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8. Kapitel.

Es war am Abend desselben Tages. Das Lokal des Offizierskasinos der Garde war hell erleuchtet und voll besetzt. Man ahnte, daß Leutnant Helmers erscheinen werde, und hatte sich deshalb in voller Zahl eingefunden, um ihm in pleno zu zeigen, daß man mit ihm nichts zu tun haben wolle.

Die älteren Offiziere hatten sich am hinteren, großen Tisch zusammengefunden, während die jüngeren die anderen Plätze besetzt hatten und sich lebhaft unterhielten.

Leutnant Ravenow, der Don Juan des Regiments, spielte mit Golzen und Platen eine Partie Karambolage. Er hatte soeben wieder einen sehr leichten Ball nicht gemacht und stieß das Queue unmutig zur Erde.

»Alle Teufel, geht mir dieser Ball hinten weg!« meinte er. »Verfluchtes Pech im Spiel!« – »Desto größeres Glück in der Liebe«, lachte Platen. »So viel aber ist gewiß, daß du heute mit dem Kapitän Parkert nicht spielen darfst. Du bist zu zerstreut und er ist ein Meister. Schone deine Börse.« – »Parkert?« fragte Golzen halblaut. »Pah, der kommt nicht« – »Nicht? Warum?« – »Oh, mit dem haben wir uns göttlich blamiert!« – »Möchte wissen, inwiefern!« – »Hm! Man soll nicht davon reden«, flüsterte Golzen wichtig. – »Auch nicht gegen Kameraden?« – »Nur gegen verschwiegene allenfalls.« – »Zu denen wir jedenfalls gehören. Oder nicht? Erzähle!« – »Nun, ihr wißt daß ich zuweilen bei Jankows bin ...« – »Beim Polizeirat? Ja. Man sagt, daß du seiner Jüngsten den Hof machst.« – »Oder sie mir. Kurz und gut, ich war auch heute dort, und da habe ich denn erfahren, daß dieser Kapitän Parkert sozusagen ein politischer Schwindler ist, und nicht bloß das, sondern sogar ein wirklicher, ausgefeimter, gefährlicher Verbrecher.«

Ravenow hatte eben das Queue angelegt, um einen Stoß zu tun. Er hielt erstaunt inne, blickte den Sprecher an und sagte:

»Du scherzt, Golzen!« – »Scherzen? Fällt mir gar nicht ein! Oder arretiert man vielleicht einen Menschen, den man für einen außergewöhnlichen, vornehmen Kerl gehalten hat, ohne vorher zwingende Beweise in der Hand zu haben?« – »Donnerwetter! Er ist arretiert worden?« – »Man wollte ihn arretieren.« – »Ah, man hat es aber nicht getan!« – »Weil er ausgerissen ist!« – »Echappiert? Parkert? Der bei uns Zutritt hatte? Weißt du das gewiß?« – »Ebenso genau, als daß er den Kommissar, der ihn holen sollte, bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt hat und dann einen Stock hoch durch das Fenster gesprungen ist.« – »Alle Teufel, das ist ein Affront! Wer hätte das diesem so solid scheinenden Kerl zugetraut. Wir haben ihm hier trotz seiner bürgerlichen Abstammung Zutritt gegeben, weil er ein Yankee war und die Nordamerikaner ja keinen Adel haben. Aber so ist es stets: Gibt man sich mit Pack ab, so ist man auf alle Fälle blamiert. Wir haben nun desto größere Verpflichtung, uns gegen diesen Kameraden Helmers streng ablehnend zu verhalten.« – »Mir scheint«, meinte Platen, der bereits beim Major Kurts Partei genommen hatte, »daß zwischen einem flüchtigen Verbrecher und einem brav gedienten Offizier denn doch ein kleiner Unterschied zu machen ist.« – »Pöbel bleibt Pöbel, ob in Zivil oder in Uniform, das bleibt sich gleich«, antwortete Ravenow. »Man muß ihm den Dienst verleiden. Man muß dafür sorgen, daß er so bald wie möglich seine Versetzung fordert.«

In diesem Augenblick trat der Oberst seines Regiments ein. Er wurde hier nicht sehr oft als Gast gesehen. Er kam gewöhnlich nur dann, wenn er irgendeine dienstliche Angelegenheit in freundlich-kameradschaftlicher Weise behandeln wollte. Daher ahnte man bei seinem Eintritt sogleich, daß es sich um irgendeine Mitteilung handle, die geeignet sei, das Interesse seiner Offiziere in Anspruch zu nehmen.

Er setzte sich zu den älteren Herren am letzten Tisch, ließ sich ein Glas Wein geben und musterte die Anwesenden, die ihn in dienstlicher Haltung begrüßt hatten. Seine Untergebenen warteten auf seine Erlaubnis, ihre vorherige Beschäftigung fortsetzen zu dürfen. Sein Blick fiel auf Ravenow, der trotz seiner Leichtlebigkeit sein erklärter Günstling war.

»Ah, Ravenow«, sagte er, »spielen Sie immerhin Ihre Partie aus, aber sodann keine weitere.« – »Ah, Herr Oberst, ich bin im Verlust, muß also um Revanche ersuchen«, antwortete der Leutnant. – »Heute nicht; schonen Sie Ihre Beine und Ihre Kräfte!« – »So gibt es morgen wohl Extraübung?« – »Ja, aber nicht zu Pferde, sondern zu Fuß, und zwar mit jungen Damen im Arm.«

Bei diesen Worten hoben alle die Köpfe empor.

»Ja«, lachte der Oberst, »da gucken die Herren! Ich will Ihre Wißbegierde auf keine allzu harte Probe stellen, sondern Ihnen sogleich den Sachverhalt mitteilen, damit ich dann ungestört meine Partie Whist spielen kann.«

So abweisend er sich gegen Kurt benommen hatte, so umgänglich konnte er sein, wenn er wollte und wenn er sicher war, seiner Ehre keinen Schaden zu tun. Als jetzt die Herren sich näher um seinen Tisch zusammenzogen, meinte er

»Ja, es wird morgen eine leidliche Fußübung geben; man nennt diese Art Exerzieren gewöhnlich Ball.« – »Ein Ball, eine Soiree, wo, wo?« fragte es überall. – »An einem Ort, an den Sie am allerwenigsten denken werden, meine Herren. Hier habe ich ein ganzes, großes Kuvert voll Einladungskarten, die ich an sämtliche Offiziere meines Regiments und deren nähere Kameraden verteilen soll. Es sind im ganzen sechzig Karten, und die Damen sich auch mit geladen.« – »Aber von wem?« fragte ein Major, der neben dem Oberst saß. – »Ich wette zehn Monatsgagen, Herr Kamerad, daß Sie es nicht erraten. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bei Anbruch des Abends dieses Kuvert erhielt, den Inhalt bemerkte und dabei folgendes Schreiben fand:

 

»Herrn Baron von Winslow, Oberst des ersten Gardehusarenregiments.

Herr Oberst!

Seine Majestät der König sind so freundlich gewesen, mir die Wohn- und Gartenräume Seines königlichen Schlosses Monbijou zu einer Soiree dansante – Abendgesellschaft mit Tanz –, die ich morgen abzuhalten gedenke, zur Verfügung zu stellen. Ich sende Ihnen die beifolgenden Karten, um sie an die Offiziere Ihres Regiments und deren nähere Kameraden zu verteilen, und bin überzeugt, daß ich Sie mit Ihrer Frau Gemahlin nebst Töchtern sowie auch die Damen der Herren Offiziere bei mir sehen werde.

Ihr wohl affektionierter
Ludwig III.
Großherzog von Hessen-Darmstadt«

 

Als der Oberst das großherzogliche Schreiben wieder zusammenfaltete und sein Auge über die Zuhörer schweifen ließ, begegnete er auf allen Gesichtern dem Ausdruck des Erstaunens.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der bereits erwähnte Major. – »Diese Frage habe ich mir auch vorgelegt, aber ohne eine Antwort zu finden. Meine Frau – und die Herren wissen, daß die Frauen sich für äußerst scharfsinnig halten –, meine Frau meinte, daß es von oben her im Werke sei, dem Großherzog unser Husarenregiment zu verleihen. Er hat im vergangenen Krieg Preußen feindlich gegenübergestanden, und nun will Seine Majestät ihn vielleicht durch eine solche Auszeichnung an sich ketten.« – »Wie ich höre, wurde er heute telegrafisch nach Berlin gerufen«, wagte Leutnant Golzen zu bemerken. – »Woher wissen Sie das?« fragte der Oberst schnell. – »Sie wissen, Herr Oberst, daß die Herren Diener untereinander strenge Fühlung haben, und der meinige ist ein Schlaukopf, der voller Neuigkeiten steckt, wie eine Zeitung.« – »Diese telegrafische Einladung ließe, wenn sich ihre Wahrheit bewährte, auf wichtige diplomatische Konstellationen schließen. Man beginnt, sich huldvoll gegen die Südstaaten zu zeigen, man will sie also fesseln. Meine Herren, ich glaube, wir werden in einiger Zeit nach Frankreich reiten. Wenn das nur recht bald geschähe, wir sind gerade jetzt im rechten Zug. Aber zerbrechen wir uns nicht den Kopf. Die Sache ist, daß wir eingeladen sind und einen amüsanten Abend haben werden. Die Räume von Monbijou haben uns noch nie zur Verfügung gestanden; es wird uns da eine Auszeichnung zuteil, um die man uns beneiden wird. Wir werden dankbar sein, und ich bin überzeugt, daß die Herren, besonders die jüngeren, alle ihre Liebenswürdigkeit entfalten werden. Jetzt wollen wir zur Verteilung der Karten schreiten.« – »Darf ich mir die Frage gestatten, Herr Oberst, ob dieser Leutnant Helmers auch ein Exemplar erhalten wird?« fragte Ravenow.

Diese Erkundigung war eine Keckheit, dennoch aber antwortete der Gefragte in freundlichem Ton:

»Weshalb erkundigen Sie sich, lieber Ravenow?« – »Weil ich niemals eine Soiree besuchen würde, auf der obskure Menschen erscheinen.« – »Dann brauchten Sie lieber gar nicht zu fragen, denn wir alle hegen dieselben Grundsätze und Ansichten wie Sie. Übrigens tritt dieser Helmers erst morgen an, heute aber bereits werden die Karten verteilt, er geht uns also noch gar nichts an. Hier, lieber Branden, haben Sie die Karten. Besorgen Sie die Verteilung.«

Der Adjutant nahm das Kuvert in Empfang, gab jedem der Anwesenden eine der Einladungen und hob die übrigen für diejenigen auf, die nicht zugegen waren.

Kaum war er damit fertig, so ging die Tür auf, und Kurt trat ein. Aller Augen richteten sich auf ihn, glitten aber sogleich wieder von ihm fort, so daß er merken mußte, daß man nichts von ihm wissen wolle.

Er ließ sich aber dadurch nicht beirren, behielt den Tschako auf und schritt sporenklirrend auf den ältesten der anwesenden Offiziere zu. Dies war Oberst Winslow. Vor ihm hielt er an, schlug die Fersen zusammen, legte die rechte Hand grüßend an die Kopfbedeckung, die linke an den Schenkel und sagte:

»Leutnant Helmers, Herr Oberst. Ich bitte um die Freundlichkeit mich den Herren Kameraden vorzustellen!«

Der Oberst hatte die Whistkarten in der Hand, drehte sich langsam um, tat, als ob er ihn nicht verstanden habe, und fragte:

»Wie? Was wollen Sie?« – »Ich erlaube mir die Bitte, mich den Herren vorzustellen, Herr Oberst.«

Der Oberst zog die Augenbrauen hoch empor, sah Kurt langsam vom Kopf bis zum Fuß an und sagte:

»Vorstellen? Ah! Wer sind Sie?«

Auf allen Gesichtern war Schadenfreude zu bemerken; nur Leutnant Platen errötete vor Verdruß darüber, daß man einen braven, jungen Mann in dieser Weise beleidigte.

Alle wußten, daß sich jetzt entscheiden müsse, was Helmers für ein Charakter sei. Kein Kavalier konnte diesen Schimpf gut auf sich sitzen lassen. Es waren abermals aller Augen auf Kurt gerichtet. In dem Gesicht desselben zuckte keine Miene, und mit vollständig fester Stimme sagte er:

»Ihr Herr Adjutant, Oberleutnant von Branden, ist Zeuge, daß ich mich Ihnen heute vorgestellt habe. Ich bin gern bereit, einem schwachen Gedächtnis, wo ich es finde, zu Hilfe zu kommen: Ich bin Leutnant Helmers, Herr Oberst.«

Da fuhr der Oberst von seinem Sitz auf und rief:

»Donnerwetter, was meinen Sie, Herr Heller, Hellers, Helmers oder wie Sie heißen! Wer hat ein schwaches Gedächtnis, he?«

Kurt ließ die rechte Hand vom Taschko fallen, lächelte sehr freundlich und antwortete:

»Ich stelle es ganz in das Belieben des Herrn Obersten, zu erklären, ob mein Name aus wirklicher, unschuldiger Gedächtnisschwäche oder aus Absicht vergessen worden ist. Im letzteren Fall werde ich den Herrn Kriegsminister, Exzellenz, ersuchen, mich dem Herrn Oberst vor der Front des Regiments eklatanter vorzustellen, und ich gebe hiermit mein Ehrenwort, daß die Exzellenz dies tun wird.«

Der Oberst erbleichte. Er hatte das Empfehlungsschreiben des Ministers gelesen; er sah jetzt in die freundlichen, selbstbewußten Augen des jungen Mannes, und es ging ihm die Ahnung auf, daß er es hier mit einem geistig wenigstens ebenbürtigen Gegner zu tun habe.

Wie jetzt die Sache stand, mußte selbst ein parteiisches Urteil dahin gefällt werden, daß der Leutnant von seinem Obersten verleugnet, also fürchterlich beleidigt worden sei.

Helmers stand ganz so da, als ob er diese Beleidigung durch eine Forderung beantworten werde, und das hätte den Obersten bei seinen Vorgesetzten in fürchterlichen Mißkredit bringen müssen.

Junge Leutnants mögen sich fordern und schlagen und dann zur Strafe auf die Festung gehen, wenn aber ein alter Oberst einen der jüngsten Offiziere zu einer Forderung förmlich zwingt, so ist er wert, degradiert zu werden.

Dies bewog den Obersten einzulenken. Er sagte:

»Was Gedächtnisschwäche, was Absicht! Dort steht Adjutant von Branden. Er mag Sie vorstellen.«

Er glaubte, genug getan zu haben, denn mit dem Ausdruck Gedächtnisschwäche war er ja auch beleidigt worden. Freilich gab er sich jetzt vor allen Anwesenden dadurch, daß er tat, als ob er diese Beleidigung gar nicht gefühlt habe, eine große Blöße. Er meinte nun, die Angelegenheit erledigt zu haben, und setzte sich. Kurt jedoch blieb vor ihm stehen und sagte mit lauter, sicherer Stimme:

»Halten zu Gnaden, Herr Oberst. Ich habe eine Bemerkung zu machen.« – »Nun?« fragte der Oberst, indem er ihm das vor Zorn und wohl auch vor Verlegenheit gerötete Gesicht zuwandte. »Fassen Sie sich kurz!« – »Das werde ich, denn Kürze ist meine Eigenheit, wie Sie bald bemerken werden. Ich bin nicht aus eigenem Antrieb aus meinen bisherigen Verhältnissen geschieden, sondern ganz allein nur auf höhere Anregung zur preußischen Garde versetzt worden. Ich kenne die exklusiven Traditionen des Gardekorps, aber ich habe gemeint, daß, wenn die Herren Kameraden sich mir, der ich im letzten Feldzug als großherzoglich-hessischer Offizier meine Schuldigkeit getan habe, auch nicht gerade in warmer Freundschaft anschließen würden, man mich doch ohne gewaltsame Provokationen meinen Weg gehen lassen werde. Heute aber habe ich bei den meisten der Herren, denen ich mich dienstlich vorzustellen hatte, eine geradezu zurückweisende, fast empörende Aufnahme gefunden. Darum war ich allerdings darauf gefaßt, auch hier nicht willkommen geheißen zu werden. Ich bin kein Freund von Ungewißheiten. Ich muß wissen, ob man mich als Kamerad anerkennt oder nicht. Und so mag es sich gleich in diesem ersten Augenblick entscheiden, ob mir mein Weg gefälligst freigelassen wird oder ob ich ihn mir zu erkämpfen habe. Herr Oberst, ich bin von Ihnen verleugnet worden. Ich muß unbedingt wissen, ob dies aus Gedächtnisschwäche oder mit Absicht geschah. Wollen Sie die Güte haben, mir meine Frage zu beantworten?«

Es war kein einziger der Anwesenden sitzen geblieben, sie alle hatten sich erhoben. So war hier noch nie gesprochen worden. In dieser Weise hatte noch nie ein Leutnant mit dem Chef seines Regiments zu reden gewagt. Sie waren ihm alle feindlich gesinnt, und dennoch mußten sie ihn ob seiner Kühnheit hochachten.

Wie jetzt die Sache stand, mußte der Oberst entweder sich für gedächtnisschwach erklären – und dies wäre eine ganz entsetzliche Blamage gewesen – oder er mußte gestehen, daß er die Absicht gehabt habe, den Leutnant zu beleidigen – und das mußte unbedingt zu einem Waffengang führen, ebenfalls eine Blamage für den Obersten, für den es in diesem Fall nur den einzigen Ausweg gab zu erklären, daß er einen Bürgerlichen nicht für satisfaktionsfähig halte.

Der junge Leutnant hatte den langgedienten, adelsstolzen Oberst in seiner eigenen Schlinge gefangen, und alle waren neugierig zu hören, was der letztere sagen werde.

Dieser stand ganz perplex vor seinem Stuhl, er hatte die Kontenance verloren, denn ein solches Auftreten dieses Menschen, den er leicht beseitigen zu können gemeint hatte, war ihm ganz undenkbar gewesen. Endlich meinte er.

»Und wenn ich Ihnen die Antwort verweigere?« – »Das werden Sie nicht. Eine solche Verweigerung wäre eine bodenlose Feigheit, aber ich hoffe, daß Sie Mut genug haben, mit einem bürgerlichen Leutnant zu sprechen!«

Dies war dem Obersten denn doch zu viel; dies gab ihm seine Fassung wieder.

»Ja, Sie haben recht«, sagte er stolz. »Sie sind nicht der Mann, vor dem man sich fürchtet. Ich erkläre Ihnen also, daß ich Sie absichtlich verleugnete.« – »Ich danke Ihnen, Herr von Winslow. Ich will Ihr Alter berücksichtigen und diese Angelegenheit nicht vor die dienstliche Behörde bringen, aber Genugtuung muß ich mir erbitten. Erlauben Sie, daß ich Ihnen morgen meinen Bevollmächtigten sende.« – »Pah, ich schlage mich mit keinem Bürgerlichen!« – »Das wäre eine sehr wohlfeile Weise, sich der Verantwortung zu entziehen. Nehmen Sie meinen Bevollmächtigten nicht an, so mag ein Ehrengericht entscheiden, ob ein Mann, der die Offiziersuniform Seiner Majestät trägt, nicht satisfaktionsfähig sei. Wird auch da gegen mich entschieden, so zeige ich Sie bei Ihrem Vorgesetzten ganz einfach des Ungehorsams gegen Ihre Oberen und der absichtlichen, gewaltsamen Aufreizung Ihrer Untergebenen an. Ich bin noch nicht halb so alt wie Sie, aber ich lasse Sie nicht entschlüpfen.«

Er drehte sich scharf auf dem Absatz herum und schritt zur Wand, an der er Säbel und Tschako aufhängte, dann nahm er eine Zeitung vom Fenster weg und sah sich nach einem Platz um.

Kein einziger hätte nach dieser Probe von Mut und Energie es jetzt gewagt, ihm einen Sitz zu verweigern, aber man rückte zusammen, um ihn nicht zum Nachbarn zu bekommen.

Nur einer blieb sitzen und hielt das Auge freundlich und einladend auf ihn gerichtet, nämlich Leutnant Platen. Kurt bemerkte den wohlwollenden Blick und trat zu ihm.

»Erlauben Sie mir den Platz an Ihrer Seite, Herr Leutnant?« fragte er. – »Recht gern, Kamerad«, antwortete Platen, ihm die Hand reichend. »Mein Name ist Platen. Seien Sie mir willkommen!«

Kurt blickte in das offene, ehrliche Auge des Sprechers, dessen Blick ihm so wohl tat, und sagte:

»Ich danke Ihnen herzlich. Man hat es zwar unterlassen, mich vorzustellen, aber mein Name ist doch genannt worden. Herr von Platen, darf ich Sie um die Namen dieser Herren bitten?«

Noch immer herrschte tiefe Stille im Raum, so daß man deutlich jeden Namen hörte, den Platen aussprach. Am hinteren Tisch herrschte die Ruhe nach einem Donnerschlag, an den anderen Plätzen hatte man alle möglichen Zeitungen und sonstige Hilfsmittel ergriffen, um die Peinlichkeit der Situation zu neutralisieren. Die Herren an Kurts Tisch, deren Namen genannt wurden, nickten verlegen mit dem Kopf, während dieser sie mit einer Verneigung begrüßte. Nur Ravenow blieb der alte, er griff zum Queue und meinte laut:

»Komm, Golzen, setzen wir unsere Partie fort. Wie steht es, Platen? Du bist ja der dritte.« – »Danke, ich verzichte«, antwortete dieser.

Ravenow zuckte die Achsel und spottete:

»Pah! Das nenne ich den Champagner wegen eines Glases Essig verlassen!«

Kurt tat, als ob er diesen beleidigenden Vergleich nicht auf sich beziehe, und wurde darin von Platen unterstützt, denn dieser griff nach einem Schachbrett und fragte:

»Spielen Sie Schach, lieber Helmers?« – »Unter Kameraden, ja.« – »Nun, ich bin ja Ihr Kamerad. Legen Sie die Zeitung fort und versuchen Sie es einmal mit mir. Die Ehrlichkeit erfordert aber, Ihnen zu sagen, daß ich hier für unbesiegbar gehalten werde.« – »So muß ich ebenso ehrlich sein«, lachte Kurt. »Hauptmann von Rodenstein, mein Pflegevater, war ein Meister. Er gab mir so vortrefflichen Unterricht, daß er jetzt keine Partie mehr gewinnt.« – »Ah, das ist recht, denn da dürfen wir endlich einmal einer interessanten Partie entgegensehen. Kommen Sie!«

Durch diesen kleinen Streich hatte Platen den Bann gehoben. Am hinteren Tisch begann der Whist von neuem, vorn klapperten die Billardbälle, und dazwischen hatten die Züge auf dem Schachbrett in Zeit von zehn Minuten einen so spannenden Verlauf genommen, daß sich die Offiziere einer nach dem anderen erhoben, um dem Spiel zuzuschauen. Sie gewahrten mit Verwunderung, daß Kurt seinem Gegner überlegen sei; er gewann die erste Partie.

»Ich gratuliere«, sagte Platen. »Das ist mir lange nicht passiert. Wenn es wahr ist, daß ein tüchtiger Stratege auch ein guter Schachspieler sei, so sind Sie jedenfalls ein höchst brauchbarer Offizier.«

Kurt fühlte, daß der gute Platen diese freundlichen Worte sprach, um ihm Boden zu gewinnen, und antwortete ablehnend:

»Man darf bekanntlich die Schlüsse nicht umkehren. Ist ein guter Stratege auch ein guter Schachspieler, so ist es doch noch nicht notwendig, daß ein feiner Schachspieler auch ein tüchtiger Offizier sein muß. Übrigens haben Sie in der ersten Partie wohl nur meine Kräfte kennenlernen wollen. Versuchen wir eine zweite. Ich ahne, daß ich sie verlieren werde.« – »Sie dürften sich irren. Doch apropos, Sie nannten da einen Hauptmann von Rodenstein. Ist dieser Herr vielleicht Oberförster im Dienst des Großherzogs von Hessen?« – »Allerdings.« – »Ah, so kenne ich ihn. Er ist ein alter, knorriger Haudegen, ebenso grob wie ehrlich, und soll bei seinem Landesherrn gut angeschrieben stehen.« – »Diese Charakteristik ist allerdings sehr zutreffend.« – »Ich lernte ihn bei meinem Onkel in Mainz kennen, der sein Bankier ist.« – »Sein Bankier? Dieser heißt Wallner, so viel ich weiß.« – »Das ist richtig. Ich muß Ihnen nämlich erklären, daß meine Tante, die Schwester meiner Mutter, eine sogenannte Mesalliance eingegangen ist. Sie hat diesen Wallner, also einen Bürgerlichen, geheiratet, der infolgedessen auch ein Verwandter ihres und meines Majors geworden ist, denn der letztere ist mein Cousin.«

Die anderen Herren warfen einander erstaunte Blicke zu. Was fiel denn Platen ein, mit solcher Offenheit diese Familienverhältnisse darzulegen und damit den Major bloßzustellen? Kurt aber verstand die Absicht. Platen wollte ihm Satisfaktion geben für die Aufnahme, die er bei Majors gefunden hatte, und zugleich den stolzen Offizieren gegenüber in Erwähnung bringen, daß in den hochadeligen Kreisen denn doch nicht alles so rein sei, wie man denkt.


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