versuchung gewachsen ist. Ich habe gemerkt, daß er zuweilen Geschäfte macht, die ein anderer vielleicht unsauber nennen würde.« – »Vielleicht ist er erst durch zweite oder dritte Hand in den Besitz dieser Sachen gekommen. Vielleicht gehe ich in meiner Vermutung irre, und das Geschmeide, das er besitzt, ist gar kein mexikanisches.« – »Beide Fälle sind möglich. Es gilt uns zu überzeugen!« – »Uns? Du beteiligst dich also bei dieser Angelegenheit?« – »Natürlich. Du sollst zu deinem Eigentum kommen, und ich will wissen, ob mein Verwandter ein Schurke oder ein ehrlicher Mann ist. Das versteht sich ganz von selbst.« – »Nun wohl, ich danke dir! Du wirst einsehen, daß es nicht meine Absicht war, dich zu beleidigen. Ich wünsche dringend, die Gegenstände sehen zu dürfen, erst dann ist es mir möglich, ein Urteil zu fällen.« – »Gut, du sollst sie sehen.« – »Wie?« – »Wir fordern den Onkel auf, sie uns zu zeigen; das ist ebenso einfach wie offen.« – »Vielleicht ebenso unklug. Ist er unschuldig, so beleidigen wir ihn tödlich, ist er aber schuldig, so erreichen wir nichts.« – »Du magst recht haben. Was aber tun?« – »Ohne sein Wissen in das Gartenhaus gehen und die Sachen betrachten.« – »Teufel! Also wirklich einbrechen?« rief Platen. – »Allerdings. Einbrechen, aber nicht stehlen. Die Gegenstände bleiben auf jeden Fall liegen.« – »Hm! Das klingt wie ein Abenteuer, und solche Dinge liebe ich. Wir wollen sehen, was sich tun läßt. Dir gehört dein Eigentum, und im anderen Fall muß mir daran liegen, den Onkel von einem schlimmen Verdacht gereinigt zu sehen. Du wirst mit bei ihm absteigen, ich stelle dich ihm vor.« – »Das geht nicht.« – »Warum nicht?« – »Hat er die Sendung wirklich erhalten, so kennt er auch den Adressaten, an den sie gerichtet war. Mein Name ist ihm bekannt; er hat sich nach mir erkundigt, und wenn ich nun zu ihm komme, so ahnt er vielleicht meine Absicht.« – »So stelle ich dich unter einem anderen Namen vor.« – »Auch das geht nicht. Es ist möglich, daß er mich gesehen hat, mich also persönlich kennt, in diesem Fall bin ich sofort verraten. Oder kennt er mich nicht, so ist es doch unausbleiblich, daß er später meinen wahren Namen erfährt, und falls er unschuldig ist, müßte dies mir verteufelt unangenehm sein.« – »Auch hierin gebe ich dir recht. Du entwickelst hier einen Scharfsinn und eine Umsicht, die einem erfahrenen Polizisten Ehre machen würden. Nur hole der Teufel den Umstand, daß dieser Scharfsinn gerade gegen einen Onkel von mir gerichtet sein muß! Aber was sollen wir tun, lieber Helmers?« – »Du stellst mich gar nicht vor, sondern rekognoszierst einfach das Terrain, Rheinswalden liegt ja nahe bei Mainz, so wird es dir leicht sein, mich zu benachrichtigen, wann es paßt, unbemerkt in das Gartenhaus einzudringen.« – »So soll ich verschweigen, daß ich dich kenne?« – »Das versteht sich. Er darf nicht einmal wissen, daß du nach Rheinswalden kommst.« – »Gut, ich werde dir dienen, so weit es mir möglich ist. Aber was wirst du tun, falls der Onkel wirklich ...«

Platen stockte. Es fiel dem braven Offizier schwer, das Wort auszusprechen. Kurt antwortete:

»Trage keine Sorge, lieber Platen. Ich werde mich nach den Umständen richten müssen; aber du kannst auf alle Fälle versichert sein, daß ich die äußerste Rücksicht auf dich nehmen werde.« – »Ich ersuche dich herzlich darum, obgleich es schwer ist, ein Vermögen zu missen, das einem den Eintritt in das Leben so sehr erleichtern kann.« – »Ich habe es nicht vermißt; ich hatte reiche und hohe Gönner genug, die mehr für mich taten, als ich durch ein Vermögen erreichen konnte. Ich bin auch jetzt noch keineswegs auf Reichtum und Genuß versessen, doch es versteht sich ganz von selbst, daß ich auf das Erbteil, das mir gehört, nicht verzichte, nur um es in unrechten Händen zu wissen.«

Platen antwortete nicht. Er lehnte sich zurück, um das soeben Gehörte im stillen, in seinem Inneren zu verarbeiten, und es war auch während der ganzen Reise keine Rede mehr von dieser Angelegenheit, die doch nur eine unerquickliche war.

Sie erreichten Mainz. Auf dem Bahnhof trennten sie sich. Platen nahm eine Droschke, um zu dem Bankier zu fahren, und Kurt wurde von Ludwig erwartet, der zu Pferde war und ihn mit dem Fuchs des Hauptmannes erwartete. Ludwig war nämlich bereits gestern abend von Berlin abgereist, um Kurts Ankunft zu melden.

Beide schlugen den Weg nach Rheinswalden ein. Dort angekommen, stieg Kurt zunächst bei seiner Mutter ab, die den geliebten Sohn, auf den sie so stolz sein konnte, herzlich umarmte; sodann eilte er zum Oberförster.

Dieser erwartete ihn und empfing ihn auf der Freitreppe.

»Willkommen, Herr Oberleutnant!« rief er ihm entgegen, indem er ihn bei den Händen faßte, umarmte und küßte und ihn dann wieder von sich abhielt, um ihn besser betrachten zu können. »Alle Wetter, ist das in diesen paar Tagen ein Kerl geworden! Oberleutnant, Sieger in einem Doppelduell und Hahn im Korb beim alten Moltke, nämlich im Generalstab! Junge, ich küsse dich noch einmal!«

Und abermals drückte er seinen Schnurrbart auf die frischen Lippen des Leutnants.

»So hat Ludwig trotz meines Verbotes geplaudert?« fragte dieser. – »Natürlich! Der Teufel mag den Mund halten, wenn das Herz überläuft. Ich hätte diesen Ludwig kuranzen wollen, wenn er mir diese frohen Botschaften verschwiegen hätte. Na, komm herein! Heute soll's hoch hergehen auf Schloß Rheinswalden!« – »Verzeihung, Herr Hauptmann, meine Mutter ...« – »Papperlapapp! Die wird geholt, die gehört mit zur Sippschaft. Ich werde doch meinen Paten, den Herrn Oberleutnant der Gardehusaren, Kurt Helmers, bei mir haben dürfen! Heute ist ein Freudentag, und der wird gefeiert!«

Und er wurde gefeiert.

Am anderen Nachmittag stellte sich Platen ein, den Kurt zum Hauptmann führte, der den Freund seines Lieblings mit seiner gewöhnlichen derben Freundlichkeit empfing. Man setzte sich zu vollen Flasche, und erst als der Oberförster sich in einer dienstlichen Angelegenheit entfernen mußte, fanden die beiden Offiziere Zeit, über ihre Angelegenheit zu sprechen.

»Hast du rekognosziert?« fragte Kurt. – »Es gibt nichts zu rekognoszieren«, antwortete Platen. »Es ist uns alles leichter gemacht, als ich dachte. Der Oheim ist geschäftlich abwesend. Er reiste heute morgen nach Köln und wird erst nach Mitternacht zurückkehren. So steht uns also der ganze Abend zur Verfügung, der Sache nachzuforschen.« – »Ich reite mit.« – »Du gehst mit zu mir. Es kann nicht auffallen, daß ein Offizier, ein Kamerad mich besucht. Dann gehen wir in den Garten.« – »Nein. Ich mag mich im Haus nicht sehen lassen. Wir reiten miteinander. Du zeigst mir den Garten, und dann bestimmen wir die Zeit, in der wir uns treffen.« – »Gut, das mag vorsichtiger und sicherer sein. Aber wie kommen wir in das Gartenhaus? Es ist stets verschlossen.« – »In welcher Weise?« – »Es liegt ein starkes Quereisen schräg über der Tür, an dem sich ein großes Hängeschloß befindet, und außerdem ist diese Tür noch mit einem gewöhnlichen Schloß versehen. Das Häuschen besitzt drei Räume, die alle auch verschlossen sind. Woher Schlüssel nehmen? Ich weiß nicht, wo der Oheim die seinigen aufbewahrt.« – »Da ist leicht geholfen. Wir haben hier im Dorf einen ganz tüchtigen Schlosser, der alle Arten Dietriche besitzt; er wird sie mir gern borgen. Bei mir weiß er ja ganz sicher, daß es sich nicht um ein Verbrechen handelt.« – »Das wohl. Aber weißt du denn auch mit diesem Handwerkszeug umzugehen?« – »Hm! Man muß sehr geräuschlos verfahren, und ich habe natürlich keine Übung, ich würde viel kostbare Zeit verlieren. Wenn man den Mann mitnehmen könnte. Das dürfte das beste und klügste sein.« – »Ist er sicher und verschwiegen?« – »Ich stehe für ihn.« – »Gut, so nehmen wir ihn mit.« – »Ich werde zu ihm gehen, während du den Hauptmann unterhältst, denn dieser darf einstweilen noch nichts erfahren.«

Dies geschah. Der Schlosser ging auf Kurts Vorschlag sofort ein. Er wurde bedeutet, sogleich aufzubrechen und in einem bestimmten Gasthof in Mainz zu warten. Der Oberförster hielt es, als Platen später aufbrach, für ganz in der Ordnung, daß Kurt ihn begleitete. Beide erreichten Mainz, als der Abend hereinzubrechen begann.

Die beiden Offiziere ritten durch einige Straßen der Stadt, bogen in ein Seitengäßchen ein und gelangten an eine Gartenmauer, in der sich ein verschlossenes Pförtchen befand.

»Über diese Mauer müßt ihr steigen, wenn ihr es nicht vorzieht, die Pforte zu öffnen«, sagte Platen. – »Das letztere ist zu auffällig, wir werden übersteigen«, antwortete Kurt.

Nun trennten sie sich. Platen ritt nach seiner Wohnung, Kurt nach dem Gasthof, in dem der Schlosser auf ihn wartete. Er fand ihn leicht, und beide verließen ihn zu der Zeit, die Kurt mit dem Freund vereinbart hatte.


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