Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32. Kapitel.

Als Wagner an Bord kam, trat ihm der Steuermann mit einem herzlichen Händedruck entgegen. Man sah ihm die Freude an, die er in diesem Augenblick empfand.

»Gott sei Dank!« sagte er. »Ich gab dich schon verloren!« – »Du hast volle zehn Minuten zu früh geschossen!« – »Das ist hier kein Fehler. Sie haben wenigstens gesehen, daß wir Kerle sind. Und wenn es dir übel ging, konnten diese zehn Minuten dich vielleicht retten. Wie ist es am Land abgelaufen?« – »Ausgezeichnet. Ich werde dir alles später sagen. Jetzt wird der Handel beginnen. Wie steht es mit der Ladung?« – »Da, blicke dich um!«

Der Steuermann sagte dies in einem sehr befriedigten Ton, und er hatte ein Recht dazu, denn das ganze Deck stand voller Kisten und Ballen, die bereits geöffnet waren.

»Ihr seid fleißig gewesen«, nickte der Kapitän freundlich. »Sorge für eine tüchtige Extraration. Bis zum Abend haben wir vielleicht alles verkauft.« – »Also wirklich?« fragte der Steuermann, halb und halb ungläubig. – »Ja. Sieh dort ans Land. Da kommt bereits der Gouverneur.« – »Und wer ist der andere?« – »Der Sultan von Harrar. Sie werden natürlich das Beste für sich nehmen wollen. Wir machen einen Zuschlag von zwanzig Prozent auf unsere Preise und verkaufen nur posten- und ballenweise. Merke dir das!« – »Donnerwetter, das gibt einen guten Handel!«

Mit diesem freudigen Ausruf eilte der Steuermann davon, um seine Pflichten zu erfüllen, die ihn heute mehr als doppelt in Anspruch nahmen.

Als die beiden hohen Herren an Bord erschienen, wurden sie zunächst nach der Kajüte geführt. Sie sollten dort bewirtet werden, doch gaben sie dies nicht zu, da ihre Ungeduld, das Schiff flottzumachen, ihnen eine solche Zeitversäumnis nicht gestattete. Der Sultan hatte einen ganzen Sack von Mariatheresientalern mitgebracht und ein Kästchen Goldsachen, meist Arm- und Fußspangen und Halsketten, die er seinen Untertanen abgenommen hatte. Der Gouverneur zeigte Perlen vor, die jedenfalls auch nicht auf die uneigennützigste Weise in seinen Besitz gekommen waren, und so konnte der Handel beginnen.

Die beiden Männer verlangten das Beste zu sehen. Sie wählten und handelten nicht lange, und als sie ihre Einkäufe in die Boote bringen ließen, sagte sich der Kapitän, daß er einen ganz ungewöhnlichen Profit gemacht habe.

»Siehst du, daß ich Wort gehalten habe?« sagte der Gouverneur zu Wagner, indem er nach dem Strand zeigte. »Dort kommen sie. Wenn du gut auf Ordnung hältst, so wird alles sehr schnell gehen.«

Der ganze Strand war mit Menschen besetzt, die sich Mühe gaben, Kähne zu erlangen, mit deren Hilfe sie ihre Tauschwaren an Bord bringen könnten. In der Nähe der Brigg hielten bereits mehrere Boote, die sich nur noch nicht heranwagten, weil sich der Gouverneur mit dem Sultan an Bord befand.

Der Schuß, den der Steuermann abgefeuert, hatte die Leute zwar zunächst geängstigt, doch ihr Vertrauen war schnell zurückgekehrt, als sie bemerkten, daß die zwei Herren so furchtlos sich auf das Schiff begeben hatten.

»Wann werden wir absegeln können?« fragte der Sultan. – »Das weiß ich nicht genau«, antwortete Wagner. »Ich muß Wind und Flut berücksichtigen. Darf ich einen Boten senden, wenn des Nachts eine günstige Brise eintritt?« – »Sende ihn! Ich werde nicht schlafen, sondern warten.«

Damit verließ er mit dem Gouverneur das Schiff, und die anderen Käufer kamen nun herbei. Jetzt begann ein Leben und Treiben, wie man es hier an Bord noch nie gesehen hatte. Gewöhnlich wird bei Geschäften in diesen Gegenden die Ladung an das Land gebracht, wo dann ein wahrer Jahrmarkt entsteht, der oft wochenlang währt. Hier aber konzentrierte sich alles auf das kleine Deck und auf die kurze Zeit bis zum Abend. Der Dolmetscher hatte fürchterlich zu tun; die anderen ebenfalls, und als es dunkel wurde und die letzten Käufer befriedigt die Brigg verließen, da war fast die ganze Bemannung heiser und dabei fürchterlich ermüdet. Und doch mußte noch tüchtig gearbeitet werden, um die eingetauschten Gegenstände zu stauen und unter Deck zu bringen.

Der Steuermann trat auf das Quarterdeck, um zum ersten Male frei Atem zu holen. Er traf dort den Kapitän, der sich in derselben Absicht hierher zurückgezogen hatte und eine Zigarre rauchte, die ihm vorher versagt gewesen war.

»Das war ein Nachmittag wie noch keiner!« meinte der erstere. – »Und wird wohl auch ein Abend wie noch keiner«, fiel Wagner ein. »Lassen wir jetzt die gewöhnlichen Sachen beiseite. Ich habe anderes mit dir zu besprechen.« – »Ah! Das klingt ja recht wichtig!« – »Ist es auch!« – »So segle los!« – »Hast du einmal einen Roman gelesen?« – »Hm!« brummte der Steuermann verlegen. »Welchen meinst du denn?« – »Nun, irgendeinen!« – »Donnerwetter, den habe ich gerade nicht gelesen!« – »Also gar keinen?« – »Gar keinen! Du wirst es wohl erraten haben. An Bord gibt es andere Arbeit als das Lesen, und am Land halte ich es mit der Kneipe und einem guten Glas. Das Lesen hat mir immer Kopfschmerzen gemacht. Mein Hirnkasten ist sehr zart gebaut.« –

»Das sieht man ihm aber nicht an«, lachte der Kapitän. »Wenigstens weiß ich ganz genau, daß er schon manchen guten Hieb erhalten und auch ausgehalten hat« – »Das ist wahr. Aber das Lesen greift ihn wirklich mehr an, als wenn man mit einem Stuhlbein darauf klopft. Ich hab's erfahren.« – »Das ist schade, denn da wirst du mich heute am Ende gar nicht begreifen.« – »Versuche es nur!« – »Nun, da habe ich einmal einen Roman gelesen, der war betitelt: ›Die schöne Karoline oder die verzauberte Kanaille‹, und da ...« – »Donnerwetter, der Titel gefällt mir!« fiel der Steuermann ein. »Da war wohl die schöne Karoline eben diese verzauberte Kanaille?« – »Nein, sondern die Kanaille war ihre künftige Schwiegermutter. In diesem Roman kommt eine Prinzessin vor, nämlich die Karoline, die in die Sklaverei geschleppt wird. Dann kommt ein Prinz und rettet sie.« – »Nun, was hat dies heute mit uns zu tun?« – »Sehr viel! Als ich nämlich den Roman las, da dachte ich, daß es doch ungeheuer schön sein müsse, wenn ich auch einmal so eine Karoline retten könnte.« – »Und heiraten!« – »Na, dazu wäre es nun freilich zu spät, denn meine Kanaille habe ich schon. Aber trotzdem muß es schön sein, eine Sklavin zu retten, obgleich man keine Schwiegermutter mehr braucht. Und denke dir, heute hat sie sich gefunden!« – »Wer?« – »Die Karoline.« – »Bist du toll!« – »Nein; ich bin sehr bei Verstand; und den brauche ich auch, denn ich stehe im Begriff, eine gefangene Sklavin zu retten, die aber bereits nicht mehr gefangen ist, sondern erst gefangen werden soll.« – »Das verstehe der Teufel! Ich merke, daß es ein Roman ist, denn die Kopfschmerzen fangen bereits an. Ich hoffe, daß du dich deutlicher erklären wirst!« – »Sogleich! Hast du nicht gehört, was heute morgen der Gouverneur erzählte?« – »Ah! Von den entsprungenen Spaniern und der schönen Sklavin!« – »Ja. Diese werde ich retten. Höre, was ich dir zu sagen habe!«

Wagner berichtete nun, was er erfahren hatte und welche Absichten er hegte. Der Steuermann hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als aber der Kapitän geendet hatte, schlug er mit der Faust auf die Steuerpinne und sagte:

»Der Teufel hole die Schufte, nämlich den Sultan und den Gouverneur! Diese Geschichte geht mich eigentlich ganz und gar nichts an, aber die Spanier müssen tüchtige Kerls sein, um die es jammerschade wäre, wenn sie ihren Verfolgern in die Hände fielen. Ich gehe um Mitternacht mit, um diesen armen Kerl loszumachen.« – »Das ist unmöglich. Du weißt, daß Kapitän und Steuermann in unserer Lage nicht zu gleicher Zeit das Schiff verlassen dürfen. Einer von beiden muß an Bord bleiben.« – »Das ist leider wahr. Du mußt gehen, denn du weißt, wo sich der Somali befindet, und ich muß also bleiben. Aber du willst doch nicht allein gehen?« – »Nein. Ich nehme vier von unseren Kerlen mit. Wir umwickeln die Ruder und machen einen Umweg, um oberhalb der Stadt zu landen. Dort wartet einer bei dem Boot, und mit den anderen werde ich den Weg schon finden.« – »Du brauchst Hacke und Schaufel?« – »Nein; nur den Spaten; denn die Hacke würde zu viel Lärm machen.« – »Und wenn man euch stört und fassen will?« – »So schlagen wir uns durch.« – »Und wenn man euch dennoch festhält?« – »So bombardierst du uns morgen wieder los.« – »Ja, das werde ich tun. Du glaubst also wirklich, daß sich die Flüchtlinge noch an Land befinden und kein Fahrzeug gefunden haben?« – »Ich bin überzeugt davon. Während wir abwesend sind, läßt du die Brigg segelfertig machen. Das übrige wird sich dann von selbst finden.«

Mehr bedurfte es zwischen diesen beiden praktischen Männern nicht; es wußte nun ein jeder, was er zu tun hatte, und sie trennten sich, um wieder an ihre Arbeit zu gehen.

Etwas nach zehn Uhr, als auf der Reede und auch in der Stadt die tiefste Stille herrschte, stieß ein Boot von der Brigg ab. Man hörte keinen Ruderschlag, denn die vier Riemen waren gut umwickelt worden. Kapitän Wagner saß am Steuer und regierte dasselbe so, daß das Boot nicht auf die Stadt zuhielt, sondern einen Bogen schlug. Deshalb erreichte er erst nach einer halben Stunde den Strand, der einsam im nächtlichen Dunkel lag.

Ohne daß ein Wort gewechselt wurde, blieb einer der vier Matrosen sitzen, während der Kapitän mit den anderen ausstieg und davonschritt, nachdem sie sich mit dem mitgenommenen Spaten versehen hatten.

In einer Viertelstunde war die Stadtmauer erreicht.

Sie schritten an derselben hin, um eine eingefallene Stelle zu finden. Dies war bald geschehen, und nun kletterten sie behutsam über den Schutt, um kein Geräusch zu verursachen, und befanden sich im Innern der Stadt. Sie horchten eine Weile aufmerksam, aber es ließ sich nicht das geringste Geräusch hören. Sie schienen allein wach zu sein.

Jetzt zogen sie die Stiefel und Schuhe aus und schlichen weiter. Ihre Schritte waren unhörbar, und sie gelangten glücklich an das Haus des Gouverneurs.

Hier mußte doppelte Vorsicht angewendet werden, da der Sultan gesagt hatte, daß er nicht schlafen werde. War er noch wach, so durften auch die Diener nicht an Ruhe denken. Die vier Männer umschlichen also das Gebäude und gelangten so an die Mauer des großen Hofes. Hier stellte sich einer fest, und die anderen kletterten über seinen Rücken empor, worauf sie auch ihn emporzogen.

Bisher war alles geglückt. Nun aber sprang einer der Matrosen jenseits: hinab, um die anderen an sich hinabsteigen zu lassen und stieß dabei mit dem Spaten, den er in der Hand hielt, gegen die Mauer. Dies gab einen hellen Ton.

»Rasch alle nach, und dann werft euch zur Erde«, flüsterte der Kapitän.

Dieses Manöver wurde zwar ausgeführt, aber der Stoß war doch gehört worden, denn es ließen sich Schritte vernehmen, die sich näherten. Es war der Posten, der seinen Stand am Eingang zum kleinen Höfchen hatte. Das Geräusch war ihm aufgefallen; er schöpfte Verdacht und kam herbei. Als er nichts bemerkte, wollte er sich wieder umdrehen, da aber richtete sich der Kapitän vor ihm auf und versetzte ihm einen solchen Schlag in den Nacken, daß er sofort zusammenbrach.

»Der ist abgetan«, flüsterte er. »Nun weiter.«

Sie schlichen sich leise vorwärts und erreichten den Eingang zu dem kleinen Hof, in dem sich der Gefangene befand. Der Kapitän strengte seine Augen an, um das Dunkel zu durchdringen und den zweiten Posten zu erblicken, der sich nach den Worten des Sultans hier befinden mußte. Da hörte er in ganz leisem Ton, und zwar in englischer Sprache, die Frage:

»Sind Sie da, Kapitän?«

Wer war das? Wer sprach hier englisch? Wer wußte hier, daß ein Kapitän kommen werde? Diese Fragen durchflogen den Kopf Wagners. Aber ehe er noch vermocht hatte, sich eine Antwort zu geben, klang es wieder ganz leise:

»Sie können Vertrauen haben! Ich bin der Posten, aber ein Freund des Gefangenen!«

Jetzt entschloß sich der Kapitän, sich auch hören zu lassen.

»Wer sind Sie?« fragte er. – »Ein Soldat des Gouverneurs. Ich bin Abessinier und habe in Aden gelernt, englisch zu sprechen. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätte ich heute in der Nacht mit dem Gefangenen die Flucht unternommen.« – »So kann man sich auf Sie verlassen?« – »Ja.« – »Dann rasch! Wir graben ihn aus!«

Das Werk begann. Es kostete viel Mühe, mit dem Spaten kein Geräusch zu verursachen; aber man brachte es dennoch fertig. Nach einer halben Stunde lag der Somali an der Erde. Stehen konnte er nicht, da er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er mußte getragen werden.

»Sie gehen doch mit?« fragte der Kapitän den Soldaten. – »Natürlich, wenn Sie mich mitnehmen!« – »Gern. Vorwärts!«

Den kräftigen Matrosen war es jetzt ein leichtes, da sie keine Wache mehr zu fürchten hatten, den Gefangenen über die Mauer zu bringen. Drüben wurde er von zweien auf die Schulter genommen, und dann ging es auf demselben Weg zurück, auf dem sie gekommen waren.

Erst als sie die Stadtmauer hinter sich hatten, fühlten sie sich in vollständiger Sicherheit, und nun konnte sich der Kapitän bei dem Soldaten erkundigen.

»Wie kommen Sie dazu, den Gefangenen befreien zu wollen?« – »Weil es mir in Seila nicht gefällt, und weil er mich dauerte.« – »Haben Sie bereits bei ihm Wache gestanden?« – »Ja, gestern. Ich bin ein abessinischer Christ, und es tat mir leid, daß er so gequält wurde. Ich redete ihn an, so leise, daß es der andere Posten nicht hören konnte. Er erzählte mir alles und sagte mir, daß mich die Spanier sehr belohnen würden, wenn ich ihn befreien wolle. Heute nacht wäre ich mit ihm entflohen, aber da er nicht laufen kann, wäre die Flucht wohl verunglückt. Doch als ich vorhin die Wache betrat, erzählte er mir, daß ein Christ ihm einen Zettel gezeigt habe, auf dem gestanden habe, daß er um Mitternacht hoffen solle. Ich ließ mir den Christen beschreiben, und da ich Sie am Tage gesehen hatte, so wußte ich sogleich, daß Sie es gewesen waren.« – »Ah, das ist die Erklärung! Sie können also mit ihm reden?« – »Ja. Er spricht das Somali und das Arabische.« – »Das ist prächtig. Ich muß mit ihm sprechen und darf doch meinen Dolmetscher nicht in das Geheimnis ziehen, da ich fürchte, daß er mich verraten würde. Da werde ich Sie brauchen. Doch jetzt wollen wir nicht reden, sondern laufen, damit wir an Bord kommen.«

Sie legten die Strecke bis zur Uferstelle, an der das Boot lag, im Laufschritt zurück. Dort angekommen, stellte es sich heraus, daß der Somali bereits zu stehen vermochte. Die rüttelnde Bewegung seiner Träger hatte viel dazu beigetragen, sein stockendes Blut in Umlauf zu setzen. Man stieg ein und stieß vom Land. Unter den kräftigen Ruderschlägen wurde die Brigg in einer halben Stunde erreicht.

Der Steuermann empfing die Kommenden an der Falltreppe.

»Etwas passiert?« fragte der Kapitän. – »Nichts«, lautete die Antwort. – »Wo ist der Dolmetscher?« –»Er schläft. Er hat nichts bemerkt.« – »Das ist gut. Schicke sogleich den Bootsmann mit dem kleinen Boot ab. Er mag die Passagiere benachrichtigen, daß ich sofort in See stechen muß.« – »Du hast den Somali. Wollen wir sie nicht lieber in Seila lassen? Wir brauchen sie ja nicht und erschweren uns mit ihnen nur das Werk.« – »Nein. Sie müssen bestraft werden.«

Der Kapitän ließ darauf den Somali mit dem Abessinier nach der Kajüte bringen, wo es ein Kämmerchen gab, in dem sie versteckt sein konnten, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden. Dann war auf Deck alles so ruhig, als ob nichts geschehen sei; von unten aber hörte man die Ruderschläge des sich entfernenden Bootsmannes.

Der Kapitän folgte den beiden in seine Kajüte nach, nachdem er dem Koch den Befehl gegeben hatte, Essen hinabzubringen. Dies geschah aus Fürsorge für den befreiten Somali, der während seiner Gefangenschaft gewiß nur wenig oder vielleicht auch gar nichts genossen hatte. Er fand ihn mit dem Abessinier im Kämmerchen sitzen.

Mit Hilfe des letzteren erfuhr er nun die ganze Fluchtgeschichte. Es war ganz so, wie der Gouverneur angenommen hatte. Der junge Somali war von den anderen abgeschickt worden, um sich nach einem Schiff umzusehen und am Brunnen überfallen worden, von wo man ihn trotz seiner tapferen Gegenwehr nach Seila schleppte.

»O Herr, wie werden dir mein Vater und die anderen danken, daß du mich errettet hast!« sagte er. »Sie werden große Angst ausgestanden haben!« – »Wo befinden sie sich jetzt?« fragte der Kapitän. – »Am Berge Elmas.« – »O weh, so wird man sie bereits entdeckt haben.« – »Warum?« – »Bist du nicht dort in der Nähe ergriffen worden?« – »Ja, ich hatte sie erst kurze Zeit verlassen und wollte nur mein Tier tränken.« – »Nun, wo du bist, da sucht man natürlich auch die übrigen. Man wird nicht unterlassen haben, jeden Winkel des Berges zu durchstöbern.« – »Sie sind dennoch sicher, denn es gibt dort ein Versteck, das nur der Stamm meines Vaters kennt. Kein Fremder hat jemals von diesem Ort gehört.« – »Wo ist dieser Ort? Oder darf auch ich nichts davon wissen?« fragte Wagner. – »Herr, was denkst du!« antwortete der Gefragte. »Du bist unser Retter und sollst alles erfahren. Vor langen Zeiten wohnte mein Stamm an der Küste; er lebte mit den Nachbarn in Feindschaft, und da er oft überfallen wurde, so bauten sich unsere Urväter ein Versteck, in dem ihre Habe sicher verborgen werden konnte. Es befand sich ein tiefer, breiter Riß in der Wand des Berges; dieser wurde zugebaut; man ließ nur unten einen Eingang und oben ein Loch, damit Luft hineindringen könne. Auf das Gemäuer tat man Erde, und ließ Gras und Gebüsch darauf wachsen. Der Raum ist so tief, daß zehn Kamele und zehn Menschen Platz darin finden.« – »Und dort warten die Spanier auf dich?« – »Ja.« – »Aber ob sie sich noch dort befinden werden? Sie müssen, wenn sie aufmerksam gewesen sind, doch bemerkt haben, daß du gefangengenommen worden bist.« – »Das haben sie ganz sicher bemerkt; aber wir haben ausgemacht, daß sie fünf Tage auf mich warten sollen, selbst wenn mir etwas Böses widerfährt.« – »Haben sie Nahrung?« – »Wir haben während unseres Rittes Datteln genug eingekauft. Und an der Quelle, an der ich überrascht wurde, finden sie Wasser für sich und die Kamele, wenn sie des Nachts die Spalte verlassen. Sie liegt nicht weit von ihr.« – »Kennst du den Namen der Spanier?« – »Der eine nennt den anderen Señor Ferdinando; er selbst heißt Bernardo.« – »Ist das Mädchen auch eine Spanierin?« – »Nein. Sie ist aus einem Land, das Mexiko heißt Ihr Name ist Señorita Emma.«

Der Somali erzählte dem Kapitän in Kürze alles, was er von den dreien wußte, war aber damit noch nicht fertig, als man das Geräusch kräftiger Ruderschläge hörte.

»Ah, der Sultan kommt mit dem Gouverneur!« sagte Wagner. – »Um Gottes willen, der Sultan und der Gouverneur!« rief der Abessinier. »Wir sind verloren.« – »Habt keine Sorge«, tröstete der Deutsche. »Ihr befindet euch unter meinem Schutz.« – »Aber sie werden mich erkennen, wenn sie mich sehen.« – »Sie kommen nicht in diese Kammer. Und wenn sie schlafen, so könnt ihr auf das Deck gehen, um Luft zu schöpfen.« – »So werden sie gar mit uns fahren?« fragte der Soldat noch ängstlicher als vorher. – »Ja. Sie wollen die Entflohenen fangen, und ich soll ihnen dabei helfen. Aber fürchtet euch nicht! Ich habe sie nur deshalb an Bord genommen, damit sie die Rettung derjenigen, deren Verderben sie wollen, mit ansehen müssen. Das soll ihre Strafe sein!«

Der Kapitän ging und trat auf das Verdeck. Dort befanden sich bereits die beiden Erwarteten in Begleitung einiger Diener. Der Sultan, der ihn beim Schein der Schiffslaterne sofort erkannte, trat in höchster Aufregung auf ihn zu und redete ihn an. Wagner konnte ihn nicht verstehen, und erst als der Dolmetscher herbeigeholt worden war, hörte er, um was es sich handelte.

»Weißt du bereits, was geschehen ist?« fragte der Herrscher von Harrar. – »Was?« – »Unser Gefangener ist entkommen.« – »Ah!« rief Wagner, scheinbar sehr unangenehm überrascht. – »Ja. Du hast heute doch recht gehabt; die Erde ist bereits gelockert gewesen.« – »Wann hast du es bemerkt?« – »Du sandtest deinen Boten, um uns holen zu lassen. Wir verstanden zwar seine Sprache nicht, aber wir sahen aus seinen Mienen und Bewegungen, daß wir kommen sollten. Ehe ich ging, wollte ich erst nach dem Gefangenen sehen, aber der Hund war fort. Den einen Posten hat er fast erschlagen, und der andere war nicht zu sehen – er wird aus Angst vor der Strafe auch mit davongelaufen sein.« – »Was hast du getan?« – »Wir durften die Abfahrt deines Schiffes nicht versäumen, darum haben wir schleunigst Verfolger ausgesandt, die längs des Strandes nach Süden reiten, denn dorthin wird er fliehen, da sich dort die anderen Flüchtigen befinden.« – »Das ist gut, das ist das beste, was Ihr tun konntet. Jetzt aber nehmt Platz. Ich habe dort auf dem Vorderdeck ein Zelt für euch errichten lassen, von dem aus ihr die ganze Küste überblicken könnt, sobald es Tag geworden ist. Der Dolmetscher mag für eure Verpflegung sorgen; ich muß euch verlassen, um das Kommando zu übernehmen, da wir augenblicklich in See gehen.« – »Kommst du denn des Nachts durch die Klippen?« – »Ich hoffe es. Ich habe mir am Tag die Stelle genau betrachtet, und übrigens steht ein Mann zum Ausguck vorn am Bug, der mich warnen wird.«

Die beiden traten in das Zelt, das groß genug war und Matten zum Sitzen und Liegen für sie enthielt. Bald hörten sie Wagners Stimme erschallen.

Die Ankerwinde knarrte, der Anker ging in die Höhe, die untersten Segel wurden gehißt, so daß das Schiff in langsamem Tempo wandte und vorsichtig gegen die Klippen ging. Es war Ebbezeit, und der Mann am Bug erkannte trotz der Dunkelheit die Schaumkronen, zwischen denen eine dunklere Stelle die gefahrlose Ausfahrt bezeichnete. Bald lagen die Klippen hinter der Brigg, und nun konnte sie auch die oberen Segel ziehen. Der Nachtwind legte sich in dieselben, und bald flog das schöne Schiff stolz in die offene See hinaus.


 << zurück weiter >>