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27. Kapitel.

Unterdessen stak der Gärtner Bernardo in seinem Gefängnis und sehnte den Abend herbei. Als nach seiner Zeitberechnung derselbe herangekommen war, kletterte er an der Wand empor und warf den Stein herab. Dadurch entstand das Loch, das hinüber zum Gefängnis des Grafen führte.

»Don Ferdinando!« rief er halblaut.

Keine Antwort ertönte.

»Don Ferdinando!« wiederholte er.

Es herrschte dieselbe Stille wie zuvor.

»Gnädiger Herr! Señor! Don Ferdinando!«

Es ließ sich kein Laut hören.

»Mein Gott, was ist das?« murmelte da der Gärtner voller Angst »Ist ihm etwas zugestoßen? Oder hat man ihn aus dem Loch herausgeholt? In beiden Fällen wäre es schlecht um mich bestellt falls ihm draußen ein Unglück widerfahren wäre. Ich werde doch hinübersteigen, um mich zu überzeugen.«

Er warf also noch einen Stein aus der Zwischenwand, um die Öffnung zu vergrößern, und stieg in die benachbarte Kerkerzelle. Der Graf war nicht da. Der Suchende fand nur die toten Ratten am Boden.

»Er ist fort; man hat ihn geholt«, dachte der Gärtner. »Aber weshalb und wozu? Alle Teufel, sollte der Diebstahl entdeckt worden sein? Doch nein. Dann hätten die Spuren ja zu mir geführt und nicht zu ihm! Ist er begnadigt worden? Dann wäre es ja möglich, daß er dennoch Wort halten könnte. Ich werde dies abwarten müssen.«

Von Unruhe und Bangigkeit erfüllt, stieg er in sein Gefängnis zurück und wartete. Endlich, als ihm die Zeit zu lang wurde, schob er sich bis zum Eingang empor und lauschte hinter dem Stein, ob noch ein Geräusch sich hören lasse, das darauf schließen ließ, daß noch Leben in der Stadt herrsche. Er horchte, aber alles war ruhig. Er hätte gern einmal hinausgeblickt, aber er wußte ja, daß er allein den Stein nicht entfernen könne.

So verging eine lange, angstvolle Zeit. Schon gab der Harrende alle Hoffnung auf, als er plötzlich über sich ein Geräusch vernahm. Man arbeitete an dem Stein herum. Wer war das? War es der Henker, oder war es der Graf? Der Gärtner fragte sich, ob er helfen solle oder nicht. Er beschloß, es nicht zu tun. Kam der Henker, ihn zu holen, so hatte er jedenfalls jemand mitgebracht, der ihm helfen mußte, den Stein zu heben.

Da klopfte es einige Male vernehmlich von außen auf die Platte, und eine Stimme fragte:

»Bernardo, bist du da?«

Der Gärtner, der die Worte vernehmen konnte, da der Sprechende den Mund nahe an den Stein legte, antwortete:

»Ja, Señor!« – »Schiebe von innen; allein bin ich zu schwach!«

Jetzt stemmte er sich mit aller Gewalt gegen die Platte, die endlich wich.

»Gott sei Dank, ich dachte schon, es ginge nicht!« flüsterte es draußen.

Nun war es leicht, das Hindernis ganz zur Seite zu schieben, und Bernardo kroch hinaus.

»O Dios, was habe ich für Angst ausgestanden!« sagte er. »Ich war in Eurem Gefängnis, Don Ferdinando, und fand es leer. Wo seid Ihr gewesen?« – »Ich wurde zum Sultan geholt; ich habe Außerordentliches erlebt, mein guter Bernardo. Denke dir, der Sultan hat heute eine weiße, christliche Sklavin gekauft, die eine fremde Sprache redete; darum schickte er zu mir, um zu sehen, ob ich sie verstehen könne. Und weißt du, wen ich in der Sklavin gefunden habe? Ein abermaliges Opfer dieses Landola, eine Landsmännin von mir, eine Mexikanerin, die den echten Rodriganda kennt und auch jenen Doktor Sternau, von dem nun auch ich sagen muß, daß er ein außerordentlicher Mensch ist, der es verdient, der Gemahl der Gräfin Rosa de Rodriganda y Sevilla zu sein.« – »Das ist erstaunlich, Señor!« – »Ja. Aber es ist nicht Zeit zum Erzählen, sondern wir müssen handeln.« – »Aber jene Dame, jene Mexikanerin? Was wird mit ihr? Lassen wir sie hier?« – »O nein. Wir nehmen sie mit Denke dir, die Kamele stehen bereits gesattelt im Stall!« – »Im Stall? Ich denke ...« – »Nichts, nichts hast du zu denken! Du wirst alles erfahren. Hast du dein Messer?« – »Ja. Aber ich glaube gar, Señor, daß Ihr ein neues Gewand tragt!« – »Ich bekam es vom Sultan. Aber das ist Nebensache. Es bleibt bei unserem gestrigen Entschluß: zuerst die Schildwache. Ich möchte den armen Teufel nicht ohne Not töten. Ich werde mich heranschleichen und ihn beim Hals nehmen, daß er nicht schreien kann. Während ich ihn halte, bindest du ihm Hände und Füße so, daß er sich nicht rühren kann, und steckst ihm einen Zipfel seines Gewandes als Knebel in den Mund. Darauf zum Sultan. Komm!«

Sie wälzten aus Vorsicht den Stein wieder auf das Loch und glitten dann nach dem Palast hin. Die Schildwache stand am Tor. Es war so dunkel, daß man kaum drei Schritte weit zu sehen vermochte. So gelang es den beiden, sich, auf der Erde kriechend, bis an den Mann heranzuschleichen. Nun erhob sich der Graf schnell, faßte ihn mit beiden Händen bei der Gurgel und drückte ihm dieselbe mit solcher Gewalt zu, daß ihm der Atem verging und er vor Todesangst den Mund weit aufsperrte. Im Nu hatte er den Knebel darin, und einige Augenblicke später war er so stark gefesselt, daß er sich nicht zu rühren vermochte und nach dem Schuppen getragen werden konnte, wo sich die Kamele befanden, denen der Graf bereits die Sättel aufgelegt hatte, so daß man sie nur zu beladen oder zu besteigen brauchte.

Jetzt stand ihnen der Weg in das Haus offen.

Sie schlichen vorsichtig durch den Eingang nach dem Audienzsaal, wo der Graf ein Messer von der Wand nahm, um für alle Fälle bewaffnet zu sein. Als er die Matte, die die nächste Tür bildete, vorsichtig zurückschlug, fand er das Schlafzimmer finster, und kein Laut verriet, daß der Sultan anwesend sei. Bei schärferer Beobachtung aber erblickten die beiden einen lichten Strich, der senkrecht herniederging.

»Was ist das?« flüsterte der Gärtner. – »Ah«, antwortete der Graf ebenso leise, »er ist noch wach. Er ist bei der Sklavin, die sich dort in der Schatzkammer befindet« – »Dort ist die Schatzkammer? Alle Teufel, das ist bequem.« – »Ich war heute drei Stunden lang darin. Es wird alles gut ablaufen. Komm näher.«

Sie glitten zur Tür hin, die eine schmale Lücke offen ließ, durch die der erwähnte Lichtschein herausdrang. Indem der Graf die Lücke vorsichtig ein wenig erweiterte, konnten sie das Innere der Schatzkammer deutlich sehen.

Auf dem Polster saß Emma, vollständig entschleiert, und in einiger Entfernung saß ihr der Sultan gegenüber, tief in ihren Anblick versunken. Man konnte es ihm nicht übelnehmen, daß er, nur die schwarzen oder kaffeebraunen Gesichter gewöhnt, sich so rasch und tief in die Mexikanerin verliebt hatte. Sie saß wirklich da wie das vom Himmel gestiegene Bild der Liebesgöttin, und der brave Bernardo fragte leise, den Grafen anstoßend:

»Donnerwetter, ist das die Sklavin?« – »Ja.« – »Da habt Ihr recht. Die dürfen wir nicht hierlassen, die muß gerettet werden. Vorwärts, Señor.« – »Der Sultan dreht uns den Rücken zu, und ich habe heute aufgemerkt und gesehen, daß diese Tür ganz ohne Geräusch aufgeht. Es kommt also nur darauf an, daß Emma unser Kommen nicht verrät und er keine Zeit erhält, zu rufen oder sich zu verteidigen. Ich werde vorantreten und ihr ein Zeichen geben.«

Damit schob der Graf die Tür etwas weiter auf und trat leise ein. Emma sah ihn zwar, aber sie hatte ihn schon längst erwartet, sie blickte darum, ohne überrascht worden zu sein, von ihm ruhig hinweg und dem Sultan in das Gesicht.

Jetzt galt es! Zwei rasche Schritte, und Graf Ferdinando hatte den Herrscher beim Hals. Sogleich stand auch Bernardo dabei, ballte einen Zipfel von dem Gewand des Überfallenen zusammen und steckte es ihm in den Mund. Der Graf hatte sich im Stall genügend mit Stricken versehen, so daß auch hier die Arbeit des Fesselns schnell vonstatten ging. Dann wurde der Geknebelte auf das Lager geworfen, von welchem sich die Mexikanerin schnell erhoben hatte.

»Endlich!« seufzte sie erleichtert auf. »Ich begann schon, die Hoffnung zu verlieren.«

Der Graf antwortete ihr nicht, sondern trat zunächst nach der Tür und zog sie so fest zu, daß kein Lichtschein mehr hinausfallen konnte. Sodann betrachtete er den Sultan. Dieser war nicht ohnmächtig geworden, sondern betrachtete die Szene mit einem Blick, in dem sich die höchste Wut aussprach. Ferdinando de Rodriganda aber bog sich zu ihm nieder und sagte halblaut, so daß es draußen nicht zu hören war:

»Da liegst du nun, du, der größte Herrscher, hilflos und gefangen! Jetzt sind wir drei Christensklaven mächtiger als du. Wir könnten dich töten, aber wir schenken dir das Leben. Wir geben uns die Freiheit und nehmen nur das von dir, was wir dazu brauchen und was du erst anderen geraubt hast Aber merke dir Sobald du das geringste Geräusch verursachst, fährt dir dieses Messer in das Herz!«

Jetzt erst wandte Don Ferdinando sich an Emma und sagte:

»Ich pflege Wort zu halten, wenn es nur immer möglich ist. Ich halte eine Sänfte für dich bereit. Aber dennoch wirst du Männerkleider anlegen müssen, um unsere etwaigen Verfolger zu täuschen. Auch wir brauchen gute Anzüge, um für vornehme Reisende zu gelten. Hier ist Vorrat genug an der Wand. Ich werde auswählen.«

Don Ferdinando tat dies. Dann zog er von einer Wand zur anderen eine Schnur und hing einige arabische Mäntel daran, so daß eine Scheidewand entstand, hinter der sich die Mexikanerin umkleiden konnte.

Dies ging alles so schnell, daß nach kaum zehn Minuten die Kleider angelegt waren. Sie waren sehr reich und ganz geeignet, ihre Träger bei den Stämmen der Somali in Ansehen zu bringen.

»Nun zunächst Waffen!« sagte der Graf. – »Ich weiß welche!« meinte Emma. »Der Sultan brachte vorhin zwei Revolver, zwei Doppelbüchsen und die nötige Munition. Er tat alles in den Kasten dort.«

Der Kasten wurde geöffnet und die Waffen nebst den Patronen herausgenommen. Dazu legte der Graf noch mehrere kostbare Yatagans und drei Säbel mit eingelegten Griffen, die sicher einen hohen Wert besaßen.

»Nun öffnen wir die anderen Kisten und Körbe, um zu sehen, wo sich das Geld befindet«, meinte Don Ferdinando. »Wir brauchen es.« – »Ich weiß alles liegen«, sagte Emma. »Er hat mir heute alle seine Schätze gezeigt« – »Hat er Gold?« – »Ja. Der Kasten dort scheint voll zu sein.« – »Und das Silber?« – »Befindet sich in den drei Kästen, die daneben stehen. Er hat auch Juwelen und Geschmeide.« – »Ah, das ist noch besser«, meinte der Graf. »Es ist ja möglich, daß wir uns ein Schiff mieten oder gar kaufen müssen, um nach der Insel unserer Freunde zu gelangen, und da brauchen wir Geld, sehr viel Geld.«

Und während er die Stricke von den bezeichneten Kästen nahm, fragte er:

»Wo befinden sich die Schmucksachen?« – »Hier im mittelsten Kasten liegen mehrere Kartons und Etuis, die gefüllt sind.« – »Wir werden uns diese Sachen ansehen, die wir mitnehmen können. Sechzehn Jahre Sklaverei für einen Grafen Rodriganda, dafür ist wohl keine Entschädigung groß genug, und wenn sie ein Königreich ausmachte.«

Das Silber, das sie fanden, bestand meist in Mariatheresientalern und das Gold in spanischen Dublonen, englischen Guineen und französischen Napoleondore. Das Geschmeide aber repräsentierte einen Wert von mehreren Millionen, die hier vergraben lagen, ohne irgendwelchen Nutzen zu bringen. Die Schmucksachen verlangten den geringsten Raum im Verhältnis zu ihrem Wert. Sie wurden alle genommen. Von den Talern jedoch nahm der Graf nur so viel, als er unterwegs zu gebrauchen glaubte, da die Stämme, mit denen er in Berührung kam, nur diese Bezahlung annahmen. Das übrige konnte aus Gold bestehen.

Es waren genug Säckchen vorhanden, um das alles unterzubringen. Man legte nun diese Sachen auf einen Haufen kostbarer Decken und Teppiche, einige prachtvolle Pfeifen nebst Tabak hinzu, worauf die beiden Männer alles nach dem Kamelschuppen trugen, um es aufzuladen, während Emma bei dem Sultan Wache hielt.

Zu erwähnen ist noch, daß der Graf vor der Umkleidung natürlich den Schraubenschlüssel geholt hatte, um sich und dem Gefährten die Fesseln abzunehmen.

Das Fortschaffen der annektierten Gegenstände erforderte eine lange Zeit, da die beiden Männer sehr vorsichtig sein und das leiseste Geräusch vermeiden mußten. Wasserschläuche und einige Säcke für Lebensmittel, die unterwegs eingekauft werden sollten, mußten auch gesucht werden, und so war es bereits nach Mitternacht, als Emma hörte, daß man aufbrechen könne.

»Welche Gedanken wird der gute Sultan von Harrar jetzt haben«, sagte er Graf. »Er wird vor Grimm innerlich kochen. In seinen Augen sind wir natürlich die größten Räuber, und wehe uns, wenn er uns einholen sollte. Er würde uns an tausendfachen Qualen sterben lassen.« – »Ihr glaubt nicht, daß er uns einholt?« fragte Emma ängstlich. – »Ich glaube nicht, denn wir haben seine besten Kamele, und sodann werden wir gegen Abend die Grenzen seines Reiches und seiner Macht hinter uns haben. Zwar ist es möglich, daß man uns ihm ausliefern könnte, aber wir werden uns einen Beschützer, einen Abban, besorgen. Ah, da kommt mir ein Gedanke! Weißt du, Bernardo, wo wir den besten, den treuesten, den aufopferndsten finden werden?« – »Nun?« – »Im hiesigen Gefängnis.«– »Einen Gefangenen? Wird der uns beschützen können?« – »So lange er Gefangener ist, nein; aber wenn wir ihn befreien, wird seine Dankbarkeit keine Grenzen kennen.« – Aber haben wir auch Zeit dazu?« – »Wir brauchen nur eine halbe Stunde zu opfern. Komm, Bernardo! Die Señora mag einstweilen hier noch Wache halten!«

Es wurde Emma doch bange, als sie hörte, daß sie abermals allein bleiben solle, und sie sagte:

»Ihr begebt Euch vielleicht in Gefahr, Don Ferdinando.« – »O nein. So lange der Sultan schläft, darf sich auf dem Palastplatz kein Mensch sehen lassen. Wir sind vollständig sicher.« – »Aber ich nicht! Wie leicht kann jemand kommen und alles entdecken.« – »Du irrst, meine Tochter. Wir sind nicht in Spanien oder Mexiko. Die Bewohner des Palastes glauben, daß der Herrscher schläft. Es wird keiner wagen, seine Gemächer zu betreten und seine Ruhe zu stören, nicht einmal eine seiner Frauen. Ich kenne das hiesige Leben sehr genau und versichere dir, daß du keine Angst zu haben brauchst.«

Damit huschte der Graf mit dem Gärtner fort. Bei der Weichheit des Schuhwerks, das in jenen Gegenden getragen wird und das sie dem Vorrat des Sultans entnommen hatten, wurde es ihnen nicht schwer, ihre Schritt unhörbar zu machen. So gelangten sie vor die Tür des Gefängnisses, ohne bemerkt zu werden. Die Wache, die dort zu stehen hatte, lehnte an der anderen Ecke und schien sich tiefen Betrachtungen hingegeben zu haben.

»Wir binden und knebeln ihn wie die anderen«, flüsterte der Graf. – »Womit?« fragte der Gärtner.»Habt Ihr noch Stricke?« – »Nein, aber wir haben Messer, sein Gewand in Schnüre zu zerschneiden.« – »Das werde ich tun, während Ihr in haltet« – »Gut! Also vorwärts!«

Nach einigen raschen Schritten standen sie vor dem Mann. Ehe er noch ein Wort sagen konnte, fühlte er seine Kehle zugeschnürt, und nach wenigen Augenblicken lag er gebunden am Boden, mit einem aus zusammengedrehten Fetzen bestehenden Knebel im Mund. Dieser Wächter der Gefangenen war nur mit einem Stock bewaffnet gewesen.

Die Eingangstür hatte kein Schloß, sondern zwei Riegel, die der Graf zurückschob. Als sie öffneten, drang ihnen ein fürchterliche Dunst entgegen. Die Gefangenen erwachten und ließen ihre Ketten klirren.

»Bleibe vor der Tür und halte Wache, damit ich nicht überrascht werde!« sagte Graf Ferdinando, trat ein und zog die Tür wieder hinter sich zu. Es herrschte jetzt die Stille der Erwartung in dem Raum. Man hatte jemand kommen hören; das konnte bei der Grausamkeit des Sultans für denjenigen, dem der Besuch galt, den Tod bringen.

»Ist ein freier Somali hier?« fragte der Graf. »Ja«, antworteten zwei Stimmen. – »Also zwei?« – »Ja«, antwortete es abermals doppelt. – »Von welchem Stamm?« – »Vom Stamm der Zareb.« – »Ah, ihr seid von einem und demselben Stamm?« – »Ja, wir sind Vater und Sohn«, antwortete der eine. – »Gut, ihr habt mir jetzt zu folgen, ohne einen Laut auszustoßen. Je folgsamer ihr seid, desto besser ist es für euch. Der Gehorsam bringt euch die Freiheit.«

Er zog den mitgebrachten Schraubenschlüssel hervor und trat zu dem einen, der zuletzt geantwortet hatte, um ihn von der Kette, die ihn an der Mauer hielt, zu lösen. Die Hand- und Fußschellen nahm er ihm aber nicht ab.

»Wo ist der andere?« fragte er darauf.

Der Betreffende meldete sich, und trotzdem der Graf bei der hier herrschenden Dunkelheit nur nach dem Gefühl arbeiten konnte, war auch dieser bald befreit.

»Nun kommt heraus!« rief der Graf.

Vor der Tür angekommen, mußten die beiden stehenbleiben, bis Don Ferdinando mit Hilfe seines Gefährten den überrumpelten Wächter in das Innere getragen und die Riegel wieder vorgeschoben hatte. Dann wurden sie ein Stück fortgeführt, damit die anderen Gefangenen nichts von der Unterredung verstehen konnten, und nun erst sagte der Graf:

»Redet so leise, daß nur wir beide euch hören können. Weshalb seid ihr gefangen?« – »Wir waren friedliche Leute«, antwortete der ältere, »Aber der Sultan ließ uns aufgreifen, weil einer unseres Stammes ihm ein Pferd gestohlen hatte.« – »Wie lange seid ihr bereits gefangen?« – »Zwei Jahre.« – »Das ist grausam. Wollt ihr wieder frei sein?« – »Wir sehnen uns zu den Unsrigen zurück. Wer bist du, Herr, der du so geheimnisvoll kommst und fragst?« – »Ihr seid freie Somali, und darum vertraue ich euch. Wir beide waren bisher Gefangene wie ihr, aber wir haben den Sultan überlistet und werden jetzt fliehen. Wir wollen auf dem schnellsten Weg nach dem Meer und brauchen einen Führer, der unser Abban sein will. An der Küste empfangen wir Silber und werden ihn bezahlen. Will einer von euch unser Führer und Beschützer sein, so werden wir ihn von seinen Fesseln befreien und mitnehmen. Antwortet schnell, ich habe keine Zeit« – »Herr, nimm uns beide mit!« baten sie da. – »Gut! Wollt ihr schwören, mich vor den Einigen und allen Feinden zu beschützen, mich und die bei mir sind?« – »Wir schwören es.« – »Bei Allah und dem Propheten?« – »Bei Allah, dem Propheten und allen heiligen Kalifen! Aber hast du Kamele?« – »Für euch noch nicht jedoch draußen vor der Stadt sollt ihr welche haben.« – »Unsere Kleider sind zerrissen; auch haben wir keine Waffen.« – »Ich werde für alles sorgen. Kommt jetzt; aber seid vorsichtig, daß uns das Klirren eurer Ketten nicht in Gefahr bringt gehört zu werden.«

Sie gingen leise nach dem Kamelschuppen. Dort gab Don Ferdinando dem Gärtner den Schlüssel, und nun, da die Somali ihm ihren Schwur geleistet hatten, den kein Mohammedaner bricht, löste er ihnen auch die übrigen Fesseln und kehrte zu Emma zurück.

Diese war sichtlich erfreut und beruhigt als sie den Grafen kommen sah. Sie mußte jetzt ihr Haar hoch knüpfen, worauf Don Ferdinando ihr einen feinen, ostindischen Schal als Turban um den Kopf band, so daß sie nun für einen jungen Türken gehalten werden mußte.

Ferner suchte der Graf zwei Flinten, Pulver und Blei, Kleider, Messer und Yagatans für die beiden Somali aus.

Nun galt es noch den richtigen Torschlüssel zu finden. Harrar hat fünf Tore. An jedem der Schlüssel befand sich ein Blech, das eine Nummer trug.

Der Graf vermochte sich also nicht zu irren, welchen Schlüssel er zu nehmen hatte. Nun erst konnte er sich entfernen, nahm den Pack auf und bat Emma, ihm zu folgen. Als sie in dem Schuppen anlangten, warteten die beiden Somali bereits ihrer mit Ungeduld.

»Hier habt ihr Kleider, Waffen, Pulver und Blei«, sagte der Graf. »Zieht euch schnell an; es wird gehen, obgleich es dunkel ist Die beiden Teppiche sind für eure Kamele, die wir uns draußen verschaffen werden. Aber eilt wir müssen uns sputen.« – »Herr«, entgegnete da der Vater, »wir kennen dich nicht aber unser Leben ist wie das deinige; es gehört dir. Wir kennen alle Wege und werden dich an das Meer bringen, ohne daß du die Verfolger zu fürchten brauchst. Du sollst uns nicht bezahlen, denn du gibst uns die Freiheit die mehr wert ist als Silber und Gold.« – »Deine Rede ist die eines dankbaren Mannes. Ich werde euch allerdings nicht bezahlen, aber ich werde euch ein Geschenk geben, das so groß ist wie die Treue, die ihr uns erweisen wollt. Hier sind vier Kamele, drei ums uns zu tragen und eins für das Gepäck. Mein junger Gefährte ist zwar kein Weib, aber da einmal die Sänfte vorhanden ist, so mag er sich ihrer bedienen. Wir reiten zum Tor hinaus, das nach Gafra führt. Ihr beiden geht uns zur Seite und tut, als ob ihr unsere Diener seid. Ich werde mich am Tür für den Sultan ausgeben. Hier ist der Schlüssel. Du schließt das Tor auf und von draußen wieder zu; das ist alles, was ihr jetzt zu tun habt. Vorwärts.«

Die Kamele wurden bestiegen, und der Ritt begann. Als sie das Tor erreichten, schlief der Wächter. Der Somali schloß auf, und dieses Geräusch weckte den Schlafenden. Er kam eiligst mit dem Stab, dem Zeichen seiner Würde, herbei; aber da er keine Zeit gehabt hatte, ein Licht anzubrennen, so konnte er die Reiter nicht erkennen.

»Wer seid ihr?« fragte er. »Halt! Ohne Erlaubnis des Sultans darf niemand durch das Tor. Ich verbiete euch, es zu öffnen.« – »Was wagst du, Hund!« rief ihm da der Graf zu, indem er die Stimme des Herrschers nachzuahmen versuchte. »Weißt du nicht, daß ich zu dem Vater meines Weibes reiten will? Oder kennst du deinen Herrn nicht? Morgen sollst du im Staub vor mir kriechen, du Sohn eines Schakals!«

Da warf sich der Mann voller Angst zur Erde nieder und getraute sich kein Wort zu sagen, die Flüchtlinge passierten nunmehr das Tor, das der Somali wieder verschloß.

Auf der anderen Seite brannten die Wachtfeuer der Handelskarawanen, die ihre Geschäfte in Harrar noch nicht beendigt hatten. Der Graf ritt eine Weile vorwärts, ließ endlich halten und stieg vom Kamel.

»Kommt!« sagte er. »Da drüben weiden die Tiere des Sultans, und daneben ist ein Schuppen, wo es Sättel und Schläuche gibt. Wir wollen versuchen, die Wächter zu überlisten und ihnen zwei gute Reittiere abzunehmen.«

Die beiden Männer folgten ihm. Sie waren Nomaden, also geborene Räuber, hatten Waffen und waren deshalb ihres Erfolges sicher. Als aber die drei den Weideplatz erreichten, fand es sich, daß kein einziger Wächter zugegen war.

»Wo mögen sie sein?« fragte der eine der Somali. – »Ah, sie sind hinüber zur Karawane, wo es nicht so einsam ist wie hier«, antwortete der Graf. »Sie machen uns unser Werk leicht. Sucht euch Kamele heraus, während ich nach dem Schuppen gehe und zwei Sättel wählen will.«

Es dauerte keine Viertelstunde, so waren die Somali mit zwei tüchtigen Eilkamelen beritten, und nun setzte sich die flüchtige Karawane, sechs Tiere stark, in Bewegung. Als Emma gestern die Stadt erblickte, hätte sie wohl nicht gedacht, sie heute als Türke verkleidet frei wieder verlassen zu können.


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