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11. Kapitel.

Am Nachmittag hatte sich Kurt abermals bei dem Oberförster einzustellen; er erhielt um diese Zeit Unterricht von ihm. Er machte sich also in Pelzjacke und Pelzmütze auf den Weg zu ihm, klopfte wie gewöhnlich an und trat auf das »Herrrrrein!« des Alten ein.

»Guten Tag, Herr Hauptmann!« – »'n Tag! Was gibt's?« – »Stunde, Herr Hauptmann.« – »Heute ist keine«, brummte der Oberförster. »Werde mir eine Stunde geben.«

Er saß auf seinem Stuhl und starrte durch das Fenster; erst nach langer Zeit wandte er sich zu dem Knaben und fragte:

»Hast du mit Ludwig gesprochen über den Wolf?« – »Ja.« – »Was sagte er?« – Ich darf es nicht sagen, Herr Hauptmann, weil ich es versprochen habe.« – »So! Das muß ich gelten lassen. Aber ich kann mir trotzdem denken, wovon die Rede gewesen ist. Von Geistern und Gespenstern. Hm! Junge, glaubst du, daß ein Tier verschwinden kann?« – »Ja, Herr Hauptmann, wenn es fortläuft oder fortgeschafft wird.« – »Hm, nicht übel! Heute ist uns unser Wolf verschwunden.« – »So ist er fortgelaufen oder fortgeschafft worden.« – »Könnte ich diesen Halunken nur erwischen! Ein gescheiter Kerl ist er. Ich gäbe gleich zehn Taler darum, wenn ich ihn bekommen könnte!« – »Den Wolf oder den Kerl, Herr Hauptmann?« – »Den Kerl zunächst.« – Ich kenne ihn.«

Da sprang der Hauptmann auf.

»Wer ist es?« – »Ich darf es nicht sagen.« – »Donnerwetter! Hast du etwa auch ihm Verschwiegenheit versprochen?« – »Ja. Sagen darf ich nichts; aber zeigen darf ich dem Herrn Hauptmann etwas, woraus sich gleich erraten läßt wer der Kerl gewesen ist.« – »Kerl, ich will nicht hoffen, daß du mit mir Unsinn treibst!« – »Es ist mein Ernst.« – »Wo ist das, was ich sehen soll?« – »Drüben bei uns.« – »So gehe ich gleich mit jetzt gleich.« – »Herr Hauptmann, darf der Ludwig mit? Es ist auch für ihn.« – »Gut meinetwegen!« – »Und die anderen? Ich bitte darum!« – »Nun gut sie mögen mitlaufen, alle miteinander. Aber der Teufel soll dich holen, wenn es dir vielleicht einfallen sollte, Unsinn zu treiben!«

Sie brachen auf; die Burschen wurden gerufen, und nun ging es in Gesamtheit hinüber in den Hof des Vorwerks. Dort stand der Steuermann, der große Augen machte über den Zug, der bei ihm einwanderte. »Guten Tag, Herr Hauptmann!« grüßte er ehrfurchtsvoll. – »'n Tag! Wißt ihr, was wir hier wollen?« – »Nein.« – »Uns von eurem Jungen an der Nase führen lassen!« – »Das mag ihm ja nicht einfallen!« – »Will's ihm auch nicht raten!«

Kurt jedoch machte eine triumphierende Armbewegung und sagte zu seinem Vater:

»Hier, Papa, hast du den Schlüssel. Mache dem Herrn Hauptmann den Holzstall auf!«

Der Steuermann nahm den Schlüssel.

»Ah«, sagte er, »endlich klärt sich das Geheimnis auf!« – »Ein Geheimnis?« fragte der Hauptmann. – »Ja. Er hat hier etwas versteckt; wir werden es aber sogleich sehen.«

Helmers öffnete und trat zur Seite, um dem Hauptmann den Vortritt zu lassen. Dieser trat ein, blieb unter der Tür stehen und war einige Augenblicke lang ganz sprachlos.

»Himmeldonnerwetter!« rief er endlich; aber der Steuermann sah nur des Hauptmanns Rücken und merkte daher nicht, ob dies ein Ruf des Zorns oder der Überraschung sei. Er warf aber seinem Sohn einen drohenden Blick zu und fragte: »Was ist's, Herr Hauptmann?« – »Kreuzhimmeldonnerwetter!« – »Herr Hauptmann«, sagte Helmers, »wenn der Bube eine Dummheit gemacht hat, so ...«

Da drehte sich der Alte endlich um. Sein Gesicht strahlte vor freudigem Erstaunen, und er unterbrach den Steuermann:

»Mund halten! Ludwig, er hat ihn!« – »Wen?« fragte der Bursche. – »Rate!«

Ludwig sann eine Weile nach und erwiderte:

»Ja, wer soll sich das denken!« – »Nun, den wir heute suchten!«

Da machte der Bursche eine sehr bestürzte Miene und sagte:

»Doch nicht etwa gar den Wolf!« – »Ja, ihn gerade!« – »Den Geisterwolf?« – »Den Geisterwolf, du Esel!« lachte der Oberförster grimmig und wollte soeben beiseite treten, um den anderen einen Einblick in den Holzstall zu lassen, als in demselben Augenblick der Briefträger durch das Hoftor eintrat. Aller Augen richteten sich auf ihn. Als er den Oberförster sah, fragte er:

»Herr Hauptmann, soll ich Ihre Briefe hinübertragen, oder darf ich sie sogleich hier abgeben?« – »Gib her!«

Der Briefträger übergab dem Oberförster nunmehr einige Briefe, darunter ein großes, amtlich versiegeltes Kuvert.

»Vom großherzoglichen Oberforstamt!« sagte letzterer erstaunt. »Und ein ›Eilig‹ darauf. Das muß sofort gelesen werden!«

Er steckte die anderen Briefe in die Tasche, öffnete diesen einen und las ihn durch. Sein Gesicht erhielt dabei einen ganz eigentümlichen Ausdruck. Als er fertig war, rief er:

»Da schlage doch ein hundertneunundneunzigtausendfaches Wetter drein!« – »Eine Hiobspost, Herr Hauptmann?« fragte Helmers. – »Nein, eine solche Freudenpost, daß man unbedingt fluchen muß. Hört einmal!«

Der Oberförster stellte sich in Positur, noch immer unter der Stalltür, so daß niemand hineinsehen konnte, und las langsam mit erhobener Stimme folgendes:

 

»An den Herrn Oberförster Kurt von Rodenstein,
Hauptmann a.D., auf Rheinswalden.

Geehrter Herr!

Nachdem die Strenge des Winters auch aus den Ardennen und anderen Bergen und Wäldern allerlei ebenso seltenes wie schädliches Raubzeug herbeigeführt hat, so werden Unsere Ober- und Unterforstämter hiermit bedeutet, allen Ernstes gegen dasselbe vorzugehen.

Wie vernommen, lassen sich hier und da Wölfe sehen; also teilen wir mit, daß demjenigen, der das erste dieser Tiere im Bereich unseres Landes schießt, eine Prämie von zwanzig Talern, jedem folgenden aber eine solche zu fünf Talern angezahlt werden soll. Zu unserem großen Erstaunen vernehmen wir, daß vorgestern in der Gegend von Winnweiler gar ein Luchs gesehen worden ist, ein Tier von der Gattung, die man Rotluchs nennt. Da nun dieses Tier ohne allen Zweifel das schädlichste Raubtier in Europa ist und auch höchst gefährlich für den Menschen, so ergeht an alle unsere Forstbeamten die Weisung, dasselbe unverweilt aufzusuchen und zu erlegen. Derjenige, der es erlegt, soll einen Ehrenpreis von hundert Talern erhalten, und soll die Meldung sofort anhero an Unsere Oberforstdirektion geschehen. Wonach genau zu achten und sich zu verhalten! Geschehen zu

Darmstadt, den

»Großherzogl. Oberforstdirektion.

Postskriptum:

Zum Erweise der Wahrheit sind von jedem Wolfe die beiden Ohren, von dem Luchse aber das ganze Fell nach hier abzuliefern, welches letztere noch extra nach Preis und Umständen honoriert werden soll.

D. O...«

 

Man kann sich kaum denken, welchen Eindruck der Inhalt dieses Schreibens auf die Burschen machte.

»Ein Luchs!« rief Ludwig. »Unmöglich!« – »Ist seit Menschengedenken noch gar nicht vorgekommen«, sagte einer zweiter. – »Wir müssen sofort eine große, allgemeine Streife vornehmen«, meinte ein dritter. – »Juchhe, hurra!« rief ein vierter, und dieser vierte war kein anderer als Kurt.

Der Oberförster warf ihm einen verweisenden Blick zu und sagte zu ihm:

»Halte den Schnabel, Junge! Bei solcher Streiferei mußt du hübsch zu Hause bleiben! Aber diese Streiferei ist gar nicht notwendig, denn hört, ihr Leute, wir haben sie!« – »Wen?« wagte Ludwig zu fragen. – »Den Wolf und auch den Luchs.« – »Den Wolf und auch den L...«

Das Wort blieb dem braven Gehilfen im Mund stecken.

»Ja, seht her.«

Der Oberförster trat zur Seite und ließ den Zutritt frei. Die Leute gingen in den Schuppen, und sofort erscholl ein vielstimmiger Ruf der höchsten Verwunderung.

»Gottstrombach, es ist wahr dahier!« rief Ludwig. – »Weiß Gott, der Wolf!« rief einer zweiter. – »Und der Luchs!« fügte ein dritter hinzu. – »Ja, sie sind es«, sagte der Oberförster triumphierend. »Jungens, ihr sollt heute einen Grog kriegen, der sich gewaschen hat, da mir die Ehre zuteil wird, daß dieses Zeug auf meinem Revier erlegt wurde.« – »Hallo, hurra, der Herr Hauptmann!« riefen alle. – »Aber«, fragte dieser den Steuermann, »wo ist denn der Wendelin oder der alte Stengler, he?«

Er meinte seine beiden Unterbeamten.

»Habe sie nicht gesehen, Herr Hauptmann«, antwortete der Gefragte. – »Sie waren also heute nicht zu Hause?« – »Ich bin heute nicht vom Hof fortgekommen.« – »So müssen Sie doch die Förster gesehen haben oder einen von ihnen.« – »Nein.« – »Na, wer soll denn sonst das Viehzeug gebracht haben?« – »Der alte Klaus.« – »Der alte Klaus?« fragte der Hauptmann erstaunt. »Wer hat ihn denn geschickt? Doch nur der Stengler oder der Wendelin. Ein anderer hat die Tiere doch nicht erlegt.« – »Herr Hauptmann, fragen Sie den da.«

Helmers zeigte auf seinen Sohn.

»Den da, Dummheit! Was hat der damit zu tun?« – »Er ging mit seinem Hinterlader in den Wald und ...« – »In den Wald? Wann denn?« – »Gleich als er von Ihnen kam.«

Das Gesicht des Alten verfinsterte sich.

»Ich habe es ihm ja verboten. Der Sakkermenter, er soll seine Strafe erhalten. Wollte der dumme Junge mit auf die Wolfshatz gehen! Aber weiter, Steuermann.« – »Also«, sagte dieser, »er ging mit seinem Hinterlader in den Wald und kam erst nach ungefähr anderthalb Stunden wieder ...« – »Der Bengel!« rief der Oberförster zornig. »Anderthalb Stunden! Der Wolf konnte ihn packen oder gar der Luchs ihn zerreißen! Weiter!« – »Er brachte den alten Klaus mit ...« – »Ah, jetzt kommt's!« – »Sie hatten auf einem Schlitten eine Last, die mit Reisig zugedeckt war. Ich sollte nicht wissen, was es war, und da versteckten sie es hier im Holzstall. Jetzt nun ist's der Luchs und der Wolf.« – »Und wo ist der Klaus?« – »Gleich wieder fort.« – »Er hat aber doch gesagt, welcher Förster das Zeug schickt?« – »Nein, kein Wort.« – »Dummheit von dem alten Kerl. So etwas vergißt man doch ganz und gar nicht.«

Nun wandte er sich an Kurt und sagte:

»Hat er es dir gesagt, Junge?« – »Nein.« – »Hast auch nicht gefragt?« – »Nein.« – »Donnerwetter, nach so etwas fragt man doch! Warum hast du den Mund nicht aufgetan?«

Der Knabe tat sich eine innerliche Güte, alle diese Leute so auf die Folter zu spannen.

»Weil ich es eher wußte als der Klaus, wer es gewesen ist«, lachte er. – »Du weißt es? Nun, heraus damit!«

Sie alle lauschten in gespannter Erwartung auf den Namen.

»Ich selber!« sagte er triumphierend. – »Du sel... Junge, mache keine Faxen, sonst fuchtele ich dich!« schrie der Hauptmann. – »Es ist wahr!« – »Kurt!« warnte sein Vater. – »Es ist aber doch wahr!« behauptete er.

Sie standen alle sprachlos um ihn her. Der Hauptmann war ganz außer Fassung.

»Junge, entweder bist du ein verdammter Lügner, oder du hast den Teufel!« rief er. »Sag, wie ist es!« – »Ich habe sie geschossen, Herr Hauptmann!« – »Alle beide?« – »Alle beide!«

Da machte Ludwig drei Kreuze und meinte:

»Er hat Gottstrambach den Teufel! Sonst ist's nicht die Möglichkeit dahier!« – »Kerl«, sagte der Oberförster, der das unmöglich begreifen konnte, »wenn du uns jetzt belügst, so ist es aus, du mußt mir von Haus und Hof!«

Da endlich ging dem Jungen die Geduld aus. Er machte ein finsteres Gesicht, stampfte mit dem Fuß und erwiderte:

»Sie brauchen mich gar nicht fortzujagen, ich gehe schon von selber!« – »Ah!« – »Ja, ich gehe jetzt gleich. Wer da denkt, daß ich wegen eines lumpigen Wolfes und wegen einer alten Katze ein Lügner werde, der hat's bei mir weg. Da muß ja auch einmal ein Kreuzhimmeldonnerwetter dreinschlagen. Verstanden?«

Kurt drehte sich um und ging in das Haus. Die anderen standen da, ganz perplex vor Erstaunen. So etwas ging ihnen doch über alle Begriffe, sogar dem Hauptmann selbst. Der Steuermann zitterte fast in Erwartung dessen, was nun kommen werde. Er wußte, daß sein Sohn kein Lügner sei, aber er konnte auch nicht glauben, daß so ein Knabe zwei solche Tiere erlegen könne, noch dazu in so kurzer Zeit.

Da endlich faßte sich der Hauptmann, holte tief Atem und sagte:

»Himmelbataillon, hat der es mir gesteckt. Helmers, laufe Er und hole Er ihn mir rasch!«

Er beachtete nicht, daß er in seiner Aufregung Er anstatt Sie gesagt hatte.

Der Steuermann ging in die Stube und brachte den Knaben, der ein sehr trotziges Gesicht machte.

»Also, du bist es wirklich gewesen, Schlingel?« fragte Rodenstein. – »Ich hab's schon zehnmal gesagt, ich sage es nicht wieder!« klang die zornige Antwort. – »Holla, Kerl, zanke nicht.« – »Brechen Sie das Viehzeug auf,« rief Kurt, »so werden Sie meine Kugeln finden!« – »Ach ja, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wie sind sie denn getroffen worden?«

Er bückte sich nieder und untersuchte zuerst den Wolf.

»Sapperment, im Feuer zusammengebrochen!« sagte er. »Die Kugel ist ihm vorn gerade ins Herz gegangen. Das ist brav! Besser schieße ich selber nicht. Und der Luchs?« – »Er hat zwei Schüsse«, sagte Kurt. – »Wo?« – »Ich sehe sie von weitem.« – »Ah, ich glaube gar, der Junge untersteht es sich, mir eine moralische oder intellektuelle Maulschelle zu geben. Ja, da sind die Schüsse, der eine von der Seite in die Lunge, und der andere gerade von vorn ins Herz. Drei Meisterschüsse! Junge, wenn du sie getan hast, so hast du den Teufel. Es ist kein Zweifel daran!« – »Er hat ihn!« murmelte Ludwig.

Dabei blickte er aber doch mit Stolz auf Kurt, der ja sein Zögling war.

»Erzähle einmal!« gebot der Hauptmann.

Der Knabe stellte sich in Positur. Er hatte seine gute Laune wiedergefunden, und sein Gesicht glänzte vor Freude und Genugtuung, als er begann:

»Also ich ging in den Wald ...« – »Das solltest du aber doch nicht«, unterbrach ihn der Hauptmann. – »Nun gerade ging ich, denn Sie sagten, daß der Wolf mich fressen werde. Ich nahm meine Büchse und sagte, daß ich Krähen schießen wolle.« – »Schöne Krähen! Gott sei Dank, daß alles gut abgelaufen ist, wie man sieht!« – »Ich machte einen Umweg durch die Erlen und ging dann nach dem Eichberg, ich wollte nach dem Forellenbach.« – »Wie schlau! Wir sollten seine Spur nicht sehen, Junge, du hast wahrhaftig den Teufel im Leib!«

Ludwig machte abermals drei Kreuze und murmelte:

»Er hat ihn! Aber ein tüchtiger Kerl ist er dennoch dahier.«

Kurt fuhr fort:

»Da krachte ein Baum, ich blickte hin und sah den Wolf. Ich sprang sogleich hinter die nächste Eiche.« – »Wie weit war das Vieh von dir?« – »Dreißig Schritt.« – »Ah, ein prächtiger Schuß!« – »Ich ließ den Wolf bis auf zwanzig herankommen ...« – »Und hast nicht gezittert?« – »Warum zittern?« fragte der Knabe aufrichtig. »Ich wußte doch, daß ich ihn gut treffen werde. Ich legte an und drückte ab, da brach er zusammen. Er wollte noch einmal auf, aber es ging nicht, er fiel mausetot um.« – »Ein Kapitalschuß! Junge, ich glaube, du wirst in deinem Leben nicht erfahren, was Angst ist oder Furcht. Weiter!« – »Ich lud meinen Lauf wieder ...« – »Natürlich!« – »Und guckte mir dann den Wolf an. Erst wollte ich ihn mitnehmen, ich hatte eine Leine und konnte ihn schleifen, aber ich dachte, Sie würden kommen und ihn finden.« – »Sapperment, das Kerlchen hat uns ärgern wollen«, lachte Rodenstein. – »Ja, weil Sie gesagt hatten, daß der Wolf mich fressen würde«, gestand Kurt aufrichtig. »Nachher ging ich noch ein bißchen in die Eichen hinein. Ich dachte, ich könne vielleicht einen Waldhasen schießen. Aber der Schnee war tief, und ich wurde müde. Da setzte ich mich auf die Blutbuche, die neben den zwei großen Eichen umgebrochen ist« – »Ah, dort!« nickte der Oberförster. – »Da hörte ich etwas kommen...« – »Im Schnee?« – »Nein, sondern oben im Geäst. Ich sah hin und dachte, es wäre eine wilde Katze. Das Vieh wollte seitwärts vorüber, es sprang von Ast zu Ast. Ich duckte mich aber unter die Buche und zielte, und als es springen wollte, hatte ich einen guten Schuß, der Luchs fiel zu Boden ...« – »War aber nicht tot?« – »Nein.« – »Ja, solch Zeug hat ein zähes Leben. Aber du warst in Lebensgefahr, Bursche, denn der Luchs springt sogar dem stärksten Mann nach dem Kopf.« – »Oh, er kam auch, aber ich gab ihm die zweite Kugel. Er sprang bis jenseits des Buchenstamms, da legte ich die Büchse weg und zog mein Messer.« – »Wetterjunge! Schulgerecht wie ein Oberforstmeister. Glücklicherweise war es mit dem Vieh vorüber?« – »Es kratzte und schlug nach mir, aber es konnte nicht mehr über den Stamm herüber. Es fauchte, schrie noch ein wenig, und dann war es tot!« – »Eine Heldentat, eine wirkliche Heldentat für so einen Jungen! Ich bleibe dabei, er hat den leibhaftigen Gottseibeiuns!«

Ludwig bekreuzigte sich abermals und murmelte:

»Den Beelzebub; er hat ihn ganz gewiß dahier, der gute, wackere Junge!«

Kurt fuhr fort:

»Da kam der Klaus dazu. Er wollte gar nicht glauben, daß ich einen Wolf und einen Luchs geschossen. Er hatte den Schlitten mit, und ich versprach ihm einen Taler, wenn er mir das Viehzeug nach dem Vorwerk schaffen wolle. Mein Papa hat ihn bezahlt.« – »Aber wie kam es, daß wir deine Spur nicht fanden? Nicht einen Tapfen haben wir gesehen.« – »Der Klaus mußte alle meine Tapfen austreten.« – »Ah, wie schlau! Der Junge hat uns richtig an der Nase herumgeführt! Na, Bube, ich werde mich abfinden. Doch später davon. Jetzt, Steuermann, sagen Sie mir zunächst einmal, was wir mit ihm machen. Soll er seine Prügel bekommen?« – »Hm!« antwortete dieser. »Er hat sie eigentlich verdient. Ein Glück ist's, daß meine Frau nach der Stadt ist; sie wäre vor Angst gestorben!« – »Ja, da stehen die Hasen am Berg. Er hat sich die Prämie verdient und auch die Strafe. Na, das wollen wir uns noch überlegen. Jetzt das Notwendigste: die Ohren des Wolfs und den Pelz des Luchses. Wir müssen uns mit dem Wolf beeilen, weil es mehrere geben soll, sonst kommt uns ein anderer zuvor, und zwanzig Taler oder fünf, das ist doch ein Unterschied. Ludwig, du bist der beste Reiter ...« – »Herr Hauptmann, das will ich meinen dahier!« sagte der Angeredete. – »Sattele den Braunen. Ich werde den Bericht schreiben, und dann reitest du sofort nach Darmstadt.«

Ludwig tat einen Freudensprung.

»Zum Oberforstdirektor?« fragte er. – »Ja.« – »Mit den Ohren und dem Fell?« – »Natürlich, und mit meinem Bericht.« –

»Sapperment, das wird fein. Darf ich meine Staatsuniform anziehen?« – »Das mußt du sogar. Du kommst ja zur Audienz. Ich gebe dir übrigens einen Taler Auslösung.« – »Danke! Und soll ich erzählen, wer das Zeug geschossen hat?« – »Natürlich!« – »Vorwärts! Knöpfe putzen!«

Ludwig sprang davon, um sich in Wichs und Glanz zu werfen, und in einer halben Stunde ritt er zum Tor hinaus, das Fell hinter sich auf das Pferd geschnallt.


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