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Viertes Kapitel

Was für eine schlimme Neuigkeit stand ihr bevor?

Diese Frage stellte sich Frau Adeline voll Unruhe; sie hatte jedoch so viel Selbstbeherrschung, dieselbe nicht merken zu lassen.

Obwohl sie keinerlei Grund hatte, dem Herrn Eck, den sie als einen im Geschäftsleben rechtschaffenen, im Umgang wohlmeinenden und gutmütigen Mann kannte, zu mißtrauen, so war sie doch in der letzten Zeit so häufig von unverhofften Schlägen und gerade immer von der Seite, von welcher sie sie nicht erwartete, getroffen worden, daß sie stets unruhig und ängstlich und in allen Dingen auf ihrer Hut war.

In der Stadt sprach man davon, daß die Eck und Debs seit lange Versuche machten, um die Nouveautés mit Maschinen im großen herzustellen, wie das glatte Tuch. War das vielleicht die Ursache dieses außergewöhnlichen Besuchs? Sollten ihr in diesen erfinderischen Elsässern, die sich so praktisch einzurichten verstanden und reüssierten, während so viele andre zu Grunde gingen, Konkurrenten erwachsen, welche den Geschäftsbetrieb noch schwieriger machen würden?

Handelte es sich um eine ihrem Hause oder der politischen Stellung ihres Mannes drohende Gefahr, auf welche er in einer Regung freundschaftlicher Gesinnung aufmerksam machen wollte?

Wohin sie ihre Blicke richtete, sah sie nur Schlimmes, ohne der Hoffnung auf ein gutes oder glückliches Ereignis Raum zu gewähren; und was sie noch mehr verstimmte, das war die Verlegenheit, die sie auf diesem sonst offnen und freundlichen Gesichte deutlich las.

Sie hatte sich ihm gegenüber gesetzt und betrachtete ihn aufmerksam, indem sie darauf wartete, daß er beginnen sollte. War denn das, was er zu sagen hatte, so sehr schwer?

Endlich entschloß er sich: »Als wir unser Vaterland verließen, um uns in Elbeuf niederzulassen, haben wir hier nicht alle Leute sehr entgegenkommend gefunden. Man sagte: ›Was wollen denn die hier? wir brauchen sie nicht.‹ Herr Ateline gehörte nicht zu diesen, im Gegenteil, er ließ sich nur von seinem patriotischen Fühlen für die Verbannten und auch für seine Vaterstadt, der wir neue Arbeit zuführten, leiten. Und das, Matame, hat unsern Herzen wohlgethan. In unsrer damaligen Lage, als Auswanderer und im Begriffe, ein neues Leben zu beginnen, in einem Alter, da andre daran denken, sich zur Ruhe zu setzen, schätzten wir uns glücklich, daß sich uns eine Hand offen und ehrlich darbot.«

Diese Worte ließen nicht auf Schlimmes schließen, und Frau Adeline wurde ruhiger.

»Als wir im letzten Jahre,« fuhr Herr Eck fort, »das Unglück hatten, meinen Schwager Debs zu verlieren, ist Herr Ateline abermals für uns eingetreten. Sie wissen, was sich damals ereignet hat und was man für Schwierigkeiten machte, ihm ein anständiges Begräbnis zu gewähren. Man sagte: ›Wozu dem Juden, der hierher gekommen ist, um uns Konkurrenz zu machen, eine Ehre anthun?‹ Alle schlechten Leidenschaften gegen den Juden sowohl, wie gegen den Fabrikanten regten sich und selbst die, welche in erster Reihe sich seiner hätten annehmen müssen, zogen sich zurück. Herr Ateline befand sich damals gerade in Paris, wo ihn die Kammerdebatten zurückhielten, und wenn er wollte, konnte er sehr gut dort bleiben. Aber als er erfuhr, was hier vorging – vielleicht durch Sie selbst, Matame?«

»Es ist richtig, ich schrieb es ihm.«

Herr Eck erhob sich und verbeugte sich ehrerbietig in tiefer Rührung: »Es ist mir lieb, zu erfahren, daß Sie es gewesen, wie ich es ahnte. Nun also, nachdem er es erfahren hatte, verließ er Paris und er, der Abgeordnete, stand nicht an, auf jenem Grabe auszusprechen, was er von einem ehrlichen Manne hielt, der durch die von ihm gegründete Industrie mehr als tausend Personen Verdienst verschafft, in einer Stadt, wo es so viel Elend gibt. Und dafür fand er Worte, welche stets in unserm Herzen widerhallen werden, in dem meinigen und in dem eines jeden Mitgliedes unsrer Familie.«

Er hielt, von diesen Erinnerungen sichtlich bewegt, inne. Dann fuhr er fort: »Fragen Sie nicht, Matame, warum ich hieran erinnere. Sie sollen es hören; zu diesem Zwecke habe ich Sie um diese private Unterredung gebeten. Sie werden nach diesen Erklärungen begreifen, welche Hochachtung wir für Herrn Ateline haben und in welchen Ausdrücken wir von ihm sprechen, meine Mutter, meine Schwester, meine Frau, meine Söhne, meine Neffen und ich selbst. Es ist niemand in Elbeuf, für den wir so viel Hochachtung und, gestatten Sie das Wort, so viel Freundschaft hegen. Alles was Sie betrifft, interessiert uns und oft haben wir uns gefreut, wenn wir hörten, daß Sie ein gutes Geschäft gemacht, ebenso wie es uns betrübte, das Gegenteil zu vernehmen; zum Beispiel die Geschichte mit diesen Bouteilliers.«

Allmählich hatte sich Frau Adeline beruhigt: all das war in so offenbar treuherzigem und wohlwollendem Tone vorgetragen worden, daß ihre Unruhe schwinden mußte und schwand. Aber bei den letzten Worten, welche anzudeuten schienen, daß nun eine Geldangelegenheit erörtert werden sollte, ergriff die Angst sie von neuem. Würden diese ohne jeden Anlaß gemachten Beteuerungen der Sympathie und der Freundschaft etwa zu einem peinlichen Schlusse führen, dessen Wirkung Herr Eck, der nicht bösartig war, abschwächen wollte, indem er darauf vorbereitete? Das Schreckliche ihrer Situation war, daß Sie überall Gefahr witterte.

»Ganz gewiß,« fuhr Herr Eck fort, »braucht man nicht mit besonders scharfen Augen zu sehen, um Fräulein Perthe reizend zu finden. Sie ist eine sehr hübsche Person – – – sie wird ganz ihre Mutter werden, und ein junger Mann, selbst wenn er ihre Familie nicht kennt, muß von ihr bezaubert sein. Um wie viel mehr erst, wenn er die Gefühle teilt, die ich Ihnen soeben ausdrückte. Das trifft gerade bei meinem kleinen Michel zu; ich sage ›klein‹, weil ich ihn von klein auf kenne, aber in der That ist er ein braver Junge, verständig, arbeitsam, und er leistet uns die größten Dienste in der Fabrik; er ist der liebenswürdigste, umgänglichste, gutmütigste und ruhigste Charakter, den ich kenne. Kurz, kurz, er liebt Matemoiselle Perthe, und ich bitte für ihn um die Hand Ihrer Tochter.«

Schon oft und seit lange her hatte Frau Adeline Heiratspläne für ihre Tochter gemacht, und solange die Geschäfte glänzend gingen, wählte sie ihren Schwiegersohn aus den höchsten Ständen, je mehr sie nachließen, um so mehr setzte auch sie ihre Ansprüche herab; an Michel Debs hatte sie niemals gedacht. Ein Jude!

Ihre Ueberraschung war so lebhaft, daß Herr Eck, der sie beobachtete, befremdet aufblickte.

»Ich merke,« sagte er, »daß Sie an Herrn Atelines Mutter denken, welche eine so strenggläubige Frau ist. Auch wir haben unsre Mutter, die in unsrer Religion nicht weniger strenggläubig ist, als die Ihrige. Das habe ich auch meinem kleinen Michel gesagt, als er mir von dieser Heirat sprach: ›Und deine Großmutter und die Großmutter der Matemoiselle Perthe, wie steht's damit?‹«

Gerade an diese beiden Großmütter, an die von Bertha und die von Michel, hatte sie gedacht, nachdem sie sich von ihrem ersten Erstaunen etwas erholt hatte.

Von dieser letzteren, die kein Mensch je zu sehen bekam, weil sie wie eine Orientalin in ihren vier Mauern lebte, erzählte man sich die geheimnisvollsten Geschichten.

Was würde diese an den starren Gebräuchen ihrer Religion festhaltende alte Frau von ihrer Schwiegertochter nicht alles verlangen? Mit welchen Augen würde sie die an ihrem Tische sitzende Christin betrachten, sie, die nur koscheres d. h. Fleisch von geschächteten Tieren aß und die einen mit dem Ritus vertrauten Arbeiter aus dem Elsaß eigens als Schächter hatte kommen lassen? Obgleich Frau Adeline weder Zeit noch Lust hatte, auf diesen Stadtklatsch zu hören, konnte sie es doch nicht verhindern, daß einige dieser Absonderlichkeiten, welche man der alten Jüdin nachsagte, ihr erinnerlich blieben und auffielen.

Bevor sich die Eck und Debs in Elbeuf niedergelassen hatten, kümmerte man sich wenig um die jüdischen Gebräuche; mit dem Tage jedoch, an welchem diese alte Frau in ihr Haus einzog, hatte ihr starrer Judenglaube die Neugierde und Kritik wach gerufen. Es gehörte zum alltäglichen Gesprächsstoffe, daß man sich erzählte: sie lasse sich das Wild lebend ins Haus bringen, damit der Schächter es schächte; sie esse keine abgeschuppten Fische; sie habe ein besondres Geschirr für das Fette, ein andres für das Magere; Fische dürften nur mit Butter, Oel oder Fett zubereitet werden; wenn Fleisch auf den Tisch komme, dann esse sie weder Käse noch Milchspeise, noch Kuchen; das Essen für Samstag koche man schon Freitags, und weil am ersteren Tage die Israeliten kein Feuer anrühren dürften, lege man eine eiserne Platte auf glühende Kohlen und stelle auf diese in einem Topfe die vollständig gekochten Gerichte, auch dürfe dieser Topf nur von einem Juden heruntergenommen werden; endlich verstecke sie ihre abgeschnittenen Haare unter einer Samthaube und zwinge ihre Tochter und Schwiegertochter, ihre Haare nicht lang wachsen zu lassen.

Sicher wurde dabei vieles übertrieben, aber das Wahre, das davon übrig blieb, verriet immerhin einen wenig ermutigenden religiösen Uebereifer. Sie kannte ihn, diesen Glaubenseifer, seit zwanzig Jahren hatte ihre Schwiegermutter sie nur allzu sehr darunter leiden lassen; sie mochte ihre Tochter dem nicht aussetzen. Und dazu die Frau eines Juden! So frei von Vorurteilen sie sonst auch war, von diesem hatte sie sich noch nicht frei machen können. Kein junges Mädchen aus ihrem Bekanntenkreise hatte jemals einen Juden geheiratet; das war in Elbeuf nicht an der Tagesordnung.

Aber Herr Eck ließ ihr keine Zeit zum Ueberlegen, er fuhr fort: »Selbstverständlich hat Michel zu Matemoiselle Perthe von seiner Liebe niemals gesprochen, er ist ein ehrenwerter Mensch, ein Gentleman, glauben Sie es mir, Matame Ateline. Ich will nicht behaupten, daß seine Augen nicht gesprochen hätten, aber den Mund hat er nicht aufgethan. Vielleicht weiß sie trotzdem, daß sie geliebt wird, denn die jungen Mädchen sind im Erraten dieser Dinge sehr geschickt, aber sie weiß es gewiß nicht aus einer formellen Erklärung. Michel wollte, daß vor allem die Familien sich verständigten, und das gerade führte mich zu Ihnen. Ich hoffte, Herrn Ateline zu treffen, und Michel, der keine Gelegenheit versäumt, um Matemoiselle Perthe zu sehen, wollte mich durchaus begleiten, wenn dies vielleicht schon nicht ganz in der Ordnung ist. Der Zufall wollte, daß Herr Ateline abwesend war, und ich bin glücklich, daß ich meinen Antrag bei Ihnen anbringen konnte; bei derartigen Gelegenheiten wird man mit der Mutter besser fertig als mit dem Vater. Teilen Sie es, bitte, Herrn Ateline mit und, wenn Sie es angezeigt finden, Matemoiselle Perthe. Was Michel betrifft, so können Sie sich darauf verlassen, daß er von aufrichtiger und zärtlicher Liebe beseelt ist; für ihn ist es keine Vernunftheirat, sondern eine Neigungsheirat. Was mich betrifft, so können Sie sich darauf verlassen, daß es für unsre Familie eine Ehre ist, sich mit der Ihrigen zu verbinden. Ich will frei und offenherzig sprechen: Ich bin nicht ehrgeizig und suche die Verbindung mit Herrn Ateline nicht deshalb, weil er Abgeordneter ist und eines schönen Tages Minister werden wird; ich habe schon meinen Orden und erwarte nichts von der Regierung. Auch unsre Geschäftslage ist gut; wo andre Geld verlieren, verdienen wir welches, die Inventur wird Ihnen das beweisen, wenn wir sie Ihnen vorlegen können. Sie werden sehen, Sie werden sehen, sie ist gut.«

Er rieb sich die Hände: »Sie ist gut, sie ist gut. Das Haus Eck und Debs ist derart organisiert, daß es vorwärts kommen muß; es wird vorwärts kommen und bestehen, solange ein Eck, solange ein Debs da ist, um es zu halten; und ich glaube nicht, daß ihm der Same so bald ausgehen wird. Was wir also einzig mit dieser Heirat bezwecken, ist, der Ehre, zu Ihrer Familie zu gehören, teilhaftig zu werden. Der Vater Eck wird nicht ewig leben und seine Söhne, seine Neffen werden ihm nachfolgen; würde alsdann eine Firma: ›Eck und Debs-Ateline‹ so übel klingen? Das alte Haus bliebe bestehen, der alte Baum würde neue Aeste treiben, die Kinder Michels wären Atelines.«

Hiermit erhob er sich.

»Wollen Sie nicht auf meinen Mann warten?« fragte Frau Adeline.

»Nein, ich lege unsre Angelegenheit in Ihre Hände, Sie werden sie besser vertreten, als ich es selbst vermöchte.«

Sie kehrten nun in das Comptoir zurück, wo sie Leonie mit dem ganzen Gesichte lachend fanden.

»Man hat sich amüsiert, wie ich sehe,« sagte der Vater Eck, »man hat ein hübsches Plauderstündchen gehalten.«

»Herr Michel macht uns immer lachen.«

»Der Michel ist doch ein glücklicher Mensch, daß er die hübschen Mädels so lachen macht; was hat er euch denn erzählt?«

»Er hat uns erklärt, warum die Karthager goldne und die Römer silberne Schnallen an den Panzern trugen. Wissen Sie es, Herr Eck?«

»Nein, wahrhaftig nicht, Matemoiselle; zu meiner Zeit war man in der geschichtlichen Forschung noch nicht so weit fortgeschritten wie jetzt, wir wußten noch nichts von goldnen und silbernen Panzerschnallen der Karthager und Römer.«

»Sie trugen sie – um die Panzer zuzuschnallen!«

»Ah! wirklich?« sagte der Vater Eck, der den Witz nicht begriffen hatte.

»Entschuldigen Sie, Madame,« sagte Michel, indem er sich mit einem verbindlichen Lächeln an Frau Adeline wandte, »Fräulein Leonie machte einen Aufsatz über Hannibal, was sie nicht sonderlich unterhaltend fand; ich wollte sie aufmuntern. Jetzt, glaube ich, wird sie den Hannibal nicht mehr vergessen.«

»Herr Michel weiß jedem ein angenehmes Wort zu sagen,« ließ sich die Mama vernehmen.

Frau Adeline schaute ihrer Tochter Bertha in die Augen und, nach deren Glanze zu urteilen, hatte Michel auch ihr sicherlich etwas Angenehmes zu sagen gewußt – aber zweifellos etwas weniger Kindisches, als Leonie. Sollte sie ihn lieben?


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