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27. Kapitel.

Ungefähr eine halbe Stunde bevor sich die Beteiligten in Bewegung setzten, huschte eine Frauengestalt hart am Gestade längs der Küste hin, so daß man sah, daß sie nach dem Turm wollte. Es war Zarba. Sie hatte keine Ahnung von der Gefahr, die ihr drohte, sondern sie schlug diesen abgelegenen Weg nur deshalb ein, weil sie nicht mehr vor dem von dem Herzog bewohnten Häuschen vorüber wollte. Die ihr gestern von Flora und dann von dem Diener gegebene Lektion wollte sie nicht noch erneuert haben.

Als sie den Turm erreichte, trat sie ein, stieg die Treppe empor und wollte eben klingen, als die Tür geöffnet wurde. Gabrillon war es.

»Ich sah dich kommen«, sagte er. »Warum kommst du so früh?« – »Es ist besser, ich bin bei dir, wo mich niemand sieht, als draußen auf der Straße oder im Feld, wo man mich bemerken könnte. Es gibt Leute hier, die mich kennen«, sagte sie. – »Wann kommen deine Leute?« – »Gleich nach Beginn der Dunkelheit. Sie bringen ein Boot mit. Man hat nichts gesehen, als der Graf gebracht wurde, so soll man auch nichts sehen, wenn wir ihn wieder fortschaffen.« – »Es wird Zeit!« brummte der Wärter. »Sogar dieser Fremde schien Verdacht zu schöpfen.« – »Wer ist es? Kennst du ihn?« – »Nein, ich habe vom Turm aus beobachtet, daß er in das Haus des Herzogs ging.« – »Dann ist er uns gefährlich!« sagte sie rasch. »Hast du die Papiere, die ich dir mit dem Grafen sandte, hervorgesucht?« – »Ja. Sie liegen oben beim Ofen schon bereit.« – »So laß sie uns sogleich verbrennen. Man weiß nicht, was geschehen kann. Wie befindet sich der Graf, Gabrillon?« – »Wie immer. Er war mir eine große Last, und ich bin froh, daß ich ihn loswerde.«

Sie stiegen empor bis zu dem Gemach, das dem Wärter als Wohnung diente. Dort stand ein Ofen, und auf einem Schemel daneben lag ein altes, geöffnetes Kästchen, in dem sich einige Papiere befanden. Sie enthielten den Ausweis über die Person des Grafen, über den Leichenraub und die Verwechslung des Toten mit dem Grafen. Es wäre daraus manches klargeworden, vor allen Dingen aber die Absicht der Zigeunerin, dem Grafen nicht an Leib und Leben zu schaden, sondern ihn nur zum Werkzeug ihrer Rache zu gebrauchen.

Sie las den Inhalt durch und steckte dann die Papiere in den Ofen, ein daran gehaltenes Zündhölzchen versetzte sie in lodernden Brand.

»So«, sagte sie. »Und wenn selbst in diesem Augenblick etwas passierte, so könnte man uns doch nichts beweisen. Dein Vetter Marcello ist gestorben, ihn können sie nicht anfassen, und so würdest du sagen, daß er es gewesen ist, der dir den Wahnsinnigen brachte. Jetzt komm wieder hinab in die niedere Stube. In dieser schwindelnden Höhe wird es mir angst.«

Sie stiegen hinab, und eben, als sie in den Raum kamen, klingelte es, Gabrillon öffnete und blickte hinaus. Er sah Otto, hinter dem Flora auf der steilen Treppe stand.

»Was wollen Sie schon wieder?« fragte er zornig. – »Ich wünsche, dieser Dame von der Höhe des Leuchtturms aus die See zu zeigen«, antwortete er und trat ohne alle weiteren Umstände ein und die Dame mit ihm. Er kannte Zarba nicht, er hatte sie noch nie gesehen, darum beachtete er sie mit keinem Blick. Die Zigeunerin aber, die ihre Zurechtweisung nicht vergessen konnte, fühlte sich unter dem Schutz Gabrillons sicher, wandte sich an Flora und sagte:

»Das ist ja die schöne, stolze Dame, die mich nicht anhören wollte! Jetzt wird sie wohl erlauben müssen, daß ich rede. Ihr Vater ist ...«

Otto, der sofort begriff, wen er vor sich hatte, unterbrach sie rasch, indem er die Geliebte fragte:

»Ist diese Person die Zigeunerin Zarba, von der wir sprachen?« – »Ja, ich bin Zarba«, antwortete die Alte hastig selbst. »Also der stolze Herr hat bereits von mir gehört? Nun, so werde ich ihn zum Zeugen meiner Mitteilung machen, die ihn sehr interessieren wird.« – »Ich verzichte auf deine Mitteilungen, Alte!« antwortete der ihr stolz. »Mach Platz, wir wollen nach oben.« – »Ich mache nicht eher Platz, als bis ich gesprochen habe«, sagte sie hartnäckig, indem sie vor der zweiten Treppe stehenblieb. »Und wenn der Herr meint, daß das, was ich zu sagen habe, nicht nötig ist, da irrt er sich. Ich könnte diesen Herzog von Olsunna glücklich machen, wenn ich wollte, aber ich tue es nicht. Ich weiß, wer ...« – »Schweig!« gebot er ihr. »Leute deines Gelichters hätten das Zeug, einen Herzog glücklich zu machen.« Und in verächtlichem Ton sagte er: »Was du willst, das weiß ich. Wir brauchen deine Mitteilungen nicht; wir kennen Sternau besser als du. Da hast du deine Neuigkeiten. Packe dich fort!«

Otto schob Zarba zur Seite und stieg mit Flora, die die Alte keines Blickes gewürdigt hatte, die Treppe empor. Zarba widerstrebte nicht; sie stand ganz starr da und blickte den beiden mit weitgeöffneten Augen nach. Daß ihr Geheimnis verraten sei, daß der Herzog wußte, wer sein Sohn war, das hatte sie erschreckt, das machte einen großen Teil ihrer Pläne zunichte. Aber bald faßte sie sich und murmelte:

»Und dennoch sollt ihr ihn nicht haben! Der Waldhüter in Rheinswalden wird dafür sorgen!« Und dem Leuchtturmwärter flüsterte sie zu: »War dies der Fremde, der Verdacht gefaßt zu haben schien?« – »Ja«, antwortete Gabrillon leise. – »Und den du beim Herzog eintreten sahst?« – »Ja.« – »Ist die Tür zu dem Grafen verschlossen?« – »Nein, nur verriegelt.« – »So folge ihnen schnell, sie könnten die Absicht haben, ihn zu sehen.«

Er gehorchte diesen Worten und holte die beiden jungen Leute bald ein. Diese erreichten eben das dritte Stockwerk, in dem sich die kleine Kammer befand, die der Wahnsinnige bewohnte.

»Hier wird er sein«, sagte Otto zu Flora, indem er nach dem Riegel griff. – »Halt!« rief da Gabrillon, »Was wollen Sie hier?« – »Ich will mir nur deinen Vetter ansehen, Alter«, lautete die Antwort. – »Der geht Sie nichts an! Gehen Sie!« sagte der Wärter, indem er sich vor die Tür stellte. – »Vielleicht geht er mich doch etwas an! Gib Raum, sonst werde ich mir zu öffnen wissen!« – »Sie?« fragte Gabrillon mit funkelnden Augen. »Sollten Sie es wagen, mich anzugreifen, so werde ich mein Hausrecht zu verteidigen wissen.« – »Angreifen? Dich?« sagte Otto. »Pah! Du bist mir zu schmutzig! Wirst du nicht freiwillig öffnen, so wird man, auch ohne daß ich mich mit dir beschmutze, schon erfahren, warum man diesen Unglücklichen nicht sehen darf.« – »Nein, öffne nicht!« erklang es von der Tür her.

Zarba war ihnen gefolgt. Die Besorgnis um die Geheimhaltung des Wahnsinnigen hatte ihr keine Ruhe gelassen. Da zog Otto sein Taschentuch heraus und winkte damit durch die Fensteröffnung hinaus.

»Was ist das für ein Zeichen?« fragte Zarba argwöhnisch.

Otto antwortete ihr nicht, sondern horchte nach der Treppe hin, die nach unten führte. Es ließen sich bald rasche Schritte hören. Der Maire erschien.

»Wir treffen es sehr glücklich, Monsieur«, sagte der Maler zu ihm. »Dieses Weib ist die Zigeunerin, die wir suchen.« – »Ah! Schon gut!« erwiderte der Beamte, indem er die Alte durch seine Brille musterte. »Du also bist das Weib, das gestorbene und begrabene Leute versteckt?«

Sie erschrak bei diesen Worten, beherrschte aber ihren Schreck und antwortete:

»Ich verstehe Sie nicht. Wer sind Sie?« –»Ich bin der Maire und wünsche einige Worte mit dir zu sprechen, Alte. Zuvor aber sollt ihr uns einmal den Wahnsinnigen zeigen. Wo ist er?«

Jetzt sah Zarba ihre Befürchtung eingetroffen, aber sie erkannte auch, daß an eine Gegenwehr gar nicht gedacht werden konnte. Hier war nur ein hartnäckiges Leugnen am Platz, und dann kamen ja heute abend ihre Leute, um den Grafen zu holen und an einen anderen sicheren Ort zu schaffen.

»Da drin ist er«, sagte Gabrillon, auf die Tür deutend.

Er war nicht sehr besorgt, denn er glaubte es nur mit dem Maire zu tun zu haben.

»Also er ist ein Verwandter von dir?« fragte dieser. »Wie heißt er?« – »Anselmo Marcello.« – »Und woher ist er?« – »Aus Varissa.« – »Hast du seine Legitimationen in Ordnung?« – »Mein Vetter brachte ihn zu mir und versprach, mir diese Papiere zu senden. Er ist aber unterdessen gestorben.« – »So hättest du dir diese Papiere durch einen anderen besorgen lassen sollen. Ich werde mich in Varissa erkundigen, ob dieser Vetter wirklich einmal verreist war, um dir diesen Mann zu bringen. Öffne die Tür!«

Der Wärter gehorchte, und nun sahen sie ein Kämmerchen vor sich, kaum so lang und breit, um für einen Strohsack Raum zu bieten. Auf diesem lag der Wahnsinnige. Als er die Anwesenden sah, erhob er sich. Sein Auge ruhte geistesabwesend auf ihnen, und in klagendem Ton sagte er:

»Ich bin der treue, gute Alimpo.« – »Hören Sie, Monsieur!« sprach Otto zu dem Maire. – »Ja, es sind wahrhaftig diese Worte!« meinte dieser. Und sich zu Flora wendend, fragte er: »Finden Sie eine Ähnlichkeit, Durchlaucht?«

Die Augen der Gefragten hatten erst forschend auf dem Wahnsinnigen geruht, jetzt aber waren sie bereits voller Tränen. Sie trat auf den Kranken zu, faßte seine beiden Hände und fragte unter tiefer Bewegung:

»Erlaucht, Don Emanuel, kennen Sie mich noch?« – »Ah, er ist es also?« rief der Maire. »Ja, Monsieur, er ist es!« beteuerte Flora. »Ich kenne ihn zu gut, es ist der Graf Emanuel und kein anderer. Er ist hagerer geworden, hat sich aber sonst nicht im mindesten verändert, ausgenommen nur, daß er sehen kann. Oh, Don Emanuel, reden Sie doch! Sagen Sie mir doch, ob Sie mich erkennen! Ich bin Flora Olsunna, die Sie in Rodriganda besucht hat.«

Der Kranke hielt seine Augen mit einem öden, leeren Blick auf sie gerichtet. Sein Gesicht war bleich, wie aus Wachs geformt, ohne Bewegung, ohne einen einzigen Zug, der auf eine Spur von noch vorhandenem Seelenleben hätte schließen lassen. Nur seine bleichen Lippen öffneten sich, und mit jener Stimme, die dem Erzeugnis einer künstlichen Sprechmaschine glich, sagte er:

»Ich bin der treue, gute Alimpo!«

Otto fühlte sich von diesem Anblick tief ergriffen, auch der Maire räusperte sich, um eine Aufwallung des Mitleids zu bekämpfen, die er mit der Würde seines Amtes nicht vereinbar hielt. Flora aber fühlte ihr ganzes Gemüt in Aufruhr. Ein unendlicher Jammer trieb ihr immer neue Tränen in die Augen, es überkam sie ein so herzliches, so inniges Erbarmen über den Anblick dieses früher so oft gesehenen Mannes, daß sie die Arme um ihn schlang und unter lautem Schluchzen rief:

»Oh, mein guter, unglücklicher Don Emanuel, wie finde ich Sie wieder! Wer Ihnen das angetan hat, wird es in jenem Leben nicht verantworten können.«

Zarba war erschrocken, als sie den Grafen erkannt sah. Sie trat jetzt vor und sagte:

»Diese Donna irrt sich. Der Kranke ist Anselmo Marcello, ich kenne ihn.« – »Schweig, Betrügerin!« rief Flora. »Herr Maire, ich fordere Sie auf, dieses Weib und den Wärter festzunehmen!« – »Uns?« fragte da Gabrillon mit gut gespielter Entrüstung. »Was habe ich getan? Dieser alte, verrückte Mann ist mein Vetter. Wenn er ein Graf wäre, so wäre er nie wahnsinnig geworden. Die Not und der Hunger haben ihn um den Verstand gebracht. Ich habe ihn aus Mitleid zu mir genommen und soll nun zum Lohn dafür gefangengesetzt werden? Es ist lächerlich!«

Der Maire fühlte sich durch diese Auslassung außerordentlich beleidigt.

»Ruhe!« gebot er. »Was das Gericht und die Polizei tun, das ist niemals lächerlich. Du bist mein Gefangener. Ich verhafte dich und die Zigeunerin im Namen des Gesetzes!« – »Verhaften? Mich?« fragte Gabrillon. »Greift zu, wenn ihr es fertigbringt!«

Er sprang auf den Maire, der das nicht erwartet hatte, zu, stieß ihn zur Seite und flog – nicht die Treppe hinab, wie er beabsichtigt hatte, sondern den Gendarmen in die Arme, die da postiert waren.

»Donnerwetter!« rief er erschrocken. – »Haltet ihn fest!« gebot der Maire. »Durch diesen Fluchtversuch hat er seine Schuld bestätigt. Nehmt auch dieses alte Weib fest. Sie soll uns sagen, wie sie den Grafen hergebracht hat!« – »Ich? Ich soll arretiert werden? Ich, die Unschuldige!« rief Zarba. »Ich bin die Königin der Gitanos, wer will mich richten! Ihr habt in diesem Augenblick die Gewalt mich festzunehmen, aber nicht die Macht, mich festzuhalten.« – »Keine Faselei, Alte!« sagte der Gendarm, der sie beim Arm faßte. »Dein Königreich ist der Bettel, und deine Untertanen sind Lumpen, man wird wenig Federlesens mit dir machen.«

Sie wurde zur Tür hinausgeschoben und, ebenso wie der Leuchtturmwärter, nach dem Gefängnis gebracht. Als sie fort waren, sagte der Beamte:

»Man wird ihnen wegen dieses crimen einen bösen Prozeß machen. Nun aber bitte ich die Herrschaften, sich zu seiner Durchlaucht, dem gnädigen Herzog, zu bemühen, um auch ihn zu fragen, ob er den Grafen erkennt« – »Wir haben noch einen Zeugen, nämlich den Diener des Herzogs«, bemerkte Otto. »Dieser hat früher bei dem Grafen Rodriganda gedient und kennt ihn ebenfalls. Er behauptet, daß Seine Erlaucht unterhalb des linken Ohres ein kleines Mal besitze.« – »Das können wir ja gleich untersuchen!« meinte der Maire, indem er zum Grafen trat und die Stelle betrachtete. »Ja wahrhaftig, hier ist es, das Mal! Er ist's, es ist kein Zweifel mehr. Lassen Sie uns gehen. Ich habe bereits dafür gesorgt daß der arretierte Wärter sogleich ersetzt wird.«

Der Graf ging ohne alles Widerstreben mit ihnen. Als sie das Fischerhaus erreichten, trat ihnen der Diener entgegen.

»Graf Emanuel!« rief er, sobald er diesen erblickte. Und nachdem er die linke Seite des Halses betrachtet hatte, fügte er hinzu: »Hier ist das Mal, meine Herren. Sehen Sie es? Das ist der Beweis, wenn Sie mir sonst nicht glauben wollen.« – »Wir haben das Mal bereits gesehen und glauben Ihnen«, sagte der Maire. »Es ist nur, um gar nichts zu versäumen, daß wir nun auch die Meinung Seiner Durchlaucht hören.«

Als sie beim Herzog eintraten, stand dieser aufrecht mitten in der Stube, und man sah es seinen Zügen an, daß er tief ergriffen war. Er hatte die Männer kommen sehen und den Grafen sogleich erkannt.

»Er ist's!« rief er ihnen entgegen. »Ich erkannte ihn bereits von weitem. O mein Gott, wie muß ich ihn wiedersehen!« – »So sind wir also einig«, meinte der Beamte. – »Ja, er ist's!« wiederholte der Herzog in überzeugendem Ton. Und indem er die Hand des Grafen ergriff, sagte er zu ihm: »Don Emanuel, blicken Sie mich an! Erkennen Sie Ihren Freund Olsunna?«

Der Graf schien gar nicht zu bemerken, daß eine Ortsveränderung mit ihm vorgenommen worden sei. Er nahm auch nicht die mindeste Notiz von seiner Umgebung, er merkte nur, daß gesprochen wurde, und erwiderte:

»Ich bin der treue, gute Alimpo!«

Nun wiederholte sich ganz derselbe rührende Auftritt, der bereits auf dem Turm stattgefunden hatte, bis endlich Otto den Maire fragte:

»Sie sind hoffentlich nun überzeugt, daß ein Irrtum nicht obwalten kann?« – »Gewiß, Monseigneur! Ich werde sofort nach meiner Heimkunft das Protokoll abfassen, und dann ist es meine Pflicht, nach Rodriganda zu berichten, daß man einen falschen Toten an Stelle des Grafen beerdigt hat, da derselbe hier bei uns aufgefunden worden sei. Aber, meine Herrschaften, wie verfügen Sie über den Wahnsinnigen? Soll auch hier die Behörde eingreifen, oder ...« – »Nein, er bleibe bei uns!« sagte Flora. »Nicht wahr, lieber Papa?« – »Das versteht sich ganz von selbst«, antwortete der Gefragte. »Wir werden uns dann überlegen, was weiter zu geschehen hat.« – »Ich rate davon ab, ihn vorläufig wieder nach Spanien zu schicken und dadurch seinen Feinden wieder zu überliefern«, warnte Otto. »Wir reisen ja nach Deutschland und nehmen ihn mit, um ihn Donna Rosa, seiner Tochter, zu überbringen.« – »Das ist das allerbeste, was wir tun können«, stimmte der Herzog bei. – »Nun, dann bin ich beruhigt«, meinte der Maire. »Ich gehe jetzt, meine Pflicht zu erfüllen. Zu einem Verhör der Gefangenen ist es heute zu spät, ich werde es indessen morgen früh sofort vornehmen und Ihnen die Stunde anzeigen, da ich mir denken kann, daß Sie dabeisein wollen.«

Er empfahl sich, und nun wurde sofort nach der Stadt geschickt, um den Grafen mit anderen Kleidern und Wäsche zu versehen, er war in dieser Beziehung mehr als vernachlässigt worden. Dies war zum Anbruch des Abends geschehen, und nun saß der Graf bei den Freunden, ohne sie zu erkennen, ohne zu ahnen, was mit ihm vorgegangen war.

Sie besprachen sich darüber, ob es ratsam sei, seine Tochter sofort zu benachrichtigen. Nach längerer Überlegung beschlossen sie, es nicht zu tun. Der freudige Schreck hätte auf Rosa eine nachteilige Wirkung ausüben können. Und übrigens war vorauszusehen, daß Rosa die Ankunft nicht erwarten, sondern von ihrer Sehnsucht nach dem Vater getrieben werden würde, die weite Reise nach Frankreich zu unternehmen. Darum schrieb Flora mit Zustimmung der beiden Männer folgenden Brief nach Rheinswalden:

 

»An Frau Rosa Sternau in Rheinswalden bei Mainz.

Geehrte Dame!

Ich befinde mich meiner leidenden Gesundheit wegen in dem hiesigen Bad, doch haben weder der Brunnen noch die Ärzte es vermocht, den Fortschritt der Krankheit aufzuhalten. Da gefiel es Gott, mir Ihren Herrn Gemahl als Retter zu senden. Er kam auf seiner Jacht aus Greenock in Schottland, um hier Kohlen einzunehmen und dann weiterzufahren. Während seiner Anwesenheit gelang es ihm, mir neue Hoffnung einzuflößen, und ich befinde mich infolge der mir von ihm verabreichten Mittel bedeutend wohler, so daß ich fast die volle Überzeugung habe, durch ihn zu genesen.

Zur Genesung nun hat er mir eine Ortsveränderung anbefohlen. Ich soll mit meiner Tochter nach Deutschland an den Rhein. Und zwar wurde mir von ihm Rheinswalden vorgeschlagen. Er gab mir die Versicherung, daß mein Aufenthalt daselbst keine Beschwerden verursachen werde, und hat mich mit Empfehlungsbriefen an seine Frau Mama und den Herrn Hauptmann von Rodenstein versehen. Dann reiste er ab. Wohin sein Kurs gerichtet ist, darüber werden wohl die beiden Briefe Auskunft erteilen. Nachdem er uns verlassen hatte, kamen wir zur Kenntnis eines eigentümlichen Umstands, der für ihn wohl von großem Interesse gewesen wäre. Der Maler Otto von Rodenstein, der sich hier aufhält, ist der Verlobte meiner Tochter. Wir sprachen mit ihm von Ihrem Herrn Gemahl und erfuhren so einiges von den Verhältnissen, infolge deren Sie sich gegenwärtig in Deutschland befinden. Wir erfuhren, daß sich an einem Ort ein Wahnsinniger befinde, den man zu verbergen trachte und der immer nur die Worte sagt. ›Ich bin der treue, gute Alimpo!‹

Herr Rodenstein telegrafierte an Sie, um sogleich zu erfahren, ob es dieselben Worte seien, die Ihr Herr Vater, der Graf Emanuel, ausspreche, und ihre Antwort bestätigte dies. Nun haben wir sogleich mit unseren Recherchen begonnen und werden Ihnen den Erfolg derselben mitteilen.

Wollten Sie uns gestatten, diese Mitteilung mündlich zu machen, so würden wir sehr erfreut sein. Wir werden nach Verlauf einer Woche in Begleitung des Herrn von Rodenstein in Mainz eintreffen und dann auch erfahren, ob die Befolgung der Anordnung des Herrn Doktor Sternau auf Schloß Rheinswalden wirklich nicht mit Belästigungen für Sie verbunden ist.

Indem ich mich und meine Tochter Ihrer Güte empfehle, habe ich die Grüße des Herrn von Rodenstein beizufügen und zeichne

mit der vorzüglichsten Hochachtung
Baron Franz von Haldenberg.«

 

Dieser Brief wurde noch am Abend zur Post gebracht, und es stand zu erwarten, daß er ganz den Eindruck hervorbringen würde, den man beabsichtigte.


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