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34. Kapitel.

Nachdem der Pirat Landola von Sternaus Jacht »Rosa« einen so gehörigen Denkzettel erhalten hatte und die von ihm gegen den Feind ausgesandten Barken samt der Mannschaft durch wohlgezielte Kugeln Helmers in den Meeresgrund versenkt worden waren, sah er ein, daß er seine Absicht die Jacht und den englischen Kauffahrer zu erbeuten, unmöglich erreichen werde, und segelte nach Süden. Der »Gruß aus Rodriganda« war ihm ein Rätsel. Derjenige, der ihm denselben zugerufen hatte, war sicherlich ein Feind; daran konnte gar nicht gezweifelt werden; aber Landola konnte sich nicht denken, wer es sei. Immerhin sagte er sich, daß die Jacht jedenfalls nach dem Kap dampfen werde, um dort Anzeige zu machen, und traf daher seine Vorkehrungen danach.

Er selbst mußte nach Kapstadt, um dort Nachrichten einzunehmen, die vor einigen Tagen noch nicht eingegangen gewesen waren, und doch durfte er sich nicht sehen lassen, da die Jacht jedenfalls vor ihm dort anlangte und gewiß sofort Anzeige erstattete. Daher hielt er weit nach West über den eigentlichen Kurs hinaus, um keinem Fahrzeug zu begegnen, ging dann nach Süd und lenkte einige Seemeilen vor der Höhe von Kapstadt gerade nach Ost um.

Als er sich in dieser Breite befand, war es Nacht, und er konnte also ungesehen sich der Küste nähern. Dort suchte er einige Zeit vor dem vollen Anbruch des Tages, also beim ersten Morgengrauen eine einsame Bucht auf, in der er vor Anker ging, ohne von jemand gesehen worden zu sein.

Dann schrieb er einen Brief an seinen Agenten in Kapstadt, dem er vertrauen konnte und der die Aufgabe hatte, alle eingehenden Briefe und Depeschen für ihn aufzubewahren. Diesen Brief erhielten zwei Leute, die ein Fahrzeug bestiegen, ein Segel setzten und nach Kapstadt fuhren.

Sie erreichten diese Stadt unbehelligt, und während der eine im Boot blieb, ging der andere zu dem Agenten, der den Brief las:

»Es ist ein Glück, daß Ihr Euch versteckt habt«, meinte derselbe, als er fertig war. »Ein Deutscher, der gestern abend auf einer Dampfjacht hier einlief, hat angezeigt, daß Kapitän Landola gleichbedeutend ist mit dem Piraten Grandeprise.« – »Ist er noch hier?« fragte der Mann. – »Ja; er nimmt Kohlen ein; sein Vorrat ist auf die Neige gegangen.« – »Wie heißt er?« – »Sternau. Und der Kapitän der Jacht heißt Helmers. Der Gouverneur hat alle Agenten zu sich beordert, um sie zu warnen, mit Landola auch nur schriftlich zu verkehren, oder alle Korrespondenzen, die sich auf ihn beziehen, sofort an die Behörde abzuliefern. Auch ich bin gezwungen, vorsichtig zu sein. Zwar werde ich jetzt eine Depesche, die ich gestern erhielt, noch aushändigen, weiter aber kann ich für die nächste Zeit nichts mehr wagen.«

Der Agent gab dem Mann danach die Depesche, die geöffnet, aber in einer Art von Chiffreschrift abgefaßt war, und dieser entfernte sich. Er hatte von Landola die Weisung erhalten, sich so genau wie möglich nach der Jacht zu erkundigen, und ging deshalb nach dem Hafenteil, an dem sie vor Anker lag.

Er hatte diesen Ort jedoch noch nicht erreicht, so begegnete ihm ein Mann, der bei seinem Anblick wie sinnend stehenblieb und sich dann wieder umwandte, um ihn anzuhalten. Der Fremde trug die Tracht eines gut situierten Seemannes.

»Holla, Junge«, sagte er, »zu welchem Schiff gehörst du?« – »Zu dem Amerikaner da draußen«, antwortete schnell gefaßt der Pirat und deutete nach einer amerikanischen Brigg, an der er bei seiner Einfahrt in den Hafen vorübergekommen war. – »So, so«, meinte der andere zweifelnd. »Ich glaube, dich bei einem anderen Schiff gesehen zu haben. Kennst du Funchal, mein Bursche?« – »Ja.« – »Wann warst du dort?« – »Vor langen Jahren; ich diente damals auf einem Franzosen.« – »So? Da kennst du wohl auch die lange, dürre Mutter Dry?« – »Kann mich nicht besinnen. Es ist zu lange her.« – »Hm, ich dachte, dich vor nicht gar zu langer Zeit dort gesehen zu haben, hast du einmal etwas von ›Jeffrouw Mietje‹ gehört?« – »Nie.« – »Dann irre ich mich allerdings. Ich dachte wirklich, du gehörtest noch vor kurzem auf die ›Pendola‹, Kapitän Landola.« – »Kenne den Mann nicht, habe überhaupt keine Zeit. Adieu!«

Der Pirat ging weiter, aber hinter der nächsten Ecke blieb er einen Augenblick stehen, um hinter ihrem Schutz vorsichtig zu lugen, und da sah er, daß der Fremde ihm folgte. Er erkannte sofort, daß es gefährlich sei, sich länger aufzuhalten, und suchte deshalb rasch seine Zille auf, mit der er sofort die Stadt verließ.

Der Fremde, der ihn angeredet hatte, war kein anderer als Helmers, der zum Hafenmeister gehen wollte, um seine Papiere zu klaren, denn die »Rosa« war fertig mit der Aufnahme der Kohlen und sollte wieder in See stechen.

Er erinnerte sich ganz genau des Gesichts des Mannes und schöpfte Verdacht, daher folgte er ihm von weitem und kehrte, als dieser vom Land stieß, schnell zur Jacht zurück, auf der er Sternau traf.

»Herr Sternau, sehen Sie die Zille, die dort draußen hält?« fragte er. – »Ja.« – »Es sitzen zwei Kerle darin, von welchem der eine noch vor kurzem auf die ›Pendola‹ gehörte. Er sagte mir, daß er auf dem Amerikaner da draußen diene, aber ich glaube es ihm nicht denn die Zille war verdammt wenig amerikanisch gebaut. Hier gibt es vielleicht eine Spur. Setzen Sie das Boot aus und lassen Sie ihn von zwei Mann verfolgen, aber so, daß er nichts merkt. Ich wäre selbst dabei, aber ich muß auf das Hafenamt.«

Helmers verließ das Schiff, und Sternau folgte seinem Rat. Er bemerkte bald, daß die Zille nicht bei dem Amerikaner anlegte, sondern an ihm vorüber segelte. Daher beorderte er vier tüchtige Ruderer und einen Steuerer in das Boot, das den Befehl erhielt die Zille zu verfolgen, ohne sich sehen zu lassen.

Das Meer ging zwar nicht unruhig, aber dennoch waren die Wogen so hoch, daß man das Boot das kein Segel führte, von weitem gar nicht bemerken konnte, da die Wogen es verdeckten; das Segel der Zille aber leuchtete auf weite Entfernung hin.

Die beiden Piraten hatten eine gute Fahrt Sie brauchten nicht zu rudern und saßen faul auf der Bank. Der Wind war hinter ihnen, so erreichten sie in angemessen kurzer Zeit die »Pendola«.

Der Kapitän Landola nahm die Meldung wortlos hin und ging sodann in die Kajüte, um die Depesche zu entziffern. Sie lautete:

»Doktor Sternau, der, den wir in Barcelona einschließen ließen, ist hinter Ihnen her. Er weiß alles. Cortejo.«

Graf Alfonzo hatte nämlich nach seiner Ankunft in Rodriganda alles erzählt und auch das, was sein Diener Gerard in Rheinswalden erfahren hatte, und so hielt es Gasparino Cortejo für geraten, den Kapitän sofort zu benachrichtigen. Er hatte dieselbe Depesche an verschiedene Plätze geschickt, von denen er wußte, daß Landola dort verkehre. Die Chiffreschrift war einst von ihnen entworfen worden, und sie hatten bereits seit längerer Zeit in derselben miteinander verkehrt.

Kapitän Landola kehrte nun auf das Verdeck zurück und suchte seinen ersten Offizier auf.

»Laß den Anker lichten«, sagte er. – »Jetzt?« fragte der Offizier erstaunt. »Ist es nicht gefährlich, sich bei Tag hier sehen zu lassen?« – »Allerdings, aber noch gefährlicher ist es, hier zu bleiben. Wir gehen direkt nach Westindien.«

Der Offizier wußte, daß der Kurs nach dem Indischen Ozean gewesen war, darum machte er ein so erstauntes Gesicht, daß Landola ihm erklärte:

»Wir haben einen Verfolger hinter uns, den wir irreführen müssen. Auch ist es bekannt geworden, daß die ›Pendola‹ der ›Lion‹ ist. Wir müssen Bau und Takelage verändern und andere Papiere haben. Vorwärts also!«

Als das Schiff die Bucht verließ, hielt das Boot Sternaus nicht viel über eine halbe englische Meile entfernt hart am Ufer, von dem es nicht gut unterschieden werden konnte. Die fünf Männer blickten der »Pendola« nach, so lange sie zu sehen war, und kehrten dann nach Kapstadt zurück, wo sie, da sie den Wind gegen sich hatten und den Weg rudernd zurücklegen mußten, erst spät eintrafen.

Die »Rosa« wartete ihrer bereits mit geheiztem Kessel. Als Sternau und Helmers ihren Bericht vernommen und auch ganz genau nach den Manövern der »Pendola« gefragt hatten, sagte Helmers:

»Er reißt aus, er geht nicht um das Kap.« – »Aber wohin sonst?« – »Ha, das ist schwer zu erraten. Man muß ihm gleich folgen. Ich habe einen Gedanken, der zwar falsch sein, aber auch das Richtige treffen kann.«

Helmers ging einige Male auf dem Verdeck der Jacht hin und her und fuhr dann fort:

»Landola weiß nun, daß er verraten ist. Er muß, um sicher zu sein, sein Schiff und auch den Namen desselben verändern. Und wo kann er das tun? Auf einer öffentlichen Werft nicht. Er muß vielmehr einen verborgenen Ort aufsuchen, und den findet er am besten in Westindien, hinter den Antillen, auf einer der kleinen Inseln, die dort zu Hunderten zu treffen sind. Ich glaube, daß meine Vermutung die richtige ist.« – »So müssen wir ihm schnell nach.« – »Das ist schwer! Er wird alle gebahnten Seewege vermeiden, und so ist er nicht leicht aufzufinden. Den Golfstrom aber muß er aufsuchen, und wenn wir ihm dorthin vorausdampfen, so finden wir ihn sicher.« – »Ich begreife das nicht.« – »Herr Doktor, Sie sind kein Seemann! Für uns gib es ebenso genau Straßen wie für den Fuhrmann zu Lande. Verlassen Sie sich auf mich, er entgeht uns nicht. Und zu Ihrer Beruhigung will ich ein Stück nach West gehen und dann zwischen Nord und Süd kreuzen, wo wir ihn ganz sicher zu sehen bekommen. Dann werden wir ja finden, welchen Kurs er einhält.« – »Wir greifen ihn sofort an.« – »Das geht nicht. Wir können ihn nur verwunden, er kann uns töten. Er hat Boote, um sich zu retten, wenn es uns gelingen sollte, sein Schiff anzuschießen; trifft aber uns eine einzige Kugel unglücklich, so sind wir verloren. Unsere zwei Boote fassen nicht die Hälfte unserer Leute, sie sind gebaut für kurze Ruderstrecken, nicht aber, um über den Ozean zu fahren.«

Sternau mußte dem erfahrenen Kapitän recht geben und bemerkte also, daß er sich seiner Einsicht fügen werde. In kürzester Zeit fuhr darauf die »Rosa« zum Hafen von Kapstadt hinaus, um die hohe See zu gewinnen.


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