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33. Kapitel.

Unterdessen schritt der Hauptmann an der Seite des Herzogs im Gespräch dahin. Er fühlte sich hoch geehrt, einen solchen Mann als Gast bei sich sehen zu dürfen, und war ganz entzückt von dem einfachen, anspruchslosen Wesen desselben. Man begab sich in die Stallungen und besichtigte die Wirtschaftsräume, man ging sogar ein Stück in den Wald hinein. Dabei fand der brave, wenn auch etwas schroffe Hauptmann Gelegenheit, sich auszusprechen, und als er dann später in sein Zimmer zurückkehrte, fühlte er sich so glücklich wie noch selten in seinem Leben, und der bei ihm eintretende Gehilfe Ludwig Straubenberger, der eine dienstliche Meldung zu machen beabsichtigte, fand den Oberförster in einer ganz selten guten Laune. Ja, dieser ließ sich sogar so weit herab, daß er fragte:

»Wie gefallen dir unsere Gäste, Ludwig?« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann, ganz ausgezeichnet dahier.« – »Der fremde Herr?« – »Der Baron, ein feiner Kerl!« – »Baron? Pah, ein Herzog ist er.« – »Ein Herzog? Donnerwetter!« rief der brave Ludwig ganz erstaunt.

»Ja, ein Herzog. Er ist nur inkognito gekommen, wie es bei solchen hohen Herrschaften Mode ist.« – »Eine hübsche Mode, Herr Hauptmann! Unsereiner bringt kein Inkognito fertig.« – »Ich wollte es mir auch sehr verbeten haben, daß du einmal so inkognito zu mir kämest! Und seine Tochter – Was sagst du zu ihr?« – »Hm!« schmunzelte der Gehilfe, daß ihm die Backen breit wurden. – »Was denn, hm?« – »Ein ganz famoses Frauenzimmer! Fast so schön wie unsere liebe Gräfin, Frau Sternau, dahier!« – »Dummheit! Sie ist ebenso schön wie sie. Die Schönheiten sind nämlich ganz und gar verschieden. Man teilt sie in verschiedene Kompanien, Bataillone, Regimenter und Divisionen ein. Es gibt schwarze, braune und blonde Schönheiten, es gibt auch große und kleine, dicke und dünne Schönheiten, es gibt endlich feurige und schmachtende, zärtliche und zurückhaltende, stolze und bescheidene Schönheiten, es gibt Rosen und Veilchen, Himmelschlüssel und Disteln, Klatschrosen und Vergißmeinnicht unter den Schönheiten, es gibt endlich echte und künstliche, süße und saure Schönheiten.« – »Brrr!« – »Ja, brrr! Du hast recht. Wir wollen beide Gott danken, daß wir von diesen sauren nichts zu kosten haben! Aber diese herzogliche Prinzessin hat es mir wahrhaftig angetan. Hätte ich einen Sohn, und wäre ich ein Herzog, so ...«

Er stockte mitten in der Rede. Es war bei ihm seit langer Zeit nicht vorgekommen, daß er das Wort Sohn ausgesprochen hatte, jetzt war es ihm doch entschlüpft, und halb zornig, halb verlegen darüber, fuhr er den Gehilfen an:

»Nun, was stehst du noch da? Wir sind fertig. Oder denkst du etwa, daß ich meinen Vortrag über die Schönheiten gerade dir gehalten habe? Ich dachte, du wärst längst hinaus. Pack dich!« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann!«

Der brave Ludwig ging. Er war diesen Ton bei seinem Herrn längst gewöhnt und nahm sich dergleichen Schroffheiten nicht zu Herzen. Draußen auf dem Korridor traf er auf die schöne Prinzessin, von der soeben die Rede gewesen war. Er stellte sich an die Wand, um sie vorüber zu lassen, aber sie blieb bei ihm stehen und fragte:

»Wie ich beim Diner sah, haben Sie die Bedienung bei Tafel?« – »Ja«, antwortete er. – »Heute abend beim Souper auch wieder?« – »Ja.« – »Können Sie schweigen?« – »Ganz fürchterlich dahier!« beteuerte Ludwig mit Nachdruck. – »Nun, so will ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen. Herr Otto von Rodenstein befindet sich hier in Rheinswalden ...« – »Donnerw – Sapperm – Herrjeh, wollte ich sagen! Entschuldigen Sie dahier! Aber der junge Herr darf ja gar nicht nach Rheinswalden!« – »Leider! Aber ich hoffe, daß sich dies heute noch ändern wird. Er befindet sich jetzt drüben bei Frau Helmers. Wenn ich Ihnen heute abend beim Souper einen Wink gebe, so springen Sie eiligst hinüber, um ihn zu holen. Lassen Sie dann die Tür nur angelehnt, so wird er unsere Unterhaltung hören und wissen, wann er einzutreten hat. Wollen Sie das tun?« – »Das versteht sich dahier ganz von selbst«, versicherte Ludwig.

Flora nickte ihm freundlich zu und ging weiter. Er blickte ihr lange nach und brummte dann vor sich hin:

»Ja, ja, der Herr Hauptmann hat ganz recht, diese Herzogin hat es auch mir angetan. Wäre mein Vater nicht ein Holzhacker, sondern ein Herzog gewesen dahier, so wüßte ich, was ich täte. Wollen täte sie mich schon, denn ich bin kein unebener Kerl, und sie hat mich ganz freundlich angelacht. So eine könnte manchmal auch ein bißchen sauer sein, die macht man bald wieder süß! Also der junge Herr ist da! Hm! Das wird einen schönen Skandal geben; aber ich tue ihr doch den Gefallen und hole ihn. Für so eine holte ich meinetwegen den Teufel bei den Ohren herbei, besonders wenn sie einen so zärtlich anblickt, wie mich eben!«

Es gab zwischen den Bewohnern des Schlosses und ihren Gästen so viel zu erzählen, daß der Nachmittag sehr schnell verging. Zur Abwechslung mußte der kleine Kurt Helmers erscheinen, um seine Künste zu zeigen. So kam der Abend heran und mit ihm das Souper, bei dem man recht munter war. Der Herzog fühlte sich fast gar nicht mehr als Patient; eine frohe Nachricht hatte ihm seine frühere Spannkraft fast ganz zurückgegeben. Flora hatte ihm nämlich ihre Unterredung mit Frau Sternau mitgeteilt; kurz vor dem Souper hatte eine ähnliche Unterredung stattgefunden, sie war zwar nur sehr kurz gewesen, aber Frau Sternau hatte angedeutet, daß sie entschlossen sei, dem Glück so vieler nicht entgegenzutreten. Auch das hatte der Herzog natürlich sofort erfahren, und er beschloß nun, den alten Hauptmann durch einen Handstreich zu überrumpeln, um jede Abweisung von vornherein abzuschneiden.

Die während des Essens auf ihn mild und versöhnlich gerichteten Augen der einstigen Gouvernante, der sanfte Ton ihrer Stimme hatten ihm Mut gemacht. Er war heiter gestimmt, und als von seiner Krankheit die Rede war und von der Hoffnung, da er hier in Rheinswalden vollständig genesen werde, da sagte er:

»Gerade deshalb hat mich der Herr Doktor Sternau hergeschickt, und ich danke ihm herzlich dafür; aber es gibt noch einen zweiten Grund meines Kommens, er bezieht sich auf Sie, Herr Hauptmann.« – »Auf mich?« fragte dieser. »Darf ich ihn erfahren, Durchlaucht?« – »Freilich! Meine Tochter steht nämlich im Begriff, sich zu vermählen, und da ich dann einsam sein werde, habe ich, um diesem zu entgehen, mich entschlossen, denselben Schritt zu tun wie sie.« – »Sich zu vermählen?« fragte der Hauptmann. – »Ja«, antwortete der Herzog.

Frau Sternau wußte, was nun kommen werde, und gab sich alle Mühe, ihre Bewegung zu verbergen. Flora aber gab Ludwig den betreffenden Wink, worauf er sofort aus dem Speisesaal verschwand.

»Zwar bin ich nicht mehr jung«, fuhr Olsunna fort, »und habe mich von meinem Leiden noch nicht ganz erholt, doch hoffe ich, bald wieder rüstig zu sein und dann die Befähigung zu besitzen, jenes heitere Glück genießen und geben zu können, das auf gegenseitiger Achtung und freundlicher Zuneigung beruht. Ich habe auch bereits gewählt, nicht eine Spanierin, sondern eine Deutsche, die auch zu dem Kreis Ihrer Bekannten zählt, Herr Hauptmann.« – »Ah, wirklich? Wer ist es?« fragte dieser, vor Erstaunen gar nicht überlegend, daß er mit seiner Frage eine große Indiskretion begehe. – »Ich werde es Ihnen nachher mitteilen. Sie wissen, daß es Gepflogenheit ist, sich in solchen Angelegenheiten an einen Fremden zu wenden, der das Amt eines Freiwerbers übernimmt. Ich hoffe, Sie glauben meiner aufrichtigen Versicherung, daß ich Sie als meinen Freund betrachte, und so kenne ich keinen geeigneteren Herrn, mich ihm anzuvertrauen, als Sie, mein bester Herr Hauptmann. Wollen Sie die Werbung für mich übernehmen?«

Der Oberförster machte ein Gesicht wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er saß mit weit geöffnetem Mund da, er war ganz perplex. Er sollte den Freiwerber für einen Herzog machen! Er, der einfache Hauptmann außer Dienst! Welche Ehre! Sein Selbstgefühl dehnte sich ins Unendliche und gab ihm die Fassung zurück. Er sprang rasch auf und rief eifrig:

»Mit allergrößtem Vergnügen, Durchlaucht! Ich werde meine Sache so schön machen, wie kein anderer; ich werfe mich in die feinste Gala; befehlen Sie über mich! Und der Teufel soll das Frauenzimmer holen, das es wagt, Sie nicht zu mögen!«

Alle, sogar Frau Sternau, lachten über diese drastische Äußerung, zu welcher der Hauptmann sich von seinem Eifer hatte hinreißen lassen.

»Einer besonderen Galauniform bedarf es nicht mein bester Herr von Rodenstein«, sagte der Herzog. »Die Dame, die ich meine, ist sehr anspruchslos; Sie können Ihres Amtes gerade in demselben Kostüm walten, das Sie gegenwärtig tragen. Darf ich Ihnen die Zeit angeben, wann ich die Werbung von Ihnen getan wünsche?« – »Jawohl, jawohl! Ich bin in jedem Augenblick bereit!« – »Nun gut, so haben Sie die Güte, sofort zu beginnen.« – »Sofort? Wie meinen Sie das, Exzellenz?« – »Ich meine, daß Sie jetzt, in dieser Minute, die betreffende Dame fragen sollen, ob sie mich mit ihrer Hand und dadurch uns alle beglücken will.« – »Jetzt! In dieser Minute! Die betreffende Dame!« rief der Hauptmann ganz verwirrt. »Das klingt ja, als ob die Dame sich hier befände.« – »Allerdings befindet sie sich hier. Flora, du sitzt neben dem Herrn Hauptmann; sage ihm den Namen.«

Flora beugte sich zum Ohr des Hauptmanns hinüber und flüsterte ihm den Namen ins Ohr. Da machte dieser ein Gesicht, als ob er eine Ohrfeige erhalten habe, streckte die Hände wie abwehrend von sich und sagte:

»Sie scherzen, Durchlaucht! Aber ich sage Ihnen, meine brave Frau Sternau ist nicht die Dame, mit der ich spaßen möchte!«

Doch Olsunna antwortete ernst:

»Sie haben recht. Ich scherze keineswegs. Frau Sternau war in Spanien, sie ist eine Bekannte von mir. Ich habe sie geliebt, als sie noch eine Señorita Wilhelmi war, und dieser Liebe gebe ich jetzt Ausdruck, indem ich ihr meine Hand antrage. Mein Rang kommt hier gar nicht in Betracht, ich trete in das stille Leben zurück und erkläre den Herrn Doktor Sternau für meinen Sohn, der mein Nachfolger und der Träger aller meiner Ehren werden soll.«

Diese Erklärung war für Rosa und Fräulein Sternau fast ebenso überraschend wie für den Hauptmann.

»Das ist entweder ganz toll oder die reine Wahrheit!« rief der letztere. – »Es ist die reine Wahrheit; tun Sie also jetzt Ihre Pflicht, Herr Hauptmann!«

Dieser befand sich noch immer in einer großen Verlegenheit. Die ganze Sache war ihm so ungeheuerlich, daß er nicht daran glauben konnte. Wollte man ihn narren? War es vielleicht in Spanien erlaubt, solche Scherze zu treiben? Aber der Ton des Herzogs war ein so ernster, fast befehlender. Es war ja alles möglich. Hatte doch auch Gräfin Rosa den Doktor Sternau zum Mann genommen! Es mußte gesprochen werden, es mochte daraus werden, was, nur wolle; darum nahm er eine möglichst würdevolle Haltung an und sagte, zu Frau Sternau gewandt:

»Meine liebe Frau Sternau, ich weiß allerdings nichts, woran ich eigentlich bin, aber Sie haben ja selbst gehört, daß ich nicht anders kann. Seine Durchlaucht, der Herzog Eusebio von Olsunna gibt mir den ehrenvollen Auftrag, Sie um Ihre Hand für ihn zu bitten. Weiß Gott, diese Hand ist brav; sie ist ebensoviel wert wie die Hand einer Hofdame! Sie wissen besser als ich, ob es im Scherz gemeint ist. Ist es aber wirklich Ernst so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen Glück zu dieser Verbindung und ersuche Sie, mir eine klare und offene Antwort zu geben!«

Da stand die Befragte auf, reichte ihre Linke dem Oberförster und ihre Rechte dem Herzog und antwortete:

»Mein bester Herr Hauptmann, es ist wirklich ernst gemeint. Ich danke Ihnen herzlich und erkläre, daß ich bereit bin, die Gemahlin eines Herzogs zu werden, nicht des Glanzes wegen, sondern um dererwillen, die ich liebe und welche diese Verbindung wünschen.«

Da sprang Flora auf sie zu und schloß sie in ihre Arme.

»O Mutter, jetzt habe ich eine Mutter, die ich lieben kann! Wie glücklich machst du deine Tochter!«

Das hagere Gesicht des Herzogs glänzte vor Freude.

Rosa konnte das alles noch nicht so recht verstehen, auch Fräulein Sternau ging es so, doch traten beide herbei, um den Verlobten ihre Glückwünsche darzubringen.

An der Tür stand Ludwig wieder.

»Ist dies Komödie oder Wahrheit?« brummte er. »Unsere Frau Sternau eine Herzogin dahier! Das hätte ich ihr doch nicht angesehen! Wie sich so eine Frau doch verstellen kann, vielleicht war sie auch bloß inkognito auf Rheinswalden!«

Und hinter der Tür lauschte einer, dem das Herz in banger Erwartung stürmisch klopfte – Otto von Rodenstein. Er wußte, daß jetzt die Entscheidung kommen werde, und wünschte nichts sehnlicher, als daß sie bald vorüber sei.

Der Hauptmann begriff jetzt endlich, daß man keinen Scherz getrieben habe; er konnte zwar das ungeheure Glück nicht begreifen, das seiner Wirtschafterin widerfuhr, aber er blieb nicht zurück und brachte nun auch seine Gratulation an. Dann fügte er hinzu:

»Durchlaucht, Sie nehmen mir da eine Dame fort, die mir nie zu ersetzen sein wird. Und das schlimmste ist, daß nun auch Fräulein Sternau nicht mehr wird bei mir bleiben wollen.« – »Tragen Sie keine Sorge!« antwortete Olsunna. »Ich glaube heute nicht, daß wir uns auf weite Entfernungen und längere Zeit trennen werden, doch werde ich sofort für einen Ersatz sorgen, von dem ich hoffe, daß er Ihnen genügend sein wird.« – »Eine neue Haushälterin?« fragte der Hauptmann zweifelnd. – »Ja, und auch noch etwas viel besseres. Sie haben die Ihnen von mir anvertraute Werbung übernommen, Herr Hauptmann, ich bin Ihnen dafür zu Dank verpflichtet, und der angemessenste Gegendienst, den ich Ihnen dafür zu leisten vermag, ist der, daß ich nun meinerseits bei Ihnen als Freiwerber auftrete.« – »Bei mir?« fragte Rodenstein erstaunt. – »Ja, mein Bester!« – »Ich habe keine Tochter!« – »Aber einen Sohn, und ich hoffe, daß ich keine schlimmere Antwort erhalte, als Sie Ihnen von meiner jetzigen Braut gegeben worden ist!« – »Bitte, Durchlaucht, schweigen wir!« sagte da der Hauptmann streng. »Dies ist ein Thema, von dem ich befohlen habe, daß es bei mir niemals berührt werden soll!« – »Sie werden mir erlauben, nicht zu den Untertanen zu gehören, denen Sie diesen Befehl gegeben haben. Und ferner werden Sie als derjenige, dessen Gast ich bin, die Höflichkeit besitzen, mich anzuhören!«

Das Gesicht Rodensteins hatte einen ganz anderen Ausdruck angenommen als vorher, dennoch beherrschte sich der sonst so jähzornige Mann und sagte:

»Einem anderen würde ich eine solche Rede nicht erlauben. Sprechen Sie!« – »Sie haben Ihrem Sohn das Recht genommen, sein Vaterhaus zu betreten«, begann Olsunna. – »Er hat es nicht besser verdient! unterbrach ihn Rodenstein. – »Das ist Ihre Meinung, Herr Hauptmann, ich aber will es nicht untersuchen, ob es recht oder unrecht ist, einen begabten Sohn zum Sklaven eines Prinzips zu machen und ihm darum zu verbieten, Gottes Stimme zu gehorchen, der ihm sein Talent gegeben hat, um Großes zu leisten. Ihr Sohn hat der Stimme Gottes gehorcht; Sie haben ihn von sich verbannt, ihn des Vaterhauses, der Vaterliebe, des Namens beraubt; vielleicht hätten Sie anders gehandelt, wenn die vermittelnde Stimme der Mutter dazwischen hätte klingen können, des Weibes, das Sie einst geliebt haben und an das Sie denken mußten, ehe Sie den Sohn von sich stießen, denn dieser gehört nicht Ihnen allein.« – »Donnerwetter!« brummte der Hauptmann.

Es war nicht zu bemerken, ob es ein Wort des Zorns sein sollte, oder ob es Mißmut bedeutete über eine weiche Regung, die sich aus seinem verschlossenen Innern empordrängte. Alle wußten, daß er an seiner Frau mit großer Innigkeit gehangen hatte und daß gerade der Harm über ihren Verlust ihn so rauh und grillig gemacht hatte. Der Herzog fuhr unbeirrt fort:

»So ist Ihr Sohn also seinen eigenen Weg gegangen, und dieser Weg hat ihn zur Höhe geführt. Trotzdem hat er seinem Ruhm entsagen wollen, um das Vaterherz wiederzugewinnen. Dieses Opfer war groß, war ungeheuer; es gehörte die ganze Kraft einer außerordentlichen Selbstverleugnung und Kindesliebe dazu, es zu bringen, Sie aber haben es nicht angenommen und die Großherzigkeit Ihres Sohnes nicht erkannt. Ich hege eine bessere Meinung von ihm, er hat sich meine vollste Hochachtung erworben. Er ist ein ungewöhnlicher Mann, auf den Sie stolz sein sollten, und so bin ich bereit ihm Achtung und Teilnahme auf eine ungewöhnliche Art zu beweisen. Er hat eine junge Dame von sehr ehrenwerter Stellung kennengelernt aber er will sich ohne Wissen seines Vaters nicht vermählen, er ist der Künstler, durch den wir den Grafen Rodriganda entdeckt haben; ich bitte an seiner Stelle für ihn um die Erlaubnis, jener Dame die Hand reichen zu dürfen!«

In dieser Weise hatte noch niemand mit dem Hauptmann zu sprechen gewagt. Es wurmte ihn gewaltig, aber über sein Gesicht zuckte es doch wie väterlicher Stolz, seinen Sohn von einem solchen Mann so gelobt zu sehen, und wie eine herzliche Rührung, die er nicht zu unterdrücken vermochte.

»Wer ist diese Dame?« fragte er endlich. – »Hier steht sie«, antwortete der Herzog. »Meine Tochter Flora.«

Staunend tat der Oberförster einen Schritt vorwärts und rief:

»Ihre Tochter, die Prinzessin? Wenn vorhin alles Ernst war, so ist doch dies hier Scherz!« – »Glauben Sie wirklich, daß der Herzog von Olsunna seine einzige Tochter einem armen Künstler geradezu anbietet, um sich nur einen Spaß zu machen? Meine Tochter liebt Ihren Sohn; er ist es wert; sie sollen glücklich sein, darum gab ich ihnen mein Jawort. Jetzt tun Sie, was Sie vor uns, vor Gott und Ihrem Vaterherzen verantworten können!«

Da legte der Hauptmann die beiden Hände an seine Stirn:

»Bin ich irrsinnig? Mein Sohn und die Tochter des Herzogs von Olsunna? Sollte ich mich wirklich so gewaltig in ihm geirrt haben? Sollte er wirklich so ein Sapperlot sein, der sich an eine Prinzessin wagt? Hole mich der Kuckuck, dann wäre ich ja der dümmste Kerl gewesen, den es nur geben kann! Aber, Durchlaucht, wo ist er denn? Wenn Sie ihm die Hand Ihrer Tochter geben wollen, so müssen Sie doch wissen, wo er sich befindet!« – »Hier bin ich, Vater, hier!« rief es von der Tür her.

Und Otto drang herein, eilte auf den Vater zu und faßte ihn bei beiden Händen.

»Was, hier?« fragte der Hauptmann. »Das habe ich dir verboten. Beweise mir erst, daß alles wahr ist, sonst glaube ich es nicht!« – »Es ist wahr!« bestätigte da Flora, indem sie näher trat, ihren Verlobten umarmte und küßte und dann auch die Arme um den Hauptmann schlang. »Nicht wahr, lieber Papa, Sie sind ihm nicht mehr bös?« schmeichelte sie. »Er hat Sie so lieb; er hat so sehr getrauert, und ohne Ihre Liebe ist es mir ganz unmöglich, ihn glücklich zu machen!«

Da rieb der Hauptmann sich abermals die Stirn und fragte: »Prinzessin, Blitzmädel, ist's wahr, du umarmst den alten Rodenstein?« – »Oh, ich küsse ihn sogar, denn ich habe ihn bereits recht lieb!«

So antwortete Flora, und ehe der Hauptmann sich's versah, fühlte er ihre vollen, warmen Lippen ein-, zwei-, dreimal auf seinem bärtigen Mund.

Da warf er jubelnd die Arme in die Luft und rief:

»Es ist wirklich wahr! Mein Junge heiratet eine Herzogin! Er ist ein Kerl, vor dem sogar ein König Respekt haben muß! Viktoria! Halleluja! Hosianna, Davids Sohn! Hussa! Hurra! Ludwig, lauf, renn hinunter in den Hof. Die Kerle sollen sogleich ihre Jagdhörner hernehmen und dreißigtausend Fanfaren blasen, bis ihnen der Atem ausgeht!«

Im Nu war der treue Jagdgehilfe verschwunden. Der Hauptmann aber breitete die Arme aus, so weit er konnte, und rief:

»Kommt an mein Herz, Kinder, alle, alle! Verzeiht dem alten Rodenstein, daß er ein solcher Dummrian gewesen ist, sich und seinem guten Jungen das Leben so sauer zu machen. Von nun an soll es anders werden!«

Jetzt flossen allerseits die hellsten Freudentränen, denn das Glück drängt die heißen Tropfen ebenso aus dem Herzen wie das Leid. Eine solche Freude war auf Schloß Rheinswalden noch gar nicht erlebt worden, und bis in die späte Nacht saßen die Versöhnten und Vereinten beisammen, um sich einer an der Wonne des anderen zu berauschen.

Den einzigen Schattenpunkt bildeten der Zustand des Grafen Emanuel, der bei all dem Jubel teilnahmslos blieb, und die Abwesenheit Sternaus.

Man beschloß, den letzteren sofort von allem zu benachrichtigen, sobald man eine sichere Adresse von ihm erfahre. Dies geschah auch später, und wir werden noch erfahren, ob dieser Brief an ihn gelangt ist oder nicht.


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