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36. Kapitel.

»Ich lag in tiefer, finsterer Nacht,
Von Tränen des Grimmes befeuchtet.
Es hat kein Stern mich angelacht,
Kein Sonnenstrahl mir geleuchtet.

Doch deine Liebe war mein Stern,
Und die Hoffnung war meine Sonne.
Ich schrie empor zu Gott, dem Herrn,
Und dachte des Rächers mit Wonne.

Nun hat der Barmherzige mich erhört;
Er weiß auch, was noch ich erflehe:
All denen, die mir mein Glück zerstört,
Ein Wehe, ein dreifach Wehe!«

Am anderen Morgen traf eine Kavalkade von zwanzig Reitern ein, die den Wagen begleitete, in dem Lindsay seine Tochter nach Verakruz brachte. Sie wurde von dem Befehlshaber des Kriegsschiffs mit Auszeichnung aufgenommen. Er räumte Amy seine eigene Kajüte ein, und nachdem der Vater von der Tochter Abschied genommen und ihr seine wichtigen Depeschen anvertraut hatte, verließ das Schiff den Hafen.

Das Wetter war günstig und die Fahrt darum eine schöne und schnelle. Am Tag saß Amy unter einem Zeltdach, das die Sonnenhitze von ihr abhielt, und des Abends erfreute sie sich an der wunderbaren Klarheit des westindischen Meeres, das ja sowohl wegen seiner Gefährlichkeit berüchtigt, als auch wegen seiner Schönheit berühmt ist.

Keine See leuchtet so herrlich wie diejenige, durch welche das Kriegsschiff dampfte. Man sah wie durch flüssiges Kristall bis hinab auf den tiefen Grund. Man sah die wunderbaren Gestalten der Tiere und Pflanzen des Meeres. Vorm am Bug spritzte der leuchtende Gischt in funkelnden Perlen empor, und hinten am Steuer bildete sich eine silberne Furche, die durch den Lauf des Schiffes immer von neuem gebildet und belebt wurde.

So ging die Fahrt durch die Campeche-Bai nach dem Kanal von Yukatán und dann in das Karibische Meer hinein. Man hatte die Honduras-Bai zur Rechten und die Insel Kuba zur Linken. Es ging an Groß- und Klein-Cayman vorüber, und dann kam man in die Nähe von Jamaika. Um die Hauptstadt Kingston zu erreichen, mußte man die gefährliche Pedro-Bank passieren, die mit ihren Korallenriffen bereits hunderten von Schiffen gefährlich geworden ist.

Das war am Vormittag. Die Sonne stand noch nicht hoch, und man konnte kaum auf der Fläche der See mit dem Auge verweilen, ohne in demselben Schmerzen zu fühlen, wie es in diesen sonnendurchglänzten Breiten immer der Fall zu sein pflegt. Da meldete der Mann auf dem Ausguck ein Segel in Sicht. Als dasselbe näher kam, erkannte man eine kleine Dampfjacht, die sich neben dem Dampf auch noch zweier Rahsegel zum Fortkommen bediente.

Amy saß unter ihrem Zeltdach, und der Kapitän stand bei ihr.

»Ein kleines, verteufeltes Fahrzeug«, sagte er. »Es kommt mit einer Geschwindigkeit daher, wie ich sie gar nicht für möglich gehalten habe. Sehen Sie, Miß Lindsay.«

Sie trat mit ihm an den Bord des Schiffes, um die Jacht besser in Augenschein nehmen zu können. Jetzt löste der Kriegsdampfer eine Kanone, um das Fahrzeug zum Beidrehen aufzufordern.

»Was für ein Fahrzeug?« fragte der Deckoffizier hinüber. – »Privatjacht ›Rosa‹!« lautete die Antwort. – »Wem gehörig?« – »Karl Sternau aus Deutschland!«

Bei diesem Namen stieß Amy einen Ruf der Überraschung aus. Sie strengte ihre Augen an und sah nun auch die hohe Gestalt Sternaus am Steuer stehen.

»Kennen Sie den Mann, Miß?« fragte der Kapitän, der ihren Ruf gehört. – »Ja, Sir; er ist einer meiner besten Freunde. O bitte, darf er nicht an Bord kommen?« – »Gewiß, wenn Sie es wünschen.«

Und die Hände an den Mund legend, fragte er nach der Jacht hinüber. »Ist Mr. Sternau selbst an Bord?« – »Ja«, ertönte die Antwort. – »Kommen Sie an Bord!« – »Ich habe keine Zeit«, erwiderte der Aufgeforderte, trotzdem er wohl wußte, daß er gezwungen war, an Bord zu kommen, sobald er von einem Kriegsschiff dazu aufgefordert wurde. – »Miß Amy Lindsay ist hier!« erklärte der Kapitän. – »Ah, ich komme!«

Bald stieß ein Boot von der Jacht ab, und je mehr es sich dem Kriegsschiff näherte, desto besser konnten sich die beiden erkennen. Sie ließ ihr Taschentuch wehen, und er schwenkte den Hut. Endlich stieg er das Fallreep empor und stand auf Deck. Seine erste Begrüßung galt dem Kapitän, und dann wandte er sich an Amy, die ihn mit hoher Freude bewillkommnete.

»Ich glaubte Sie in Afrika!« sagte sie, nachdem sie ihm beide Hände gereicht hatte. – »Ich habe den ›Lion‹ bis hierher gejagt«, antwortete er. – »Den ›Lion‹? Welchen ›Lion‹? Doch nicht etwa das Piratenschiff?« fragte der Kapitän. – »Allerdings, Sir«, antwortete Sternau. »Ich habe nicht viel Zeit; ich darf es nicht aus den Augen lassen. Oh, Sir, wenn Sie mir helfen wollten, die Kapitän Grandeprise zu fangen!« – »Sofort, Sir, sofort!« rief der Engländer ganz erregt. »Es ist das ja ein Glück, das ich sogleich festhalten muß. Wo ist er?« – »Er ist hinter der Pedro-Bank. Wenn Sie Steuerbord fahren und ich Backbord, bekommen wir ihn in die Mitte.« – »Aber um Gottes willen, wie kommen Sie mit ihrer Nußschale dazu, diesen Grandeprise zu verfolgen?« – »Ich habe jetzt keine Zeit, dies zu erklären, Sir. Hier steht Miß Amy, die Ihnen indessen alles erzählen soll. Nur das will ich noch sagen, daß ich ihm an der Küste von Südafrika bereits ein Schiff in den Grund gebohrt habe. Wir müssen uns beeilen, ihn hinter der Pedro-Bank zu treffen.«

Sternau machte Miene, das Fallreep wieder hinabzusteigen, doch der Kapitän hielt ihn noch einen Augenblick zurück.

»Sir«, sagte er, »sollte der Pirat den Kampf vermeiden wollen, so treiben wir ihn einfach entweder auf die Serranille- oder auf die Rosalin-Bank, wo er zwischen den Felsen steckenbleiben wird. Jetzt gehen Sie.«

Sternau kehrte nach der Jacht zurück und lief mit derselben mit vollem Dampf um die Pedro-Bank herum. Nach einer halben Stunde sah er die »Pendola« vor sich. Der Kapitän lächelte vor sich hin, blickte auf die Seekarte und sagte zu Sternau:

»In zehn Minuten hat er die Bank umsegelt. Er wird uns nicht kennen und uns also heranlassen. Wir schießen ihm das Steuer weg; dann ist er vollständig hilflos.« – »Gut. Aber schießt nicht unter die Wasserlinie; dort steckt jedenfalls der Gefangene. Das Schiff darf um keinen Preis sinken.« – »Dasselbe müssen wir auch dem Engländer sagen.«

Die Jacht tat nun, als ob sie sich um den Piraten gar nicht kümmere, und da das Fahrwasser sehr eng war, so fiel es nicht weiter auf, daß sie sich nahe zu ihm hielt. Als er wieder in freieres Meer gekommen war, lenkte sie plötzlich auf ihn zu, strich hart hinter seinem Stern vorüber und feuerte erst die eine, dann die andere Breitseite so wohlgezielt ab, daß das Steuer getroffen wurde und augenblicklich brach.

Dieses ebenso kühne wie unerwartete Manöver erregte auf der »Pendola« natürlich den größten Schrecken. Alles eilte auf das Verdeck; auch Landola kam herauf.

»Ah, das ist derselbe Schurke!« rief er. »Gebt es ihm!«

Aber die »Pendola« war nicht klar zum Gefecht. Hier in der Nähe so vieler Häfen hatte man die Luken maskiert und die Geschütze versteckt. Die wenigen Büchsen, die schnell herbeigeschafft und zur Hand genommen wurden, reichten nicht mehr zur Jacht hinüber. Dort stand Sternau auf dem Deck.

»Ein Gruß von Rodriganda!« rief er, dann hob er im Nu seine Büchse und zielte. Das weittragende Gewehr krachte, und sofort brach Kapitän Landola zusammen. »Ich habe ihn nicht getötet, sondern nur tödlich verwundet.« – »Der Schuß ist durch die Schulter gegangen und hat die Knochen zerschmettert. Der Mann muß ja noch reden«, gab Helmers zur Antwort, dann krachte auch bereits sein Schuß, und der erste Offizier, der an seiner Standarte kenntlich war, fiel tot um.

Sternau ließ nun die Maschine stoppen, so daß die Jacht sich ruhig wiegte, und lud die beiden Läufe wieder. Sein nächster Schuß traf den Steuermann, und der vierte nahm dem zweiten Offizier das Leben.

»So ist's richtig, jetzt sind sie ohne Offiziere!« rief Helmers. »Und sehen Sie, da kommt auch bereits der Engländer.«

Das Panzerschiff kam in der Tat um das Riff herum und legte sich vor den Piraten.

»Hallo!« rief der Kapitän zu Sternau herab. »Sie haben ihn lahm gemacht? Bravo!« – »Und ihm die vier Offiziere getötet«, fügte Sternau hinzu. »Schonen Sie den Gefangenen, der im Kielraum steckt« – »Soll geschehen!«

Dann gab der Engländer einen Schuß ab, dessen Kugel über das Deck der Piraten hinflog, zum Zeichen, daß er die Flagge zeigen solle. Er zog die spanische.

»Welches Schiff?« fragte der Engländer. »›La Pendola‹, Kapitän Landola.« – »Wieviel Mann an Bord?« – »Vierundzwanzig!« lautete die Antwort – »Verdammter Lügner! Herüber mit den Leuten auf mein Schiff!«

Die »Pendola« war verloren, sie konnte nicht gesteuert werden. Für ihre Bemannung gab es keine andere Rettung als die Flucht. Man tat, als ob man den Befehl des Engländers befolgen wolle, und ließ die Boote in See, doch anstatt herüber zu steuern, ruderten die Piraten mit aller Macht gegen das Land von Jamaika zu. Die Leute hatten keine Zeit gehabt, etwas mitzunehmen; sie retteten nichts als das nackte Leben. Aber auch dies sollte ihnen nicht gegönnt werden, denn Sternau war im Nu mit seiner Jacht hinter ihnen her. Als er sah, daß sie keinen Gefangenen bei sich hatten, segelte er zwei von den Booten einfach in den Grand, während er das dritte und vierte zusammenschoß.

Jetzt kehrte er zu dem Schiff zurück.

Auch der Engländer hatte seine Boote herabgelassen und steuerte nun auf den Piraten zu. Auf dem Deck desselben fand man drei Leichen; es war der Steuermann mit den beiden Offizieren. Der verwundete Kapitän fehlte. Man hatte ihn mit in eins der Boote genommen, die Sternau zusammengeschossen hatte. Nun war von ihm allerdings keine Auskunft mehr zu erlangen.

Jetzt begann die Durchsuchung des Schiffs. Man fand die deutlichsten Beweise, daß es ein Seeräuberschiff gewesen war. Um diese Sachen aber bekümmerte Sternau sich nicht, sondern brannte sich eine der vorgefundenen Laternen an und stieg hinab in den Kielraum.

Damit ein Schiff tief im Wasser gehe, wird der unterste Teil seines Raumes mit Steinen oder Sand beladen. Dies nennt man den Ballast. Hier bei der »Pendola« bestand er aus lauter Sand. Und da ein jedes Schiff Wasser schöpft, so war dieser Sand vollständig durchfeuchtet. In diesen nassen Sand hinein nun hatte man eine Grube gegraben und mit starken Bohlen ausgelegt, so daß sie einem niedrigen Schweinestall glich, und in diesen verpesteten Raum stak, mit Ketten belastet, das lebendige Skelett eines Menschen, der ganz genau einer der bekannten Abbildungen des Todes glich.

Als er die beiden Männer kommen hörte, klirrte er mit den Ketten.

»Wer ist da?« fragte er.

Der Grabeston dieser Stimme war erschütternd. Sternau trat näher und sagte:

»Herr Leutnant, es kommen Freunde.« – »Welch eine Stimme! Ist's wahr, oder irre ich mich?«

Der Gefangene richtete sich mühsam im Sand empor und starrte die Männer an.

»O mein Gott«, rief da der Gefangene. »Señor Sternau!«

Er konnte nicht weiterreden, er fiel vor Freude ohnmächtig in das Loch zurück.

Sternau untersuchte seine Fesseln und fand, daß sie mit einer Zange zu lösen seien. Quimbo aber, ein Neger, der früher auf dem Piratenschiff gedient hatte, war nach oben geeilt und kehrte mit dem Schlüssel zurück. Er hatte gewußt, daß derselbe in der Kajüte des Kapitäns hing. Jetzt wurde der Leutnant frei gemacht und in noch bewußtlosem Zustand nach oben getragen. Da seine Augen nicht mehr an das Licht gewöhnt waren, so schaffte man ihn nicht auf das Verdeck, sondern in die Kajüte, worauf Sternau sofort ein Boot nach dem Kriegsschiff sandte, um Amy Lindsay holen zu lassen.

Mittlerweile kam der Leutnant, oder Mariano, wie er bei den Räubert des Gebirges genannt worden war, wieder zu sich.

»Señor Sternau, Engel des Himmels, ist es wahr, ist es kein Traum?« fragte er. – »Es ist Wirklichkeit«, antwortete dieser. »Aber fragen Sie nicht. Man wird Ihnen alles sagen und erzählen. Bitte, Ihre Kleidung ist verfault. Es ist vollständig unmöglich, daß Sie noch länger in diesem Zustand bleiben. Dieser Kapitän Landola wird in seinem Koffer einen Anzug haben. Lassen Sie uns suchen, denn Sie werden in einigen Minuten Besuch erhalten.« – »Aber, wie ist das gekommen, Señor? Ich hörte schießen!« – »Das erfahren Sie später. Ich bin Ihrer Spur von Europa nach Afrika und von da wieder hierher gefolgt Wir befinden uns bei Jamaika. Doch davon später. Hier ist eine Hose, eine Jacke, ein Hemd, Schuhe, Taschentuch, Hut alles, was Sie brauchen.« – »Wer ist der Besuch, der kommen will?« – »Eine Dame. Weiter sage ich nichts. Klopfen Sie, wenn Sie fertig sind!«

Sternau verließ die Kajüte, und Mariano begann sich um- und anzukleiden. Während er damit beschäftigt war, hörte er draußen ein leises Flüstern. Er war sehr schwach, aber es gelang ihm doch, in die Kleider zu kommen, und als er sich im Spiegel besehen und bemerkt hatte, daß er nun wenigstens ein sauberes Aussehen habe, öffnete er den Riegel und klopfte.

»Treten Sie ein, Miß. Er wird vor Freude nicht sterben.«

So hörte er draußen die Stimme Sternaus sagen. Er blickte auf und – sah die Geliebte vor sich, die sein einziger Gedanke gewesen war in all der Zeit seiner schweren, bitteren Gefangenschaft. Ihr Antlitz strahlte ihm entgegen, wie die Sonne, deren Anblick er so lange entbehrt hatte. Er wankte, aber er raffte sich zusammen. Die Arme ausbreitend in unendlichem Entzücken trat er auf das jetzt vor Freude doppelt schöne Mädchen zu und jauchzte:

»Amy, Miß Amy, welch eine Wonne!«

Sie sah nicht die abgezehrte Gestalt, seine bleichen, eingesunkenen Wangen, sie sah nur das Leuchten seiner Augen und streckte ihm die Hände entgegen.

»Alfred«, antwortete sie, »endlich, endlich bist du wieder frei!«

Sie sanken einander an das Herz und hielten sich fest umschlungen. Kein Wort wurde gesprochen, aber ihre Lippen fanden sich immer und immer wieder, ihre Herzen schlugen aneinander, und die Wonne des Wiedersehens ließ sie den Augenblick vergessen und dazu alles, was zwischen ihrer Trennung in Rodriganda und dem heutigen Tag lag. Da endlich lösten sich seine Arme, mit denen er sie hielt, langsam von ihrer Schulter, sie sanken ermattet herab, Todesblässe breitete sich über sein Angesicht seine Augen schlossen sich, und sein Körper wankte.

»Alfred!« rief sie, ihn voller Angst festhaltend. »Was ist mit dir?« – »Das Glück – ist zu mächtig – für mich!« seufzte er mit leiser Stimme und griff mit den Händen, wie um einen Halt zu suchen, in die Luft. Er wurde ihr zu schwer, und sie ließ ihn vorsichtig in einen der vorhandenen Sessel gleiten.

»Setz dich und ruhe aus«, bat sie. »Du hast viel gelitten, du bist zu schwach.«

Dann kniete sie vor ihm nieder, schlang die Arme um ihn und blickte besorgt zu ihm auf. Erst jetzt bemerkte sie die Zerstörung, die Gefangenschaft, Hunger, Durst und seelisches Leid in seinem Gesicht und an seinem Körper angerichtet hatten. Ihr Herz krampfte sich zusammen, sie hätte aufschreien mögen vor Mitleid und Schmerz, aber sie bezwang sich und gab ihre angstvolle Teilnahme nur durch die mit zitternder Stimme ausgesprochene Frage kund:

»Du leidest? Du bist krank, mein Geliebter!«

Es währte einige Zeit, bis Mariano seiner augenblicklichen Schwäche Herr werden konnte, dann öffneten sich seine Augen, sein Blick senkte sich mit glücklichem Ausdruck in die ihrigen, es kehrte eine leichte Röte auf seine Wangen zurück, und er antwortete:

»Ich habe viel erduldet, ich wäre meinen Leiden in kurzer Zeit erlegen, aber nun ist alles, alles gut.«

Sie streichelte ihm vor überquellender Zärtlichkeit die hageren Wangen und erwiderte:

»Ja, mein Alfred, du sollst wieder stark werden, so stark wie damals, als du in Spanien unser Schutz und Retter warst. Ich werde dich nicht wieder von mir lassen, ich werde dich pflegen, bis alle Spuren deiner Leiden verschwunden sind. Und dann ...«

Sie hielt errötend inne und sprach den begonnenen Satz nicht aus.

»Und dann ...?« fragte er, sich liebevoll zu ihr niederbeugend. – »Und dann fuhr sie leise fort, »dann werden wir vereinigt werden für das ganze Leben.«

Sie schmiegte ihr schönes Köpfchen innig an ihn, er aber schüttelte langsam das Haupt und erwiderte:

»Das wird wohl nicht möglich sein!« – »Warum nicht?« fragte sie betroffen. – »Du kennst mich nicht. Du weißt nur wenig von mir, und das, was du weißt, das ist – das ist die reine Unwahrheit.«

Man sah es ihm an, wie schwer es ihm wurde, diese letzten Worte auszusprechen. Über ihr Gesicht flog es wie ein leichtes Erschrecken. Sie blickte ihm forschend in die Augen, und als sie darin nur Liebe und Trauer sah, drückte sie seine Hände und erwiderte:

»Haben dich die Leiden so verzagt gemacht? Dein Mut wird wiederkehren, mein Geliebter. Ja, ich weiß wenig von dir, aber ich weiß, daß du mich liebst, und das ist genug für mich. Alles andere ist meinem Herzen Nebensache.« – »Aber dennoch mußt du es erfahren. Höre mich an! Ich bin nicht der, der ich scheine ...«

Sie legte ihm die Hand auf den Mund und unterbrach ihn rasch:

»Nicht jetzt, Alfred! Ich weiß, daß du rein und edel bist, und mehr mag ich jetzt nicht erfahren. Hast du dich gekräftigt, dann magst du mir erzählen, was du auf dem Herzen trägst. Jetzt aber laß uns nur daran denken, Gott zu danken, daß er dich aus solch einer Trübsal erlöst und mir wiedergegeben hat.«

Ein glückliches Lächeln breitete sich über sein Angesicht, und er tat ihr den Willen. Seine Hände lagen in den ihrigen, und sein Auge hing trunken an ihren schönen Zügen. Sie dachten nur an sich, sie achteten nicht des Lärms, der dadurch erregt wurde, daß vielfache Schritte die Lukentreppe auf- und niederstiegen, was daher kam, daß die auf dem Piratenschiff vorhandenen Waren, Waffen und andere Gegenstände auf das Kriegsschiff übergeladen wurden.

Endlich klopfte es leise an die Tür, und auf Amys Aufforderung trat Sternau herein.

»Entschuldigen Sie«, bat er. »Die Sorge um den Freund veranlaßt mich zu der Störung. Ich komme als Arzt und möchte den Herrn Leutnant ersuchen, mit auf das Verdeck zu kommen. Ein Mann, der monatelang im Kielraum eines Schiffes eingekerkert war, darf sich der Sorge um seine Gesundheit nicht länger entziehen, als es durchaus nötig ist.«

Sie folgten ihm hinauf.

Da oben sah es wirr genug aus. Da lagen Kisten, Säcke, Ballen, Waffen, Munition und Proviant bunt durcheinander, und alle Hände waren beschäftigt, diese Dinge auf das Kriegsschiff zu bringen, das sich Seite an Seite mit dem Piraten gelegt hatte. Am anderen Bord des letzteren lag die kleine Dampfjacht, deren Bemannung den Engländern bei der Arbeit half.

Jetzt, da der Spanier von dem vollen Licht der Sonne beschienen wurde, sah man erst mit Deutlichkeit, welchen Einfluß seine traurige Gefangenschaft auf ihn gehabt hatte. Er glich dem Abbild des Todes. Seine Farbe spielte ins Grüne, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, und die Haut spannte sich scharf über die hervortretenden Knochen. Er war der körperlichen Auflösung ebenso nahe gewesen, wie dem geistigen Verschmachten.

Sternau untersuchte ihn sorgfältig, wobei das Auge des Mädchens voller Angst auf seinem ernsten Angesicht ruhte.

»Wir wollen Gott danken«, sagte er endlich, »daß wir Sie heute getroffen haben, Herr Leutnant. Eine Woche später wären Sie nicht mehr unter den Lebenden gewesen.«

Amy erschrak und entfärbte sich.

»Oh, mein Gott!« rief sie. »Ist sein Zustand so besorgniserregend, Herr Doktor?« – »Nein, Miß«, antwortete Sternau. »Ich konstatiere nichts weiter als eine allerdings hochgradige Schwäche, derer wir aber bei einiger Vorsicht recht bald Meister werden wollen. Freie Luft, fleißige Bewegung und eine sorgfältige, dem Leiden angemessene Ernährung werden das ihrige tun, unserem Freund seine früheren Kräfte bald wiederzugeben.« – »Oh, ich danke Ihnen für diesen Trost!« sagte sie, dem Arzt ihre Hand entgegenstreckend. »Ich werde ihn pflegen nach besten Kräften und nichts versäumen, was nötig ist.«

Sternau blickte die schöne Sprecherin lächelnd an und fragte:

»Werden Sie auch Gelegenheit dazu finden, Miß Amy?« – »Gewiß. Ich werde mich ja nicht wieder von ihm trennen!« – »Dann bitte ich Sie vor allen Dingen, mich zu unterrichten, wie Sie an Bord dieses Kriegsschiffs in die Nähe von Jamaika kommen.« – »Ich will zum Gouverneur dieser Insel, um ihm wichtige Briefschaften zu überbringen.« – »So ist unser Zusammentreffen also ein rein zufälliges ...« – »O nein«, unterbrach sie ihn schnell. »Es ist viel mehr als das; es ist eine Fügung Gottes, dem wir nicht genug Dank dafür sagen können.« – »Ich gebe dies natürlich zu. Wie lange werden Sie auf Jamaika verweilen?« – »So lange, bis ich die Antwort erhalten habe. Oder meinen Sie, daß der Zustand unseres Freundes einen längeren Aufenthalt nötig macht?« – »Ich möchte ihm allerdings eine längere Zeit der inneren und äußeren Ruhe verordnen, aber das Klima von St. Jagon de la Vega ist sehr ungesund.« – »Der Gouverneur residiert nicht in dieser Hauptstadt, sondern in Kingston.« – »Oh, Kingston ist noch gefährlicher. Diese Stadt ist ja berüchtigt in Beziehung auf ihre Fieberluft, ich möchte dort keinen Patienten wissen. Das Ziel ihrer Rückreise ist Mexiko?« – »Ja. Der Kriegsdampfer hat Auftrag, mich nach Verakruz zu bringen.«

Sternau nickte nachdenklich. Dann erwiderte er:

»Der Dampfer wird bis morgen hier liegenbleiben, um die Güter der Piraten zu überladen. Ich schlage daher vor, Sie dampfen sogleich mit meiner Jacht nach Kingston. Der Gouverneur wird, wenn Sie ihn darum ersuchen, sich beeilen, Ihnen seine Antwort zu geben, und dann bringe ich Sie selbst nach Verakruz. Sie können sich meiner Jacht getrost anvertrauen. Sie ist schneller als das Kriegsschiff und auch gut bewaffnet, so daß wir nichts zu befürchten haben. Je eher wir den Leutnant nach der Hochebene von Mexiko bringen, desto sicherer können wir auf seine baldige Herstellung rechnen.«

Amy ging auf diesen Vorschlag ein, und Mariano, der einstige Räuber, stimmte bei. Der Kapitän des englischen Kriegsschiffs wurde von diesem Entschluß benachrichtigt. Er bemerkte zwar, daß die Dame ihm anvertraut sei, konnte sie aber doch nicht zwingen, auf seinem Fahrzeug zu bleiben. Er machte nur ehrlicherweise Sternau darauf aufmerksam, daß dieser bei dem Angriff des Piraten mitgewirkt habe und also Teilhaber am Prisengeld sei, doch dieser schlug dies aus, ließ die Effekten der Engländerin an Bord der Jacht bringen und dampfte dann davon, Kingston entgegen.

Als sie dort anlangten, wurde nach den notwendigen Formalitäten Amy an Land gesetzt, und Sternau begleitete sie zum Gouverneur. Dieser wollte sie seiner Familie vorstellen und bat sie, längere Zeit der Gast derselben zu sein; sie aber ersuchte ihn, sie von einem solchen Aufenthalt zu dispensieren, da sie Veranlassung habe, mit möglichster Schnelligkeit nach Mexiko zurückzukehren. Als der Beamte merkte, daß sein Bitten nichts fruchtete, versprach er sofortige Erledigung der Depeschen und hielt auch in der Weise Wort, daß die Jacht »Rosa« bereits am nächsten Vormittag in See stechen konnte.

Sie dampfte ganz denselben Weg zurück, den das Kriegsschiff gekommen war; darum traf sie an der Pedro-Bank wieder auf dasselbe. Es lag noch immer neben der »Pendola«, um deren Ladung zu löschen. Sternau legte einige Augenblicke bei und erfuhr da, daß man bald mit der Arbeit fertig sei und dann das Räuberschiff anbohren und in die Tiefe versenken werde.

»Es wird von den Piraten wohl keiner entkommen sein«, sagte Amy. – »Das ist sehr fraglich«, meinte der englische Kapitän. »Als Sie uns nämlich gestern verlassen hatten, suchte ich mit dem Fernrohr die drüben liegende Küste von Jamaika ab, und da glaubte ich einige Männer in Seemannstracht zu bemerken, die einen Verwundeten oder Kranken trugen. Da dieser Teil der Küste unbewohnt ist, fiel mir die Anwesenheit dieser Leute auf, und ich sandte sofort ein Boot ab, doch fanden meine Jungen zwar menschliche Spuren, aber keine Personen.« – »Sollte es wirklich dem Kapitän gelungen sein, an das Ufer zu kommen?« meinte Sternau. »Dann wäre es gut, einmal dort anzulegen.« – »Warum sollte es gerade der Kapitän sein?« fragte der Engländer. – »Weil ich ihn allein verwundet habe, und zwar mit Vorbedacht; die anderen habe ich erschossen.«

Da meinte Mariano mit finsterer Miene:

»Er ist das Leben nicht wert, aber ich würde mich freuen, wenn er lebte, denn dann hätte ich Hoffnung, ihm noch einmal zu begegnen und mit ihm abzurechnen. Er ist wie ein Teufel gegen mich gewesen, ich habe Höllenqualen bei ihm erduldet, und das soll er mir mit doppelten Qualen entgelten.« – »Gut, verschaffen wir uns Gewißheit«, sagte Sternau. »Die Nachforschung erfordert einen Aufenthalt von höchstens einer Stunde, und es ist besser, wir wissen, woran wir sind.«


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