Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17. Kapitel.

Kurt war begierig zu erfahren, was es im Kasino geben werde, er säumte daher nicht, sondern machte sich sogleich auf den Weg. Als er das Lokal betrat, war Platen noch nicht da, doch gab es fast keinen leeren Platz im Raum. Die Soiree des Großherzogs mußte besprochen werden, und daher hatten sich alle eingefunden.

Nur der Oberst und Ravenow fehlten. Man ahnte, weshalb, aber man fragte nicht, obgleich der Ehrenrichter und die beiden Sekundanten, die zugegen waren, Auskunft hätten erteilen können.

Als Kurt eintrat, machte sich doch eine sichtbare Verlegenheit geltend. Man hatte gegen ihn Front gemacht, aber auf der Soiree gesehen, unter welcher mächtigen Protektion er stehe. Sich selbst desavouieren wollte man nicht, aber ignorieren durfte man ihn doch auch nicht, und so erwiderte man seinen Gruß in jener Art und Weise, die weder höflich noch beleidigend ist. Er kehrte sich nicht daran, sondern nahm Platz, ließ sich ein Glas Wein geben und beschäftigte sich mit einer Zeitung.

Nach einiger Zeit kam Platen herein und setzte sich zu ihm.

»Kommt der Oberst?« fragte Kurt. – »Natürlich«, antwortete Platen. »Er war ganz erstaunt über den Befehl, den ich ihm überbrachte. Ich habe so meine Gedanken über das, was er hier soll.« – »Das ist nicht schwer zu erraten. Oberst Märzfeld erhält unser Regiment; da er von der Linieninfanterie ist, so ist dies eine außerordentliche Bevorzugung für ihn, für das Offizierskorps unseres Regimentes aber eine Strafe, die gar nicht größer und fühlbarer sein könnte.« – »Aber die anderen Schreiben? Was enthalten sie?« – »Wir werden es abwarten.«

Sie brauchten nicht lange zu warten, denn bereits nach kurzem erschien der Oberst. Als er eintrat, wandten sich aller Augen mit Befremden nach ihm. Ein Oberst von der Linieninfanterie? Was wollte er hier? Warum kam er in großer Uniform, mit seinen Orden auf der Brust?

Man erhob sich allgemein, um ihn seinem Rang gemäß zu begrüßen. Der Oberstleutnant und die Majors gingen ihm entgegen, um ihn zu bewillkommnen. Er drückte den dreien die Hand und sagte:

»Ich danke für den Willkommen, meine Herren! Es führt mich eine dienstliche Angelegenheit zu Ihnen, nicht der Wunsch, an Ihrem Frühstück teilzunehmen.« Er zog das Kuvert, das er empfangen, hervor und fuhr fort: »Seine Exzellenz, der Herr Kriegsminister, schickte mir nämlich durch Herrn von Platen den Befehl, hier vor Ihnen, meine Herren, dieses Kuvert zu öffnen, um Ihnen Mitteilung von dem Inhalt desselben zu machen.«

Ein allgemeines »Ah!« der Verwunderung ließ sich hören. Eine ministerielle Bekanntmachung im Kasino? Kein Regimentsbefehl? Das war noch niemals dagewesen! Und diesen Befehl sollte ein Oberst von der Linieninfanterie publizieren? Platen hatte ihm denselben überbracht? Wie kam der dazu?

Die Blicke der Anwesenden schweiften zwischen dem Obersten und Platen hin und her. Der letztere tat, als bemerke er es nicht; der erstere aber öffnete das Kuvert und zog die verschiedenen versiegelten Schreiben hervor, die es enthielt; sie waren numeriert.

»Ich ersuche um Ihre Aufmerksamkeit, meine Herren. Nummer eins!«

Er las die kurzen Zeilen vor. Sie enthielten den Abschied des Regimentsobersten, ohne Pension, da er nicht im Dienst unfähig geworden sei. Diese Bekanntmachung rief eine förmliche Sensation hervor. Man trat von einem zum anderen, man sprach wirr durcheinander. Man fragte, ob ein Duell wirklich stattgefunden habe und welches der Ausgang desselben gewesen sei.

»Nummer zwei, meine Herren!« rief der Oberst in die Aufregung hinein. Der Lärm verstummte augenblicklich. Doch was man hörte, war ebenso erstaunlich wie das vorherige. Leutnant Ravenow wurde verabschiedet, ohne Pension wie der Oberst. Es war von keinem Abschiedsgesuch die Rede. Die beiderseitige Verabschiedung kam also geradezu aus heiterem Himmel.

»Nummer drei!«

Man lauschte mit erhöhter Spannung. Der Oberleutnant von Branden wurde seiner Adjutantur enthoben und mit dem Leutnant von Golzen zum Train versetzt. Dies war dem Regimentskommandeur des letzteren, der ja bei den Gardekürassieren stand, zu melden.

Die beiden Betreffenden waren anwesend. Auf ihren bleichen Zügen lagerte der Schreck. Von der Garde zum gemeinen Train versetzt, das war geradezu eine ehrenschändende Degradierung. Man wollte ihnen kondolieren, aber man wagte es nicht. Aller Blicke richteten sich auf Kurt. Man begriff, daß dieser es sei, dem eine so schneidige Genugtuung gegeben werden solle.

»Nummer vier!«

Also noch nicht zu Ende? Was sollte noch kommen? Sie erfuhren es nur gar zu bald. Der Oberstleutnant, der Major, der Rittmeister von Kurts Schwadron wurden zur Linie versetzt – auf ihr eigenes Verlangen, wie es hieß. Auf diese Weise überzuckerte man die Pille, die sie zu nehmen hatten.

Nummer fünf ernannte den Obersten von Märzfeld zum Kommandeur des Gardehusarenregiments, worüber er selbst am meisten in Erstaunen geriet, allerdings in ein höchst freudiges. Platen wurde zum Oberleutnant ernannt und dem Oberst als Adjutant beigegeben. Zum Schluß wurde auch Kurts Name verlesen. Auch er erhielt seine Ernennung zum Oberleutnant der Gardehusaren, wurde jedoch zum Generalstab versetzt.

Das war nun allerdings eine Auszeichnung, um welche man den besten Freund beneiden konnte, wieviel mehr ihn, dem man so feindlich entgegengekommen war. Und dem setzte der Oberst die Krone auf, indem er zu Kurt trat, ihm die Hand kräftig schüttelte und laut sagte:

»Herr Oberleutnant, es freut mich, daß ich es bin, durch den Sie Ihre Beförderung erfahren. Es tut mir leid, Sie einstweilen nicht in den Reihen meines Regiments zu sehen, doch bin ich überzeugt, daß Sie beim großen Stab, wo man Sie zu schätzen scheint, Ihr Glück eher machen werden, als in Reih und Glied, wo die Befähigung so leicht Gefahr läuft, verkannt oder übersehen zu werden. Ich habe Ihnen noch zu bemerken, daß Seine Exzellenz Punkt vier Uhr bereit sind, Ihren Dank persönlich entgegenzunehmen.«

Jetzt mußte der Neid die höchste Spitze erreichen, nur bei einem nicht, nämlich bei Platen. Dieser umarmte den Freund herzlich und flüsterte ihm zu:

»Wer hätte, als ich dir aus reinem Mitleid nachlief, gedacht, daß ich deinetwegen avancieren würde! Schau, Kurt, wie die stolzen Herren von der Garde dem alten Märzfeld gratulieren! Sie wünschen ihn zum Teufel, gehen aber teilweise selbst zu diesem, nämlich zum Train. Komm, laß uns aufbrechen, dir ist die glänzendste Genugtuung geworden; wir haben hier nichts mehr zu suchen. Ich will mich nur von dem neuen Kommandeur verabschieden und um einen Urlaub bitten. Ich muß nach Mainz.« – »Nach Mainz?« fragte Kurt. »Also in die Nähe meiner Heimat?« – »Ja. Onkel Wallner schreibt. Es handelt sich um eine Erbschaftsregelung, so daß er mich persönlich sprechen muß. Ich glaube, daß ich den Urlaub erhalte, der alte Märzfeld wird jedenfalls selbst einige Zeit brauchen, um sich zu orientieren. Von einem sofortigen Antritt kann keine Rede sein.« – »Ist nicht dein Oheim Bankier?« – »Ja, ich sagte es dir bereits, daß er geradeso wie ich mit unserem bisherigen Major verwandt sei.«

Platen trat zu dem Obersten, um sich den Urlaub zu erbitten und erhielt ihn, dann verließen die beiden Freunde das Lokal, nachdem sie sich dem neuen Vorgesetzten empfohlen hatten. Kurt lud Platen zu sich ein, und dieser sagte zu, heute abend zu kommen. Sie trennten sich auf der Straße, ohne daß Kurt Gelegenheit gefunden hatte, den Ring in Erwähnung zu bringen.

Daheim angekommen, richtete er mit der Nachricht, daß er zum Oberleutnant avanciert und zum großen Generalstab kommandiert sei, große Freude an. Zur angegebenen Zeit fuhr er dann zum Kriegsminister, von dem er mit Auszeichnung empfangen wurde. Nachdem er seinen Dankgefühlen Ausdruck gegeben hatte, sagte die Exzellenz:

»Sie wurden uns warm empfohlen, man stellte mir eine Abschrift der militärischen Berichte zu, die Sie für Ihren bisherigen Kriegsherrn ausarbeiteten, und so konnte ich mir die Ansicht bilden, daß Sie zu verwenden sind. Daher habe ich bestimmt, daß Sie dem Stab zugesellt werden, natürlich aber unter der Voraussetzung, daß Sie sich künftighin vor gewissen Jagdabenteuern hüten, infolge deren man sehr leicht dienstunfähig wird.«

Er sprach diese Worte in scherzhaft drohendem Ton und fuhr dann fort:

»Einstweilen will ich noch unterlassen, Sie unserem Generalstabschef vorzustellen. Es ist möglich, daß man Sie zunächst mit einer Mission beauftragen wird, welche auch eine militärische ist, jedoch einen sehr diplomatischen Charakter hat. Man bedarf dazu eines Mannes, welcher den Mut des Mannes, die Schlauheit eines Polizisten und die Kaltblütigkeit des Alters besitzt und doch jugendlich ist, so unerfahren und ungefährlich erscheint, daß er nicht eine unbequeme Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dazu scheinen Sie der geeignete Mann zu sein. Sie sind noch jung und können, wenn Sie wollen, recht ungefährlich erscheinen, obgleich Sie während Ihrer Jagdpartie bewiesen haben, daß Sie es nicht sind. Es wird sich dabei um eine längere Reise handeln. Bereiten Sie sich zu derselben vor. Ich gebe Ihnen eine Woche Zeit, behalte mir aber die Kenntnis Ihres Aufenthaltes vor, damit ich Sie benachrichtigen kann, falls man Ihrer eher bedürfen sollte.«

Das waren Worte, die Kurt beglückten. Sie enthielten eine Auszeichnung, die einen hochgestellten Offizier stolz gemacht hätten. Er antwortete:

»Exzellenz, ich bin zu jung, um meiner in jeder Beziehung gewiß zu sein, aber ich werde alle Kraft anstrengen, um die Aufgabe, die man mir erteilt, zu lösen. Mein Aufenthalt während dieser Woche wird Seiner Hoheit, dem Herzog von Olsunna, bekannt sein.« – »Ihre Bescheidenheit ist eine Ehre für Sie. Ich entlasse Sie mit der Bitte, mich dem Herzog zu empfehlen.«

Kurt verließ den Minister um eine Stufe glücklicher noch, als er bereits vorher gewesen war. Er beschloß natürlich, nach Rheinswalden zu gehen, um vor der langen Abwesenheit, die ihm in Aussicht gestellt worden war, seine Mutter und den Hauptmann zu sehen. Er hatte sich von ihnen zu verabschieden, obgleich er nicht wußte, wohin diese Reise gehen werde.

Zu Hause angekommen, erzählte er seine Unterredung und richtete damit große Freude an. Des Abends kam Platen und blieb bis gegen Mitternacht. Weil er morgen nach Mainz wollte, so wurde beschlossen, daß die beiden Freunde miteinander fuhren. Da der Lord mit Amy nach Wien wollte, und zwar in sehr kurzer Zeit, da politische Gründe seine dortige Anwesenheit bald erforderten, so nahm Kurt von den beiden Abschied.


 << zurück weiter >>