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Neuntes Kapitel

Dieses natürliche Lachen und das dasselbe begleitende Wort kamen so ungezwungen aus dem Herzen, daß es als erwiesen gelten konnte: Das Verschwinden des Vorurteils, wovon Adeline mit seiner Frau gesprochen hatte, war zur Thatsache geworden. Während es bei der Großmutter noch im höchsten Grade vorhanden war, bei der Mutter noch sich geltend machte, existierte es bei der Tochter nicht mehr; es war so gründlich verschwunden, daß sie darüber lachte. »Was soll mir denn das ausmachen, daß er Jude ist?«

»Wenn es dir auch nichts ausmacht, daß er Jude ist,« sagte Adeline nach einem Augenblick des Ueberlegens, »so denkt doch deine Großmutter anders darüber.«

»Sie ist gegen diese Bewerbung, nicht wahr?« fragte Bertha mit bebender Stimme.

»Kannst du daran zweifeln?«

»Und Mama?«

»Deine Mutter hat niemals an diese Heirat gedacht, aber sie wird keine Einwendung erheben, wenn du deinerseits sie wünschest.«

»Und du, Papa?«

Das wurde mit einer sanften und bewegten Stimme gefragt, die des Vaters Herz rührte.

»Du weißt wohl, daß ich nur das will, was du willst.«

Sie schmiegte sich an ihn.

»Gerade deshalb ist es nötig, daß du dich offen erklärst. Du wirst einsehen, daß ich nicht in dich dringe, bloß um dich zu einem Geständnisse zu nötigen, daß ich nicht ohne besondern Grund in deinem Herzen lesen und dich veranlassen möchte, ein Gleiches zu thun. Ich fühle sehr wohl, daß es ein delikates Thema ist, über das sich ein junges Mädchen wie du, unschuldig und reinen Herzens, nicht gern ausspricht, und worauf ich als Vater, glaube es mir nur, lieber nicht bestehen würde. Aber es muß sein.«

»Ich habe keine Geheimnisse vor dir.«

»Dessen bin ich gewiß und das gerade läßt mich darauf beharren. Seitdem du heranzuwachsen anfingst, habe ich dich – wie viele Male! – verheiratet, aber niemals ohne daß wir uns in Uebereinstimmung befunden hätten. Um zu wissen, ob jetzt diese Uebereinstimmung vorhanden ist, bitte ich dich eben, offenherzig mit mir zu reden. Ist denn das unmöglich?«

»O nein!«

»Wen willst du zum Vertrauten wählen, wenn nicht deinen Vater? Wo willst du jemand finden, der dir mit größerer Teilnahme zuhörte?«

Sie schritten einige Augenblicke stillschweigend weiter und traten aus dem Parke in den Wald.

»Nun?« fragte er, um sie zu ermutigen, als er sah, daß sie nicht schlüssig werden konnte.

Aber es war keine Antwort, die er erhielt, sondern eine neue Frage, die sie stellte: »Um zu wissen, ob die Uebereinstimmung, von welcher du sprichst, vorhanden ist, kannst du mir nicht sagen, was du selbst von Herrn Debs hältst?«

»Ich halte nur Gutes von ihm, er ist ein braver Bursche.«

»Nicht wahr?«

»Ein arbeitsamer Mensch.«

»Nicht wahr?«

»Liebenswürdig, sanftmütig, sympathisch in jeder Hinsicht.«

»Also gefällt er dir?«

»Ich habe dich in Gedanken mit Männern verheiratet, die gewiß nicht so viel wert waren, wie dieser da.«

Sie sah zu ihrem Vater mit einem strahlenden Gesichte auf, seine Worte erratend, noch bevor er sie ganz ausgesprochen.

»Ich weiß wohl,« sagte sie, »daß man bei einer Heirat zwischen dem Manne selbst und der Partie unterscheiden muß.«

»Und das ist durchaus nicht das Gleiche.«

»Würdest du die Partie mit ebenso günstigen Augen ansehen als den Mann, den Herrn Debs?«

»Du stellst mit mir ein Verhör an, während an dir die Reihe ist zu antworten.«

»Oh! ich bitte dich, Papa, mein liebes Papachen!«

Er hatte ihr nie etwas abgeschlagen, selbst wenn sie das Unmögliche verlangte.

Sie lächelte ihn zärtlich an: »Wen willst du zur Vertrauten wählen, wenn nicht deine Tochter?«

»Schelmin!«

»Ich bitte dich, antworte mir offen!«

»Nun denn! Nein! Ich bin für die Partie nicht so eingenommen als für den Mann.«

Sichtlich hatte sie diese Antwort ganz und gar nicht erwartet; sie erbleichte und vermochte einen Augenblick nichts zu sagen.

»Hast du Gründe, dich derselben zu widersetzen?« sagte sie endlich.

»Es sind Gründe vorhanden, die dagegen sprechen.«

»Gründe ... gewichtige?«

»Unglücklicherweise.«

»Persönliche?«

»Solche, die sich auf deine Großmutter und unsre Lage beziehen.«

»Aber man kann sich verheiraten,« sagte sie lebhaft und mit Feuer, »ohne seine Religion abzuschwören: die Frau eines Juden wird keine Jüdin; ein Jude, der eine Christin ehelicht, wird kein Christ; jedes behält seinen Glauben.«

»Deiner Großmutter mußt du das klar machen, und das ist nicht leicht. Es mir zu sagen, heißt einem Bekehrten predigen. Du weißt, wie streng deine Großmutter in allem ist, was ihren Glauben betrifft, und andrerseits stammt sie aus einer Zeit, in welcher die Juden unter Vorurteilen zu leiden hatten, die für sie ihre volle Geltung behalten haben.«

Sie waren an eine Stelle gekommen, wo der schlammige Weg sie zwang, sich zu trennen; auf dem ebenen und lehmigen Boden hatte der in der Nacht gefallene Regen sich nicht verlaufen können und bildete da und dort gelbe Pfützen, um welche sie herumgehen oder über welche sie hinwegspringen mußten.

»Und welches sind die Gründe, welche sich auf unsre Lage beziehen?« fragte sie.

»Du hast sie soeben vorausgefühlt, als du mich fragtest, ob Michel Debs Kenntnis von der wahren Sachlage unseres Geschäfts habe. Wenn er sie kennt und dich heiraten will, dann – du sagst es ganz zutreffend – liebt er dich und die Frau geht ihm über das Geld. Er heiratet dich wegen deiner selbst, nicht wegen deiner Mitgift, wegen deiner Schönheit, wegen deiner Eigenschaften, weil du ihm gefällst, kurz weil er dich liebt.«

»Das ist möglich, nicht wahr?«

»Ganz gewiß. Aber das Gegenteil ist auch möglich, das heißt, daß, so sehr Michel Debs auch deine persönlichen Vorzüge würdigt, er dies möglicherweise bezüglich des Vermögens, das du anscheinend eines Tages zu erwarten hast, ebenso hält. Anstatt um eine Neigungsheirat, wie wir sie im ersten Falle voraussetzen, handelt es sich alsdann lediglich um eine Konvenienzheirat. Einer der Associés des Hauses Eck und Debs findet, daß es ein gutes Geschäft ist, die Tochter von Constant Adeline zu heiraten, und er hält um sie an. Beachte wohl, mein Kind, daß ich nicht sage, daß dies so sei, sondern nur, daß es so sein könne. Was geschieht alsdann, wenn er vernimmt, daß das Geschäft anstatt ein gutes, wie er glaubt, ein mittelmäßiges oder ein schlechtes ist? Er macht es nicht, nicht wahr? und dann haben wir ein verfehltes Heiratsprojekt. Ich möchte nicht, daß dir das begegnete. Und ich möchte es auch unsertwegen nicht. Für dich wäre es demütigend, für uns verhängnisvoll. Wenn der Kredit eines Hauses erschüttert ist, bedarf es der Klugheit, und es wäre nicht klug gehandelt, dem Geschwätz der Leute Nahrung zu geben. Begreifst du nicht, daß man nicht verfehlen würde zu sagen: ›Warum hat Michel Debs die Bertha Adeline nicht geheiratet? – Weil er die Tochter eines ruinierten Kaufmanns nicht hat haben wollen.‹ Wenn es den Leuten erst einmal geläufig wird, vom Ruin eines Hauses, dessen Geschäfte ins Stocken geraten sind, zu reden, so heißt das, denselben beschleunigen. Das ist der Grund, warum, bevor ich Herrn Eck antworte, ich dich fragen und bitten wollte, mir offen zu sagen, ob du diese Heirat wünschest. Wenn dir nichts daran liegt und wenn du in Michel Debs nur einen Mann siehst, wie einen andern, an welchem du keine besondern Gründe hast festzuhalten, so wirst du einsehen, daß es die Klugheit gebietet, eine abschlägige Antwort zu erteilen. Auf diese Weise entgehen wir den Kämpfen mit deiner Großmutter und andrerseits verhüten wir die Gefahren, die mit einem fehlgeschlagenen Heiratsprojekt verbunden sind. Wenn im Gegenteil Michel dir gefällt, wenn du in ihm den Mann erblickst, der dein Lebensglück ausmacht, dann kann keine Rede mehr davon sein, Verstecken zu spielen, dann müssen wir, so gefahrvoll die Lage auch sein möge, derselben kühn ins Auge sehen, dem Unwillen deiner Großmutter Trotz bieten und selbst eine Absage von Michel Debs riskieren, wenn er die Mitgift nicht findet, auf die er – vielleicht – rechnet.«

»Wer behauptet, daß Herr Debs ein Geldmensch sei?«

»Ich nicht, aber du wirst die Möglichkeit zugeben, daß er es ist. Wenn du Gründe hast, zu glauben, daß er es nicht ist, so nenne sie. Du siehst, daß wir nun durch die Macht der Umstände wieder auf unsern Ausgangspunkt zurückgekommen sind und daß du gezwungen bist, offen zu antworten, weil es deine Gefühle sind, die uns unser Verhalten vorschreiben werden.«

Nun ja, ohne Zweifel sah sie ein, daß die Macht der Umstände sie zu ihrem Ausgangspunkte zurückgeführt hatte; aber die Lage war für sie durchaus nicht mehr die gleiche, sondern hatte an Bedeutung und durch des Vaters Worte an Ernst gewonnen. Wenn ein Gefühl weiblicher Zurückhaltung und mädchenhafter Scheu ihr die Lippen geschlossen hatte, jetzt mußte sie sie ehrlich und ohne Rückhalt öffnen, sie mußte es um ihres Vaters, um ihrer selbst willen.

»Natürlich,« sagte sie, »hat sich zwischen Herrn Debs und mir niemals etwas zugetragen, was selbst nur von weitem dem ähnlich sähe, was ich in Büchern gelesen habe. Er hat mir nicht am Rande eines schäumenden Gießbachs das Leben gerettet, als wir in den Pyrenäen reisten – wohin er uns übrigens nicht begleitet hat; er hat auch nie unter meinem Balkon geseufzt, weil wir keinen Balkon haben; er hat mir keine Briefe durch Kammerzofen, deren Stillschweigen man mit Gold erkauft, zukommen lassen. Aber es ist nichtsdestoweniger wahr, daß er, während du deine Heiratspläne machtest, in denjenigen, die ich mir machte, eine Rolle spielte. Du weißt vielleicht nicht, daß man sich im Kloster mit Vorliebe verheiratet, das ist sogar ein Hauptzeitvertreib. Nun denn, wenn ich in dem großen Garten der Rue du Maulévrier mit meinen Freundinnen von meinem zukünftigen Gatten sprach, dann hatte er die schwarzen Augen, den gekräuselten Bart, die gewellten Haare von ... kurz es war Michel. Warum? Das mußt du mich nicht fragen; ich weiß es nicht und Michel selbst hat mir keinen Anlaß gegeben, zu denken, daß er mich eines Tages heiraten wolle. Aber mir machte es Vergnügen, wenn ich mir sagte, daß ich ihn eines Tages heiraten werde; in der Einbildung und mit der Zunge ist man ja sehr kühn. Wenn alle deine Freundinnen sich Männer verschreiben, dann mußt du eben auch einen haben und nimmst ihn, wo du ihn findest.«

»Hat er nie etwas zu dir gesagt?«

»Oh! Papa, bedenke doch, daß ich nur ein kleines Mädchen war und er schon ein junger Herr.«

»Und als du aus dem Kloster zurückkamst?«

»Da hat sich ereignet, was ich dir sagte; ich sah wohl, daß ich ihm nicht gleichgültig war ... und daß ich ihm gefiel.«

Er wollte ihr zu Hilfe kommen: »Und warst du glücklich darüber?«

»Papa!«

»Warst du's oder warst du's nicht?«

»Da es die Fortsetzung dessen war, was ich mir so oft zusammengereimt hatte, konnte ich nicht anders, als Befriedigung darüber zu empfinden.«

»Nur Befriedigung?«

»Glück, wenn du willst.«

»Und hast du ihn merken lassen, was du empfandest?«

»Kannst du glauben!«

»Schließlich muß er aber doch, wenn er um deine Hand anhält, denken, daß du ihm keinen Korb geben wirst.«

»Das hoffe ich, denn sonst wäre er durchaus nicht der Mann, für den ich ihn hielt; er würde die Tochter des Hauses Adeline begehren, nicht mich, und ich will um meiner selbst willen geheiratet sein. Seine zärtlichen Blicke haben wohl nicht deinem Vermögen gegolten.«

Diese paar Worte öffneten Adeline einen Ausweg, den er mit Eifer einschlug: »Also würde sich deiner Meinung nach Michel, wenn er die Mitgift, auf die er sicherlich rechnet, nicht findet, nicht zurückziehen?«

»Oh, wenn er allein wäre! Aber er ist es nicht, er hat seine Großmutter, seine Mutter, seinen Onkel. Würdest du mich einen jungen Mann heiraten lassen, der nichts hat ... als seine schönen Augen? Wirst du es sogleich sagen, daß du mir keine Mitgift geben kannst?«

»Ich muß wohl.«

»Also kann es morgen schon sein, daß Michel für mich nichts weiter mehr ist als ein Fremder!«

Mit bebender Stimme stieß sie diese paar Worte hervor, in einem Tone, der Adeline zu Herzen ging.

»Wie erregt du bist!«

»Ein verfehltes Heiratsprojekt hat nur Schande im Gefolge.«

Dieser Aufschrei des Schmerzes war das beredteste und deutlichste Zugeständnis, das sie machen konnte.

Er kam über den Weg herüber zu ihr und schloß sie zärtlich in seine Arme.

»Es ist gut, es wird nicht fehlschlagen, sei versichert, mein Herz.«

»Wieso?«

»Das weiß ich nicht, aber wir werden suchen, wir werden finden. Sollst du unsertwegen, meinetwegen unglücklich werden?«

»Du mußt doch eine Antwort geben.«

»Gewiß, gewiß.«

»Was willst du antworten?«

Der Normanne kam wieder zum Vorschein: »Zwischen Antwort und Antwort ist ein Unterschied. Wenn ich heute abend dem Vater Eck sagte, daß ich dir morgen keine Mitgift geben kann, so wäre der Bruch vielleicht da. Aber was mir morgen unmöglich ist, wird zweifellos in einer gewissen Frist möglich sein. Die Geschäfte werden nicht immer so schlecht gehen, wir werden uns wieder in die Höhe arbeiten. Deine Mutter hat Ideen, wir müssen nur Zeit zu gewinnen suchen.«

»Oh! mir eilt es nicht, mich zu verheiraten.«

»Das ist's gerade: dir eilt es nicht, wir werden Zeit gewinnen, und mit der Zeit kommt alles ins Geleise; deine Heirat mit Michel soll zustande kommen, ich verspreche es dir.«


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