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Neunzehntes Kapitel

Es war ein wichtiges Geschäft gewesen, das Programm des Festes zusammenzustellen, welches der große internationale Klub oder der »Grand I«, wie man, den Namen abkürzend, bereits sagte, zu seiner Eröffnung veranstalten wollte.

Es sollte etwas Originelles, Neues, Glänzendes, vor allem Aussehen Erregendes werden. Und für eine derartige Gelegenheit ist es schwer, Neues zu ersinnen. Es sind schon so viele Stiftungsfeste jeder Art gefeiert worden, die Aufsehen erregen sollten, daß selbst die widersinnigsten Zusammenstellungen schon dagewesen sind. Das Pariser Publikum, insbesondre das Boulevardpublikum ist in Bezug auf diese Art von Festen fürchterlich blasiert.

Bagarry hatte die Aufführung eines Aktes seiner noch unbekannten Oper vorgeschlagen, etwas Kokettes, Leichtes, Pikantes; Fastou hatte die Eingebung gehabt, einige seiner neuesten Kunstwerke auszustellen; Klaviervirtuosen hatten Friedrich, Raphaëlla, Herrn von Cheylus und selbst Adeline belagert; spanische Lautenschläger hatten sich angeboren; ein Amerikaner, der drüben durch die Kunst, allerhand Melodien durch das Knacken seiner Stiefel hervorzubringen, berühmt geworden, hatte sich Friedrich zur Verfügung gestellt, was dieser aber ebenso entrüstet als verachtungsvoll von sich wies; sein Klub sollte zu derartigen Schaustellungen dienen! Etwas Stilvolles, Ausgewähltes, Nobles brauchte er, mit einem Worte: ein charakteristisches Programm, welches allen recht klar machte, in was für einem Hause man sich befinde.

Einen Augenblick hatte er daran gedacht, sich von seinem Schwager Faré einen kleinen eigens dazu verfaßten Einakter zu erbitten, dessen Aufführung ein »Ereignis für Paris« gewesen wäre. Aber sein Schwager hatte es ihm hartnäckig abgeschlagen, und, was noch »unwürdiger« war (der Ausdruck stammte von Raphaëlla her), seine eigne Schwester hatte es abgelehnt, zwischen ihrem Bruder und ihrem Gatten zu vermitteln, um diesen letzteren zu bewegen, das Stück zu schreiben. Er hatte gut bitten und betteln, sich erzürnen und die Zusammengehörigkeit der Familie anrufen, sie widerstand seinen Bitten wie seinen Vorwürfen und Drohungen.

»Geld, wenn du brauchst, ja, wie früher; den Namen meines Gatten – niemals.«

»Kann mir dein Mann nicht helfen, wenn sich eine Gelegenheit bietet?«

»Nein, wenn es eine schlechte ist, nicht.«

»Man wäre wirklich versucht zu sagen, daß Herr Faré uns eine Ehre erwiesen, sich mit unsrer Familie zu verbinden.«

»Wenigstens würde er eurem Spielhause Ehre erweisen, wenn er für dasselbe seinen Namen hergäbe, und deswegen werde ich ihn nicht darum bitten.«

»Wir werden ohne ihn fertig werden.«

Sie wurden wirklich ohne ihn fertig, und wenn das Programm dieses Anziehungsmittels entbehrte, wies es dafür deren andre auf: zunächst ein Diner für die wirklich Eingeladenen, diejenigen, welche es noch reichlich durch zu leistende Dienste bezahlen sollten, dann eine Soiree, bei welcher die Elite der Schauspieler und Sänger, welche sonst nur bei den großen Benefizvorstellungen auftraten, sich hören ließ und wozu die Damen eingeladen werden sollten, eine originelle Neuerung, die – für dies eine Mal – der Präsident zulassen wollte; endlich ein Souper. Wenn dann die weißen Tafeltücher den grünen Teppichen Platz gemacht haben und in den Salons nur noch die Spieler zurückgeblieben sein würden, sollte das wahre Fest beginnen. Adeline hatte gewünscht, daß an diesem Tage nicht gespielt worden wäre, allein er hatte den Vorstellungen seines Komitees nachgeben müssen; alle waren gegen ihn, selbst die ehrbaren Kaufleute, seine Freunde, die bislang keinem Klub angehörten. Und gerade diese waren es, die es sich am eifrigsten angelegen sein ließen, das Vergnügen, das sie sich endlich im Gefühle vollster Sicherheit leisten könnten, auszukosten. Bei ihnen würde es nicht nötig sein, seinen Nachbar darauf hin zu beobachten, ob er nicht betrüge.

Das Diner war auf acht Uhr festgesetzt. Von halb acht Uhr an begann der Strom der Eingeladenen über die große Treppe hinzufluten. Diese war so mit Blattpflanzen und Kamelien überladen, daß die Büste der Republik in ihrer Nische unter dem Blätterwerk fast verschwand, so daß es unmöglich war, zu unterscheiden, ob man da den Kopf eines Heiligen oder eines römischen Imperators vor Augen hatte. In dem Vestibül, das in seinen Verhältnissen eine wahre Halle war, standen Lakaien in großer Livree: Schuhe mit silbernen Schnallen, seidene Strümpfe, pfirsichfarbener, silbergalonierter Rock à la français. Jedem der Eingeladenen überreichte der Sekretär das Programm, und einigen drückte er mit demselben noch verstohlenerweise eine kleine Enveloppe in die Hand, welche ein paar Spielmarken von Perlmutter enthielt. Diese zarte Aufmerksamkeit war Raphaëllas Kopf entsprungen: mit einigen tausend Franken ließ sich das Diner lustiger und ... hernach das Spiel anregender gestalten.

Im Salon empfingen die Mitglieder des Komitees ihre Gäste, die sie zum größten Teil nicht kannten. Adeline, ans Kamin gelehnt und mit freundlichem Lächeln den Willkommensgruß spendend, hatte den Grafen von Cheylus, den General Epaminondas und den alten Botschafter an seiner Seite. Letzterer hatte es für angemessen erachtet, für diese Feierlichkeit alle seine Orden hervorzuholen; Herr von Cheylus hatte dazu eine so hohe Halsbinde angelegt, daß er sich kerzengerade hielt, als wenn er einen steifen Hals oder Kreuzschmerzen hätte.

Die Festessen, mit ihren herkömmlichen Menüs sind meist widerwärtig, aber dasjenige des »Grand I«, welches in der eignen Küche des Klubs von einem talentvollen Koch hergerichtet worden, war ausgesucht. Es kam für den Erfolg des Unternehmens darauf an, daß man von der Verköstigung im »Grand I« sprach und in Paris erfuhr, daß sie besser, viel besser war, als man sie für denselben Preis anderswo fand. Auf den ersten Blick könnte es als eine schlechte Spekulation erscheinen, für zwei Franken fünfzig ein Dejeuner mit Wein, welches fünf Franken wert ist, und für vier Franken ein Diner, welches acht wert ist, zu geben. Tatsächlich jedoch ist es eine ausgezeichnete, obgleich sie einen Zuschuß an den Koch von zwanzig- bis dreißigtausend Franken bedingt. Unter den Leuten, die die Klubs besuchen, sind solche, die rechnen können und die sich sagen, daß eine Ersparnis von zwei Franken fünfzig beim Dejeuner und von vier Franken beim Diner zweihundert Franken monatlich oder zweitausendvierhundert Franken jährlich ausmacht. Das lohnt wahrhaftig der Mühe. Sie könnten sich freilich auch sagen, daß es vielleicht nicht sehr anständig ist, dies auszunutzen, aber zweifellos denken sie nicht daran, daß es die Spielkasse bezahlt. Und in der That bezahlt sie es, ohne zu murren, denn dieser Verlust von zwanzig- bis dreißigtausend Franken auf die Tafel stellt sich als gutes Geschäft für sie dar. Durch das Diner wird mancher Spieler angezogen und zurückgehalten, und durch das Dejeuner ist mehr als eine Spielklubkasse vor dem strengen Einschreiten der Polizei bewahrt worden. So wohlbegründet die Klagen gegen einen Klub sein mögen, so bedenkt sich die Behörde doch zweimal, bevor sie ihn schließt, wenn dort das Dejeuner von Leuten, welche einen ehrenwerten Namen tragen, eingenommen wird, von Kaufleuten, Künstlern, Aerzten, Advokaten, welche kurz vor der Mittagsstunde zu arbeiten aufhören, um sich ins Restaurant zu begeben, und keine Spieler von Profession sind. Diese machen den Klub zu dem, was er sein soll, zu einem Orte der geselligen Vereinigung, und solch ein Blitzableiter ist unbezahlbar.

Das gute Essen einerseits und die Aufmerksamkeit Raphaëllas andrerseits bewirkten vereint, daß es beim Diner sehr munter herging. Die Stunde der Toaste kam heran, ohne daß man wußte, wo die Zeit hingekommen war.

Adeline war der erste, der sich erhob; er brachte die Gesundheit der Vertreter der Armee, der Diplomatie, der Politik, der Wissenschaften, der Künste, des Handels und der Industrie aus, welche er mit stolzer Befriedigung zu einem patriotischen Zwecke um sich versammelt sah. Bei dieser Bemerkung hatte mehr als ein Gast die Ohren gespitzt. Wer dachte auch so weit, daß, während man in diesem luxuriösen, mit kostbaren Tapeten und Blumen geschmückten Saale dinierte, man ein patriotisches Ziel verfolge, man eine Pflicht erfülle. Sie war wirklich angenehm, diese Pflicht, mit Rehrücken und mit Château-Yquem.

Aber Adeline war zu sehr von seiner Rede in Anspruch genommen, die er übrigens nicht ablas, sondern frei vortrug, als daß er etwas gemerkt hätte. Im Verfolge entwickelte er den Gedanken, in welchem er lebte und webte, seitdem er sich entschlossen hatte, die Ermächtigung für seinen Klub nachzusuchen, und von seinen Lippen flossen die bedeutsamen Worte von Paris, »dem Lichte der Welt«, »der Stadt aller Eleganz und alles Genies«, von dem »Aufschwunge des Volksvermögens durch den Luxus«, von der »französischen Arbeit«, von der »nationalen Produktion«.

Wenn die intelligenteren Gäste ein wenig überrascht waren, von einer patriotischen Aufgabe, die sie mit diesem Mahle erfüllten, reden zu hören, so waren sie es nicht minder, als ihnen klar wurde, daß die Eröffnung dieses Klubs kein andres Ziel habe, als an dem Aufschwunge des Volksvermögens mitzuarbeiten.

»Das ist nicht übel!« murmelte einer von ihnen.

Aber sie konnten ihre Bemerkungen nicht weiter austauschen; Bunou-Bunou erhob sich gerade, um dem Präsidenten zu antworten, und den Beifallsrufen folgte sofortige Stille: es war ein wahrer Schmaus so ein Toast von Bunou-Bunou, der schon, wenn es galt, aus einer Gemeinde den Hauptort des Amtsbezirks zu machen, Schätze lyrischer Begeisterung vergeudete, von denen man sich eine Blütenlese überraschender Wendungen erzählte.

»Ich wette zwei Louis, daß wir seine berühmte Redensart zu hören bekommen werden: ›Ich weiß nicht, ob ich mich irre‹,« sagte ein Journalist aus der Kammer, »wer hält meine zwei Louis?«

Allein kein Mensch antwortete ihm und mit Recht, denn das erste Wort, welches aus dem Munde des begeisterten Abgeordneten kam, war gerade seine berühmte Redensart, die stets unter der Kuppel des Palais Bourbon in der Luft schwebte: »Meine Herren, ich weiß nicht, ob ich mich irre.«

Das Lachen siegte über die Erkenntlichkeit des Magens, und unter denjenigen, die diese berühmte Phrase bereits gehört hatten, war mehr als einer, der sein Gesicht hinter der Serviette verbarg; andre ärgerten sich und erklärten, daß man besser thäte, anstatt sie zu zwingen, diese schönen Sachen anzuhören, eine kleine Bank aufzulegen.

Glücklicherweise machte man es kurz mit den Reden. Die Tische mußten für die Soiree hinausgebracht werden, und es war keine Zeit zu verlieren.

Als Adeline aus dem Speisesaale weg in sein Kabinett sich begab, traf er hier seine Frau und Bertha, die soeben mit Michel Debs angelangt waren.

Sie waren nachmittags von Elbeuf gekommen – was Michel und Bertha das Vergnügen verschaffte, während drei Stunden in dem nämlichen Coupé einander gegenüber zu sitzen, Auge in Auge – und sie hatten sich die Salons des Klubs noch nicht angesehen.

»Wollen Sie meiner Tochter Ihren Arm geben?« sagte Adeline zu Michel; »bis die Soiree beginnt, können wir einen Gang durch die Säle machen, ich muß euch doch ›meinen‹ Klub zeigen.«

Dieses »meinen Klub« sagte er mit der festesten Ueberzeugung von der Welt. War nicht er es, der die Erlaubnis, ihn zu öffnen, erhalten hatte, war nicht er sein Präsident, beschloß nicht er über die Aufnahmen, begegnete ihm nicht alle Welt mit dem Hut in der Hand? Friedrich hielt sich so vorsichtig abseits, daß er nicht einmal zum Diner erschienen war, er wollte sich erst, wie viele andre, bei der Soiree zeigen.

Sie hatten ihren Rundgang begonnen, Adeline mit seiner Frau am Arme, Michel mit Bertha. Der Eindruck war, je weiter sie kamen, nicht der gleiche bei der Mutter und bei der Tochter; Frau Adeline zeigte sich erschrocken von all dem Luxus, den sie sah, Bertha war davon aufs höchste entzückt. Was Michel betraf, so hatte er nur Augen für Bertha, und wenn er sie nicht direkt ansah, erblickte er ihre dahinschreitende Gestalt in den Spiegeln; dadurch allein schon, daß sie sich auf seinen Arm stützte, fühlte er sie mehr sein eigen; dem süßen Gefühle der Berührung mit der Hand gesellte sich die Verzückung der Augen – wie liebreizend war sie in ihrer rosa Toilette!

Sie gelangten in den Baccaratsaal, dessen Thür Adeline öffnete, und sie befanden sich in einem großen Raume, mehr lang als breit und sehr hoch, da man durch das Entfernen der Decke aus zwei Stockwerken eins gemacht hatte. Die Decke zeigte vergoldete Felder, und die Wände waren mit schönen Gobelins, die über das dunkle Getäfel fielen, bekleidet.

»Wie findet ihr das?« fragte Adeline mit Stolz.

»Man könnte es für eine Kapelle halten,« erwiderte Bertha.

Als sie den großen Salon wieder betraten, kamen ihnen Herr von Cheylus und Friedrich entgegen, und sie wurden einander vorgestellt.

»Mein lieber Herr Präsident, man verlangt nach Ihnen,« sagte Friedrich, »wenn die Damen mich gütigst als Ihren Stellvertreter annehmen wollen, so werde ich für sie sorgen; ich werde bei ihnen bleiben, um ihnen Ihre eingeladenen Gäste zu nennen, sie müssen sie doch wohl kennen lernen, da sie die Damen des Hauses sind.«

Und er behandelte sie thatsächlich wie die Damen vom Hause; man konnte nicht achtungsvoller, liebenswürdiger, »mehr Mussidan« sein. Frau Adeline, die gegen ihn einen unerklärlichen Widerwillen empfand, ließ sich gewinnen. Das war wirklich der Mann, den ihr Gatte ihr so oft geschildert hatte.

Die Säle füllten sich, und das Fest begann. Da das Programm desselben sehr geschickt zusammengestellt war, verlief alles unter allgemeinem Beifall. Von allen Seiten vernahm man begeisterte Ausrufe, und Adeline wurde mit Glückwünschen überschüttet, und, von diesem Triumphe ein wenig berauscht, wußte er kaum, wem er antworten sollte.

Indessen riefen doch nicht alle Beifall, und in den Ecken machten sich gedämpfte Rufe des Protestes und der Ungeduld geltend.

»Will es denn gar nicht zu Ende gehen, ihr dummes Fest?«

»Wird denn nicht ein kleines Jeu gemacht?«

Wenn Raphaëlla anwesend gewesen wäre, hätte sie bemerkt, daß unter diesen Unzufriedenen sich einige von denen befanden, welchen sie in so zuvorkommender Weise die Spielmarken von Perlmutter hatte zukommen lassen.

Endlich war das Fest vorbei, und auch das Souper, obgleich es sich ein wenig in die Länge zog, ging zu Ende; die Eingeladenen zogen sich nach und nach zurück, wenigstens die, welche mit ihren Frauen gekommen waren.

Als nur noch Männer anwesend waren, eilte alles nach dem Baccaratsaal, und so geräumig er auch war, gab es doch ein solches Gedränge, daß diejenigen, welche am Tische Platz genommen hatten, kaum die Ellenbogen rühren konnten.

» Messieurs, faites votre jeu; le jeu est fait; rien ne va plus

Am andern Tage berichteten die Journale von diesem Feste. Wesentlicher aber war es noch, daß sich das Gerücht in Paris verbreitete, sich herumsprach, daß der neue Klub eine wohlgefüllte Kasse habe und daß dieselbe ohne Schwierigkeiten Vorschüsse gebe.

Der »Grand I« war gegründet.


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