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13. Kapitel.

Nach dem Verschwinden der drei hohen Herren, denen natürlich der Kammerherr folgte, ließ man sich eher gehen, und ein lautes, vielstimmiges Summen zeugte von dem Eifer, mit dem das Ereignis besprochen wurde. Bereits hatten alle höheren Offiziere Kurt gratuliert, und er stand gerade einige Augenblicke allein, da kam Röschen auf ihn zu.

»Lieber Kurt, welch eine freudige Überraschung!« sagte sie mit leuchtenden Augen. »Hättest du an solche Huld gedacht?« – »Nie! Ich bin noch immer starr vor Erstaunen und Entzücken«, gestand er aufrichtig. »Ich befinde mich beinahe wie in einem Traum.« – »Höre, Kurt, der Dienst, von dem du allerdings bereits gestern sprachst, scheint ein ganz bedeutender zu sein, aber ich darf deine Diskretion nicht auf die Probe stellen, ich will dir lieber gratulieren, von Herzen gratulieren. Deine Feinde sind furchtbar beschämt, furchtbar gedemütigt worden. Du bist nicht allein mein Ritter, sondern Ritter von nun sechs Orden. Ich möchte den sehen, der sich gegen dich in die Schranken wagt! Doch sage, wie steht es mit dem Duell? Hat der Oberst deine Forderung angenommen?« – »Nein, wie mir Platen berichtete.« – »Ja, was wird denn nun?« – »Man hat ein Ehrengericht gehalten und erklärt, daß ich nicht das Recht habe, Genugtuung zu fordern.« – »Woher weißt du das?« – »Platen war ja dabei. Er hat mir vor zehn Minuten das Protokoll eingehändigt, das die Verhandlung und das Urteil enthält.« – »Wo hast du es? In der Tasche?« – Ja.« – »Bitte zeige es mir, lieber Kurt. Ich möchte es sehr gern lesen.« – »Jetzt? In dieser Umgebung? Magst du nicht warten, bis wir nach Hause gekommen sind, liebes Röschen?« – »Nein. Diese Angelegenheit ist mir so außerordentlichen interessant, daß ich nicht so lange warten mag. Übrigens mußt du bedenken, daß du mein Ritter bist, und als solcher hast du alle Wünsche deiner Dame genau und schnell zu erfüllen.« – »Nun wohl, hier ist es.«

Er gab ihr das Kuvert, in dem die Abschrift steckte. Sie nahm es an sich, bedeckte es mit ihrem Taschentuch, damit es nicht gesehen werde, und begab sich in ein Nebenzimmer, um den Inhalt kennenzulernen. Bereits nach kurzer Zeit stand sie wieder unter der Tür. Ihr schönes Angesicht war vor Zorn gerötet, und ihre blitzenden Augen suchten nach dem Obersten. Er stand mit Rittmeister von Palm, seinem Adjutanten von Branden und dem Leutnant Ravenow beisammen. Sie eilte mit raschen Schritten auf diese Gruppe zu, verbeugte sich kurz und energisch und sagte:

»Die Herren entschuldigen, daß ich störe. Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Herr Oberst.« – »Ich stehe zur Disposition, mein gnädiges Fräulein«, antwortete er mit einer sehr höflichen Verneigung, indem er eine Bewegung machte, mit ihr zur Seite zu treten. – »O bitte«, meinte sie, »wir können bleiben. Diese Herren dürfen anhören, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie sind von Herrn Leutnant Helmers gefordert worden?« – »Leider ja«, antwortete er, verlegen werdend. – »Und haben erklärt, daß Sie ihn nicht für satisfaktionsfähig halten?« – »Gnädiges Fräulein«, stotterte er, »ich muß Ihnen sagen, daß ich ...« – »Schon gut!« unterbrach sie ihn. »Man hat ein Ehrengericht beauftragt, sich mit diesem Fall zu befassen, und dieses hat sich gegen den Herrn Leutnant erklärt. Hier ist das Protokoll. Ich sage Ihnen, daß der Herr Leutnant des Königs Uniform trägt, er ist in Ehrensachen Ihnen gleichstehend, als Ritter zahlreicher Orden steht er hinter keinem Kavalier zurück, und ich sage Ihnen, daß ich Sie für einen Feigling halte, wenn Sie die Forderung zurückweisen. Beleidigungen eines Ehrenmannes müssen ebenso gezüchtigt werden wie freche Überfälle auf Damen, die man zum Gegenstand einer rohen Wette macht. Die Entscheidung Ihres Ehrenrates zeigt nicht, daß die betreffenden Richter sich mit der Ehre viel beschäftigen. Das sagt Ihnen eine Dame, Herr Oberst. Ich würde hier vor allen Zeugen das Protokoll zerreißen und Ihnen vor die Füße werfen, wenn ich es nicht als Beleg zu einer persönlichen Bitte an den König brauchte. Erklären Sie nicht noch heute abend dem Leutnant Helmers, daß Sie sich ihm stellen wollen, so bin ich morgen beim König, um ihm zu sagen, welches Quantum von Mut die Obersten seiner Garde besitzen und wie man mit einem Ehrenmann umzugehen wagt, der sich die bedeutendsten Verdienste erworben hat und von der Majestät dafür ausgezeichnet wurde. Es tut mir leid, daß ich nicht ein Mann bin, Herr Oberst, und also meine gegenwärtigen Worte nicht mit einer Pistole oder einem Degen bekräftigen kann. Adieu!«

Sie rauschte in stolzer Haltung davon und ließ die Herren in einer unbeschreiblichen Stimmung stehen. Der Oberst war kreidebleich geworden.

»Mir das! Mir!« knirschte er. »Dieser Hund von Helmers hat ihr die Abschrift gegeben. Ich werde ihn niederschießen wie einen tollen Hund!« – »Und mich«, sagte Ravenow finster, »meinte sie mit diesem ›frech‹ und ›roh‹. Oh, ich bedauere ebenso, daß sie kein Mann ist, ich würde sie zu züchtigen wissen. Aber ihr Schützling soll es mir büßen!« – »Eine verdammte Hexe ist sie«, brummte der Adjutant wohlgefällig. »Ich lasse mich vom Teufel holen, wenn sie nicht wirklich imstande ist, zum König zu gehen. Was werden Sie tun, Herr Oberst?« – »Was meinen Sie, Rittmeister? Sie sind Ehrenrat«, sagte der Oberst – »Ich meine, daß es jetzt ganz unmöglich ist, beim Entschluß des Ehrengerichtes zu beharren. Es hat sich heute abend gezeigt, daß Helmers doch der Mann ist, dem man Genugtuung nicht verweigern kann. Und der Angriff dieser Dame ist so übermütig, daß er nur mit Blut beantwortet werden kann.« – »Das ist nun auch meine Meinung«, sagte der Oberst. »Nun ich mich überzeugt habe, daß ich meine Ehre nicht schädige, wenn ich mich mit Helmers auf die Mensur stelle, werde ich mich natürlich nicht länger weigern, ihm zu Diensten zu sein. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich mir alle Mühe geben werde, ihn zu töten.« – »Das überlassen Sie mir, Herr Oberst«, meinte Ravenow. »Ich habe ihn auf türkische Säbel gefordert, er kann mir nicht entgehen. Wir schlagen uns, bis einer von beiden tot oder wenigstens dienstunfähig ist.« – »Wann und wo ist das Rendezvous?« fragte der Oberst. – »Das ist noch unbestimmt«, antwortete Ravenow. »Ich erwarte Ihre Entscheidung, da es jedenfalls am besten ist, daß beide Angelegenheiten neben- oder hintereinander ausgefochten werden. Meinen Sie nicht?« – »Ich stimme bei und werde sofort Platen sagen, daß ich die Forderung annehme. Welchen Ort würden Sie vorschlagen, Leutnant?« – »Was sagen Sie zu dem Park hinter der Brauerei auf dem Blocksberg?« – »Ausgezeichnet passend. Und die Zeit?« – »Ich mag keine Minute verlieren, denn ich brenne vor Begierde, diesem Helmers den Schädel zu spalten. Ich stimme für sofort. Man wird hier nicht sehr spät nach Mitternacht aufbrechen, eine Stunde genügt, um unsere persönlichen Angelegenheiten zu ordnen. Was sagen Sie zu vier Uhr früh?« – »Mir recht.« – »Schön. Aber ich habe eine dringende Bitte, Herr Oberst. Sie sind Familienvater, ich aber nicht, auch ist Ihre dienstliche Stellung eine ganz andere als die meinige, unsere Chancen stehen sich also nicht gleich. Mag die Angelegenheit ausfallen, wie sie will, so fallen die Folgen viel schwerer auf Sie als auf mich. Ich ersuche Sie daher, mir die Vorhand zu lassen.«

In Berücksichtigung seines höheren Ranges hätte der Oberst auf diesen Vorschlag nicht eingehen sollen, aber er dachte an seine Familie, er dachte an die Strafen, die das Duell nach sich zieht, er berechnete, daß er vielleicht gar nicht zum Kampf kommen werde, da Ravenow, den man für unbesiegbar hielt, den Gegner töten wollte, und so antwortete er:

»Sie sind ein braver Kerl, Leutnant, ich will Ihnen Ihre Bitte nicht abschlagen. Rittmeister Palm, Sie müssen als Ehrenrat bei der Partie sein. Branden, wollen Sie mir sekundieren?« – »Mit größtem Vergnügen, Herr Oberst«, antwortete der Gefragte. – »So gehen Sie sogleich zu Platen, dem Sekundanten Helmers', und sagen Sie ihm, daß ich den Gegner morgen früh vier Uhr an dem angegebenen Ort erwarte. Ich werde Pistolen mitbringen. Wir nehmen zwanzig Schritt feste Distanz und schießen so lange, bis einer von beiden tot oder dienstunfähig ist. Für den Arzt werde ich sorgen, dessen Aufgabe es übrigens sein wird, bei einer Verwundung zu bestimmen, ob sie dienstuntauglich macht oder nicht.« – »In welchen Intervallen wird geschossen?« – »Auf Kommando und zu gleicher Zeit.« – »Ihre Bedingungen sind ebenso streng wie die meinigen«, sagte Ravenow. »Helmers wird den Platz nicht verlassen. Was versteht der Kerl von türkischen Säbeln! Ich haue ihm gleich beim ersten Hieb den Kopf auseinander. Es ist geradezu unmöglich, daß er entkommen kann; sollte aber der Teufel doch sein Spiel haben, so fällt er dann von Ihrer Kugel, denn es ist bekannt, daß Sie, Herr Oberst, ein ausgezeichneter Pistolenschütze sind. Ich werde sogleich mit Golzen sprechen. Er ist mein Sekundant und soll sofort zu Platen gehen, um ihm unsere Bedingungen mitzuteilen.«

Nach einiger Zeit kamen von Golzen, der Adjutant und Platen zu Kurt, der an der Seite Röschens auf einem Diwan saß.

»Herr Leutnant, wir haben mit Ihnen zu sprechen«, meinte Platen. – »Kommen Sie in das Nebenzimmer«, sagte Kurt »Die Dame wird mich auf einige Augenblicke entschuldigen.« – »Nein, das tue ich nicht«, sagte Röschen energisch. »Ich vermute, daß sich Ihr Gespräch auf die Duellangelegenheit beziehen wird; ist es nicht so, meine Herren?«

Der Adjutant nickte und meinte dann mit einem Seitenblick auf Kurt:

»Sie haben richtig geraten, mein Fräulein. Da Herr Helmers den so ganz und gar ungewöhnlichen Weg eingeschlagen hat, Ihnen, einer Dame, von diesem Ehrenhandel Mitteilung zu machen, so sehe ich keinen Grund ein, Ihnen den Zweck unseres Kommens zu verschweigen.« – »Es kann gegen meinen Freund keinerlei Vorwurf aus seiner Aufrichtigkeit gegen mich entspringen«, parierte Röschen den in des Adjutanten Worten gegen Helmers enthaltenen Hieb. »Ich bin in einer Weise in ihn gedrungen, daß es ihm unmöglich war, zu leugnen, wenn er mich nicht belügen sollte. Und einer Unwahrheit macht er sich niemals schuldig. Übrigens habe ich das größte Recht, mich mit dieser Angelegenheit zu befassen, da eigentlich ich es bin, die von dem einen seiner Gegner beleidigt wurde. Ich erwarte daher, daß Sie auch jetzt sich nicht zurückziehen, sondern die Angelegenheit in meiner Gegenwart besprechen.«

Die Herren wechselten einen fragenden Blick untereinander, worauf Golzen das Wort nahm, um Kurt zu fragen:

»Was sagt der Herr Leutnant dazu?« – »Oh, mir ist alles gleich«, antwortete dieser kalt. »Die Sache erscheint mir gar nicht wichtig und bedeutend genug, als daß ich aus ihr viel Wesens machen mag.«

Darauf antwortete der Adjutant in einer beinahe zornigen Aufwallung: »Sie werden gleich bemerken, daß sie denn doch bedeutend genug ist, wenigstens für Sie. Sie werden zwei bewährten Männern gegenüberstehen, und es wird sich um Leben und Tod handeln. In unseren Kreisen betrachtet man ein Duell nicht als eine Spielerei; wir sind keineswegs Realschüler oder pauksüchtige Kommisvoyageurs! Sie können sich darauf verlassen, daß es keinem Ihrer Gegner beikommen wird, Sie im mindesten zu schonen.« – »Ich weiß es«, sagte Kurt sehr ruhig. »Es fällt mir auch gar nicht ein, um Nachsicht zu bitten.« – »So darf die Dame unsere Vorschläge mit anhören?« – »Sie hat darum gebeten, und ich schlage ihr diese Bitte nicht ab.« – »Gut, so wollen wir uns kurz fassen.«

Der Adjutant wollte beginnen, aber Platen unterbrach ihn mit einer Handbewegung und bemerkte mit fast bewegtem Ton:

»Lieber Freund, es handelt sich hier um sehr ernste, fast harte Bedingungen, die nicht für das Ohr einer Dame sind. Ich habe mich bereits geweigert, auf dieselben einzugehen. Deshalb brachte ich die Herren zu Ihnen.« – »Pah, lieber Platen, ich gehe auf jede Bedingung ein, vorausgesetzt, daß sie von beiden Seiten respektiert wird. Reden Sie, Herr von Branden.«

Die beiden Sekundanten teilten ihm nun ihre Aufträge mit. Als sie geendet hatten, sagte er mit einem sorglosen Lächeln:

»Ich sehe allerdings, daß es meine Gegner geradezu auf mein Leben abgesehen haben. Ich gestehe aufrichtig, daß ich sie schonen wollte. Es lag mir nur daran, ihnen eine möglichst genügende Züchtigung zu erteilen. Ihre Bedingungen aber sind derart, daß ich geradezu ein Selbstmörder wäre, wenn ich die Waffen in so nachsichtiger Weise gebrauchen wollte, wie es erst meine Absicht war. Der Leutnant von Ravenow hat mir eine fremdländische Hiebwaffe vorgeschlagen, in der er erfahren ist, während er meint, daß ich sie nicht zu führen weiß. Meine Herren, ich habe mich in den türkischen Waffen bereits als Knabe geübt, ein Meister war mein Lehrer, ich habe Ravenow nicht zu fürchten. Ich habe ihm die Wahl der Waffen überlassen, nicht um ihn zu beleidigen, sondern weil es mir gleichgültig war, für welche er sich entschied, denn ich kenne sie alle. Ich nehme Ihre Bedingungen an, aber weil ich kein Raufbold bin, so erkläre ich mich bereit, mein Ohr dem Sühneversuch nicht zu verschließen, den der Rittmeister Palm als Ehrenrat unternehmen wird. Eine aufrichtige Abbitte oder Ehrenerklärung hat für mich, der ich Mensch bin, denselben Wert als eine blutige Genugtuung.«

Die Offiziere hatten diese Worte ruhig mit angehört, nun aber erklärte der Adjutant mit einem zweideutigen Lächeln:

»Herr Leutnant, von einer Abbitte wird nie die Rede sein, so weit ich die beiden Herren kenne. Und was Ihre Bereitwilligkeit betrifft, auf einen Sühneversuch einzugehen, so will ich meinem Auftraggeber lieber davon keine Mitteilung machen, da er jedenfalls annehmen würde, daß sie aus Mangel an Mut entspringe.« – »O bitte, sprechen Sie immerhin davon. Was er vor dem Kampf von meinem Mut denkt, ist mir gleichgültig, nach der Entscheidung erst wird er mich genau taxieren können. Sie werden mich Punkt vier Uhr am Platz finden.« – »Das also ist abgemacht«, sagte Röschen rasch. »Nun aber, Herr Leutnant von Golzen, sagen Sie dem Herrn von Ravenow, daß auch ich erscheinen werde.« – »Ah!« riefen erstaunt die Herren, und Kurt sagte, schnell einfallend: »Das geht nicht, liebes Röschen! Das würde ganz und gar gegen Gebrauch und Herkommen sein!« – »Rede mir nicht darein, Kurt«, entgegnete sie. »Dieser freche Bube hat mich öffentlich überfallen, er hat öffentlich gelogen, aber hinter meinem Rücken; nun soll er gestraft werden nicht hinter meinem Rücken, sondern vor meinen Augen. Mag das herkömmlich sein oder nicht, ich will es, denn es ist das richtige. An dem Platz, auf dem die Genugtuung gegeben wird, soll er mir gestehen, daß er ein Lügner ist und daß er aus meinem Wagen springen mußte, um den Händen eines Schutzmannes zu entgehen. Ich habe das zu verlangen, und ich verlange es.« – »Mein Fräulein, auf Ihre Gegenwart können wir nicht eingehen«, meinte Golzen kopfschüttelnd.

Sie stand mit leuchtenden Augen auf, blickte ihm fest in das Gesicht und sagte:

»Herr von Golzen, man hat mich hier nur mit dem Namen Sternau genannt, doch in meinen Adern fließt das Blut der Herzöge von Olsunna und der Grafen von Rodriganda. Ich weiß, was ich meinen Ahnen schuldig bin. Ich bestehe fest darauf, dem Duell beiwohnen zu können. Sprechen Sie mit Ihrem Bevollmächtigten. Habe ich bis zur Tafel noch nicht gehört, daß man mir den Willen tut, so gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich während des Essens laut erzählen werde, in welcher Weise ich dazu gekommen bin, mit einem Herrn von Ravenow spazierfahren zu müssen. Die Gegner meines Freundes kennen keine Schonung, nun wohl, so mögen sie auch auf die meinige verzichten. Für jetzt sind Sie entlassen.«

Sie verabschiedete sie mit einer Bewegung der Hand und in einer so königlichen Haltung, daß sie sich entfernten, ohne ein Wort der Entgegnung zu wagen.

Kurt ließ den Blick mit großer Bewunderung auf ihr haften. War denn dies wirklich das stille, sanfte Wesen, dessen Kinderspielen er so oft beigewohnt hatte?

»Du hast viel verlangt, Röschen«, sagte er. – »Man wird es mir gewähren«, antwortete sie selbstbewußt. »Ravenow wird nicht an öffentlicher Tafel blamiert sein wollen.« – »Aber es wird ihm einen furchtbaren Kampf kosten, seine Einwilligung zu geben. Es ist nichts Kleines, vor den Sekundanten zu gestehen, daß man gelogen hat. Ich wollte nach dem Rendezvous reiten, da dies weniger auffällig ist, nun du aber dabei bist, werde ich einen Wagen nehmen müssen, das wird man bemerken.« – »Man wird es nicht bemerken. Du beauftragst deinen Sekundanten, den Wagen zu besorgen und mit demselben an einem bestimmten Ort auf uns zu warten. So können wir unsere Wohnung verlassen, ohne daß es auffällt.«

Er widersprach ihr nicht weiter. Er wußte, daß er ihren Vorsatz, morgen bei ihm zu sein, nicht wankend machen konnte, und so ließ er sie gewähren.

Der Oberst stand mit Golzen, Ravenow und dem Adjutanten in einer Ecke, und ein aufmerksamer Beobachter konnte leicht sehen, daß sie eine höchst lebhafte Unterhaltung führten über einen Gegenstand, über den sie sich nur schwer einigen zu können schienen.

Da öffneten sich die Türen des Speisesaals, und es wurde verkündet, daß angerichtet sei. Der Großherzog ergriff den Arm der Herzogin von Olsunna, und hinter ihm bildeten sich die Paare zu einer langen Reihe, um sich nach dem Speisesaal zu begeben.

»Es ist hohe Zeit, keinen Augenblick mehr zu verlieren«, sagte Golzen zu Ravenow. »Soll ich ihr die Einwilligung bringen, oder willst du dich blamieren lassen?«

Im Gesicht des Gefragten kämpften Zorn und Verlegenheit, Wut und Scham miteinander. Dann antwortete er mit sichtlicher Selbstüberwindung:

»Nun, meinetwegen, in drei Teufels Namen! So gehe hin und sage ihr, daß ihrem Erscheinen nichts im Wege stehe.«

Golzen ging, und die anderen wandten sich ab. Es war also wahr, was Kurt im Kasino behauptete, daß Ravenow gelogen hatte. Mit der an Röschen gegebenen Erlaubnis hatte er eingestanden, daß sich das Unrecht auf seiner Seite befinde.

Das Souper war köstlich, fast königlich zu nennen, und die Stimmung eine sehr animierte, Ravenow und den Obersten ausgenommen. Der erstere fühlte sich tief erniedrigt dadurch, daß er, wenn auch nicht in Worten, so doch durch die Tat ein Eingeständnis seiner Schuld gegeben hatte, und dem letzteren quollen selbst die feinsten Leckerbissen bei dem Gedanken im Mund, daß es doch noch nicht so ganz erwiesen sei, daß Ravenow seinen Gegner töten werde. Die Bemerkungen, mit denen Kurt auf die Bedingungen seines Gegners eingegangen war, schienen nicht darauf hinzuweisen, daß er sich fürchte. Wurde Helmers von Ravenow getötet oder kampfunfähig gemacht, so konnte der Oberst ruhig nach Hause zurückkehren; er hatte nicht die geringsten Unannehmlichkeiten zu befürchten. Kam aber der Kampf auch an ihn, so war die Festung ihm gewiß, ganz abgesehen davon, daß er, ein Stabsoffizier, sich mit einem Leutnant eingelassen hatte, und auch davon, daß er der Empfehlung des Kriegsministers nicht gehorsam gewesen war. Er, als Oberst, hatte darauf zu sehen, daß im Bereich seines Regimentes alle Gesetzwidrigkeiten vermieden wurden, und nun gab er selbst das eklatanteste Beispiel eines Zweikampfes mit einem Offizier, der ihn nicht beleidigt hatte und ihm sogar von der obersten Militärbehörde ganz dringend empfohlen worden war.

»Verfluchte Geschichte!« dachte er. »Ich warte auf Avancement, wäre vielleicht nach den nächsten Herbstmanövern zum General befördert worden, und nun reißt mich alten Kerl der adlige Hochmut zu einer Dummheit fort, die mich um alles bringt. Als Festungsgefangener avanciert man nicht!«

Nach der Tafel begann der Tanz. Röschen schwebte am Arm Kurts durch den Saal und dann mit Platen. Sie tanzte nur mit diesen beiden und einigen der höheren Offiziere, denen die Etikette gebot, den Damen, die der Großherzog eingeführt hatte, diesen Ehrendienst zu erweisen. Ein anderer aber wagte nicht, sie um eine Tour zu ersuchen.

Kurz vor Mittemacht zog sich der Großherzog zurück; auch der Herzog von Olsunna fuhr mit den Seinen nach Hause, und die Exzellenzen taten dasselbe. Nun wußten sich die anderen vom Zwang frei, und die Geselligkeit nahm an Frohsinn und Ungezwungenheit bedeutend zu.


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