Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

31. Kapitel.

Nachdem der Kapitän noch einiges andere angeordnet hatte, stieg er mit dem Gouverneur und dem Dolmetscher in das Boot. Die Krieger des ersteren, die in ihren Kähnen noch immer in der Nähe hielten, wunderten sich nicht wenig, als sie den Feind, den sie hatten vernichten wollen, so ganz ohne Furcht und ohne alle schützende Begleitung mitten unter sich erblickten. Sie sagten aber nichts und folgten in ihren Fahrzeugen nach der Stadt.

Dort stand vor dem Nordtor der Tragsessel, in dem der Gouverneur herbeigekommen war, er verschmähte jedoch einzusteigen, um seinen Gast nicht zu beleidigen, und ging darum zu Fuß mit ihm durch die schlechten, unansehnlichen Gassen der Stadt.

Überall standen Leute, die den Fremden mit finsteren Blicken betrachteten. Sie sahen an seiner reichen Kleidung, daß er der Befehlshaber des Fahrzeuges sei, das eine ihrer Moscheen zertrümmert hatte, und wünschten ihn dafür zur Hölle.

Als sie das Gebäude erreichten, in dem der Gouverneur wohnte, sah der Kapitän erst deutlich, welche Wirkung seine Kugeln gehabt hatten. Nur das Erdgeschoß war gut erhalten. Sie traten in dasselbe ein, und der Araber führte den Deutschen nach einem Zimmer, in dem sich neben einigen Teppichen auch ein Ding befand, das einem Stuhl ähnlich sah. Darauf mußte sich Wagner setzen.

Auf Befehl des Herrn wurden Pfeifen und Kaffee gebracht. Der Gouverneur schien sich zunächst dem gemächlichen Genuß dieser Dinge hingeben zu wollen, doch der Kapitän warnte ihn, indem er fragte:

»Wann werde ich den Sultan sprechen können?«

Der Dolmetscher, der diese Frage übersetzte, saß auf einer Bastmatte und hatte auch eine Pfeife nebst Kaffee erhalten.

»Nachdem wir uns ausgeruht haben, wenn es ihm beliebt.« – »Ah, also wenn es ihm beliebt? So wünsche ich, daß es ihm recht bald beliebt, sonst könntest du es bereuen.« – »Warum?« – »Weil meine Leute wieder auf die Stadt schießen und unsere Gefangenen aufhängen werden, wenn ich nicht bald zurückkehre.«

Das wirkte auf der Stelle. Der Gouverneur sprang sofort erschrocken von seinem Teppich auf, blickte nach oben, ob da vielleicht die Kugeln hereinplatzen, und erwiderte:

»In deinem Land muß es sehr entschlossene und vorsichtige Männer geben! Gedulde dich ein weniges. Ich werde zum Sultan gehen und ihm von dir erzählen.«

Damit entfernte sich der Gouverneur. Der Dolmetscher aber setzte seine Tasse an die Lippen, leerte sie, blickte den Deutschen mit bewunderndem Kopfschütteln an und sagte:

»Solch ein Mann wie du ist mir noch nicht vorgekommen!« – »Warum?« – »Weißt du nicht, daß du dich in der Höhle des Löwen befindest und daß die ganze Bevölkerung von Seila über deinen Tod erfreut sein würde, weil du eines ihrer Heiligtümer geschändet hast?« – »Dieser Löwe sieht mir nicht sehr gefährlich aus!« – »Du hast es verstanden, ihn zu zähmen, aber seine Wildheit kann in jedem Augenblick erwachen. Und der Sultan von Harrar ist ein Tiger.« – »So werde ich mich in einigen Minuten in einer bedeutenden Menagerie befinden: der Gouverneur ein Löwe, der Sultan ein Tiger und du ein Hase.« – »Ich darf nicht über deinen Spott zürnen, denn du bist jetzt mein Gebieter, weil du mich bezahlst, aber auch mein Leben befindet sich in Gefahr. Das Schicksal, das dich trifft, habe ich als dein Dolmetscher zu teilen.« – »Nun, so sei froh, du schwebst in keinerlei Gefahr.«

Sie wurden von einem Schwarzen bedient, der ihre Tassen füllte und ihnen neue Pfeifen reichte, bis der Gouverneur zurückkehrte.

»Komm«, sagte dieser, »der Sultan erwartet dich.« – »Was hat er beschlossen?« – »Er will dich erst sehen.«

Der Kapitän sagte sich, daß der Sultan ein sehr vorsichtiger Mann sein müsse, und ebenso erkannte er, daß es jetzt darauf ankam, einen vorteilhaften Eindruck auf ihn zu machen. Er fühlte zwar keine Furcht, aber es war doch eine Art von Beklemmung, mit der er jetzt dem Gouverneur folgte.

Sie traten in ein größeres Zimmer. Der hintere Teil der Diele desselben war erhöht und mit kostbaren Teppichen besetzt. Darauf saß der Sultan, aus einer langrohrigen Wasserpfeife rauchend. Er warf einen forschenden Blick auf den Kapitän und wandte sich dann an den Dolmetscher.

»Knie nieder, Sklave, wenn ich mit dir spreche!«

Er war es in Harrar gewöhnt, daß seine Untertanen liegend mit ihm sprachen, und hielt es für eine ganz besondere Gunst, wenn er dem Mann erlaubte, nur kniend und nicht auf dem Bauch liegend mit ihm zu reden.

Der Dolmetscher gehorchte und kniete nieder. Wagner, der die arabischen Worte nicht verstanden hatte, sie aber in Verbindung mit der Unterwürfigkeit seines Dieners brachte, fragte diesen:

»Warum kniest du nieder?« – »Der Sultan hat es befohlen.« – »Ah! Wer ist dein Herr?« – »Du.« – »Wem also hast du zu gehorchen?« – »Dir.« – »So befehle ich dir, aufzustehen.« – »Der Sultan würde mich töten lassen.« – »Pah! Vorher jagte ich ihm eine Kugel durch den Kopf. Stehe auf! Wir anderen werden sitzend sprechen, du aber wirst vor uns stehen, das ist Ehrerbietung genug.«

Jetzt erhob sich der Dolmetscher zwar, trat aber zagend einige Schritte zurück, damit ihn das Messer des Sultans nicht erreichen könne, der ihn flammenden Auges anblickte, nach dem Gürtel fuhr, in dem seine Waffen steckten, und fragte:

»Hund, warum stehst du auf? Sofort kniest du nieder, sonst fährt dir meine Kugel durch den Kopf!«

Der Dolmetscher sah zitternd auf den Deutschen und flüsterte ihm zu:

»Er will mich erschießen, wenn ich nicht niederknie.« – »So sage ihm, daß ihn meine Kugel eher treffen werde, als dich die seinige.«

Bei diesen Worten zog der Kapitän den Revolver und richtete ihn nach dem Kopf des Sultans. Dieser erbleichte, ob vor Zorn, ob vor Schreck und Wut, das war nicht zu sagen.

»Was meint dieser Ungläubige?« fragte er den Dolmetscher. – »Daß dich, ehe du deine Pistole ziehst, seine Kugel getroffen haben wird«, war die Antwort.

Da nahm das Angesicht des Sultans einen ganz unbeschreiblichen Ausdruck an. So hatte noch keiner mit ihm zu sprechen gewagt.

Aber die Haltung des Deutschen war eine so entschlossene, daß der Sultan doch die Hand vom Gürtel nahm und ihn nach einer kurzen Pause fragen ließ:

»Warum verbietest du, daß dieser vor mir kniet?« – »Weil er mein Diener ist, nicht der deinige«, antwortete der Kapitän. – »Weißt du auch, wer ich bin?« – »Ja, denn ich sollte zum Sultan von Harrar geführt werden.« – »Nun, so sieh mich an, der bin ich.«

Diese Worte wurden in einem Ton gesprochen, als ob der Sprecher erwarte, daß der Deutsche nun sofort vor Staunen und Demut niederfallen werde, aber dieser antwortete sehr ruhig:

»Und weißt du, wer ich bin?« – »Man hat mir den Befehlshaber eines Schiffes gemeldet, der es gewagt hat, diese Stadt zu beschießen.« – »Nun, so siehe mich an, der bin ich.«

Der Sultan blickte den Deutschen wirklich an, und zwar mit einem Blick, in dem sich ein nicht zu unterdrückendes Staunen aussprach. Einen so furchtlosen Mann, der ihm mit seinen eigenen Worten antwortete, hatte er noch nie vor sich gehabt.

»So bist du Seemann, ich aber bin Sultan eines großen Reiches!« sagte er endlich, um dem Verwegenen doch zu erklären, wen er vor sich habe. – »Dein Reich ist nicht sehr groß«, meinte der Deutsche gleichmütig. »Ich habe mit größeren und berühmteren Männer gesprochen, als du bist. Du bist ein Herr von Sklaven, rühmlicher aber ist es, der Herrscher von freien Männern zu sein. Ich verbiete meinem Diener, vor dir zu knien. Diesen Befehl mußt du respektieren, wenn du nicht haben willst, daß ich mir Achtung erzwinge.«

Der Kapitän setzte sich bei diesen Worten ganz bequem neben dem Sultan nieder und legte seine zwei Revolver vor sich hin. Das war genug gesagt

Der Gouverneur hatte bis jetzt neben ihm gestanden. Er hätte es nie gewagt, sich ohne ganz besondere Aufforderung so nahe zu dem Tyrannen zu setzen. Jetzt aber fühlte er sich durch das Beispiel des Deutschen ermutigt, so daß auch er sich niederließ, doch in einiger Entfernung von den beiden.

Der Sultan schien vor Staunen die Sprache verloren zu haben. Er wußte offenbar nicht wie er sich bei dieser Szene verhalten sollte. Der Deutsche imponierte ihm, besonders beängstigten ihn die beiden Revolver desselben. Ein Mann, der eine ganze Stadt so furchtlos bombardiert, der ist auch imstande, einen Nachbarn, der ihm nicht gefällt, niederzuschießen. Er rückte daher unwillkürlich von ihm weg und sagte:

»Wärst du in Harrar, so ließe ich dich erdolchen.« – »Und wärst du in unserem Reich, so hättest du schon längst den Kopf verloren«, entgegnete Wagner. »Im Abendland pflegt man nämlich den Sultanen, wenn sie dem Volk nicht gefallen, den Kopf abzuschlagen.«

Der Herrscher riß den Mund auf. Seine Augen öffneten sich weit als ob er bereits an den Stufen der Guillotine stehe.

»Warst du auch dabei?« fragte er unwillkürlich. – »Nein, denn ich bin kein Henker. Aber du rauchst, und ich bin gewohnt, mir das nicht zu versagen, was anderen schmeckt. Man gebe mir auch eine Pfeife.«

Der Dolmetscher hatte nie in seinem Leben eine solche Unterhaltung vermittelt, er hatte erst für sich selbst gefürchtet, aber die Furchtlosigkeit des Deutschen, unter dessen Schutz er sich von Sekunde zu Sekunde sicherer fühlte, stärkte auch seinen Mut und so übersetzte er dessen Reden wörtlich, obgleich er ihnen ein etwas höflicheres Gewand hätte geben können.

Der Gouverneur aber befand sich wie im Traum. War es ihm vorhin unglaublich erschienen, daß ein Ungläubiger gegen den Beherrscher von Seila in Wagners Weise auftreten könne, so war es ihm jetzt, als er dessen Verhalten gegen den Sultan sah, als müsse er vor Angst sich verkriechen. Er klatschte in die Hände und befahl dem gleich erscheinenden Schwarzen, Pfeifen zubringen.

Als Wagners Pfeife in Brand gesteckt war, tat er zunächst behaglich einige lange Züge und sagte darauf zu dem Sultan:

»Jetzt kannst du beginnen. Wir wollen von unsere Angelegenheit sprechen!«

Das klang gerade so, als ob er unter den drei anwesenden Herren der höchste und vornehmste sei, der zu bestimmen habe, was gesprochen werden solle. Aber der Eindruck seiner Person und seines Verhaltens war doch ein solcher, daß der Sultan vergebens nach einer Zurechtweisung suchte. Darum erwiderte er:

»Der Gouverneur hat mich von deiner Bitte unterrichtet ...« – »Von meiner Bitte?« fragte Wagner mit gut gespieltem Erstaunen. »Ich habe keine Bitte ausgesprochen, sondern ich dachte, einen Wunsch von dir zu hören.«

Auch diese Wendung hatte der Sultan nicht erwartet, der sich jetzt diesem Mann gegenüber so befangen fühlte, wie er es gar nicht für möglich gehalten hätte. Aber der Deutsche hatte doch das Richtige getroffen. Einem Tyrannen kann man nur durch die größte Herzhaftigkeit imponieren, denn ein Tyrann ist im Grunde seines Herzens ein Feigling. So empfand auch der Herrscher von Harrar dem Kapitän gegenüber eine mit Furcht gepaarte Achtung, aus der heraus sich ein schnelles Vertrauen entwickeln wollte, denn er sagte sich im stillen, daß so ein Mann ganz wie geschaffen sei, etwas auszuführen, was anderen nicht gelungen ist. Darum erwiderte er in einem ungewöhnlich milden Ton:

»Ha, ich habe einen Wunsch, aber ich weiß nicht, ob du der Mann bist, ihn zu erfüllen.« – »Probiere es!« sagte der Deutsche einfach. – »Der Gouverneur hat dir alles erzählt?« – »Das weiß ich nicht. Erzähle es mir selbst noch einmal.«

Der Sultan folgte dieser Aufforderung und gab einen Bericht über das, was in Harrar geschehen war, und über die Schritte, die er getan hatte, um die Flüchtlinge in seine Hand zu bekommen. Er verschwieg oder bemäntelte alles, was seinem eigenen Ansehen schaden konnte, aber dennoch sprach aus seiner Darstellung eine Wut, ein Grimm, der sicher zu den raffiniertesten Grausamkeiten griff, wenn die für jetzt Entkommenen das Unglück haben sollten, wieder in seine Hände zu fallen. Als er geendet hatte, fügte er die Frage hinzu:

»Weißt du jetzt genug?« – »Ja«, antwortete Wagner. – »Und hältst du es für möglich, die Flüchtlinge zu erreichen?« – »Ja.« – »Wie? Etwa durch den gefangenen Somali?« – »Nein. Dieser Somali ist ein tapferer Mann, denn er hat viel gewagt. Er wird lieber sterben, ehe er seinen Vater verrät. – »Ich werde ihn zu Tode martern.« – »Das wirst du nicht können, denn er wird sich vorher töten. Ich an seiner Stelle wenigstens würde es tun.« – »Er hat keine Waffen bei sich.« – »Man kann sich auch ohne Waffen töten. Es hat Sklaven gegeben, denen man alles genommen hat, damit sie keinen Selbstmord vollbringen könnten, und die sich doch das Leben genommen haben, indem sie ihre Zunge verschluckten. Und wenn er dies auch nicht tun wird, glaubst du etwa, daß er sich mit seinem Vater und den beiden anderen nicht, bevor er von ihnen ging, um nach einem Schiff auszusehen, genau besprochen hat, was er tun soll, wenn er in eure Hände fällt? Bittet ihn, überredet ihn oder martert ihn, er wird doch nur das tun, worüber er mit ihnen übereingekommen ist« – »Und was wird dies sein?« – »Das weiß ich nicht da ich ihn nicht gesehen habe und ihn nicht kenne. Er kann trotz seiner gegenwärtigen schlimmen Lage noch vieles tun, um euch zu entkommen. Er kann zum Beispiel aus seinem Gefängnis entspringen.« – »Das gelingt ihm nicht« – »Warum nicht? Kann er nicht Helfershelfer finden? Sind keine Somali in der Stadt? Oder kann er euch nicht scheinbar versprechen, euch zu den Flüchtlingen zu führen, und unterwegs entspringt er euch. Oder man stellt euch dann einen Hinterhalt?« – »Wie wäre das möglich?« – »Haben die Spanier nicht deine Schätze bei sich? Können sie nicht Leute genug anwerben und bestechen, um dich zu überfallen?«

Der Sultan schien nachdenklich zu werden. Er blickte eine Zeitlang vor sich nieder und erwiderte:

»Daran habe ich noch nicht gedacht Du bist in der Tat so klug, daß du der Wesir eines Sultan werden könntest. Ich meinte, bereits alles getan zu haben!« – »Und das Einfachste, das Leichteste, das Sicherste hast du nicht getan. Du sagt daß die Flucht nur dann gelingen könne, wenn die Entflohenen an der Küste ein Schiff treffen, auf dem sie Aufnahme finden. Nun, warum hast du ihnen denn nicht Aufnahme auf einem solchen Schiff verschafft?«

Der Sultan blickte den Kapitän mit dem größten Erstaunen an.

»Bist du toll!« rief er. »Ich selbst, dem sie entflohen sind, dessen Schätze sie geraubt haben, der ihnen nachjagt, um sie zu fangen, dem sie sogar die schönste Sklavin entführt haben, sollte ihnen zu weiterer Flucht behilflich sein?« – »Wer sagt denn das?« fragte der Deutsche mit überlegenem Lächeln. »Hast du mich denn wirklich nicht verstanden? Ich an deiner Stelle hätte mich schleunigst in ein Fahrzeug gesetzt und wäre längs der Küste hingesegelt. Sie wären gekommen und hätten um Aufnahme gebeten, ich aber hätte mich versteckt. Sobald sie aber mit den Schätzen das Schiff bestiegen hätten, wäre ich hervorgekommen und hätte mich ihrer bemächtigt.«

Da sprang der Sultan, ganz gegen die gewöhnliche Kaltblütigkeit der Orientalen, auf und rief:

»Allah il Allah! Du hast recht! Du bist klüger als wir alle!«

Auch der Gouverneur machte ein Zeichen der Zustimmung und der Bewunderung.

»Wo sind unsere Sinne gewesen, daß wir nicht auf diesen Gedanken gekommen sind!« sagte er. »Ja, du bist nicht nur furchtlos und tapfer, sondern auch listig und klug!« – »Wir werden dies noch tun und zwar sogleich!« rief der Sultan. »Nicht sogleich; überlegt es euch erst reiflich!« meinte der Deutsche. – »Warum? Du hast ja recht! Auf diese Weise müssen wir sie sicher fangen.« – »Fast ist es jetzt zu spät dazu. Sie haben den jungen Somali als Boten ausgesandt; er ist nicht wiedergekommen; sie wissen also, daß er gefangen ist, und werden sehr vorsichtig sein. Ferner haben sie eure Schiffe bemerkt. Kennen die Somali die Schiffe des Gouverneurs?« – »Ja«, antwortete der letztere. – »Gut, so wissen auch die Flüchtigen, daß sie von diesen Schiffen verfolgt werden. Sie werden sich keinem derselben nähern.« – »Du hast abermals recht«, sagte der Sultan erregt. »Ja, du bist weise und unternehmend. Gib uns einen guten Rat. Wenn wir sie bekommen, so will ich dir dreißig Kamele bezahlen mit ihren vollen Ladungen, anstatt zwanzig.«

Das Herz des Gouverneurs hüpfte bei diesem Versprechen vor Freude. Er blickte den Deutschen voller Erwartung an, was dieser sagen werde.

»Ist dies wahr? Wirst du dein Versprechen halten?« fragte Wagner. – »Ja, ich schwöre es dir!« – »So will ich dir meinen Rat geben: Das Schiff, auf dem du sie suchst, muß ein fremdes sein, damit sie es nicht fürchten, womöglich ein europäisches. Zu einem solchen werden die Spanier sofort Vertrauen haben, sobald sie es nur sehen.« – »Dein Rat ist gut; er ist der beste, den es geben kann«, entgegnete der Sultan. »Aber wo gibt es ein solches Schiff außer dem deinigen?« – »Er wird es dir geben«, meinte da der Gouverneur mit Wonne im ganzen Gesicht. – »Willst du es wirklich?« fragte der Tyrann. – »Ich werde es tun, aber ich stelle meine Bedingungen. Da wir keine Zeit verlieren dürfen, muß meine Ladung noch bis heute abend verkauft sein.« – »Ich werde dafür sorgen, daß dies geschieht«, sagte der Gouverneur. »Ich habe es dir bereits versprochen und werde mein Wort halten.« – »Ich selbst kaufe von dir so viel, als ich Gold und Silber bei mir habe«, rief der Herrscher von Harrar, der so bald wie möglich wieder zu seinen Schätzen und zu seiner schönen Sklavin kommen wollte. »Was hast du für Waren?«

Der Kapitän zählte nun mündlich alles auf, was er auf seinem Schiff geladen hatte.

»Es ist gut, ich werde kaufen, der Gouverneur wird kaufen, und die Karawanen werden kaufen. Hast du noch Bedingungen?« – »Ja, ich will von dem Preis, den du auf die Wiedererlangung der Flüchtlinge gesetzt hast, nichts haben; aber hier der Gouverneur ist mein Freund, er soll alles erhalten. Du gibst mir ein schriftliches Versprechen, das ich ihm schenke, sobald ich sie gefangen habe.«

Der Gouverneur wäre seinem großmütigen ›Freund‹ beinahe um den Hals gefallen; der Sultan aber konnte eine solche Uneigennützigkeit gar nicht begreifen. Ihm schien dies eine reine Unmöglichkeit, darum fragte er

»Habe ich recht verstanden? Du hast gesagt, daß du nichts haben willst?« – »Nichts!« – »Gar nicht?« lautete die womöglich noch erstauntere Frage. – »Gar nichts. Der eine geht gern auf die Jagd, und der andere spielt gern. Meine Leidenschaft aber ist, Flüchtlinge zu fangen. Ich bin belohnt genug durch die Freude, den Fang gemacht zu haben. Darf ich nun meine letzte Bedingung sagen?« – »Sage sie!« – »Ich muß den gefangenen Somali sehen.« – »Warum?« – »Die beiden Spanier werden jetzt seinen Vater auf Kundschaft aussenden. Während mein Schiff an der Küste hingeht, werde ich mit meinem großen Fernrohr diese letztere absuchen und ihn sehen. Jedenfalls sieht der Vater dem Sohn ähnlich. Wenn ich also den Sohn gesehen habe, werde ich den Vater sogleich erkennen.« – »Allah ist groß, und deine Weisheit ist gewaltig!« rief der Sultan. »Du hast es erraten, sie sehen sich sehr ähnlich, man erkennt den einen an dem anderen. Du sollst nun den Gefangenen sehen. Ich selbst werde dich zu ihm führen!« – »Nicht sogleich, sondern erst sollst du uns dein schriftliches Versprechen geben.« – »Das werde ich, und du selbst sollst es mir diktieren. Bringt Pergament, Tinte, Wachs und eine Rohrfeder her! Ich werde schreiben.« – »Warte noch!« sagte der Deutsche. »Wo nimmst du den Kaffee her?« – »Ich sende ihn aus Harrar.« – »Wie lange dauert das?« – »Ich reise hin und die Karawane her. Das dauert mit der Zeit, die ich brauche, um den Kaffee zu erhalten, einen Mondeslauf.« – »Gut, so schreibe.« – Gehorsam tauchte daraufhin der Sultan die Rohrfeder ein und schrieb folgendes Diktat:

 

»Ich, Ahmed Ben Sultan Abubekr, Emir und Sultan des Reiches Harrar, verspreche bei Allah und dem Propheten, dem Hadschi Scharmarkay Ben Ali Saleh, der da ist Gouverneur der Stadt Seila, einen Mondeslauf, nachdem der Kapitän Wagner die mir entflohenen Leute in seine Gewalt bekommen hat, dreißig Ladungen guten Kaffee nebst den Kamelen, die ihn getragen haben, als Geschenk zu übersenden.«

 

Er setzte seinen vollständigen Namen darunter, nahm dann das Petschaft, das er am Hals hängen hatte, und drückte es auf das Wachs, das das Siegel bildete.

»So! Bist du nun zufrieden?« fragte er. – »Ja«, antwortete der Deutsche. Und sich an den Gouverneur wendend, fügte er hinzu. »Ich habe vorhin gesagt, daß du dieses Schreiben später von mir bekommen sollst, damit du aber siehst, daß ich die Wahrheit spreche, übergebe ich es dir bereits jetzt.«

Der Gouverneur griff mit beiden Händen zu, so daß Wagner fast gerade hinausgelacht hätte, machte ein vollständig verklärtes Gesicht und rief:

»Ja, du beweist es, daß du ein edler Mann bist. Du bist mein Freund, du bist der Freund der Freunde und der Wohltäter der Wohltäter! Sage mir, was ich tun soll, um deinen Namen zu erheben und deine Güte zu preisen!« – »Ich verlange nichts von dir, als daß du dein Versprechen hältst.« – »In Beziehung auf den Verkauf deiner Ladung?« – »Ja.« – »Ich werde es halten. Ich werde sofort den Befehl geben, daß man bei dir nur bis zum Abend kaufen kann. Ich eile, ich gehe bereits!«

Der Gouverneur erhob sich und stürmte fort. Der Deutsche rief ihm noch nach:

»Sorge auch dafür, daß ich Lebensmittel und Früchte kaufen kann.«

Der Gouverneur hörte zwar diese Worte, aber er nahm sich nicht die Zeit, sie anders zu beantworten, als durch ein Zeichen mit beiden Händen.

Als er verschwunden war, legte der Sultan das Rohr seiner Pfeife beiseite und sagte, nachdem er den anderen noch einmal forschend angeblickt hatte:

»Weißt du, daß ich mich erst beinahe vor dir gefürchtet hätte?«

– »Ich weiß es!« antwortete der Gefragte.

Diese Antwort hatte der Frage denn doch nicht erwartet, darum sagte er:

»Allah ist groß! Also, du hast es gewußt! Du bist ein unerschrockener und ein weiser Mann. Willst du dich nicht zum wahren Glauben bekennen und mit mir nach Harrar gehen, um mein Diener zu sein? Du wirst es zu den höchsten Würden bringen und kannst vielleicht sogar Wesir werden!«

Wagner wiegte den Kopf hin und her und antwortete:

»Ich werde dir das später sagen; jetzt kenne ich dich noch nicht, und du kennst mich nicht« – »Ich kenne dich! Du bist ein Mann, wie ich ihn brauche; ich aber bin Ahmed Ben Sultan Abubekr, der Herrscher von Harrar, das Licht der Fürsten und die Sonne der Sultane. Wer mir dient, der findet Lohn, als ob er Allah selber diente. Jetzt aber komm, ich werde dir den Gefangenen zeigen.« – »Wie heißt er?« – »Murad Hamsadi; aber sein Name wird verlöschen, denn ich werde ihn und sein ganzes Geschlecht ausrotten, sobald ich den Vater gefangen habe. Komm!«

Der Tyrann schritt voran und verließ das Zimmer. Wagner folgte ihm. Sie kamen über einen weiten Hof und traten in einen engeren, der kaum zwanzig Schuh ins Geviert maß. Die Mauern waren ungefähr vier Meter hoch. Kein Mensch war vorhanden, wie Wagner dachte; nur ein alter Binsenkorb stand in der Mitte des Platzes.

»Hier ist er«, sagte der Sultan. – »Wo denn?« fragte der Deutsche, sich vergebens in dem Hof umblickend. – »Da. Nimm den Korb hinweg!«

Der Kapitän tat dies und erblickte nun zu seinem Entsetzen den Gefangenen. Man hatte eine tiefe Grube gemacht ihn hineingestellt und die Grube in der Weise wieder zugefüllt daß nur sein Kopf aus der Erde hervorsah. Trotzdem schien er sich noch bei Kraft und Besinnung zu befinden, denn seine Augen blickten mit einem unendlichen Haß auf den Sultan und mit einem Ausdruck zorniger Neugier auf den Deutschen.

Dieser griff unbemerkt in die Tasche und zog das Papier hervor. Er sah ein, daß er es ihm nicht geben konnte, da es ja dem Gefangenen unmöglich war, seine Arme zu gebrauchen; aber vielleicht konnte ein Augenblick erübrigt werden, ihm die Schrift zu zeigen. Freilich war dies sehr schwer, da außer dem Sultan noch der Dolmetscher zugegen war. Dennoch beschloß Wagner, es zu versuchen. Er hielt das Papier also in der hohlen Hand und klemmte den Daumen ein, um es zu entfalten. Es war so klein, daß es von der Hand vollständig bedeckt wurde.

»Sieh dir den Hund genau an!« sagte der Sultan. – »Willst du nicht versuchen, ob du ihn zum Sprechen bringst?« fragte Wagner. – »Nein, das ist jetzt unnütz. Du wirst seinen Vater und die anderen fangen, auch ohne daß er redet. Dann aber soll er seine Strafe empfangen!« – »Kann er denn nicht aus der Erde heraus? Wenn er sich wendet, wird das Erdreich locker!« – »Er kann nicht, er ist an einen Pfahl gebunden.« – »Wirklich? Mir scheint, als ob er bereits gearbeitet habe.«

Bei diesen Worten beugte sich Wagner vor dem aus der Erde ragenden Kopf nieder, tat, als ob er mit der Linken den Sand untersuche, und hielt dem Gefangenen mit der Rechten das Papier hin, so daß er es lesen konnte, wenn er das Lesen überhaupt verstand. Der Sultan bemerkte davon nichts und erwiderte:

»Die Erde ist fest, sorge dich nicht!« – »Aber wie kannst du ihn ohne Wächter lassen?« – »Am Tag ist keine Wache nötig, des Nachts aber steht ein Krieger bei ihm und ein anderer hier an der Tür. Er kann unmöglich entkommen.« – »So bin ich beruhigt, und wir können gehen.«

Diese letzteren Worte sagte der Kapitän mit großer Befriedigung, denn er erkannte aus dem Blick des Eingegrabenen, daß dieser die Worte gelesen und verstanden habe. Er hatte seinen Zweck erreicht und dem armen Teufel einstweilen Trost und Hoffnung gegeben, die er beide so notwendig brauchte.

In das Zimmer zurückgekehrt, fanden sie den Gouverneur, der ihnen meldete, daß die betreffenden Befehle bereits erteilt seien.

»Ich werde mit auf das Schiff gehen«, sagte der Sultan. – »Ich auch«, erklärte der Herrscher von Seila.

Beide hatten natürlich die Absicht, sich das Beste der Ladung auszusuchen, bevor andere kamen.

»So beeilt euch, denn es ist sehr hohe Zeit«, mahnte Wagner, indem er an seine Uhr blickte.

Und kaum waren diese Worte gesprochen, so krachte ein Schuß, und über den drei Männern erscholl ein fürchterliches Gepolter und Geprassel.

»Allah il Allah, was ist das?« fragte Sultan. – »Man schießt bereits!« rief der Gouverneur. – »Warum?« erkundigte sich der erstere erschrocken. – »Weil die Zeit vorüber ist, und mein Steuermann denkt, daß man mich feindlich empfangen hat. Ich muß eilen, ihn aus dem Irrtum zu reißen!« – »Ja, eile, eile; wir kommen nach!« rief der Sultan.

Der Kapitän verließ nun mit dem Dolmetscher schleunigst das Haus. Draußen auf den Gassen standen erschrockene Männer, die bei seinem Anblick an ihre Messer griffen, ihn aber doch ungehindert gehen ließen. Vor dem Tor angekommen, zog er sein Taschentuch und schwenkte es in der Luft und sogleich hörte er ein lautes Hurra vom Schiff erschallen, und einige Augenblicke später stieß ein Boot ab, um ihn an Bord zu holen.

»Das war eine schlimme Unterredung«, sagte der Dolmetscher. »Im Anfang war es mir um mein und dein Leben bange.« – »Dann aber beruhigtest du dich?« fragte Wagner lachend. – »Ja. Herr, sage mir, ob die Deutschen alle so mutig sind wie du.« – »Alle«, antwortete der Gefragte mit Selbstgefühl, obgleich er sich im stillen sagte, daß dies eine Unwahrheit sei. Aber er als Ungläubiger machte sich kein großes Gewissen daraus, einem »wahren Gläubigen« einmal eine Lüge zu sagen.

Als das Boot an Land stieß, meinte der Bootsmann, der es steuerte:

»Ein Glück, daß Sie kommen, Kapitän! Wir hätten unsere ganze Munition verschossen, um dieses Nest der Erde gleichzumachen. Und die Tauenden waren auch bereits gedreht, an denen die Gefangenen baumeln sollten.« – »Es ist alles gutgegangen«, antwortete Wagner. »Es wird bis zur Nacht und wohl auch noch länger tüchtige Arbeit geben, dafür sollt ihr aber auch eine Extraration haben und, wenn etwas glückt, eine volle Monatslöhnung dazu. Stoßt ab!« – »Hurra, Kapitän Wagner!« riefen die Jungens, während das Boot wie eine Möwe in die Flut hinausschoß.


 << zurück weiter >>