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Sechzehntes Kapitel

Für Raphaëlla und Friedrich war es sehr wichtig, einen Präsidenten zu haben, welcher in der Lage war, vom Polizeipräfekten die Ermächtigung zur Eröffnung ihres Klubs zu erlangen; aber damit war noch nicht alles gethan. Das Gesuch, welches an den Präfekten gerichtet wurde, mußte von zwanzig Gründern mitunterzeichnet sein, und es lag in ihrem Interesse, die Auswahl dieser Mitglieder nicht Adeline zu überlassen, der sie nicht zu finden wissen, oder wenn er sie fände, eine schlechte Wahl treffen würde. Zwar sollte ihm bei der Gründung des Klubs die Oberleitung überlassen werden, aber wenn sie geschickt manövrierten, würden sie ihn, ohne daß er etwas merkte, dazu bringen, gerade diejenigen Personen auszuwählen, die ihnen genehm waren.

Raphaëlla legte Gewicht auf Namen, die recht vornehm, Friedrich auf solche, die recht solid klangen.

Aber ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheit zankten sie sich darüber nicht; als treue Verbündete machten sie sich gegenseitig Zugeständnisse.

»Verbinden wir Vornehmheit und soliden Klang.«

Auf das unermüdlichste und gewissenhafteste brauten sie dieses Gebräu; für Friedrich war niemand vornehm genug und für Raphaëlla niemand solid genug, zum mindesten theoretisch betrachtet, denn in der Praxis, d. h. sobald die Frage erörtert wurde, ob die auf ihrer Liste Stehenden sich auch wirklich beteiligen würden, sahen sie sich in die Notwendigkeit versetzt, ihre Ansprüche wesentlich herabzuschrauben.

»Sehr vornehm ist er allerdings nicht, aber streng genommen geht er an.«

»Ich gebe zu, daß er nicht zu den allersolidesten gehört, aber wenn wir zu wählerisch sind, wird uns schließlich niemand übrig bleiben.«

Für Raphaëlla war die Zusammensetzung dieser Liste eine wahre Plage, sie träumte davon, und mehr als einmal weckte sie Friedrich morgens, um ihm ihre Gedanken mitzuteilen, die ihr über Nacht gekommen waren.

»Schläfst du, mein Herz?«

»Ja, ich schlafe.«

»Nein, du schläfst nicht. Höre einmal ... höre doch.«

»Nun was gibt's?«

»Wir haben keinen Herzog.«

»Was sollen wir mit einem Herzog anfangen?«

»Für unsre Liste; wir müssen mindestens zwei haben, im Jockeyklub sind sechsunddreißig.«

»Im Ganacheklub ist keiner.«

»Aber die Crémerie hat einen.«

»Ei gut, suche sie, laß mich schlafen; vielleicht gelingt es dir, einen Lord zu finden, das wäre noch stilvoller; die Herzöge sind aus der Mode. Wenn du übrigens so großen Wert darauf legst, werde ich dir einen verschaffen, bloß ist er ein Spanier, der Herzog von Arcala, ein Freund meines Vaters.«

Wenn Raphaëlla unter ihren früheren Bekannten hätte wählen können, so würde sie sich einen kleinen Gothaischen Kalender zusammengestellt haben, leider aber erlaubten ihre Beziehungen zu denen, von welchen sie sich getrennt, oder vielmehr, welche sich von ihr getrennt, ihr nicht mehr, sich an dieselben zu wenden. Da wäre sie schön angekommen! Und doch waren darunter Leute, die ihretwegen die extravagantesten Narrheiten begangen hatten, die sich ruiniert, entehrt, es bis zum Verbrecher gebracht hatten; aber jene Zeiten waren längst vorbei, und das Andenken, das sie daran bewahrten, war weder ein angenehmes, noch ein zärtliches.

Ohne also zu wählerisch zu sein, gelang es ihnen schließlich, eine Liste aufzustellen, bei welcher die oben anstehenden Namen einen gewissen dekorativen Eindruck zu machen nicht verfehlten.

Da war zunächst der Graf von Cheylus, früher Staatsrat im außerordentlichen Dienste, Präfekt a. D., Abgeordneter, Kommandeur der Ehrenlegion, Großkreuz von fünf oder sechs ausländischen Orden, dann ein General, dem man in Nizza und in Cannes den Spitznamen »General Epaminondas« gegeben hatte, was unter den Falschspielern eine besondre Bedeutung hatte, ferner ein amerikanischer Kommodore, ein Musiker und ein Bildhauer, notorisch ausgehungerte Leute, die stets auf der Suche nach Bekanntschaften waren, als sollte jede neue dem einen Bestellungen eintragen und dem andern zur Aufführung seiner fünf oder sechs Opern, die er in seiner Mappe hatte, verhelfen, endlich ein Journalist, welcher, wie er sagte, in der Presse und bei der Regierung gleichen Einflusses sich erfreute und somit als eine brauchbare Persönlichkeit gelten konnte, der gegenüber es klug war, zuvorkommend zu sein.

Aber sie ergänzten ihre Truppe nicht nur aus diesen bekannten Größen, auf die sie aus persönlichen Gründen rechnen konnten, sondern auch aus dem Bekanntenkreise ihrer Freunde. So hatte Barthelasse, der ehemalige Direktor von Klubs in Biarritz, in Pau und in der Provence, der sich dort ein Vermögen von zwei bis drei Millionen gesammelt hatte und bei dem Friedrich Croupier gewesen war, einen frühern Botschafter zur Verfügung gestellt, den man jeden Abend in den Salons des Klubs vorführen konnte, es kostete nur »die Schmiere«, d. h. das Diner der Table d'hôte und eine Spielmarke im Werte von einem Louisdor, die er übrigens aufs gewissenhafteste wieder verlieren würde. Zwar war Barthelasse seit mehreren Jahren mit diesem frühern Botschafter im südlichen Frankreich umhergereist, aber jene Vorstellungen in der Provinz hatten ihn noch nicht ganz abgenutzt, und in Paris, wo nur sein Name bekannt war, würde er sich noch ziemlich gut ausnehmen.

Sobald erst Raphaëlla ihren Herzog hatte, wollte man Adeline die Sorge überlassen, die andern zur Komödie nötigen Statisten unter den großen Pariser Kaufleuten, mit welchen er Geschäfte machte, und auch unter seinen Kollegen aufzutreiben. Mehrere derselben, welche mit ihrer Gegenwart die Diners in der Avenue d'Antin beehrt hatten, schienen dazu geeignet, und namentlich einer von ihnen, den sie gerade damals für die Präsidentschaft ins Auge gefaßt und mit besondrer Aufmerksamkeit behandelt hatten, als ihnen das Falliment der Gebrüder Bouteillier Adeline in die Hände lieferte. Dieser gute Mann aus Nevers, der ein noch größerer Provinziale war als der Elbeufer, konnte sicherlich als der fleißigste der Abgeordneten gelten, und es tauchte kaum eine Gesetzesvorlage von lokalem Interesse auf, über welche er nicht Bericht erstattete. »Auf der Tagesordnung steht die Beratung über die Berichterstattung des Herrn Bunou-Bunou«; er fand sich so oft in den Zeitungen abgedruckt, dieser Name Bunou-Bunou, daß er in ganz Frankreich bekannt war, wodurch er in den Augen Raphaëllas einen gewissen Wert hatte, den der Offenkundigkeit. Allerdings verdankte er dieses Bekanntsein zum großen Teil jenem köstlichen Berichte über das Weiderecht und das Umherlaufenlassen der Haustiere in den Straßen von Paris, welcher sechs Monate lang für die Unterhaltung der Zeitungsleser sorgte. Aber darauf kam es wenig an, denn was beim Bekanntsein die Hauptsache ist, das ist das Bekanntsein selbst; und wenn es auch eine Folge davon ist, daß man sich lächerlich gemacht hat, so bleibt nach Verlauf eines Jahres von der Lächerlichkeit nichts mehr übrig, und nur das Aufsehen, das der Name erregte, haftet dem Publikum noch im Gedächtnisse. Bunou-Bunou war eine bekannte Persönlichkeit, das Weiderecht war vergessen. Uebrigens war er der beste und redlichste Mensch von der Welt, stets auf seinem Platze, wo er schrieb, schrieb, schrieb, sein greises Haupt über sein Pult gebeugt, seine Arbeit nur unterbrechend, um abzustimmen. Im Klub würde er seine Schreiberei fortsetzen, dort war es heller und wärmer, als in dem Zimmer seines Gasthofs, wo, wie er zu sagen pflegte, das Holz »verteufelt viel teurer« sei als zu Chateau-Chinon.

Nach diesen Vorbereitungen handelte es sich nur noch darum, Adeline vorwärts zu treiben. Das war es, was Raphaëlla verlangte, worauf sie bestand, während Friedrich sich geneigt zeigte, abzuwarten, bis die Ueberlegung ihre Wirkung thäte.

»'s ist ein Drückser, dein Normanne, heute schlüssig, morgen unschlüssig; er wiegt das Für und Wider ab, wie ein Apotheker seine Pülverchen.«

»Gestehe, daß die Pille schwer zu schlucken ist.«

»Was geht das uns an? Wir schlucken sie ja nicht; übrigens braucht man sie ihm nur zu vergolden, und das ist deine Sache.«

»Ich bin zu Ende.«

»Ist das wirklich wahr? Du weißt nicht mehr, was du sagen und was du thun sollst?«

Er zuckte die Achseln.

»Ereifre dich nicht gegen deine kleine Frau, wenn sie dir beweist, daß man noch etwas sagen und thun kann, höre sie an und erinnere dich später, wenn wir verheiratet sein werden, daß du Grund hattest, ihren Rat einzuholen, als du mit deinem Latein zu Ende warst in einer Angelegenheit, von welcher unser Vermögen abhing, und daß sie doch zu etwas gut ist.«

»Ich höre dir zu.«

»Worauf es ankommt, ist, daß wir unsern Mann vorwärts treiben, nicht wahr?«

»Zweifellos,« erwiderte er mit einer gewissen Ungeduld.

Er wurde reizbar, als er sah, daß sie es sich so angelegen sein ließ, ihm zu beweisen, daß sie zu etwas gut sei, wo er keinen Rat mehr wußte; zu oft schon hatte sie, was Feinheit und Findigkeit betraf, auf ihre Ueberlegenheit gepocht in der Meinung, sich ein Ansehen zu geben, während sie ihn dadurch in der That gerade gegen sich einnahm. Sie war mit ihren Liebhabern niemals zart umgegangen und schien nicht zu wissen, daß die Männer sich um so leichter leiten lassen, je weniger sie die Fäden fühlen, an denen sie gehalten werden.

»Wir haben uns an Adelines Eigennutz gewendet,« sagte sie, »an seine Hoffärtigkeit, an seine Ruhmsucht, und alles, was du ihm gesagt hast, wälzt er nun in seinem Geiste hin und her, weil du dich nur an seinen Geist gewendet hast.«

Er sah sie an, ohne zu begreifen, wo sie hinaus wollte.

»Nun, wir müssen ihn jetzt durch seine Augen fangen, wir müssen uns an seine Augen wenden.«

»Die Augen? Was, die Augen?«

»Du sollst ihn nach der Avenue de l'Opera führen und ihn die Räume bis ins einzelne besichtigen lassen. Das ist doch keine schwere Aufgabe.«

»Ich begreife; er wird geblendet sein.«

»Das glaube ich dir. Versetze dich an die Stelle dieses guten Spießbürgers, wenn er durch jene Salons, die ihm schon ihren Goldstaub in die Augen streuen werden, hinwandelt und sich stolz in jenen mächtigen Marmorflächen bespiegelt. Glaubst du nicht, daß er ein Gefühl des Stolzes empfinden wird, wenn er sich sagt, daß er Herr in diesem Palaste sein werde?«

»Bist du eine Kanaille!«

»Nachher führst du ihn zu Lobel und läßt ihm das Mobiliar zeigen, vor allem die Teppiche und Gobelins, er muß Sinn für Farben haben, dieser Tuchfabrikant, Wollstoffe, das ist seine Spezialität. Ich sage nicht, daß er darüber in Verzückung geraten wird, wie über die Räume, aber Vertrauen wird es ihm einflößen, wirkliches Vertrauen, der Eindruck, den das Mobiliar macht. Du mußt ihn auch zum Schneider führen, damit er die Livree sieht. Wenn du mir dann bei deiner Rückkehr nicht sagst, daß wir gewonnenes Spiel haben, dann gestehe ich, wie du, ein, daß ich keinen Rat mehr weiß.«

Friedrich nahm nur eine Aenderung in der Ausführung des Programms vor; er kehrte die Ordnung um; anstatt zuletzt zum Schneider zu gehen, fing er bei diesem an; er hoffte dadurch eine Steigerung hervorzubringen.

Beim ersten Worte begann Adeline abzuwehren.

»Es ist Zeit, daß ich mich entschließe, aber ich gestehe Ihnen, daß ich noch schwanke; ich versichere Sie, daß ich durchaus nicht der Mann bin, dessen Sie bedürfen; ein guter Bürgersmann wie ich würde in dieser Rolle des Präsidenten nicht an seinem Platze sein, ich besitze nicht die erforderlichen Eigenschaften und würde mich möglichst linkisch anstellen; ich fürchte den Erfolg des Unternehmens in Frage zu stellen; man könnte sich über mich und, was noch schlimmer wäre, über Sie lustig machen.«

Friedrich protestierte in der artigsten Weise, aber ohne sich auf eine regelrechte Widerlegung einzulassen.

»Wir werden später auf diese Frage, ob Sie annehmen oder ausschlagen, wieder zurückkommen,« sagte er, »für jetzt bitte ich Sie lediglich um Ihren Rat bei Auswahl unsrer Livree. Wir schaffen kein Werk für einen Tag, und wir suchen uns diese Livree nicht in der Voraussicht aus, daß sie einen oder zwei Monate halten soll. Meiner Auffassung nach muß sie recht gediegen sein; an den Tuchfabrikanten wende ich mich also mit der Bitte, mir behilflich zu sein.«

Adeline konnte es natürlich nicht abschlagen, seinem Freunde mit guten Ratschlägen an die Hand zu gehen. Er ließ sich daher zu dem Schneider führen, wo er ein kräftiges Tuch, ein gutes französisches Tuch, das lange halten würde, so wie Friedrich es wünschte, aussuchte.

Dann ließ er sich auch zu dem Tapezierer Lobel geleiten. In allen aus Wolle hergestellten Waren besaß er spezielle Kenntnisse, welche er nicht umhin konnte, für seinen Freund zu verwerten. Dort gab es nur Smyrnateppiche, persische und indische Teppiche, die man ihm vorlegte und die wirklich prachtvoll waren, und herrliche Portieren zu bewundern. Er brachte mehr als zwei Stunden damit zu, sich in ihrer Farbenpracht zu berauschen.

Aber wo er in Verzückung geriet, wie Raphaëlla sagte, das war, als er die Räume in der Avenue de l'Opera besichtigte.

»Wie gefällt Ihnen das?« fragte Friedrich in jedem Raum.

Und überall gab er das nämliche zur Antwort: »Das ist schön, das ist großartig, das ist wirklich Paris würdig.«

»Für achtzigtausend Franken muß man uns doch wohl etwas bieten.«

Als sie die ganz in farbigem Marmor gehaltene Treppe herabstiegen, wo ihre Tritte wie unter dem Gewölbe einer Kirche widerhallten, entschlüpfte Adeline ein Wort, welches verriet, wie es in seinem Gehirn arbeitete und welche Fortschritte er in seinen Anschauungen gemacht hatte.

Sie waren vor einer der Eingangsthüre gegenüber liegenden offenen Nische des Vorplatzes stehen geblieben.

»Hier werden wir eine Büste der Republik anbringen,« sagte er, wie wenn er mit sich allein spräche.

»Wir! Ja wohl, Sie, wenn Sie wollen, mein lieber Herr Präsident, denn Sie werden hier Herr im Hause sein; aber wenn ich hier etwas zu sagen hätte, würde ich die Büste nicht anbringen, denn abgesehen von gewissen persönlichen Gründen, die mich zurückhielten, bin ich der Ansicht, daß ein Klub neutraler Boden und ein Sammelpunkt für alle Welt sein soll.«

Adeline zögerte einen Augenblick: »Dann werden wir sie gemeinschaftlich anbringen,« sagte er.


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