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34. Kapitel.

Als sie an Bord kamen, schliefen die Mohammedaner noch immer fest. Der Koch hatte die Kajüte des Kapitäns in dieser Zeit recht nett für Emma hergerichtet und sie in ein allerliebstes Damenboudoir verwandelt, und für den Grafen wurde auf dem Hinterdeck einstweilen ein Zelt erbaut

Nun konnte man von den gehabten Strapazen bis zum Morgen ausruhen, was auch alle, mit Ausnahme der Deckwache, taten. Die Schläfer erwachten dennoch schon, als die Sonne im Westen dem Meer entstieg. Große Erregungen beherrschen den Körper so, daß diesem die Ruhe zur Unmöglichkeit werden kann. Nach einem kurzen Frühstück versteckten sich die Hauptpersonen des bisherigen Trauerspiels, und die Mohammedaner wurden geweckt. Sie entrissen sich gähnend dem narkotisch festen Schlaf und ließen sich dann ihren Kaffee kommen.

Während sie denselben schlürften, ging der Kapitän wie zufällig an dem Zelt des Sultans vorüber. Dieser nahm die Gelegenheit wahr, ihn anzurufen:

»Segeln wir heute wieder so langsam wie gestern?« – »Möglich!« – »So wirst du die Schurken niemals fangen. Wir haben uns in dir geirrt.« – »Du hast recht, nur in anderer Weise, als du denkst. Ihr schlaft, und ich arbeite. Ich habe sie heute nacht gefangen.« – »Allah il Allah! Ist es wahr? Heute nacht?« – »Ja.« – »Es fehlt keiner?« – »Gar keiner. Sogar der Somali ist dabei, der mit dem abessinischen Posten entflohen ist.« – »Bei Allah, es wird den beiden schlecht bekommen. Ich muß sie sehen, alle, alle! Ist die Sklavin auch dabei?« – »Ja. Ich sagte doch bereits, daß keiner fehle.« – »So muß ich sie sofort sehen, sofort! Hörst du? Wo sind sie? Wo?« – »Fahre mit uns an das Ufer, wenn du sie sehen willst. Ich werde sogleich ein Boot herablassen für uns. Das deinige, mit dem du an Bord gekommen bist, hängt noch hinten, ich werde es dir an die Seite bringen lassen. Nimm alle deine Leute mit, denn du wirst sie gebrauchen können!«

Dies brachte Leben und Bewegung in den Sultan und den Gouverneur. Sie rannten von einem Ende des Schiffes zum anderen, sie brüllten ihren Untergebenen die widersprechendsten Befehle zu und merkten dabei gar nicht, was für eigentümliche Vorrichtungen an Bord getroffen wurden.

Ihr Boot wurde nämlich längsseits gezogen und das Fallreep niedergelassen. Auf der anderen Seite tat man so, als ob auch hier ein Boot für den Kapitän ausgesetzt werde, doch wurde dasselbe nur bis zur halben Bordwand heruntergelassen, während an der Ankerwinde einige Mann standen und andere sich in den Rahtauen zu schaffen machten, um sich, wie es schien, die Zeit zu vertreiben. Ein aufmerksamer Beobachter aber hätte sehen müssen, daß das Schiff fertiggehalten wurde, in Zeit von einer Minute in See zu gehen.

Endlich waren die Mohammedaner fertig und sahen sich nach dem Kapitän um.

»Einsteigen!« kommandierte dieser und tat zu gleicher Zeit, als ob er sich in das andere Boot hinablasse.

Kaum aber stand der letzte der Diener auf der Falltreppe, so stand Wagner wieder auf Deck. Ein Wink von ihm genügte, der Anker hob sich vom Grund, und die Segel bekamen Leben. Nun schritt er hinüber, blickte über die Brüstung in das Boot des Gouverneurs und sagte zum Sultan:

»Jetzt sollst du sehen, daß ich Wort gehalten und alle Flüchtlinge in meine Hand bekommen habe. Welcher von ihnen ist dir der wertvollste?« – »Die weiße Sklavin«, antwortete der Gefragte. »Aber warum kommst du nicht?« – »Weil ich sie dir zeigen kann, ohne mit dir zu gehen. Blicke her.«

In diesem Augenblick trat Emma an die Brüstung und zeigte sich den Männern, die sich unten im Boot befanden. Der Sultan fuhr erstaunt empor und rief:

»Allah il Allah, das ist sie; ja, das ist sie! Ich muß wieder hinauf!«

Er durchschritt das Boot, um wieder an die Falltreppe zu gelangen, an der das letztere befestigt war.

Da aber gab der Kapitän einem seiner Leute den Wink. Der Mann hatte das Tau, woran das Boot hing, bereits gelöst und hielt es in der Hand. Er warf es über Bord in das Boot hinab, das nun frei wurde und unter den eiligen Schritten des Sultans so zu schaukeln begann, daß dieser niederstürzte. Doch raffte er sich schnell empor und rief:

»Halt, was ist das? Warum bindest du uns los? Ich muß hinauf; ich muß die Sklavin holen; sie ist mein Eigentum! Und wo sind die anderen?« – »Hier!«

Bei diesen Worten zeigte Wagner auf den Grafen Rodriganda und den Gärtner Bernardo, die beide jetzt auch an die Brüstung traten und sich in ihrer vollen Gestalt sehen ließen.

Während der kurzen Dauer dieses Intermezzos hatte der Dolmetscher die Übersetzung der Reden übernommen. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß die gesuchten Flüchtlinge sich an Bord befanden. Als er dies jetzt bemerkte, flüsterte er dem Kapitän höchst erschrocken zu:

»Was hast du getan, Herr? Es wird dein und mein Verderben sein!« – »Inwiefern?« fragte Wagner. – »Der Sultan und der Gouverneur werden sich furchtbar rächen.« – »Pah! Ich fürchte sie nicht!« – »Du wohl, aber ich. Ich komme ja öfters nach Seila und Berbera.« – »So gehst du nicht wieder her.« – »So habe ich großen Schaden.« – »Der wird dir vielleicht ersetzt werden.« – »Dennoch darf ich in dieser Sache nicht weiter dein Dolmetscher sein.« – »Das ist auch nicht nötig, ich werde reden.«

Diese letzteren Worte hatte der Graf gesprochen, der die leise Rede des Dolmetschers verstanden hatte und nun näher an die Brüstung trat, so daß ihn der Sultan genau sehen konnte, der mit einer überraschten Handbewegung ausrief:

»Bei Allah, dort sind sie! Ich befehle euch, mich wieder an Bord zu nehmen!« – »Das fällt uns gar nicht ein!« lachte der Graf. – »So kommt herab zu uns! Ich gebiete es euch!« – »Bist du toll? Was hättest du uns zu befehlen? Wir sind jetzt freie Männer.« – »Schurken seid ihr, elende Schurken! Wo habt ihr mein Geld und meine Schätze?« – »Die haben wir bei uns auf dem Schiff.« – »Gebt sie heraus!« – »Das wäre lächerlich. Ein Fürst der Christen ist gezwungen gewesen, dir so lange Jahre zu dienen, er zwingt dich jetzt, ihm ein fürstliches Gehalt auszuzahlen. Lebe wohl und vergiß die Lehre nicht, die du heute von uns erhältst.«

Das Boot trieb vom Schiff ab; aber die Wut des Sultans war so groß, daß er in diesem Augenblick kein Wort sprechen konnte. Er brachte nur einige unartikulierte Laute hervor, an seiner Stelle aber befahl der Gouverneur:

»Ich gebiete euch, uns wieder aufzunehmen. Oder soll ich euch zwingen?« – »Versuche es!« lachte der Graf. – »Der Sultan hat mir eine Schrift ausgestellt, daß ich den Preis erhalten soll.« – »Laß ihn dir auszahlen. Die Bedingungen sind erfüllt. Du sollst den Preis erhalten, sobald wir in die Hände des Kapitäns gekommen sind. Wir befinden uns jetzt in seiner Hand; also müssen die Kamelsladungen ausgezahlt werden!« – »Hund!« knirschte der Gouverneur. »Ihr habt uns betrogen!« – »Aber ihr uns nicht, dazu wart ihr ja zu dumm! Ein Christ wird sich niemals von einem Moslem betrügen lassen, das merke dir; lebe wohl!«

Da zeigte der Gouverneur mit zorniger Gebärde nach dem Schiff und gebot seinen Leuten:

»Nehmt die Ruder. Wir legen wieder an.«

Sie gehorchten. Doch als der Kapitän dies merkte, kommandierte er:

»Holla, Männer! Die Segel in den Wind und das Steuer zum Wenden!«

Dieser Befehl wurde sofort befolgt, und eben, als das Boot das Schiff wieder berühren wollte, machte dasselbe eine rasche Wendung, so daß die Berührung zu einem Zusammenstoß wurde, infolgedessen das Boot umschlug, seine Insassen in das Wasser stürzten und Mühe hatten, sich darin zu erhalten.

Da erscholl vom Ufer her ein lauter Freudenruf. Der Sultan, der von zweien seiner Leute unterstützt wurde, blickte hinüber, und als; er die beiden Somali erkannte, die auf seinen Kamelen am Wasser hielten und laut seinen Fall bejubelten, pustete er, indem er Seewasser schluckte:

»Diese Hunde sind die Führer gewesen; sie haben meine Tiere! Schnell ans Ufer; wir müssen sie fangen!«

Die auf dem Deck des Schiffes Stehenden sahen nun, wie die im Wasser Schwimmenden sich Mühe gaben, das Ufer zu erreichen; kaum aber waren sie dort angelangt, so stießen die beiden Somali einen höhnischen Jubelruf aus und galoppierten auf ihren schnellfüßigen Tieren davon. Die beiden großen Herren hatten auch hier das Nachsehen.

»Man sieht es, daß er vor Wut bersten möchte«, sagte der Graf. »Wehe denjenigen von seinen Leuten, über die sich sein Zorn entladen wird.« – »Es wird ihnen gehen wie mir, wenn ich wieder nach Seila komme«, klagte der Dolmetscher. – »Wieso?« – »Der Gouverneur wird mich gefangensetzen.« – »So gibt es ein sehr vorzügliches Mittel: Du gehst ganz einfach nicht wieder hin, und den Schaden, der dir daraus erwächst, werde ich dir ersetzen.«

Damit schien der Mann zufrieden zu sein.


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