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15. Kapitel.

Der Schloßhof war groß genug zu den beabsichtigten Experimenten. Der Kälte wegen gingen die Damen in den Saal, durch dessen Fenster sie alles sehen konnten; die Herren aber blieben erwartungsvoll im Freien stehen.

Sternau war schnell nach seiner Wohnung gegangen. Nach einiger Zeit kam er wieder herab. Man kannte ihn kaum wieder. Er trug ein wildledernes Jagdhemd und ebensolche Hosen, lange, schwere Trapperstiefel und einen breitrandigen Filzhut. In seinem Gürtel staken zwei Revolver, ein Bowiemesser und ein Tomahawk; über seinem Rücken hingen zwei Gewehre, und um die Hüfte hatte er einen langen Lasso geschlungen, an dem noch eine südamerikanische Bola hing.

»Ah, ein Präriejäger!« rief der Großherzog, ganz enthusiasmiert.

Auch die anderen Herren stießen sich leise an. Der Anblick dieses Mannes war verheißungsvoll.

»Allerdings, ein Präriejäger«, erwiderte Sternau lächelnd. »Ich bin kein Künstler, sondern ein einfacher Savannenläufer; aber vielleicht gelingt es mir, den Herrschaften ein Bild des dortigen Kampflebens zu geben. Da kommt Kurt.«

Der Knabe kam jetzt in den Hof hineingeritten, ohne Sattel, nur mit einem einfachen Zaum. Er hatte seine grüne Kleidung abgelegt und trug einen Anzug, der ganz demjenigen Sternaus glich. Seine Doppelflinte hing ihm über der Schulter.

»Was tun wir zuerst, Onkel Sternau?« fragte er. – »Wir machen den Lasso.« – »Gut. Ludwig, laß einmal den Ziegenbock heraus.«

Der Jägerbursche ging sofort nach dem Stall und lockte einen großen, ungewöhnlich starken Bock heraus, der beim Anblick des Ponys sich sofort in kampfbereite Positur stellte.

Sternau stand an der Seite des Großherzogs.

»Hoheit werden nur Kindliches sehen«, sagte er. »Von einem fünfjährigen Knaben geleistet ist es jedoch immerhin interessant.« – »Keine Sorge«, antwortete der Fürst. »Wir sind alle außerordentlich gespannt.« – »Soll ich?« fragte Kurt. – »Ja, fange an«, rief der Hauptmann.

Der Knabe band sich nunmehr das eine Ende des Lassos um den Leib, legte den übrigen Teil in Rollen und nahm diese in die rechte Hand. Mit der Linken lenkte er das Pferd.

Sobald sich dieses in Bewegung setzen wollte, stellte sich ihm der mutige Bock entgegen und stieß mit den Hörnern nach ihm.

»Der Bock weiß, was losgehen soll, er wehrt sich«, sagte Sternau.

Das Pony schlug mit den Vorderhufen nach ihm; aber der Bock wich nicht.

»Drüber weg!« rief Sternau. – »Hallo!« antwortete der Knabe.

Er nahm das Pferdchen hoch, schnalzte mit der Zunge und schnellte im nächsten Augenblick über den Bock hinweg.

»Mein Gott, dieser kühne Sprung! Welch ein Knabe!«

Dies sagte hinter dem Fenster die Großherzogin zu Rosa, die neben ihr stand.

»Ja, es ist ein außerordentliches Kind. Es leistet wirklich bereits mehr als mancher Erwachsene«, antwortete die Spanierin. »Sehen Sie, wie er jetzt rund um den Hof sprengt! Welche Karriere, ventre à terre!« – »Und ohne Sattel!« sagte eine Hofdame. – »Ohne Bügel!« fügte eine andere hinzu.

Der Knabe flog im rasenden Galopp um den Hof. Er saß frei auf dem Pferd. Jetzt zog er die Füße empor und kniete auf dem Rücken des Ponys. »Hallo, Ludwig!« rief er. – »Ja«, antwortete dieser. – »Nimm die Peitsche.«

Der Bursche, der bei diesen Übungen seine Obliegenheiten kannte, hatte die Peitsche bereits in der Hand. Jetzt trat er vor und trieb den Bock von der Stelle. Das Tier wollte sich zuerst zur Gegenwehr stellen, gehorchte aber doch und flog bald im Galopp davon – Kurt hinter ihm her. Der Bock wußte, daß er mit dem Lasso gefangen werden sollte. Er strengte alle seine Kräfte an, um zu entkommen. Er rannte nicht in kontinuierlichem Lauf herum, sondern im Zickzack durch den Hof, machte Finten und Seitensprünge, aber es half ihm alles nichts – der gewandte Knabe war auf seinem Pferdchen immer hinter ihm her.

»Exquisit!« rief der Großherzog. – »Er reitet wirklich meisterhaft!« meinte einer der erstaunten Hofherren.

Auch droben hinter den Fenstern hörte man ein Beifallsklatschen von zarten Händen. Der Junge blickte empor und warf während eines Seitensprungs, den er meisterlich ausführte, eine Kußhand hinauf.

»Er hätte den Bock schon lange«, bemerkte Sternau. – »Warum nimmt er ihn nicht?« – »Er wartet mein Kommando ab; das macht es ihm schwieriger.« – »So geben Sie es.« – »Achtung!« rief jetzt Sternau.

Der Knabe, der bis dahin noch immer gekniet hatte, setzte sich nunmehr schnell wieder zurecht und ließ die Schleifen des Lassos um seinen Kopf schwingen.

»Jetzt!« kommandierte Sternau. – »Hallo!« rief da Kurt begeistert.

Im selben Augenblick flog der Lasso, rollten sich die Schleifen auf und warf sich die Schlinge um den Kopf des Bockes. Und dann riß der Knabe sein Pferd in die Höhe und herum; es war geschult; es stand fest. Der Bock aber tat noch einige Sprünge, wobei der Lasso ablief, dann zog sich die Schlinge zusammen, und der Bock stürzte zur Erde.

»Bravo!« rief es rund im Kreis. – »Bravo!« erschallte es auch von oben herab. – »Sie sind wirklich ein ausgezeichneter Lehrer«, sagte der Großherzog zu Sternau. – »Oh«, antwortete dieser, »bei einem solchen Schüler ist der Unterricht eine Lust.« – »Er wird einmal ein ausgezeichneter Mensch.« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Aber dieser Lasso ist eine fürchterliche Waffe.« – »In der Hand des Geübten allerdings.« – »Kann man ihr nicht entkommen?« – »O doch, aber es gehört ein außerordentlich scharfes Auge dazu. Man muß gerade in dem Augenblick, in dem die Schlinge über dem Kopf schwebt Abwehr treffen, keinen Moment früher oder später.« – »Ist dies möglich?« – »Darf ich es Euer Hoheit zeigen?« – »Ich bitte.« – »Ich hoffe, daß es gehen wird, obgleich ich dieses Experiment mit Kurt noch nicht vorgenommen habe.«

Kurt war abgestiegen und hatte den Bock, der zu ersticken drohte, von der Schlinge befreit. Jetzt kam er langsam herbei.

»War es so recht, Hoheit?« fragte er. – »Sehr, mein Junge. Das hatte ich nicht von dir erwartet.« – »Oh, eine solche Schlinge ist hübsch; man fängt alles mit ihr.« – »Auch mich?« fragte Sternau lächelnd. – »Nein! Sie reiten besser als ich. Sie würden sich immer in einer solchen Entfernung halten, daß mein Lasso zu kurz ist, Sie zu erreichen.« – »Nein, das würde ich nicht tun.« – »Oh, dann fange ich Sie!« – »Wirklich?« – »Ganz sicher!« versetzte der Knabe zuversichtlich. – »Auch wenn ich mich hier in die Mitte des Hofes stelle und gar nicht fortschreite?« – »Na, dann ist es ja ganz leicht.« – »Wollen wir es versuchen?« – »Sie machen doch bloß Spaß.« – »Nein, ich bleibe fest auf der Stelle stehen, und wenn es dir gelingt, mich mit dem Lasso zu umschlingen, dann ..., ah, was dann?« – »Dann schenken Sie mir einen kleinen Tomahawk und lehren mich, ihn zu gebrauchen«, sagte Kurt mit leuchtenden Augen. – »Gut, es gilt.« – »Na, so ist der Tomahawk bereits mein.« – »Warte es ab, Kleiner.«

Sternau stellte sich inmitten des Hofes auf und nahm von den beiden Gewehren, die er auf dem Rücken trug, das lange herunter.

»Nun, Kurt, es kann losgehen«, sagte er. – »So gelingt es gleich beim ersten Wurf; passen Sie auf.«

Der kleine Präriejäger stellte sich in abgemessener Entfernung auf, rollte den Lasso kunstgerecht zusammen, schwang ihn über dem Kopf und warf ihn. Aber in dem Augenblick, als die Schlinge über dem Kopf Sternaus schwebte, hob dieser seine Büchse empor, schlug einen Wirbel und fing die Schlinge auf.

»Nun?« fragte er lachend. – »Ja«, sagte der Knabe ganz verblüfft, »da bringe ich nichts fertig.« – »Versuche es noch einmal.«

Der Versuch wurde wohl noch ein Dutzend Mal gemacht, aber immer mit demselben Mißerfolg.

Ludwig war inzwischen näher geschlichen. Er stand fast hinter dem Großherzog.

»Das ist viel, sehr viel von dem Herrn Doktor«, sagte er; »das macht ihm keiner nach; das ist ein wirkliches Kunststück dahier.« – »Es geht nicht«, rief Kurt endlich ganz enttäuscht. – »Nun, so zeige dich zu Pferd, mit Hindernissen.« – »Schön!« rief der Knabe. »Ludwig!« – »Ja.« – »Schaff meine Hindernisse her.« – »Hat sich was zu Hindernissen«, brummte dieser. »Sie sind ja für den Jungen gar keine Hindernisse mehr dahier.«

Damit legte Ludwig Bretter und Latten, stellte alte Töpfe und Kessel, Kisten und Fässer kreuz und quer und zog über die Zwischenräume noch verschiedene Stricke, alles ohne Symmetrie und Berechnung.

»Da kommt keiner durch«, meinte einer der Offiziere. – »Wenigstens dieser Knabe nicht«, stimmte auch der Großherzog bei, der selbst ein sehr gewandter Reiter war. – »Ohne Sattel und Bügel! Das sind ja keine berechneten Kunstreiterhindernisse!« – »Hoheit werden sich vom Gegenteil überzeugen. Der Junge reitet wirklich famos, und das Pony ist ein ausgezeichnetes Tierchen.« – »Na, wollen sehen; Sie machen mich wirklich gespannt.«

Der Block war in seinen Stall geschafft worden, und Kurt stieg nun wieder auf und ritt im Schritt durch das Labyrinth, ohne einen Augenblick lang anzuhalten oder verlegen zu werden, dann im Trab, wobei er sich in sehr schwierigen Sprüngen und Wendungen zeigen mußte, und endlich im Galopp. Die Herren rissen förmlich die Augen auf über die Kühnheit, mit der er über die Fässer, Kisten und Stricke hinwegsetzte, und über den Scharfblick, mit dem er die Töpfe, Teller und Scherben zu vermeiden wußte.

Droben wurden trotz der Kälte von den Damen die Fenster geöffnet, und je mehr man ihm zuklatschte und zurief, desto mehr wagte er, bis ihm endlich Sternau das Zeichen gab, einzuhalten. Dann ging er wieder in den Trab und dann in den Schritt über und sprang endlich vom Pferd.

»Unglaublich!« rief der Großherzog. – »Das war noch nie da. So etwas hat man nicht gedacht!« In solchen und ähnlichen Ausdrücken sprachen die Herren ihre Bewunderung aus. – »Nicht wahr«, meinte der Hauptmann, »es ist ein Donnerwetterjunge?« – »Er hat sich heute selbst übertroffen«, sagte Sternau. »Die Gegenwart der Herrschaften hat ihn förmlich begeistert.«

Der Großherzog wandte sich ernst zu den beiden:

»Meine Herren, dieser Knabe wird einmal nicht nur ein fescher, schneidiger Husarenoffizier, sondern in ihm steckt noch Größeres. Wer bei solcher Kühnheit eine solche Umsicht und einen solchen Scharfblick besitzt, der hat ganz sicher das Zeug zu einem Kommandeur. Herr Oberförster, lassen Sie später mich für den Knaben sorgen.« – »Es wird mir eine Genugtuung sein, Hoheit, diesem Befehl nachzukommen«, antwortete der Hauptmann im höchsten Grad geschmeichelt. – »Herr Oberförster!« ertönte die Stimme der Großherzogin von oben herab. »Senden Sie uns den Knaben herauf. Wir müssen den kleinen Ritter einmal bei uns haben.«

Kurt erhielt einen Wink und verschwand im Portal, während Ludwig das warm gewordene Pony in den Stall führte.

»Und Sie, Herr Doktor«, fragte der Fürst, »auch Sie haben Ihren Lasso mit? Ah, was ist denn das?«

Er deutete nach dem dreistrahligen Riemenstern, der an Sternaus Lasso hing.

»Das ist eine Bola.« – »Ah, davon habe ich gelesen. Die Gauchos von Südamerika bedienen sich ihrer. Ist sie praktisch?« – »Mehr als das, Hoheit. Sie ist sogar noch gefährlicher als der Lasso. Sie zerbricht, wenn sie von geschickter Hand geschleudert wir, die Beine eines Pferdes, ja eines Ochsen. Ich will Ihnen den Gebrauch zeigen, darf aber dazu kein Tier nehmen, da ich es ganz sicher schwer verletzen würde.«

Sternau zeigte zunächst die Bola herum, die aus drei kurzen Lederriemen bestand, die an einem Ende zusammengebunden, am andern aber mit je einer schweren Kugel versehen waren, die in einer festen, ledernen Hülle steckte, ließ von den Knechten an dem einen Ende des Hofes einen Pfahl in die Erde rammen und schritt nach dem anderen Ende hin.

»Hoheit«, sagte er, »damit die Herrschaften sehen, wie sicher ein guter Bolawerfer trifft, werde ich dieses mal den Pfahl zehn Zoll unter seiner Spitze treffen.«

Er stand wohl über fünfzig Schritt von dem Pfahl entfernt, nahm die eine Kugel der Bola in die rechte Hand, wirbelte die beiden anderen einige Male um den Kopf und ließ sie dann fliegen. Sich immer umeinander drehend, flogen die Kugeln in einem Bogen durch die Luft, trafen den Pfahl mit erstaunlicher Sicherheit und schlangen sich um denselben. Man hörte einen Krach – die Spitze des Pfahles war abgebrochen.

»Außerordentlich!« rief der Großherzog.

Er eilte zu dem Pfahl, und die anderen folgten ihm. Eine zehn Zoll lange Spitze war abgebrochen. Der Fürst nahm sie vom Boden auf und gab sie von Hand zu Hand.

»Welche Sicherheit, welche Kraft!« sagte er. »Treffen Sie stets so genau?« – »Stets! Ich will es beweisen«, entgegnete Sternau.

Er warf nun noch viermal und traf jedesmal die Stange an dem Ort, den er bezeichnet hatte.

»So ist dies die gefährlichste Waffe, die es gibt, wenigstens in der Prärie«, sagte der Großherzog. – »Oh, dieses Schlachtbeil ist noch gefährlicher«, meinte Sternau.

Damit nahm er seinen Tomahawk aus dem Gürtel und zeigte ihn vor.

»Dieses schwache Beil mit dem kurzen Griff?« sagte da der Fürst. »Ist es nicht nur eine Waffe für den Nahkampf?« – »Nein. Es spaltet den dicksten Schädel, aber es trifft auch aus großer Entfernung das kleinste Ziel. Ich töte mit ihm einen Flüchtling, der im Galopp entspringt, indem ich hier ruhig stehenbleibe. Ich berechne ganz genau, ob ich seinen Kopf, seinen Hals, seinen Arm, seinen Leib oder sein rechtes oder linkes Bein treffen werde.« – »Das wäre ja kaum zu denken.« – »Doch. Und was das sonderbarste ist, dieses Beil fliegt, wenn ich es werfe, erst waagerecht mit dem Boden fort, dann steigt es empor, so hoch, als ich es berechnet habe, senkt sich wieder nieder and trifft gerade den Punkt, den ich mir zum Ziel nahm. Darf ich dies den Herrschaften beweisen?« – »Bitte, wir sind ganz außerordentlich gespannt«, sagte der Großherzog. – »So werde ich zunächst den Rest dieses Pfahles treffen.«

Sternau hing die Bola in den Gürtel und nahm den Tomahawk zur Hand. Als er an das äußerste Ende des Hofes zurückgekehrt war, stellte er sich mit der linken Seite nach der Gegend des Ziels, schwang mit der Rechten den Tomahawk und ließ ihn dann fahren. Er traf den Pfahl gerade in der Mitte.

»Erstaunlich!« rief der Großherzog. »Es sind wenigstens fünfzig Schritt.« – »Ich treffe das Ziel auf fünfhundert Schritt«, behauptete Sternau. – »Unmöglich! Wenigstens nicht so genau.« – »Ich werde es beweisen. Zwar ist der Hof nicht so lang, aber es wird sich dennoch machen lassen. Um Ihnen die Sicherheit des Wurfs zu beweisen, werde ich das Ziel nur einen Fuß vom Fenster wählen; dann verlasse ich den Hof durch das Tor, dessen Flügel wir weit öffnen, gehe genau fünfhundert Schritt auf die Straße hinaus und werfe den Tomahawk.«

Keiner der Herren glaubte an die Möglichkeit des Gelingens. Aber Sternau ließ gerade unter einem Fenster der hinteren Hoffront einen Pfahl einschlagen und legte auf diesen einen Stein. Dann wurden die Torflügel geöffnet

»Die Herren sehen«, sagte er, »daß dieser Stein nur einen Fuß unterhalb des Fensters liegt; ihn will ich treffen. Man könnte ganz getrost das Fenster öffnen und herausblicken, ich schädige niemand.« – »Das wäre ein Wunder!« ließ sich einer hören. – »Es ist nur die Folge einer langen Übung.«

Sternau verließ jetzt den Hof und schritt die Straße, die gerade auf das Tor zulief, fünfhundert Schritt weit hinaus. Die Herren retirierten sich hinter die Mauern, um nicht getroffen zu werden, und die Damen hatten zwar die Fenster geöffnet, getrauten sich aber nicht, aus denselben herabzublicken.

Jetzt schwang Sternau den Tomahawk, beschrieb mit demselben zunächst einige vertikale Kreise und schleuderte ihn dann nach dem Ziel. Das Indianerbeil flog, ganz wie er es gesagt hatte, erst am Boden hin, stieg rasch und plötzlich bis über die erste Etagenhöhe empor, senkte sich dann jäh und – warf mit einem lauten Krach den Stein vom Pfahl und gegen die Mauer, ohne den Pfahl dabei im mindesten zu berühren.

Auf dieses Meisterstück brach ein außerordentlicher Beifallssturm los. Sternau kam zurück, bedankte sich mit einer stummen Verbeugung und sagte:

»Die Herren sehen, welch eine Waffe das ist.« – »Die fürchterlichste!« meinte der Großherzog. – »Ich stimme unbedingt bei«, entgegnete Sternau. – »Aber es gehört bei einer solchen Entfernung nicht nur die von Ihnen erwähnte Übung dazu, sondern auch eine Riesenkraft, wie nur Sie dieselbe unter uns allen besitzen.«

Sternau lächelte.

»Hier ist die Kunst, den Tomahawk zu schleudern, eine brotlose«, sagte er, »aber da drüben in der Prärie ist sie eine Lebensfrage. Was Sie jetzt gesehen haben, bringt ein jeder Indianer fertig.« – »Und nun Ihren Lasso? Bitte!« sagte der Großherzog. – »Nur Ihnen und diesen Herrschaften zuliebe, Hoheit«, meinte der Arzt. »Anderen eine Fertigkeit zu zeigen, würde nichts als eine prahlerische Schaustellung sein.« – »Tun Sie es immerhin, mein Lieber! Sie sollen uns nicht amüsieren, sondern belehren.«

Sternau ließ das Tor jetzt wieder schließen und den Braunen des Hauptmanns satteln. Dann wurden sämtliche Pferde aus dem Stall gelassen. Nun hatten die Damen wieder den Mut, aus den Fenstern zu blicken. Sternau stieg zu Pferd und tummelte es einige Male hin und her. Man konnte sich keine ritterlichere Figur denken als ihn.

»Ein schöner, ein sehr schöner Mann!« flüsterte die Großherzogin der Gräfin Rosa zu.

Diese erglühte und antwortete:

»Und ein edler Mann, Hoheit, ein Mann, der Kind und Held zu gleicher Zeit ist.« – »Dann sind Sie glücklich?« – »Unendlich!« hauchte Rosa.

Auch die anderen Damen flüsterten sich ihre Bemerkungen zu.

»Man könnte diese Rodriganda beneiden!« meinte die eine. – »Er hat die Attitüde eines Bayard!« sagte eine andere. – »Er reitet wie ein Gott!«

Der, dem diese Worte galten, knüpfte jetzt das eine Ende seines Lassos an den Sattelknopf und legte ihn in Schlingen.

»Meine Herren«, sagte er, »mein Pferd ist den Lasso nicht gewöhnt, und der Raum ist hier zu beschränkt, um Ihnen das richtige Bild einer Pferdebändigung zu geben. Mein Lasso hat eine Länge von vierzig Fuß, viel zu viel, um frei agieren zu können, doch wollen wir es versuchen.«

Er gab darauf den Burschen den Befehl, die Pferde scheu zu machen und durcheinanderzutreiben. Mit Hilfe von Peitschen und Stücken angebrannten Schwamms gelang dies sehr bald. Die Tiere fegten im Galopp im Hof umher.

»Welches Pferd wünschen Sie, Hoheit?« fragte Sternau. – »Den Rapphengst«, lautete die Antwort. – »Gut!«

Sternau gab jetzt seinem Pferd die Sporen und sprengte mit lautem Indianergeschrei zwischen die anderen hinein. Diesen war so etwas noch nicht passiert, sie wurden noch wilder als vorher und rannten wie toll im Kreis herum.

Sternau befand sich mitten unter ihnen und regte sie durch seine Schreie bis auf das höchste auf. Dann zog der plötzlich die Füße aus den Bügeln und stellte sich auf den Rücken seines Pferdes.

»Ah, ein Büffelritt!« meinte der Großherzog. »Ein Ritt mitten in einer wilden Herde!« – »Herr Doktor«, rief da Ludwig von weitem, »ich habe noch einen Kanonenschlag dahier, soll ich?« – »Los damit!« antwortete der Gefragte.

Der Bursche brannte den Zunder an und warf dann die Kapsel mitten auf den Hof.

»Mein Gott, das wird lebensgefährlich!« rief die Großherzogin. – »Ich vergehe!« zitterte Rosa. – »Doktor, um aller Welt willen...« rief der Großherzog.

Er kam nicht weiter. Noch stand Sternau frei auf dem Pferd, da krachte der Schuß, und sämtliche Pferde schnellten erschreckt hoch empor. Auch Sternaus Brauner stieg. Jeder glaubte, der Arzt müsse stürzen und unter die stampfenden Hufe geraten, aber er hatte den rechten Augenblick ersehen; gerade als sein Pferd sich bäumen wollte, war er herab in den Sattel geglitten, in dem er nun fest saß, wie mit dem Pferd zusammengewachsen.

Ein »Ah« der Erleichterung erscholl, aber dennoch war die Situation gefährlich. Die durch den Schuß auf das äußerste aufgeregten Pferde jagten nämlich wie toll im Hof herum. Sternau dirigierte jedoch den Braunen in eine Ecke, musterte mit scharfem Auge den wirren Knäuel, der im Galopp umhersetzte, und gab endlich seinem Pferd die Sporen.

»Herrgott, was fällt ihm ein!« rief der Großherzog.

Die Damen aber schrien aus den Fenstern, und die Herren standen steif vor Schreck. Sternau flog gerade auf die rasenden Pferde zu; es sah aus, als müsse er ganz unvermeidlich mit ihnen zusammenprallen, aber da nahm er den Braunen empor und setzte in einem wilden, verwegenen Satz über zwei nebeneinanderher galoppierende Pferde hinweg.

Es hatte ganz den Anschein, als ob er gegen die Mauer springen müsse, aber mitten im Sprung riß er sein Pferd herum, das kühne Wagnis gelang, und frei galoppierte er nun hinter dem vor ihm fliehenden Pferdetrupp her.

»Bravo! Hurra!« rief der Großherzog, ganz hingerissen von dieser Verwegenheit.

Die Herren und Damen stimmten ein. So etwas hatten sie noch nie gesehen, selbst in einem Zirkus nicht. Sternau nickte dankend mit dem Kopf und schwang den Lasso. Dieser schwirrte durch die Luft und flog mitten im Jagen dem Rapphengst um den Hals. Sofort riß er sein Pferd herum in die entgegengesetzte Richtung – ein fürchterlicher Ruck, sein Pferd ward auf die Hinterbeine niedergerissen, aber der Rappe flog zu Boden und schlug mit den Hufen in der Luft herum, der Lasso schnürte ihm den Hals zusammen und raubte ihm den Atem.

Jetzt sprang Sternau aus dem Sattel und erlöste den Hengst.

Ein erneuter Beifall erscholl.

»Ma foi, Doktor, sind Sie ein Reiter!«

Sternau übergab mit einem Wink den Knechten die Pferde und trat hinzu.

»Was ich tat, tut jeder Indianerknabe«, sagte er. – »Aber Sie hatten die beiden Gewehre auf dem Rücken!« – »Die legt ein Präriejäger niemals ab. Soll ich Ihnen zeigen, wie man mit ihnen umgeht?« – »Ja, tun Sie das, wir bitten darum!« – »Dann möchte ich wünschen, Kurt sei wieder da.« – »Sogleich!«

Der Großherzog teilte Sternaus Wunsch seiner Gemahlin mit, und sogleich wurde der Knabe, der oben von den Damen mit Liebkosungen überhäuft worden war, von ihr entlassen.

»Nimm dein Gewehr«, sagte Sternau zu ihm. »Es gilt zu zeigen, daß du auch noch anderes treffen kannst als einen Hasen.«


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