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19. Kapitel.

An der Westseite Schottlands, da, wo der Clydefluß sich in das Meer ergießt, bildet dieser einen Busen, an dessen Südseite die unter allen seefahrenden Nationen berühmte Stadt Greenock liegt. Auf den Werften dieser Stadt sind viele Schiffe des deutschen Lloyd und der deutschen Kriegsmarine gebaut worden, und manches stolze Orlogschiff, sowie manches große oder kleine Handelsfahrzeug durchfliegt die See, das Greenock zum Geburtsort hat

In einem der am stärksten frequentierten Hotels dieser Stadt finden wir Sternau und den Steuermann Helmers. Sie hatten sich hierher begeben, weil es hier am leichtesten ist, ein kleines Fahrzeug, wie sie es suchten, kaufen zu können. Sie hatten bereits den ganzen Hafen und auch die Werften abgesucht, ohne ein solches zu finden, und saßen nun an der Table d'hôte – Tafel –, sich während des Essens von dieser Angelegenheit unterhaltend.

Gegenüber saß ein alter Herr, der ihre Worte hörte und daraufhin ihnen mitteilte, daß oben am Fluß eine ganz prachtvolle Dampfjacht liege, die zu verkaufen sei.

Er fügte hinzu, daß ein dort in der Nähe wohnender Advokat mit dem Verkauf derselben beauftragt sei; das Fahrzeug liege gerade vor der Tür der Villa, die derselbe bewohne.

Sternau dankte ihm für diese Mitteilung und machte sich nach beendigtem Diner sofort mit dem Steuermann auf, die Jacht anzusehen. Sie hatten nur den Hafen bis dahin untersucht, wo der Fluß in denselben mündet, jetzt aber schritten sie am Ufer weiter aufwärts, und nach einiger Zeit entdeckten sie die betreffende Jacht, die am Ufer vor Anker lag. Es war einer jener ausgezeichneten Schnelldampfer, hundert Fuß lang, sechzehn Fuß breit und sieben Fuß tief, mit zwei Masten, Takel- und Segelwerk versehen, um den Dampf durch die Kraft des Windes zu unterstützen, so daß in Beziehung auf Geschwindigkeit es kein anderes Schiff mit einer solchen Jacht aufzunehmen vermag.

Da ein Brett das Ufer mit dem Bord verband, gingen sie vorläufig an Deck, die Luken waren offen, und auch die Kajüte war unverschlossen. Die Jacht zeige eine prachtvolle Einrichtung, und als Helmers als Kenner alles übrige genau untersucht hatte, sprach er sein Gutachten dahin aus, daß das Schiff ein ausgezeichnetes sei und nichts zu wünschen übriglasse.

Sie kehrten nun an das Ufer zurück, und als sie die betreffende Villa in einem Garten liegen sahen, an dessen offenstehender Pforte ein Schild mit der Aufschrift befestigt war: »Emery Millner, Advokat«, traten sie ein, schritten durch den Garten und trafen da eine Dienerin, die sie nach dem Zimmer des Advokaten führte. Hier gaben sie ihre Absicht kund und erfuhren, daß sowohl die Villa als auch die Jacht Eigentum des Grafen von Nothingwell seien.

»Des Grafen von Nothingwell?« fragte Sternau überrascht. »Darf ich Sie um den vollständigen Namen des Grafen bitten?« – »Sir Henry Lindsay von Nothingwell«, antwortete der Advokat – »Ach, dessen Tochter vor einiger Zeit auf Schloß Rodriganda in Spanien bei Gräfin Rosa, ihrer Freundin, zu Besuch war?« – »Gewiß«, antwortete der Engländer, nun seinerseits erstaunt »Kennen Sie die Dame?« – »Sehr gut sogar. Auch ich befand mich auf Rodriganda und darf mir wohl erlauben, mich ihren Freund zu nennen.«

Sternau sowohl als auch der Steuermann hatten natürlich ihren Namen genannt, daher rief der Advokat erfreut:

»So sind Sie wohl gar jener Arzt Sternau, der den alten Grafen operierte?« – »Allerdings.« – »Dann ist es mir eine große Freude, Sie bei mir zu sehen! Sir Lindsay und Miß Amy waren vor ihrer Abreise nach Mexiko hier, und die Dame hat uns sehr viel von Ihnen erzählt Sie müssen wissen, daß sie sehr freundschaftliche Gesinnungen für meine Frau hegt und ihr alles mitteilte, was in Rodriganda geschehen ist« – »So will ich aufrichtig sein und Ihnen sagen, daß Gräfin Rosa de Rodriganda jetzt meine Frau ist. Sie wohnt in Deutschland bei meiner Mutter.« – »So schnell ist das gegangen!« rief der Advokat. »Aus der Erzählung von Miß Amy ersahen wir allerdings, daß sich ein solches Ereignis vermuten lasse, daß es aber so bald eingetreten ist kann nur eine Folge ganz außerordentlicher Verhältnisse sein. Fast bin ich begierig, dieselben zu erfahren.« – »Da Miß Amy Ihnen ihr Vertrauen geschenkt hat so habe ich keinen Grund, Ihnen das meinige zu verweigern«, sagte Sternau höflich. – »So bitte ich Sie, Ihnen vor allen Dingen meine Frau vorstellen zu dürfen. Ich ersuche Sie dringend, für die Zeit Ihres Aufenthalts in Greenock mein Gast zu sein.«

Sternau mußte trotz seiner anfänglichen Weigerung die Einladung annehmen. Die Frau des Advokaten hörte mit großer Freude, wer die Fremden seien, und tat alles mögliche, ihnen den Aufenthalt so angenehm als denkbar zu machen. Der Deutsche erzählte seine Erlebnisse und wurde infolgedessen geradezu mit Freundlichkeit überschüttet. Er erfuhr, daß Lord Lindsay die Jacht nur deshalb verkaufe, weil er sie während seines voraussichtlich langen Aufenthalts in Mexiko nicht brauchen könne, und Sternau erhielt sie für eine Summe, die klein genannt werden konnte.

Nun ging es an die Ausstattung und Bemannung des Fahrzeugs. Die letztere bestand außer Helmers aus vierzehn Matrosen, von denen einige die Maschine zu bedienen verstanden. Diese Matrosen nannten den bisherigen Steuermann Helmers »Kapitän«, und Sternau bestätigte als Eigentümer diesen Titel.

Die Jacht hatte bisher »The Fleet« geheißen, wurde aber nun »Rosa« genannt!

Der Advokat war behilflich beim Einkauf des Proviants, der Munition und der Waffen. Da es galt, einen Seeräuber aufzufinden, so waren auch einige Kanonen nötig. Aus diesem Grund erhielt die »Rosa« sechs Bordkanonen und zwei drehbare Geschütze, sogenannte Drehbassen, von denen je eine am Vorder- und Hinterteil angebracht wurde.

Das Fahrzeug hatte eine Schnelligkeit von achtzehn Meilen per Stunde und verbrauchte während dieser Zeit zweihundert Pfund Kohlen. Daher war es nötig, öfters anzulegen, um neuen Kohlenvorrat einzunehmen. Als erste dieser Stationen wurde der Hafen von Avranches in Frankreich bestimmt, und dann dampfte die Jacht den Clyde hinab, dem Meer entgegen und einem Ziel zu, das noch niemand bestimmen konnte. Nur war so viel zu vermuten, daß Kapitän Landola wahrscheinlich an der Westküste Afrikas zu suchen sei.

Avranches liegt nicht unmittelbar am Meer, sondern auf einem Höhenzug, der die Seeküste überragt; aber ganz nahe schiebt sich die Bucht von St. Michel in das Land, und von dem inneren Ufer derselben hat man kaum eine halbe Stunde zu gehen, um die Stadt Avranches zu erreichen. Auf einer Höhe an der Bucht stand damals einer jener hölzernen, kühn gebauten Leuchttürme, die an den gefährlichen Küsten der Normandie den Schiffen als Wahrzeichen dienen. Der Wärter dieses Leuchtturms hieß Gabrillon, verkehrte nur selten mit den Menschen und galt für einen Sonderling. Er hatte weder Weib noch Kind, und nur eine alte, taube Frau hauste mit ihm auf dem Leuchtturm, den sie nur für kurze Zeit verließ, um das geringe Gehalt Gabrillons einzukassieren und dann die wenigen Einkäufe zu besorgen, die die Führung ihrer kleinen Wirtschaft nötig machte.

Früher war es zuweilen vorgekommen, daß Fremde oder Einheimische den Leuchtturm besuchten, um von seiner Höhe aus einen Blick auf den ewig gleichen und doch stets wechselvollen Ozean zu genießen, aber seit einigen Monaten zeigte Gabrillon sich gegen solche Besucher so widerstrebend, ja geradezu grob, daß den Leuten die Lust zum Wiederkommen verging.

Man forschte nach der Ursache dieses Widerstrebens, fand aber nichts. Nur einige alte Fischer, die sich mit nächtlichem Schiffhandel abgaben, behaupteten, des Nachts ganz oben auf der Galerie, die sich um das Lichtgehäuse des Leuchtturms zog, eine lange, hagere Gestalt bemerkt zu haben, die in spanischer oder einer ähnlichen Sprache kurze, klägliche Laute ausgestoßen habe.

Von dieser Zeit an meinten die abergläubischen Strandbewohner, der Wärter Gabrillon stehe mit dem Teufel oder andern bösen Geistern, die ihn nächtlich besuchten, im Bund, und mieden ihn nun noch mehr, als sie es schon früher getan hatten. Nur der Maire – Bürgermeister – der Stadt dachte anders, denn Gabrillon war bei ihm gewesen und hatte ihm in seiner mürrischen, verschlossenen Weise gemeldet, daß er einen alten Vetter, der nicht so ganz richtig im Kopf sei, bei sich aufgenommen habe. Gabrillon hatte diese Meldung nicht umgehen können, und der Maire schwieg, weil es ihm Spaß machte, daß die Leute diesen verrückten Vetter in den Teufel verwandelten.

Noch eine andere Neuerung hatte sich in Avranches vollzogen. Ein junger Arzt, der erst kürzlich hergezogen war, hatte eine Quelle untersucht, deren trübes, gelbes Wasser bisher nicht benutzt worden war, weil es einen außerordentlich üblen Geschmack besaß. Dieser Mann behauptete, daß es ein Mineralbrunnen sei, der verschiedene, sonst tödliche Krankheiten heile. Er analysierte das Wasser, sandte seine Analyse und eine Probe des Wassers an die Akademie der Wissenschaften ein, die ihm beistimmte, ließ große Berichte und Annoncen in die Blätter setzen, faßte die Quelle ein und erbaute ein Kurhaus in unmittelbarer Nähe derselben.

Von da an kamen allerlei Kranke und Gesunde herbeigepilgert, um sich heilen zu lassen oder sich in der erquickenden Seeluft und in den stärkenden Meereswogen zu erfrischen. Es wurden Wege gebaut, Promenaden mit Ruhebänken angelegt, und bald entwickelte sich in der Nähe des alten Leuchtturms ein Leben, dem der mürrische Wärter Gabrillon mit immer finsterem Blick zuschaute.


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