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Achtzehntes Kapitel

Nachdem die Ermächtigung erlangt war, konnte der Klub, so große Lust auch Raphaëlla und Friedrich dazu hatten, doch nicht schon am Tage darauf seine Räume aufthun. Die Dienerschaft war zwar zum voraus angeworben, die Ausstattung bereit, aber man mußte den Tapezierern Zeit lassen, um die Teppiche aufzunageln und die Gobelins zu befestigen, den Küfern, um den Keller instandzusetzen, den Kunstdrechslern, um auf die Spielmarken die Marke des neuen Klubs sorgfältig einzugravieren, damit die Kasse von den sich dieses Geldes bedienenden Spielern nicht zu viel falsches würde einwechseln müssen, Geld, welches sich leichter und mit mehr Nutzen und weniger Gefahr nachmachen läßt als Banknoten. Es gibt in der That Spieltäfelchen von Perlmutter, die einen Wert von zehntausend Franken darstellen, und wenn einer jener Industrieritter erwischt wird in dem Moment, wo er derartige nachgemachte in Umlauf zu setzen versucht, so wird er zwar in ebenso bündiger als lautloser Weise aus dem Klub hinausbefördert, er verwirkt dabei aber keine Galeerenstrafe, welche die Aufschrift auf den Banknoten den Fälschern in Aussicht stellt.

Uebrigens galt es neben diesen für die vollständige Organisation des Klubs nötigen Arbeiten, noch eine Arbeit andrer Art zu besorgen, welche für dessen Gedeihen ebensosehr und vielleicht noch mehr ins Gewicht fiel: es galt, das Unternehmen bekannt zu machen. Ein Klub dieser Art konnte seine Pforten ohne Pauken- und Trompetenschall nicht öffnen, und Raphaëlla hatte schon seit langem ihr Orchester in Bereitschaft.

Die Musik begann pianissimo, es ging ein unbestimmtes Gerücht über einen neuen Klub; – piano, er würde in keiner Beziehung den bisher bestehenden gleichen; – adagio, man würde in demselben einen in Frankreich unbekannten Luxus und Komfort finden, und gleichzeitig gewährte derselbe eine absolute Sicherheit gegen Betrügereien im Spiel; von vornherein blieben die Spieler davor verschont, daß einer den andern zu überwachen brauchte, was jede Freude am Spiel benimmt; – andante, seine Räume befänden sich in der Avenue de l'Opéra, in dem schönsten Hause, das Paris in den letzten Jahren hatte entstehen sehen. – Nachdem derart die Aufmerksamkeit genügend wachgerufen war, hatte endlich Trompetengeschmetter seinen Namen verkündet: » Maestoso ma non troppo, Der große internationale Klub«; – largo, als Gründer gehörten ihm an die Elite der Diplomatie (der in Barthelasses Diensten stehende alte Botschafter), der Armee (der General Epaminondas), der politischen Persönlichkeiten (der Graf von Cheylus, Adeline, Bunou-Bunou), der Aristokratie (der Herzog von Arcala), der Künstler (Bagarry und Fastou), der Industrie, der Finanz-, der Pariser Handelswelt, die durch eine ganze Litanei ehrenwerter Namen vertreten und wohl geeignet waren, Vertrauen einzuflößen; – fortissimo, es war keine unsaubere Spekulation, wie so viele andre; – con calore, es war eine nationale Angelegenheit, con fuoco, welche im Geiste ihrer Gründer, tempo di marcia, zum Aufschwung des Volksvermögens beitragen sollte.

Während der Aufführung dieser Symphonie war Adeline, dessen Anwesenheit in Paris nicht nötig war, weil er sich um die Einrichtung des Klubs nicht zu kümmern brauchte, auf einige Tage nach Elbeuf gereist.

Wie stets war er des Abends angekommen und hatte seine Familie im Speisezimmer vor dem gedeckten Tische seiner harrend gefunden.

Wie stets ging er auf seine Mutter zu, die er ehrerbietig küßte.

»Wie geht es dir, Mama?«

»Gut, mein Junge, und dir? Weißt du, daß ich anfing, mich deinetwegen zu beunruhigen?«

»Warum denn?«

»Du bist unter denen aufgeführt, die aus der Kammer weggeblieben sind, und seit mehreren Tagen hast du kein Wort geredet, nicht einmal einen Zwischenruf gethan.«

»Du weißt wohl, daß dies nicht meine Gewohnheit ist.«

»Da hast du unrecht; wenn man etwas zu sagen hat, so sagt man es; das macht den Wählern, die sehen, daß ihr Abgeordneter auf seinem Platze ist, Freude.«

»Ich wurde durch die Arbeit in den Kommissionen zurückgehalten.«

Thatsächlich war Adeline durch die Arbeiten für die Gründung seines Klubs zurückgehalten worden, aber er konnte das seiner Mutter nicht sagen, weil er mit seiner Frau darüber noch nicht gesprochen hatte, und er hatte, um dies zu thun, gewartet, bis die Erlaubnis erteilt worden war. Heute abend wollte er ihr die große Neuigkeit mitteilen.

Aber gleich nach dem Abendessen konnte er das Gespräch nicht auf diesen Gegenstand bringen; denn nach Aufhebung der Tafel bat die Mama, anstatt sich, wie jeden Abend, in ihr Zimmer zurückzuziehen, sie ins Comptoir zu rollen, was sonst nur unter außergewöhnlichen Verhältnissen vorkam.

Was wollte sie denn? Was hatte sie vorzubringen?

Bei ihr brauchte man nie lange zu warten, sie zögerte nicht, den Mund zu öffnen und das, was sie auf dem Herzen oder im Sinne hatte, auszusprechen. Sobald Bertha und Leonie sich zurückgezogen hatten, begann sie:

»Mein Sohn, es gehen hier sonderbare Dinge vor.«

Adeline sah seine Frau voll Besorgnis an, indem er sich einbildete, daß ein Zwiespalt oder ein Streit zwischen seiner Mutter und ihr entstanden sei, was er mehr als alles in der Welt fürchtete.

»Ich habe mich bei meiner Schwiegertochter darüber beklagt, aber da sie meinen Vorstellungen keine Beachtung schenkte, muß ich mich wohl an dich wenden, so schwer es mir auch fällt, dich mit Streitereien zu behelligen, wenn du dich daheim ausruhen möchtest.«

Frau Adeline wollte ihren Mann, der sich fragte, wohin diese Einleitung ziele, von seiner Ungeduld befreien.

»Es handelt sich um Michel Debs,« sagte sie sanft.

»Richtig, es handelt sich um diesen Michel Debs, der hier nicht mehr von der Stelle weicht.«

»Oh, Mama,« rief Frau Adeline dazwischen.

»Ich bin doch hoffentlich glaubwürdig; wenn ich etwas sage, so kann man sich darauf verlassen. Natürlich bleibt dieser Tagdieb nicht von morgens bis abends hier, das behaupte ich nicht, aber er spürt alle Gelegenheiten aus, um hierherzukommen und Bertha zu sehen. Was hat dies zu bedeuten?«

»Du weißt wohl, daß er Bertha liebt; es ist ganz natürlich, daß er mit ihr zusammenzutreffen sucht.«

»So billigst du also diese Besuche?«

Umsonst aber ist man nicht Normanne.

»Ich finde nichts dabei, daß Bertha diesen jungen Mann näher kennen lerne; es scheint mir, daß, wenn es sich um eine Heirat handelt, dies das richtige Verfahren ist.«

»Und wenn er ihr gefällt?«

»Je nun –«

»Du würdest ihn als Schwiegersohn annehmen?«

»Möchtest du deine Enkelin unglücklich machen?«

»Gerade um sie nicht unglücklich zu machen, habe ich deine Frau gebeten, diesem jungen Manne unsre Thür zu verschließen; sie hat nicht auf mich gehört, er kommt nach wie vor, und man zeigt ihm nach wie vor ein freundliches Gesicht. Ich habe mich mit aller Macht zurückgehalten, um ihm nicht die Thür zu weisen. Es ist ein Skandal, ein Greuel; ganz Elbeuf weiß, daß er wegen Bertha zu uns kommt; in der Blesse richten sich die Blicke auf mich.«

Es war richtig, daß ganz Elbeuf sich mit der Heirat von Michel Debs und Bertha Adeline beschäftigte. Die verschiedensten Meinungen machten sich darüber geltend, man sprach von nichts andrem. Und da weder die Eck und Debs, noch die Adelines jemand ins Vertrauen gezogen hatten, so fragte man sich, ob es möglich wäre. Bei dem Versuche, etwas zu erraten, begafften die Betschwestern von Saint-Etienne die alte Frau Adeline, und unter diesen Blicken geriet sie außer sich. Sie ärgerte sich nicht sowohl, weil sie einen Gegenstand der Neugierde bildete, als weil sie vielmehr das bedenkliche Kopfschütteln derjenigen, welche sie betrachteten, erriet. Wie konnten sie sie für fähig halten, eine solche Heirat gutzuheißen!

»Nun,« hob sie wieder an, »wirst du mir offen antworten und zwischen deiner Frau und mir entscheiden: Billigst du diese Besuche? Sprich.«

So ausgeprägt auch bei Adeline der normannische Charakter war, fiel es ihm doch schwer, auf eine in so bestimmtem und feierlich ernstem Tone gestellte Frage keine Antwort zu geben. Er machte trotzdem den Versuch.

»Ich sagte dir ja, daß wir sie nur vorläufig duldeten.«

»So billigst du sie?«

»Aber ...«

»Ja oder nein; billigst du sie oder ermächtigst du mich, daß ich jenem jungen Mann einen Wink gebe – in artiger Weise – daß er hier nichts mehr zu suchen hat?«

Diesmal gab es kein Ausweichen mehr.

»Es ist unmöglich,« sagte er.

Er wollte diese Unmöglichkeit erklären und begründen, aber sie schnitt ihm das Wort ab.

»Rolle mich in mein Zimmer.«

»Aber, Mama!«

»Ich bitte dich, mich in mein Zimmer zu rollen. Wenn ich mich meiner Beine bedienen könnte, wäre ich schon draußen. Ich habe dir schon gesagt, was ich von jener Heirat halte. Besser, Bertha heiratet nie, als daß sie die Frau eines Juden werde. Ich wiederhole es dir. Ich weiß wohl, daß du zu der Heirat meiner Einwilligung nicht bedarfst, aber bedenke, was ich dir sage: Ich werde nie meinen Segen dazu geben.«

»Aber Mama ...«

»Rolle mich in mein Zimmer.«

Nun war keine Auseinandersetzung mehr möglich; er that, was sie wünschte, und betrübt kehrte er zu seiner Frau zurück.

»Da haben wir's,« sagte diese.

»Und gerade im Augenblicke, wo ich eine günstige Neuigkeit bringe, wo ich glaube, einen entscheidenden Schritt zur Sicherstellung dieser Heirat gethan zu haben.«

»Was für eine Neuigkeit?« fragte sie eher voll Besorgnis, als voll Hoffnung, wie es diejenigen zu thun pflegen, welche ungerechte Schicksalsschläge erduldet haben und auf kein Glück mehr zu hoffen wagen.

Er erzählte, wie er durch seinen Freund, den Vicomte von Mussidan, welcher ihn gelegentlich der durch das Falliment Bouteillier entstandenen Krise in so liebenswürdiger Weise zu Dank verpflichtet hatte, dazu gebracht worden war, sich mit der Gründung eines Klubs zu befassen, als dessen Endzweck man die Hebung des Volksvermögens im Auge hatte. Er setzte die Stellung auseinander, die ihm dadurch geschaffen wurde, ihre ehrende und ihre materielle Seite; endlich erzählte er, mit welcher Bereitwilligkeit man ihm die gewünschte Erlaubnis erteilt habe.

»Und du hattest mir kein Wort davon gesagt!« rief sie aus.

»Alles andre war der Erlaubnis gegenüber unerheblich und erst vorgestern habe ich sie erhalten.«

Es war nicht die Freude, welche eine gute Neuigkeit erzeugt, was sich auf dem Gesichte der Frau Adeline malte, ganz im Gegenteil.

»Wie du das aufnimmst!« sagte er. »Schlägst du denn in unsrer Lage einen Gewinn von fünfundsiebzigtausend Franken und einen Gehalt von sechsunddreißigtausend für nichts an?«

»Weil ich zu große Angst habe.«

»Wovor?«

»Ich weiß es nicht.«

»Nun, und dann?«

»Ich verstehe nichts von diesen Dingen; du selbst verstehst nichts davon; wie willst du mir Zuversicht einflößen? Was ich begreife, ist, daß es sich um das Spiel handelt und daß euer Klub vom Spielgewinst sein Dasein fristen soll.«

»Wie alle Klubs. Wenn ein Spieler bei uns spielt, so bezahlt er uns dafür, wie ein Spekulant einen Wechselmakler für das Börsenspiel bezahlt.«

»Glaubst du? Ich kann dieses Geld nicht leiden, die Quelle, aus der man schöpft ... (sie wollte sagen »ekelt mich an«, aber sie besann sich) ... stößt mich ab.«

»Es ist diejenige, aus welcher alle Klubs schöpfen. Sei versichert, daß es bloß die Spieler sind, die es unmoralisch finden, einen gewissen Prozentsatz von den Summen, welche sie aufs Spiel setzen, zu bezahlen; das Publikum wäre eher geneigt, jenen Prozentsatz zu niedrig zu finden.«

»Aber wenn du selbst ein Spieler würdest! Wenn man mit den Leuten zusammenlebt, nimmt man deren Fehler an.«

»Ich ein Spieler! In meinem Alter!« sagte er lachend. »Ich, dessen einzige Sorge es ist, Geld für euch zu verdienen, ich sollte mich dem aussetzen, welches zu verlieren! Du glaubst selber nicht, was du sagst.«

»Aber, wenn du dich von jenen Leuten betrügen ließest; all jenes Volk, das vom Spiele lebt, hat einen schlechten Ruf.«

»Glaubst du, daß ich nicht die Augen offen halten werde? Ich bin nicht lebenslänglicher Präsident, und an dem Tage, an welchem ich die kleinste kompromittierende Unregelmäßigkeit bemerkte, so geringfügig sie wäre, würde ich mich zurückziehen.«

»Und wenn du sie nicht bemerkst?«

»Kannst du mir morgen fünfzigtausend Franken geben, um dem Vicomte sein Geld zurückzuerstatten? Nein, nicht wahr? Bist du andrerseits in der Lage, mir einen jährlichen Gewinn von sechsunddreißigtausend Franken zu verschaffen, die wir beiseite legen können? Nein, nicht wahr? Nun wohl! Dann laß uns die sich bietende Gelegenheit nicht von der Hand weisen, selbst wenn wir dabei etwas wagen. Du wirst wenigstens zugestehen, daß das Wagnis recht klein ist. Wir zwei, wir werden schon auf unsrer Hut sein.«

Was sollte sie noch weiter sagen? Ihr Gefühl und noch dazu ein unbestimmtes war es, das sie den Einwand erheben hieß, und sie wußte der Antwort ihres Mannes nichts Positives entgegenzusetzen. Es blieb ihr nichts übrig, als sich den vollendeten Thatsachen zu beugen – wenigstens für den Augenblick. Aber wenn er versprach, die Augen offen zu halten, gab sie sich das Wort, ihrerseits sie auch offen zu halten.

Bertha nahm seine gute Neuigkeit am nächsten Morgen freundlicher auf.

»Dies wird also unsre Heirat ermöglichen!« rief sie aus, als er ihr die Sachlage auseinander gesetzt hatte.

»Mindestens fördert es dieselbe.«

»Wenn du wüßtest, wie glücklich ich bin! Jetzt darf ich dir wohl sagen, daß ich seit unsrem Spaziergange in dem Walde von Thuit kaum mehr ordentlich lebte. Je liebenswürdiger und zuvorkommender ich Michel fand, je mehr ich seine guten Eigenschaften erkannte, je mehr er mir gefiel, je mehr ich ihn ... liebte, um so mehr grämte ich mich, geriet ich in Verzweiflung, wenn ich mir sagte, daß ich vielleicht auf ihn verzichten müsse. Jetzt also dürfen wir offen miteinander verkehren, nicht wahr?«

»Noch nicht. Wir müssen deine und seine Großmutter schonen. Aber da kommt mir ein Gedanke, welcher dich trösten wird. Wir geben zur Eröffnung des Klubs ein Fest. Ganz Paris wird daran teilnehmen. Du kannst mit deiner Mutter hinkommen, und ich werde Michel einladen.«

»Du bist ohne Frage der König unter den Vätern!«

»Da die Könige ihren Töchtern königliche Toiletten anbieten müssen, so kannst du mir sagen, was für ein Kleid ich bei Madame Dupont bestellen soll.«

»Du brauchst keins zu bestellen; ich habe mein Kleid von rosa Tüll, das ich erst einmal getragen, es steht mir sehr gut, es genügt, da Michel es noch nicht kennt und ... da ich nur für ihn Toilette mache.«


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