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24. Kapitel.

Otto hatte noch immer keine Ahnung von dem hohen Stand, dem die Geliebte angehörte. Er sah zwar in diesem Augenblick, daß der galonierte Diener, der die Zigeunerin fortgebracht hatte, in das Haus trat, das Flora bewohnte, aber er dachte nicht, daß sie die Herrin des Dieners sei. Er sah also mit ziemlicher Unbefangenheit dem Augenblick entgegen, der ihn mit dem Vater der Geliebten bekanntmachen sollte.

Sie kam ihm entgegen und bot ihm beide Hände zum Gruß dar.

»Willkommen!« sagte sie mit einem Lächeln der Freude in den Zügen und dem Strahl des Glücks in den großen, treuen Augen. »Du kommst zur guten Stunde. Vater wird dich gern willkommen heißen!«

Die Augen des Herzogs ruhten forschend auf der Gestalt und den Zügen Ottos, der sich ihm mit der Haltung eines Edelmannes und Künstlers näherte und nach einer gewandten Verbeugung sagte:

»Ich bin von ganzem Herzen erfreut, Sie begrüßen zu können, mein Herr. Mein Name wird Ihnen bereits bekannt sein. Es ist mein höchster Wunsch, nach dem Besitz Ihrer Achtung trachten zu dürfen.« – »Man sieht, daß Sie dieselbe zu erlangen wissen werden«, entgegnete der Herzog in wohlwollendem Ton.

Das Äußere Ottos hatte sichtlich einen vorteilhaften Eindruck auf ihn gemacht. Er lud denselben mit einer Handbewegung ein, an seiner Seite Platz zu nehmen, da der aufmerksame Diener einen Gartensessel für Flora gebracht hatte. Diese lenkte das Gespräch sofort auf einen passenden Gegenstand.

»Vater war sehr leidend«, sagte sie, »fühlt sich aber von neuer Hoffnung beseelt, seit Doktor Sternau bei ihm gewesen ist.« – »Ja«, fiel der Herzog lebhaft ein. »Schon das Äußere, das ganze Auftreten, die geistige Sicherheit dieses Mannes machten einen Eindruck, der das innigste Vertrauen erweckt. Ich habe Ihnen sehr zu danken, daß Sie ihn zu mir sandten. Wie ich höre, ist er Ihr Freund?« – »Der einzige, den ich habe, Monsieur; aber er ersetzt mir alle anderen, die ich haben konnte, aber nicht haben mag. Die Richtung, die mein Leben verfolgt hat, ist mir keine Aufmunterung zum Anschluß an andere gewesen.« – »Ja, ich hörte bereits, daß Sie die Einsamkeit lieben«, meinte der Herzog, indem er mit einem feinen, aber doch nicht unfreundlichen Lächeln seinen Blick von Otto auf Flora gleiten ließ. »Und ich gebe Ihnen recht. Die Einsamkeit hat auch ihr Anziehendes. Doch, um nicht von Sternau abzukommen, so hat es mich sehr betrübt, daß er so plötzlich und unerwartet abreiste. Ich war sogar zunächst erschrocken über seine Abreise.« – »Sie müssen ihn entschuldigen, mein Herr«, bat Otto. »Mein Freund lebt in ganz außerordentlichen Verhältnissen, die ihn gerade jetzt zwingen, eine Seereise zu unternehmen, während welcher ihm jede Minute kostbar ist. Er hat auch mir nur eine Stunde widmen können. Darf ich fragen, ob er Ihre Behandlung abgelehnt hat oder nicht?« – »Er hat mir Medizin gegeben ...« – »Ach, dann können Sie sicher sein, daß Sie genesen, wenn Sie seinen Ratschlägen genau Folge leisten. Er macht niemals einem Patienten vergebliche Hoffnungen, und ich habe noch nie einen so gewissenhaften, aber auch wahrheitsliebenden Arzt gekannt, wie er ist. Er ist einer der ersten Operateure der Gegenwart, und das Glück begleitet ihn treu in seiner Tätigkeit. Er sprach zu mir von einigen Empfehlungsschreiben, die er Ihnen zustellen wollte.« – »Ich habe sie erhalten. Wissen Sie, an wen sie gerichtet sind?« – »Ja; er hat es mir natürlich mitgeteilt. Der eine Brief lautet an seine Mutter und der andere an meinen Vater ...« – »Von dem Sie getrennt leben, wie ich gehört habe«, fiel der Herzog ein. – »Allerdings«, antwortete Otto, indem sich sein Blick verschleierte. »Ich kann nicht sagen, daß ich falsch gehandelt habe; ich bin einem inneren Drang gefolgt, dem ich nicht widerstehen konnte, ich glaube, daß mein Vater mir unrecht tut, aber ich wäre zum größten Opfer bereit, wenn er sich versöhnen lassen wollte. Das Herz des Menschen ist mit unzerreißbaren Banden mit dem Erzeuger seines Daseins vereint; ich habe ihn lieb von ganzer Seele. Die Kunst hat mir eine sorgenfreie Existenz verschafft, aber jetzt wäre ich stark genug, ihr zu entsagen, nur um sagen zu können, daß ich einen Vater habe, dessen Liebe ich mir zwar einst verscherzt, nun aber wieder errungen habe.«

Sein Auge schimmerte feucht, und seine Lippen bebten vor innerer Erregung. Die Kunst hatte ihm alles gebracht, was ein begabter Jünger nur von ihr erwarten kann, und dennoch war er bereit, sie zu verleugnen. Wie schwer ist ein solcher, tief in das innere und äußere Leben eingreifender Schritt zu tun! Wie lieb mußte er seinen Vater haben! Sein Gemüt war rein und tief. Das Zerwürfnis zwischen ihm und dem alten Hauptmann mußte ihn fürchterlich ergriffen und um den ganzen Frieden seiner Seele gebracht haben. Als er so dasaß, das Bild eines von Gott begnadeten Künstlers und doch auch eines von einem tiefen Schmerz gequälten und gefolterten Mannes, da tropfte von der Wimper Floras ein großer, heller Tropfen. Auch der Herzog fühlte sich ergriffen und zu dem Mann hingezogen, der trotz seiner unverschuldeten Leiden dem Urheber derselben nicht zürnte, sondern ihm seine Liebe treu bewahrt hatte. Er streckte Otto unwillkürlich die Hand entgegen, um ihm die seinige zu drücken, und sagte:

»Verzagen Sie nicht, Herr von Rodenstein. Es ahnt mir, daß Sie noch glücklich werden, und wenn ich nicht sterbe, so ist es mir vielleicht vergönnt, Ihren Vater zu versöhnen. Er ist vielleicht hart, aber ich hoffe, nicht grausam!«

Otto erzählte nun ausführlich, wie es gekommen war, daß man ihm das Vaterhaus verboten hatte. Er klagte den Vater nicht an, er entschuldigte auch sich nicht; er sprach so wahr, so mild, daß der Herzog sich gar nicht wunderte, wenn dieser Mann das Herz seiner Tochter gewonnen hatte.

»Und werden Sie die Empfehlungsbriefe Sternaus benutzen?« fragte Otto schließlich. – »Ja, ich werde nach Rheinswalden reisen, nicht nur meiner Gesundheit wegen, sondern auch um Ihretwillen«, antwortete der Kranke. »Fast möchte ich mich vor Ihrem Vater fürchten, doch werde ich mir Mut einreden, und ich hoffe, daß auch Flora sich Mühe gibt, den alten Herrn milder zu stimmen.«

Diese letzten Worte erfüllten Otto mit unendlichem Glück. Daß der Vater seiner Tochter eine solche Aufgabe zuerteilte, war ein fast vollgültiger Beweis, daß ihm ihre Liebe nicht mißfiel. Und so saßen sie noch längere Zeit beisammen, bis man die alte Zigeunerin vom Leuchtturm her, in dem sie gewesen war, des Weges kommen sah. Der Herzog wollte sich durch den Anblick des alten Weibes nicht um seine jetzige gute Stimmung bringen lassen und bat Flora, ihn in das Haus zu führen, was für Otto das Zeichen war, sich zu verabschieden. Er empfahl sich und erhielt die freundliche Aufforderung, recht bald wiederzukommen.

Er fühlte sich innerlich so selig, so glücklich, daß er es vermeiden wollte, sich durch den Anblick kalter, ernster Menschen stören zu lassen. Er suchte daher die Einsamkeit und fand sie am Ufer des Meeres, wo die weichen, flüsternden Wogen die Spitzen seines Fußes spielend benetzten.

Er befand sich unweit des Leuchtturms. Am Fuß desselben gab es ein moosbedecktes Felsenstück, das zum Sitzen einlud. Otto trat näher und ließ sich darauf nieder. Er verfiel in die Krankheit aller Verliebten, er träumte still vor sich hin und malte sich das Glück aus, das er an dem Herzen und in den Armen Floras finden werde. Er dachte gar nicht daran, daß der Vater der Geliebten seinen Namen nicht genannt hatte. Er hatte ihr Auge in Glück und Liebe aufleuchten sehen, er durfte wiederkommen, so bald und so oft es ihm beliebte, was wollte er mehr?

Da wurde er aus seinem Sinnen durch eigentümliche Töne aufgeschreckt, die an sein Ohr klangen. Kamen sie von einer menschlichen Stimme? Das klang so klagend, so trostlos, und doch so sanft und ruhig. Jetzt wieder! Ja, es war ein Mensch, der sprach. Die einzelnen Worte waren nicht zu verstehen, aber sie wiederholten sich immer wieder, es war stets derselbe Klang, derselbe klagende, ergreifende Ton.

Otto fühlte sich im Innern gepackt, ohne daß er sagen konnte, warum. Ein Glücklicher war derjenige, der solche Laute hören ließ, sicherlich nicht. War es vielleicht einer, der der Hilfe bedurfte?

In seiner seligen Stimmung konnte Otto nicht gleichgültig bleiben bei dem Gedanken, daß es einen gebe, den er trösten könne. Er erhob sich also, trat um die Ecke des Turmes herum und befand sich bei der Eingangstür. Sie war nicht verschlossen, er öffnete und trat ein.

Der Turm bestand hier nur aus den vier hölzernen Wänden, die an hoch emporstrebende Schiffsmasten genagelt waren. Eine schmale, hölzerne Wendeltreppe führte nach oben. Otto stieg empor und gelangte nun an einen stubenähnlichen Verschlag, dessen Tür von innen verriegelt war. Aus diesem Verschlag klangen die Töne, die er gehört hatte, sie klangen auch jetzt noch fort. Er klopfte an, und sofort schwieg der geheimnisvolle Sprecher.

Doch nach einem abermaligen Pochen hörte er Schritte, die sich näherten. Dann wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet. Es stand ein Mann vor derselben, schlank und hoch, aber von gebeugter Gestalt. Sein Bart und Haar waren schneeweiß, und sein Gesicht trug fast die weiße, mattglänzende Farbe des Alabasterglases.

»Sie entschuldigen, mein Herr, daß ich Sie störe«, sagte Otto, natürlich französisch, da er sich ja in Frankreich befand. »Ich hörte jemand in einem sehr klagenden Ton sprechen, und da ich dachte, daß ...«

Er hielt mitten in seiner Rede inne, die zwei Augen, die starr und ausdruckslos auf ihm ruhten, machten ihn irre. Dieses schöne Greisenantlitz konnte dennoch keinem ganz hochbejahrten Mann angehören, wie die Weiße des Haares es vermuten ließ, es war öde und leer, und das starr geöffnete Auge war tot, ohne alles geistige Leben. Otto faßte sich wieder und fragte:

»Sind Sie vielleicht unglücklich, mein Herr? Bedürfen Sie vielleicht der Hilfe?«

Der Fremde stand noch immer unbeweglich unter der Tür, die er in der Hand hielt, und blickte ihn mit den glanzlosen Augen an. Da öffnete er plötzlich die bleichen, farblosen Lippen und sagte, nicht in französischer, sondern in spanischer Sprache:

»Ich bin der gute, treue Alimpo!«

Das klang in einem leisen, klagenden, geistesabwesenden Ton, in demselben Ton, den Otto vorhin gehört hatte. Er hatte sofort die Überzeugung, daß er es hier mit einem geistig gestörten Menschen, mit einem Wahnsinnigen zu tun habe, der aber nicht gefährlich sei. Darum blieb er stehen und fragte:

»Sind Sie ein Bewohner dieses Turmes?« – »Ich bin der treue, gute Alimpo«, klang es zum zweiten Mal.

Ja, das war der Wahnsinn, dieser Ton der Stimme, die unbeweglichen Züge, das erstorbene Auge bestätigten es. Otto schauderte, aber dennoch sagte er:

»Ich wünschte, es wäre erlaubt, den Turm einmal zu betreten. Man muß von seiner Höhe eine weite Aussicht nach der See haben.«

Der andere hatte jedenfalls kein Wort dieses Wunsches verstanden, denn er wiederholte abermals:

»Ich bin der treue, gute Alimpo.«

Da trat Otto einen Schritt näher, und nun wich der Wahnsinnige zurück, so daß der erstere eintreten konnte. Jetzt ließen sich Schritte vernehmen, die von oben herabkamen. Aus diesem Raum führte nämlich eine Treppe abermals in die Höhe. Es erschien ein Mann, der die rauhe Kleidung eines armen Seemanns trug. Ein dichter, struppiger Bart verbarg den unteren Teil seines Gesichts. Sein Auge blickte zornig auf den Eingetretenen, und mit einem höchst barschen Ton fragte er:

»Was wollen Sie? Wer hat Ihnen erlaubt, hier einzutreten?«

Es war Gabrillon, der Leuchtturmwärter. Otto war nicht gewohnt, in einem solchen Ton mit sich reden zu lassen; zumal von einem so gewöhnlich aussehenden Menschen duldete er es nicht. Daher antwortete er in einem ruhigen, aber sehr bestimmten Ton:

»Bitte, sprechen Sie ein bißchen weniger grob! Wer sind Sie?« – »Ob ich grob bin oder nicht, das ist meine Sache! Und wer ich bin, das geht Sie gar nichts an«, lautete die noch gröbere Antwort. – »Vielleicht geht es mich aber doch etwas an! Ich habe Sie gefragt, wer Sie sind!« – »Ich bin der Wächter des Leuchtturms«, erwiderte Gabrillon, der sich unwillkürlich dem Eindruck der gebieterischen Blicke Ottos nicht entziehen konnte. – »Nun wohl, ich wünsche den Leuchtturm besteigen zu können.« – »Das geht nicht.« – »Warum nicht?« – »Es ist nicht erlaubt!« – »Wer hat es verboten?«

Diese Frage brachte Gabrillon einigermaßen in Verlegenheit, denn es war behördlich nicht untersagt, den Leuchtturm zu betreten, die dabei verabreichten Trinkgelder hatten vielmehr bisher einen nicht ganz unbedeutenden Teil seiner Einnahmen gebildet.

»Es ist verboten, und damit gut!« antwortete er trotzig. – »Ich wünsche aber doch sehr, zu erfahren, von wem dieses Verbot ausgeht!« sagte Otto, dem das Verhalten des Wärters als dasjenige eines Menschen vorkam, der sich nicht auf einem rechtlichen Weg befindet. – »Ich bin der treue, gute Alimpo!« sprach jetzt der Wahnsinnige zum vierten Mal.

Da erschrak Gabrillon so, daß es Otto deutlich bemerkte, und fuhr den Geisteskranken mit harter Stimme an:

»Pack dich, alter Tor, und halte den Mund mit deinen Faseleien!«

Dann faßte er ihn beim Arm und schob ihn zur Treppe. Der Wahnsinnige gehorchte willig und entfernte sich, zur Höhe emporsteigend. Nun wandte sich Gabrillon wieder zu Otto und sagte mit zusammengezogenen Augenbrauen:

»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß der Zutritt zu dem Turm verboten ist. Was wollen Sie noch hier?« – »Ich will noch immer wissen, von wem dieses Verbot ausgegangen ist!« – »Erkundigen Sie sich woanders danach. Ich habe keine Zeit, mich mit jedem abzugeben, dem es beliebt, mich in meiner Behausung zu stören. Gehen Sie!«

Gabrillon trat bei diesen Worten drohend auf Otto zu, und da dieser keine Lust fühlte, sich mit diesem Mann in Tätlichkeiten einzulassen, verließ er das Gemach, dessen Tür hinter ihm mit lautem Geräusch verriegelt wurde.

Als Otto am Strand entlang dahinschritt, kam ihm das Verhalten des Leuchtturmwärters immer verdächtiger vor. Warum sollte kein Mensch den Turm betreten?

Doch wohl nur des Wahnsinnigen wegen. Warum verweigerte dieser Mensch die Auskunft darüber, wer den Zutritt verboten hatte? Doch nur deshalb, weil es kein solches Verbot gab. »Ich bin der treue, gute Alimpo!« Was war das für eine Rede? Steckte da irgendein Sinn dahinter? Das war jedenfalls eine Monomanie! Wer war der Wahnsinnige? Er hatte trotz seiner geistigen Gestörtheit so distinguiert ausgesehen. Diese feinen Züge, diese kleinen aristokratischen Hände konnten nicht einem Mann angehören, der in näherer Beziehung mit dem Wärter stand, dessen ganzes Auftreten dasjenige eines rohen Menschen aus der Hefe des Volkes war. Hatte man ihm den Kranken anvertraut? Diesen Gedanken konnte Otto nicht fassen. Der in allen Fugen krachende Leuchtturm war kein Ort, einen Wahnsinnigen zu beherbergen. Beim Sturm der aufgeregten Elemente konnte ein geistig Gestörter die ihm so notwendige Ruhe hier nicht finden, Heilung aber noch viel weniger.

Hier mußte ein Geheimnis vorliegen. Das schien dem Maler um so wahrscheinlicher, je mehr er darüber nachdachte. Darum beschloß er, sich den Eingang zum Turm zu erzwingen und zu diesem Behuf den Maire aufzusuchen, als den einzigen, von dem ein etwaiges Verbot ausgegangen sein konnte.

Er fand ihn in der Expedition und wurde von ihm sehr freundlich empfangen, da die beiden Männer sich von ihren Promenaden und von der Reserve her kannten.

»Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?« fragte der Beamte. – »Mit einer kleinen Auskunft, Monsieur. Wer hat den Zutritt zu dem Leuchtturm verboten?« – »Meines Wissens niemand«, lautete die Antwort – »Ihres Wissens? Ich denke, daß Sie infolge Ihres Amtes jedenfalls der Mann sind, es am ehesten und besten zu wissen.« – »Ja, wer hat denn von einem solchen Verbot gesprochen?« – »Der Wärter!« – »Ah, Gabrillon! Der ist ein eigentümlicher Kerl, eine Art Menschenhasser oder Menschenfresser. Er sieht es gern, wenn man ihn in Ruhe läßt, er mag nicht gern gestört sein, mein Herr.« – »Ah! Worin könnte ein Mann gestört werden, der nichts zu tun hat als des Abends seine Lichter anzubrennen und des Morgens wieder zu verlöschen? Gibt es etwas Gesetzwidriges bei ihm, was er nicht sehen lassen will?« – »Wie kommen Sie auf diese Idee, Monsieur?« fragte der Maire erstaunt. – »Weil Sie von einer Störung sprechen, für die ich keine Ursache aufzufinden vermag, besonders weil ihm die Trinkgelder doch willkommen sein sollten, und ferner, weil er mich mit einer Dringlichkeit fortwies, die ganz aussah wie eine Grobheit, der eine unverkennbare Angst zugrunde lag.« – »Ah, Sie waren bei ihm?« – »Ja. Ich wollte die Aussicht über die See genießen.« – »Und er wies Sie fort?« – »Sogar mit ausgesuchter Unverschämtheit. Er sagte, der Zutritt sei verboten, wollte mir aber nicht mitteilen, von wem das Verbot ausgegangen ist. Und als ich es zu wissen begehrte, sah ich mich veranlaßt, die Flucht zu ergreifen, um Tätlichkeiten zu entgehen, die mir jedenfalls auch als Sieger nicht zur Ehre gereicht hätten.« – »Das ist allerdings stark! Wir sind gewohnt, Gabrillon seine Wege gehen zu lassen, aber wenn die Fremden, deren Besuch des hiesigen Bades uns nur willkommen sein muß, darunter zu leiden haben, da muß man denn doch eingreifen. Ich werde sofort einen meiner Beamten beauftragen, nach dem Turm zu gehen und dem Wärter solche Ungebührlichkeiten unter Androhung einer Strafe zu untersagen.« – »Ich habe nichts anderes erwartet, Monsieur, und ich danke Ihnen herzlich. Soll hier aber von einer Genugtuung wirklich die Rede sein, so ersuche ich Sie um die Erlaubnis, bei der Ausführung dieses Ihres Befehls gegenwärtig sein zu dürfen.« – »Dies steht ganz in Ihrem Belieben. Der Gendarm steht im Vorzimmer, er kann den Weg sofort antreten.« – »So werde ich vorangehen und ihn erwarten. Apropos, ich sah einen ältlichen Herrn im Turm, dessen Geist mir gestört zu sein schein. Wer ist dieser Mann?« – »Er ist ein Verwandter Gabrillons.« – »Ein Verwandter? Hm!« – »Ja, ein Vetter oder Oheim oder so etwas.« – »Wie heißt er, und woher stammt er?« – »Wie er heißt?« fragte der Beamte verlegen. »Ah! Hm! Er heißt – ich glaube, ich weiß es selbst nicht. Gabrillon hat ihn zwar angemeldet, aber nichts Schriftliches vorgelegt.« – »Ich habe geglaubt, daß bei einer jeden Anmeldung die Vorzeigung gewisser Dokumente erforderlich sei.« – »Ja, hm, eigentlich! Ich werde das wohl noch besorgen müssen. Man hat so viel zu tun, daß es kein Wunder ist, wenn eine solche Kleinigkeit übersehen wird.«

Damit mußte der Maler sich begnügen. Er ging, und zwar wieder nach dem Turm. Da er hart an den Klippen des Ufers hinschritt, so konnte er von Gabrillon nicht gesehen werden. Er hatte kaum eine Minute gewartet, so sah er den Gendarm kommen.

»Sind Sie der Herr, der mich erwartet?« fragte dieser. – »Ja. Es tut mir leid, Sie meinetwegen belästigt zu sehen. Hier haben Sie eine kleine Entschädigung.«

Otto griff in die Tasche und gab dem Gendarm ein Fünffrankenstück, bei dessen Anblick dieser, der ein so hohes Trinkgeld wohl noch nie gesehen hatte, ein Gesicht machte, das erwarten ließ, daß er seine Pflicht mit dem allergrößten Ernst erfüllen werde.

»Kommen Sie, mein Verehrtester«, sagte er. »Wir werden diesem Gabrillon zeigen, wie er sich gegen Herren von Ihrer Großmut zu benehmen hat.« – »Lassen Sie mich voransteigen, und warten Sie auf der Treppe«, entgegnete Otto.

Als er die Tür erreichte, war dieselbe verschlossen, aber er bemerkte einen Klingelzug, den er bei dem vorigen Besuch nicht gesehen hatte. Er klingelte, und nach einiger Zeit wurde die Tür geöffnet. Der Wärter blickte hervor und rief, als er Otto erkannte, mit ärgerlicher Stimme.

»Sie wieder? Das ist stark! Packen Sie sich zum Teufel!«

Er wollte die Tür zuschlagen, aber Otto hielt sie fest.

»Lassen Sie offen«, sagte er, »ich will den Leuchtturm besteigen!« – »Ich habe Ihnen bereits gesagt daß dies verboten ist. Sind Sie taub?« – »Und ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich wissen will, wer es verboten hat« – »Das geht Sie nichts an! Fort!«

Gabrillon wollte die Tür mit Gewalt zuziehen, da aber kam der Gendarm herbei, der die Unterredung mit angehört hatte.

»Was fällt dir ein, Gabrillon!« sagte er. »Wer hat dir den Befehl gegeben, solche Besuche abzuweisen?«

Der Wärter war beim Anblick des Beamten rasch zurückgetreten.

»Soll ich mir denn gefallen lassen, daß ein jeder hergelaufene Mensch mich stört und belästigt?« fragte er. – »Sieht dieser Herr wie hergelaufen aus, du Grobian?« rief der Gendarm. »Ich werde dich sofort arretieren, wenn du noch ein einziges solches Wort sagst. Ich habe dir auf Befehl des Herrn Maire zu melden, daß der Besuch des Leuchtturms nicht verboten ist. Kommt noch ein solcher Fall vor, so wirst du abgesetzt! Verstanden? Dieser Herr wird uns melden, ob er sich abermals über dich zu beklagen hat. Richte dich danach!«

Der Gendarm schritt nach diesen Worten mit der stolzen, selbstbewußten Miene eines siegreichen Helden die Treppe wieder hinab. Otto trat jetzt in das zur Erde gelegene Gemach des Leuchtturms. Der Wärter aber begrüßte ihn mit keiner Silbe, sondern stieg in höchster Eile die zweite Treppe empor, ohne sich scheinbar weiter um ihn zu kümmern.

Der Maler folgte langsam. Als er das zweite Gemach erreichte, sah er die alte Wirtschafterin des Wärters, die auf einem Schemel saß und ihn mit den Blicken eines bösartigen Krokodils anglotzte. Er achtete nicht auf sie und stieg höher. Die dritte Abteilung des Turms war in zwei kleine Gemächer geteilt. Das eine derselben war verschlossen, aber Otto hörte da drinnen deutlich die Stimme des Wahnsinnigen und die klagenden Worte:

»Ich bin der treue, gute Alimpo!«

Jetzt wußte Otto, daß Gabrillon so schnell emporgestiegen war, um den Geisteskranken einzuschließen, damit der Besuch ja in keine nähere Berührung mit ihm komme. Der Wärter stand in dem anderen Gemach und beobachtete mit finsterer Miene, ob Otto Notiz von den Worten nehme, die er hörte.

»Warum schließen Sie den Kranken ein?« fragte dieser. – »Das geht Sie nichts an!« entgegnete der Gefragte rauh und verbissen. – »Haben Sie etwa kein gutes Gewissen in Bezug auf diesen Patienten?« – »Herr«, brauste Gabrillon auf, »was kümmert Sie meine Familie? Ich bin gezwungen, Ihnen Zutritt zu gewähren, aber sobald Sie mich beleidigen, werfe ich Sie die Treppe hinab.« – »Sie? Mich?« fragte Otto geringschätzend. »Wenn es mich nicht ekelte, lägen Sie bereits unten!«

Er stieg weiter und hatte noch vier Abteilungen zu passieren, ehe er den Lampenapparat erreichte. Die Aussicht von hier oben war allerdings großartig, aber sie konnten in diesem Augenblick auf den Beschauer den gewaltigen Eindruck, den sie ein anderes Mal gemacht hätte, nicht hervorbringen. Seine Gedanken waren bei dem Wahnsinnigen. Es schien ihm über allen Zweifel gewiß zu sein, daß hier irgendein schweres Geheimnis vorliege. Er sann und grübelte, kam aber immer wieder zu dem Resultat, daß ihn die Sache nichts angehe.

So stieg er denn, ohne die Aussicht genossen zu haben, wieder hinab und fand Gabrillon noch immer vor der Tür des kleinen Gemaches, das er wie ein wilder, bissiger Kettenhund bewachte. Er schritt an ihm vorüber, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder ihm ein Geschenk zu verabreichen. Doch er hatte sich den verweigerten Zutritt erzwungen; das war für jetzt genug.

Aber der Gedanke an den Wahnsinnigen verfolgte ihn den ganzen Tag hindurch, und des Nachts träumte ihm, er selbst sei wahnsinnig und werde von Gabrillon vom Turm herab in die See geworfen. Er kämpfte mit aller Anstrengung gegen die wilden Fluten und – erwachte, in Schweiß gebadet.


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