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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Früher hatte Adeline über diesen Satz: »Wer gespielt hat, spielt wieder«, gelacht, wie über so viele andre, die man, ohne weiter darüber zu denken, nachspricht, weil sie gang und gäbe sind, aus reiner Gewohnheit, ohne ihnen das geringste Gewicht beizulegen. Aber jetzt war er davon in gewissem Grade überrascht.

Wer hatte jenes Sprichwort erfunden? Die Erfahrung zweifellos, und da eins das andre gibt, war ihm ein andres eingefallen, das sich ihm in den eigentümlichen Verhältnissen, in denen er sich befand, aufdrängte und das hieß: »Wo Rauch ist, ist auch Feuer«. Es mußten doch wohl, bevor die allgemeine Erfahrung jenen kleinen Satz: »Wer gespielt hat, spielt wieder«, aufstellen konnte, viele Fälle dazu Veranlassung gegeben haben.

Er hatte sein Gewissen ehrlich und aufrichtig geprüft, wie ein Mann, der sich über sich selbst klar werden will, und er war zu dem Schlüsse gekommen, daß er seit einiger Zeit das Spiel mit einer Neugierde verfolge, die ihm in den ersten Tagen der Eröffnung seines Klubs fremd gewesen war.

Wenn er die Spieler auch nicht entschuldbar fand, so erschienen sie ihm doch nicht mehr lächerlich, er verstand sie und gab jetzt zu, daß einen dieser Kampf mit den Karten, wobei in einigen Minuten ein Vermögen verloren oder gewonnen wird, leidenschaftlich erregen könne. Er hatte solche Verluste und Gewinne miterlebt und hatte den Verlauf des Spiels voll Aufregung verfolgt – mit jener Teilnahme, von welcher Friedrich sprach.

War das nicht ein Symptom?

Aber war daraus zu folgern, daß, weil er sich jetzt für das Spiel interessierte, er selbst zu den Karten greifen müsse?

Er glaubte es nicht, er wehrte sich dagegen, es zu glauben, aber schließlich war es darum nicht weniger wahr, daß es sich hier um einen eigentümlichen Vorgang in seinem Innern handelte; er hätte lügen und heucheln müssen, dies nicht zuzugestehen.

Wenn er sah, wie die Spieler ihre Spielmarken und ihre Täfelchen an der Kasse gegen hundert oder hundertfünfzigtausend Franken in Banknoten umwechselten, konnte er eines gewissen Gefühls von Neid nicht Herr werden und sagte sich, daß das in einigen Stunden leicht und angenehm erworbenes Geld sei.

Von da bis zur Erkenntnis, daß, wenn er einen solchen Treffer machte, ihm dies wie gerufen käme, war es nicht weit, und diesen kleinen Schritt hatte er zu thun gewagt.

Das Spiel hat das Gute, daß es kein besondres Talent erfordert, um Erfolge zu erzielen, keine lange Lehrzeit, wenigstens beim Baccarat; Gewinn und Verlust sind Sache des Zufalls, des persönlichen Glücks. Manche haben dieses Glück und sie gewinnen, manche haben es nicht und sie verlieren, das ist alles. Wenn er als ganz kleiner Junge mit seinen Kameraden mit Schussern gerade oder ungerade spielte, hatte er beständig Glück, das stand fest. Später, auf seiner Reise in Deutschland, hatte er in Baden-Baden im Roulettesaal einen Louis auf die Vierundzwanzig, die Zahl, die sein Alter bedeutete, gesetzt und die Vierundzwanzig war herausgekommen. In Homburg hatte er mit seiner Begleiterin die nämliche Probe gemacht und die Vierundzwanzig war wiederum herausgekommen; daß zwei volle Nummern eigens für ihn, so zu sagen auf seinen Ruf herauskamen, war das nicht eigentümlich und verriet das nicht persönliches Glück? Zwar hatte sie nicht stand gehalten und er hatte an der Roulette und beim trente et quarante mehr, viel mehr als die zweiundsiebzig Louis, die er zuerst gewonnen, verloren. Aber dieser Verlust war, so schien es, nicht so auffallend wie sein Gewinn und bewies nichts dagegen, daß er im richtigen Momente Glück gehabt hatte – ein ihm von der Vorsehung beschertes Glück. Verliert es sich vielleicht mit der Zeit? Kehrt es nicht wieder? Das waren Fragen, über die es ihm nicht eingefallen war nachzudenken, weil er seit langen Jahren aufs Spiel Verzicht geleistet hatte, die sich ihm aber jetzt aufdrängten.

Wie würde das seinem Geschäft auf die Beine helfen, wenn er durch ein paar Spiele zweihunderttausend Franken gewänne! Welche Freude für Bertha, denn sie würden ihr gehören, und wenn es wahr ist, daß, wie man zu sagen pflegt, die Jugend Glück hat, würde es nicht Berthas Glück sein, die über dem Spiele waltete, das er gar nicht für sich spielen würde? Füglich gibt es eine höhere Gerechtigkeit, die die Dinge und Geschicke in dieser Welt lenkt, und diese Gerechtigkeit konnte nicht zugeben, daß ein gutes braves Mädchen, wie Bertha, die stets nur das Rechte gethan, unglücklich werde. Dann hatte er eine Bemerkung gemacht, die ihm bis zu diesem Tage entgangen war, daß nämlich derjenige, welcher Vermögen besitzt, oder der sich reichlich und sicher das erwirbt, was er für seine Bedürfnisse braucht, das Spiel nicht vom selben Gesichtspunkte aus beurteilt, wie derjenige, welcher nichts übrig hat und dem es trotz aller Mühe stets an den nötigen Mitteln fehlt. Gewinn im Spiele hatte für ihn wenig Interesse, so lange er sein ererbtes Vermögen besaß, das von Jahr zu Jahr durch die Erübrigungen aus seinem Geschäfte sich vergrößerte, während jetzt, nachdem dieses Vermögen geschwunden war und sein Geschäft keine Ueberschüsse mehr abwarf, solch ein Gewinn ihm sehr gelegen gekommen wäre, um das Defizit zu decken, welches fortwährend drohend vor ihm stand.

Und von Zeit zu Zeit, während es so in ihm arbeitete, schlug jene Frage, die er zu hören gewöhnt war, an sein Ohr: »Nun, Herr Präsident, spielen Sie niemals? Was für einen feinen Bankhalter würden Sie abgeben!«

Als feiner Bankhalter gilt derjenige, welcher gewinnt, ohne durch Lachen, durch unschickliche Gebärden, durch lauten Jubel die unglücklich Spielenden zu verhöhnen, und welcher, wenn er neun in der Hand hat, sich nicht damit belustigt, umständlich die Augen zu zählen, und zum voraus diejenigen auf die Folter zu spannen, die er in wenigen Sekunden aus ziehen wird.

Und obgleich Adeline nicht eitel war, schmeichelte es ihm doch, daß man nicht annahm, er wäre, falls er spielte, einer jener armen Teufel von Spielern, die, erbärmlich genug, in den Klub kommen, um ums tägliche Brot zu spielen, das heißt, versuchen, einige Louis zu gewinnen, welche sie zum Leben bedürfen; deren Tagewerk heute das gleiche ist wie gestern, die an diese Arbeit, härter als irgend eine andre, geschmiedet sind, eine Arbeit, die durch den beständigen Nervenreiz diejenigen, die sie lange fortsetzen, vollständig aufreibt. Bankhalter und ein feiner Bankhalter sogar, ganz gewiß würde er das sein, wenn er nur wollte – aber er wollte es nicht sein, ebensowenig wie Spieler.

Als Raphaëlla »seinen« Klub gründete – denn im Freundeskreise sagte sie »sein« Klub, wie Friedrich und Adeline es selbst thaten – hätte sie gern allein das Geld in das Geschäft gesteckt, so daß sie auch allein den Nutzen gehabt hätte. Leider war ihr das aber unmöglich gewesen und sie hatte von ihren Freunden das, was ihr selbst fehlte, annehmen müssen, oder vielmehr von einem Freunde Friedrichs, dessen früherem Herrn, dem alten Barthelasse. Ueberall, sowohl als Spieler, wie als Klubvorstand gebrandmarkt, sah sich Barthelasse in seinem Alter darauf angewiesen – und das war für ihn ein großer Kummer – andre mit dem Gelde wuchern zu lassen, welches er durch eine vierzigjährige Arbeit – er nannte es »Arbeit« – erworben hatte. Anstatt sein Geld Raphaëlla zu bringen, hätte er gern die Leitung des Spiels in der Hand behalten, das heißt der Kassierer und Geldverleiher, bei welchem der ausgebeutete Spieler borgt, um weiter spielen zu können, sein mögen. Aber Raphaëlla war nicht so einfältig, hierauf einzugehen und den so am mühelosesten erzielten Teil des Gewinns, den ein Klub abwirft, in eine fremde Tasche fließen zu lassen. Sie wollte Spielunternehmerin sein, und indem sie das Geld von Barthelasse annahm, bewilligte sie diesem nur einen seiner Einlage entsprechenden Anteil. Sie waren über diesen Punkt hart aneinander geraten, sie hatten sich die ärgsten Grobheiten gesagt, schließlich aber sich geeinigt und gemeinschaftliche Sache gemacht. Eine ihrer Kreaturen sollte die Rolle des Spielunternehmers spielen und statt seines eignen ihr beider Geld ausleihen, und sie beide wollten dann den Gewinn teilen.

Um dieses sehr heikle Geschäft zu überwachen, bei welchem es sich darum handelt, große Summen durch ein »Ja« oder durch ein »Nein« zu bewilligen oder zu versagen, und zwar augenblicklich, ohne Zeit zu haben, die Zahlungsfähigkeit und Ehrlichkeit eines Entleihers zu untersuchen, verließ Barthelasse, solange man spielte, den Klub niemals. Ueberall in den Sälen sah man die breiten Schultern des alten Ringkämpfers auftauchen. Was er da machte, man wußte es nicht recht: er schien eine Aufsichtsperson mit unbestimmten Funktionen zu sein. Aber sobald sich jemand an August, den Spielunternehmer, wandte, um Geld zu leihen, war Barthelasse da und sprach selbst aus der Entfernung, ohne daß man es merkte, mittels eines vereinbarten Zeichens, das »Ja« oder das »Nein«, welches dann der Spielunternehmer wiederholte.

Mehrmals, wenn er mit Adeline allein war (denn öffentlich erlaubte er es sich nicht, ihn anzureden), hatte auch er schon die allgemeine Frage an ihn gerichtet: »Spielen Sie denn nicht, Herr Präsident?«, aber ohne jemals näher darauf einzugehen. Eines Tages jedoch, als Adeline auf diese Aufforderung mit einem Lächeln antwortete, ging er weiter: »Aber ein Präsident, der niemals eine Karte in seinem Klub berührt,« sagte er in seinem reinsten provenzalischen Dialekt, »ist ein Kuchenbäcker, der niemals von seinen Kuchen ißt. Ja, warum denn nicht? fragt man sich. Dann sagt der eine: sie sind ›giftig‹, ein andrer: sie sind ›malproper‹.«

Adeline sagte sich dies ›malproper‹ mehr als einmal vor. War es möglich, daß die Leute glaubten, in »seinem« Klub geschähen unsaubere Dinge? Sicherlich gab sein grundsätzliches Fernbleiben vom Spieltische, gaben seine Abmahnungen vom Spiel Anlaß zu falschen Vermutungen. Mußte man sich nicht sagen, daß er selbst nicht spiele und diejenigen, für welche er sich interessiere, vom Spielen abzuhalten suche, weil es ihm bekannt sei, daß es in seinem Klub beim Spiele nicht ehrlich zugehe?

Was ließ sich dagegen thun?

Diese Unterredung mit Barthelasse hatte gerade in einem Momente stattgefunden, wo er durch eine Partie, die sich vor seinen Augen abspielte, heftig aufgeregt worden war. Einer seiner Freunde, ein Kaufmann, von dem er wußte, daß er sich in mißlicher Lage und dicht vor dem Bankrotte befand, hatte zweimalhunderttausend Franken gewonnen, die ihn retteten. Und bei diesem Glücksfalle hatte sich Adeline ganz natürlich gefragt, ob nicht ebensogut ihm das hätte begegnen können. Hätte er an Stelle seines Freundes die Bank gehalten, so hätte er diese zweimalhunderttausend Franken gewonnen. Da die Glücksgöttin in jener Nacht ein Einsehen hatte, hätte sie es ebensogut für ihn, wie für seinen Freund haben können.

Aber war es auch die Glücksgöttin? Wenn man die Hand des Schicksals in einem unverdienten Unglück erblickt, kann man dann nicht die der Vorsehung in einem verdienten Glücke sehen?

Auf dieser abschüssigen Ebene geht? es rasch abwärts. Von hier bis dahin, sich zu sagen, daß es wirklich zu zaghaft sei, das Glück nicht zu versuchen, war es nicht mehr weit.

Es handelte sich nicht darum, ein Spieler zu werden, wie er so viele sah, die nur vom und für das Spiel lebten.

Es handelte sich einfach darum, einmal das Glück zu versuchen.

Er würde nicht daran zu Grunde gehen, wenn er ein paar tausend Franken verlor; bei der Ruhe und vorsichtigen Ueberlegung, die den Grundzug seines Charakters bildeten, war nicht zu befürchten, daß er sich fortreißen lassen und daß er über die Summe hinausgehen würde, die er sich zum voraus zu wagen vornahm. Zwar würde es ein Verlust, aber schließlich doch kein bedeutender sein.

Auf der andern Seite konnte er, wenn das Glück sich ihm hold zeigte, wie es leicht eintreten konnte, ja wie dies billig schien, einen namhaften Gewinn machen.

Und ob Gewinn oder Verlust, dabei sollte es sein Bewenden haben; ein Mann wie er würde sich nicht zu weit vorwagen, er kannte sich wohl.

Er wollte also spielen – einmal, nur einmal und es dann bewenden lassen – man ist kein Spieler, weil man einmal ein Lotterielos nimmt.

Indessen führte er diesen nun gefaßten Entschluß nicht sofort aus. Er brachte manche Stunde am Baccarattische zu, indem er sich immer vornahm, daß es heute abend geschehen solle, ohne daß es jemals an diesem Abend dazu kam.

Endlich eines Abends, als das Spiel nicht vorwärts gehen wollte und man auf den Ausgang der Theater wartete und der Croupier die einleitenden Worte erschallen ließ: »Wer hält Bank?« entschloß er sich, seinen Platz zu verlassen, auf dem er angenagelt schien, und trat an den Tisch heran.

»Ich,« sagte er.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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