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25. Kapitel.

Don Ferdinando lehnte in seinem Kerker und dachte an die heute abend vorzunehmende Flucht. Seine gegenwärtige Lage war eine höchst unbequeme. Er konnte wegen Mangels an Raum sich nicht niederlegen, und zu setzen graute es ihm, der Rattenkadaver wegen, die den Boden bedeckten. Er mußte also stehen, und das ermüdete ihn.

Er hatte die Unbequemlichkeit nur noch bis zum Abend auszuhalten, wie aber mußte es einem Gefangenen zumute sein, der hier mitten unter Ungeziefer verdammt war, den grauenvollen Tod zu erwarten, ohne Hoffnung auf Trost, Erleichterung und Erlösung!

Es konnte nach seiner Vermutung um die Mittagszeit sein, als er ein Geräusch über sich vernahm. Man rückte den Stein weg, der sein Loch verschloß. Dann fragte eine Stimme:

»Bist du der alte Christensklave?« – »Ich bin es«, antwortete er. – »Der Sultan will mit dir sprechen. Haben dich die Ratten verschont, so daß du noch gehen kannst?« – »Ich will es versuchen«, antwortete er vorsichtig. – »So komm herauf! Ich werde dir die Leiter hinunterlassen.«

Bei dem Tagesschimmer, der von oben hereinbrach, erkannte der Graf die Leiter. Sie bestand einfach in einem Baumstamm, in dem man Einschnitte für Hände und Füße angebracht hatte. Sobald sie den Boden berührte, stieg er hinauf.

Welch ein Glück, daß er sich von dem Gärtner getrennt hatte! Hätte er sich drüben bei diesem befunden, so wäre dies jetzt verraten gewesen.

Als er oben ankam, befand er sich in einem kahlen, von steinernen Mauern umgebenen Raum, wo mehr als zwanzig Gefangene angekettet lagen. Er sah ein, daß von seinem Loch aus es ganz unmöglich gewesen sein würde, durch diese Leute hindurch die Flucht unbemerkt zu bewerkstelligen. Zudem war die sehr starke Tür von außen mit festen Riegeln verwahrt, so daß es nicht gelingen konnte, sie von innen zu öffnen. Er dankte daher im stillen Gott, daß er ihn mit Bernardo zusammengeführt hatte, aus dessen Gefängnis man sofort in das Freie gelangte.

Als das helle Tageslicht auf ihn fiel, sah er erst, wie abscheulich ihn die Ratten zugerichtet hatten. Sein ganzer Körper war voller Bißwunden, und sein Hemd war stark zerfetzt. Natürlich war er höchst begierig, zu erfahren, was der Sultan von ihm wollte. Sollte die Strafe etwa verschärft werden? Das war dem Grausamen sehr wohl zuzutrauen.

Er fand den Herrscher im Audienzsaal, aber nicht auf dem Thron sitzend, sondern er stand in einer Haltung da, als ob er bereit sei, den Saal zu verlassen. Die Frage, die er sofort aussprach, erregte das Erstaunen des Gefangenen in nicht geringem Grad.

»Weißt du, wie viele Sprachen die Ungläubigen sprechen?« – »Es sind ihrer sehr viele«, antwortete Don Ferdinando. – »Verstehst du sie?« – »Die hauptsächlichsten davon kann ich sprechen und verstehen. Wir Christen haben einige Sprachen, die alle Unterrichteten verstehen, obgleich sie nicht ihre Muttersprachen sind.« – »So höre, was ich dir sagen werde! Ich habe mir eine Sklavin gekauft, die eine Ungläubige ist. Sie redet eine Sprache, die hier niemand versteht! Ich werde dich jetzt zu ihr führen, um zu sehen, ob vielleicht du sie verstehen kannst. Gelingt es dir, mein Dolmetscher zu werden, so wird dich meine Gnade erleuchten, und du sollst nicht im Gefängnis sterben. Du wirst ihr Unterricht geben, daß sie die Sprache von Harrar lernt und mit mir reden kann. Aber du darfst ihr Angesicht nicht sehen und nichts Böses von mir sagen, sonst wirst du einen tausendfachen Tod erleiden.« – »Ich bin dein Knecht und werde dir gehorchen«, erwiderte der Graf, und während er sich bei diesen Worten bis tief zur Erde herab verbeugte, gingen allerlei Gedanken durch seine Seele.

Eine christliche Sklavin? War sie eine asiatische oder eine europäische Christin? Welche Sprache war die ihrige? Sprach sie eine, die er sprach? Er sollte jetzt von dem Gärtner getrennt werden. War es da nicht klüger, zu tun, als ob er die Sprache der Sklavin nicht verstehe? Aber vielleicht gab es hier Gelegenheit, ein gutes Werk zu verrichten.

»Komm, folge mir«, unterbrach in diesem Augenblick der Sultan seine Gedanken und schritt dem Grafen voran nach dem Schlafzimmer.

Der Sultan gebot dem Grafen, hier zu warten, zog den Riegel einer Tür zurück und trat in die Schatzkammer, um dafür zu sorgen, daß die Sklavin verhüllt sei, und nun erst ließ er ihn eintreten, um hinter ihm die Tür sogleich wieder zuzuziehen.

Don Ferdinando überflog den Raum mit einem scharfen, forschenden Blick. Er ahnte sogleich, daß sich in den Kisten und Körben die Reichtümer des Herrschers befanden.

Die Sklavin ruhte auf dem Lager, sie hatte einen doppelten Schleier über das Gesicht gezogen, durch den sie sehen konnte, ohne daß ihre Züge zu erkennen waren. Beim Eintritt des Grafen wandte sie das Gesicht nach ihm und richtete sich mit einer Bewegung empor, als ob sie über sein Erscheinen im höchsten Grad überrascht sei.

»Rede mit ihr«, gebot der Sultan. »Siehe, ob du ihre Sprache verstehen kannst!«

Don Ferdinando trat einige Schritt vor. Jetzt fiel durch die enge Fensteröffnung der Schein des Lichtes auf sein Gesicht, so daß es hell erleuchtet war. Da machte die Sklavin abermals eine Bewegung der Überraschung. Der Sultan bemerkte das natürlich, aber er dachte, sie sei in Verwunderung darüber, daß er einem männlichen Wesen gestattete, hier Zutritt zu nehmen.

»Quelle est la langue, laquelle vous parlez, Mademoiselle – welches ist die Sprache, die Sie sprechen, mein Fräulein?« fragte er französisch.

Sie lichtete sich beim Klang dieser Stimme noch mehr empor und zögerte, zu antworten. Dies geschah wohl vor freudigem Schreck. Er aber dachte, sie verstehe nicht französisch, und da die englische Sprache wenigstens ebenso verbreitet ist, wie die der Franzosen, so wiederholte er seine Frage englisch:

»Do you perhaps speak English, Miss – sprechen Sie vielleicht englisch, Fräulein?« – »Bendito sea Dios!« antwortete sie endlich spanisch. »Ich verstehe ja englisch und französisch, aber sprechen wir spanisch!«

Jetzt war die Reihe zu erstaunen an ihn gekommen. Als er die heimatlichen Laute hörte, hätte er sich vor Freude und Glück zu ihren Füßen niederwerfen mögen, aber das Unglück hatte ihn geschult und ihm gelehrt, vorsichtig zu sein, darum beherrschte er sich und fragte, indem er dem Ton seiner Stimme die möglichste Gleichgültigkeit gab:

»Mein Gott, Ihr seid eine Spanierin? Aber bleibt ruhig! Verratet keine Überraschung. Man muß in unserer Lage nicht unvorsichtig sein.« – »Ich werde Eurer Warnung folgen, obgleich ich nicht nur erstaunt, sondern förmlich aufgeregt bin«, antwortete sie. »Himmel, ist es möglich, oder täuschen mich meine Augen? Ja, Señor, wir müssen uns beherrschen! Aber welche Freude, welche Seligkeit, wenn ich mich nicht irrte!« – »Was meinen Sie, Señorita?« fragte er gespannt. – »Oh, ich bin nicht nur Spanierin, sondern sogar Mexikanerin«, sagte sie.

Jetzt fehlte nicht viel, so hätte er sich nicht zu beherrschen vermocht, aber er besann sich doch und entgegnete im gleichgültigsten Ton, der ihm möglich war:

»Eine Mexikanerin? Señorita, ich darf mich nicht gehenlassen, denn wir werden von dem scharfen Auge eines Tyrannen beobachtet, aber ich sage Euch, daß ich mir die allergrößte Mühe geben muß, den Aufruhr meiner Empfindungen zu verbergen. So hören Sie also nur, daß auch ich ein Mexikaner bin.« – »Santa Madonna! So wird es ja wahrscheinlich, daß ich mich nicht täusche. Als das Licht durch dieses Fenster auf Euer Gesicht fiel, kam mir dasselbe bekannt vor, ebenso Eure Stimme, als ich dieselbe hörte. Ich bitte Euch, bleibt ruhig, ganz ruhig und gleichgültig. Aber sagt mir, ob Ihr in Mexiko eine Besitzung kennt, die Hacienda del Erina heißt.« – »Die kenne ich. Oh, sie ist mir nur zu wohl bekannt.« – »Kennt Ihr auch den Besitzer derselben?« – »Den guten Pedro Arbellez? Wie sollte ich meinen treuesten, besten Diener nicht kennen?« – »Euren Diener? Oh, ihr heiligen Engel, so ist es wahr! Ja, jetzt, da Ihr Euch zur Seite dreht, sehe ich auch den vernarbten Lanzenstich in Eurer rechten Wange! Ihr seid unser lieber, lieber Don Ferdinando de Rodriganda!«

Jetzt ging es ihm fast über menschliches Vermögen, kaltblütig zu bleiben, aber es gelang ihm doch so leidlich. Trotzdem zitterte seine Stimme vor Aufregung, als er fragte:

»Ihr kennt mich, Señorita? Ihr kennt den Haziendero Arbellez?« – »Ja, ich kenne ihn; ich kenne ihn sogar noch besser als Ihr oder ein anderer ihn kennt. Ich bin ja Emma Arbellez, seine Tochter!«

Jetzt trat eine Pause ein, während welcher kein Laut gehört wurde, aber diese Pause umschloß eine ganze Sturmflut von Empfindungen, die die Herzen der beiden Gefangenen durchwogte, die sich hier so wunderbar gefunden hatten. Der Graf konnte Emmas Gesicht nicht sehen, aber er hatte gehört, daß bei den letzten Worten ihre Stimme brach. Sie weinte. Auch ihm wären die Tränen ganz sicherlich in die Augen getreten, wenn ihn nicht gerade jetzt der Sultan mit harter Stimme gefragt hätte:

»Du verstehst ihre Sprache, wie ich höre?« – »Ja.« – »Welche Sprache ist es?« – »Es ist die eines Landes, das hier niemand kennt.« – »Wie heißt es?« – »Spanien.« – »Dieser Name ist mir unbekannt. Es muß ein kleines, armseliges Ländchen sein.« – »Es ist im Gegenteil sehr groß, und es gehören viele Inseln zu ihm, die in allen Meeren der Erde liegen.« – »Gibt es einen Sultan dort?« – »Es gibt einen mächtigen König dort, dem viele Millionen Menschen untertänig sind.«

Der Sultan machte ein zweifelndes Gesicht Er hatte den Namen Spaniens noch nie gehört, und darum mochte er die Worte des Grafen für Aufschneiderei halten.

»Was hat die Sklavin gesagt?« fragte er. – »Daß sie froh ist, von dir gekauft worden zu sein.«

Da erheiterte sich das Gesicht des Herrschers, und er erkundigte sich weiter:

»Wer ist ihr Erzeuger gewesen?« – »Ihr Vater ist einer der vornehmsten Männer des Landes.« – »Das wußte ich bereits, denn sie ist sehr schön; sie ist schöner als die Blume und lichter wie die Sonne. Wie aber ist sie in die Hände des Emirs gekommen?« – »Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Soll ich sie fragen?« – »Frage sie. Laß es dir erzählen, und dann sagst du mir es wieder.«

Da wandte sich der Graf mit errungener Fassung an Emma:

»Also du, du bist es, meine liebe, liebe Emma! O Gott, wie siehst du mich wieder!«

Erst jetzt dachte er daran, daß er fast unbekleidet vor ihr stand. Dies und der Anblick seiner zerbissenen Glieder mußten einen höchst betrübenden Eindruck auf sie machen, denn er vernahm, daß sie sich mit aller Kraft bestrebte, ein lautes Weinen zu unterdrücken.

»Aber bleiben wir bei der Gegenwart«, fuhr er fort. »Der Sultan will wissen, wie du hierher gekommen bist. Ich muß ihm antworten.« – »Hierher?« fragte sie. »Ich weiß ja nicht einmal, wo ich bin!« – »Dieses Land heißt Harrar und diese Stadt ebenso. Der Mann, in dessen Gewalt wir uns befinden, ist der Sultan, der Herrscher des Landes. Aber beantworte mir vor allen Dingen meine Frage!« – »Ich bin von einem chinesischen Seeräuber nach Ceylon gebracht worden, der mich an den Mann verkaufte, der mich hierher transportiert hat!« – »Und wie kamst du in die Hände des Chinesen? Es ist doch ganz unmöglich, daß ein Chinese nach der Hacienda del Erina gekommen ist, um dich zu rauben.« – »Nein. Ich trieb auf einem Floß in die See hinaus, viele Tage lang, bis ich von einem holländischen Schiff aufgenommen wurde, das jenseits von Java in die Hände des chinesischen Sklavenhändlers fiel.« – »Auf einem Floß? Ich erstaune! Wie kamst du auf die See? Befandest du dich denn an der Küste von Mexiko?« – »Nein. Wir waren ja alle auf der Insel.« – »Alle? Wen meinst du denn, liebe Emma?« – »Nun, Señor Sternau, Mariano, die beiden Helmers, Büffelstirn, Bärenherz und Karja, die Schwester des Mixteka.« – »Das sind für mich lauter Rätsel. Aber da fällt mir ein Name auf. Sternau, wer ist dieser Señor?« – »Ihr kennt ihn nicht? Ah, die Freude, Euch wiederzusehen, nimmt mir die Gedanken. Ich vergesse, daß Ihr von dem allen ja noch gar nichts wißt! Señor Sternau ist ausgezogen, um Euch und den Kapitän Landola zu suchen.« – »Mein Gott, so ist er ganz derselbe, von dem mir Bernardo gestern erzählte! Sage mir, nicht wahr, er ist ein deutscher Arzt, und meine Nichte Rosa ist seine Frau?« – »Ja.« – »Er hat meinen Bruder operiert und sehend gemacht?« – »Ja. Woher wißt Ihr aber dies alles, Don Ferdinando?« – »Das werde ich dir später sagen. Du siehst, daß der Sultan ungeduldig wird. Wie lange bist du bereits aus der Heimat fort?« – »Bereits sechzehn Jahre«, antwortete sie.

Sechzehn Jahre bilden eine geraume Zeit, aber die schöne Tochter des Haziendero hatte sich während derselben kaum verändert. Hier in Harrar, wo der Mensch und besonders das weibliche Geschlecht ganz außerordentlich schnell altert, konnte sie recht gut für höchstens zwanzig Jahre alt gelten. Und dennoch war es überraschend, welchen Eindruck diese Antwort auf den Grafen machte. Er stand ganz erstarrt und mit offenem Mund da. Es dauerte eine Weile, ehe er fragte:

»Sechzehn Jahre? Wo bist du denn seit dieser Zeit gewesen?« – Auf der Insel.« – »Auf welcher Insel, Emma?« – »Ach, ich vergesse schon wieder, daß Ihr das alles noch gar nicht wissen könnt! Landola hat uns in Guaymas gefangengenommen und nach einer unbewohnten Insel des Großen Ozeans gebracht, auf der wir während der ganzen Zeit gelebt haben.« – »Alle Teufel! Ich erstarre vor Verwunderung!«

In diesem Augenblick ergriff der Sultan wieder das Wort. Er hatte dem Gespräch bisher schweigend zugehört, nun aber wurde ihm die Zeit doch zu lang, und er sagte:

»Vergiß nicht, daß ich auf eine Antwort warte! Was hat sie dir erzählt?« – »Daß sie am Ufer der See spazierengegangen und von Seeräubern ergriffen worden ist, die sie gefangennahmen.« – »Waren es Chinesen?« – »Ja.« – »Und sie ist von ihnen auf Ceylon an den Emir verkauft worden?« – »Ja.« – »So hat mir dieser also doch die Wahrheit gesagt. Ist sie eine Frau oder ein Mädchen?« – »Ein Mädchen.« – »Ich bin zufrieden. Hat sie ein Wort über mich gesagt?«

Der Graf verneigte sich tief und antwortete:

»Ich bin dein gehorsamer Sklave und denke stets zuerst an dich, o Sultan. Darum habe ich unternommen, ihre Augen auf dich zu lenken und sie zu fragen, was ihr Herz bei deinem Anblick spricht.«

Das Gesicht des Herrschers nahm einen sehr wohlgefälligen und dabei gespannten Ausdruck an. Er strich mit der Hand über den Bart und fragte, sichtlich in sehr guter Stimmung:

»Was hat sie dir darauf geantwortet?« – »Sie sagte, du seiest der erste Mann, bei dem sie überhaupt die Stimme ihres Herzens vernommen habe.« – »Warum?« – »Weil dein Antlitz voll Hoheit ist und dein Auge voll Kraft. Dein Gang ist stolz, und die Würde deiner Gestalt ist erhaben wie die Größe eines Kalifen. So sagte sie.« – »Ich bin mit dir sehr zufrieden, Sklave, und auch mit ihr. Du meinst also, daß ihr Herz mir gehören wird, ohne daß ich es ihr zu befehlen brauche?« – »Der Mann soll sich nie die Liebe des Weibes mit Gewalt erzwingen. Er soll sein Auge voll Milde über sie leuchten lassen, dann sprießt die Liebe von selbst hervor wie die Pflanze, die der Strahl der Sonne zum Leben weckt.« – »Du hast recht! Ich werde dieser Sklavin meine ganze Gnade zeigen.« – »Weißt du, o Herrscher, daß die Liebe erst in Worten spricht, ehe sie sich durch die Tat beweist? Diese Sklavin sehnt sich sehr, in deiner Sprache mit dir reden zu können, damit dir ihr eigener Mund sagen kann, was ihre Seele empfindet« – »Dieser Wunsch soll ihr erfüllt werden. Du wirst ihr Lehrer sein. Wie lange wird es dauern, ehe sie mit mir sprechen kann?« – »Das kommt darauf an, wann der Unterricht beginnen soll und wie lange er täglich dauern darf.« – »Dieses Weib hat mein ganzes Herz gefangengenommen, ich kann es kaum erwarten, von ihren Lippen zu hören, daß sie mein Weib werden will. Darum befehle ich dir, den Unterricht noch heute zu beginnen.« – »Ich werde gehorchen, o Sultan.« – »Sind drei Stunden des Tages genug, Sklave?« – »Wenn ich täglich drei Stunden mit ihr sprechen kann, so wird sie bereits in einer Woche die Sprache der Harrari so weit verstehen, daß sie dir zu sagen vermag, daß du glücklich sein wirst. Aber die Töchter ihres Landes sind nicht gewöhnt, einen Mann unbekleidet zu sehen. Sie nimmt Anstoß an meinem Gewand.« – »Du sollst ein anderes haben, ein viel besseres und auch nicht in das Gefängnis zurückzukehren brauchen. Auch sollst du Fleisch, Reis und Wasser erhalten, so viel du haben willst, damit dein Aussehen besser wird, als es in dieser Stunde ist.« – »Ich danke dir! Wann soll heute der Unterricht beginnen?« – »Sogleich, nachdem du dich umgekleidet hast. Ich habe nicht Zeit, dabeizusein. Ich werde dir einen Eunuchen geben, der euch bewacht. Komm jetzt.« – »Darf ich ihr vorher sagen, daß du ihre Bitte, deine Sprache zu erlernen, erfüllt hast?« – »Sage es ihr.«

Der Graf, der froh war, so viel erreicht zu haben, wandte sich nun an Emma:

»Ich muß jetzt leider fort, doch werden wir in kurzer Zeit uns alles erzählen können. Ich habe nämlich vom Sultan die Erlaubnis erlangt, dir Unterricht in seiner Sprache zu erteilen. Wir werden nachher drei Stunden lang hier zusammensein. Bis dahin müssen wir unsere Wißbegierde zügeln. Vor allen Dingen aber will ich dich durch die Mitteilung beruhigen, daß Rettung möglich ist. Ich hatte die Absicht, heute abend von hier zu entfliehen. Vielleicht gelingt es, diesen Plan noch auszuführen.«

Nach diesen Worten folgte er dem Sultan, der jetzt ging, die Tür hinter sich verschloß und einem seiner Kämmerlinge den Befehl erteilte, dem Sklaven gute Kleider zu geben und ihn auch mit hinreichendem Essen zu versorgen. Dies geschah, und kaum hatte der Graf sein frugales Mahl zu sich genommen, so erhielt er auch bereits die Weisung, wieder zu dem Sultan zu kommen, auf den die schöne Sklavin einen solchen Eindruck gemacht hatte, daß er seiner Ungeduld kaum Zügel anzulegen vermochte.

Er empfing den Grafen und führte ihn selbst nach der Schatzkammer, deren Tür er sehr vorsichtig hinter ihm verschloß. Er ahnte nicht, worin der Sprachunterricht bestehen werde.


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