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Elftes Kapitel

Wenn Adeline seiner Frau erzählte, daß er den Vicomte von Mussidan, jenen scharmanten Gentleman, der ihm wie gerufen gekommen war, um ihm die fünfzigtausend Franken zu leihen, bei seinem Kollegen, dem Grafen von Cheylus getroffen habe, so hatte er nicht ganz die Wahrheit gesagt.

In der That hatte diese Begegnung nicht bei Herrn von Cheylus, sondern bei Raphaëlla stattgefunden, der Freundin seines Kollegen. Aber diese kleine Unwahrheit war für ihn ohne Bedeutung. Was konnte es für einen Zweck haben mit einer ehrbaren Frau, die nichts von dem Pariser Leben wußte, über Raphaëlla zu sprechen? Sie hätte sich aufregen, sich die Frage vorlegen können, in welchen Kreisen ihr Mann verkehrte! Das hätte zu Auseinandersetzungen geführt, zu Geschichten ohne Ende. Man kann von einer guten Bürgersfrau aus Elbeuf keine Anschauungen verlangen, welche weder in ihrer Erziehung noch in ihrem Gesichtskreise liegen. Sie würde niemals verstanden haben, wie ein Abgeordneter seine Bekannten zu seiner Freundin einladen kann und daß sich Bekannte finden – noch dazu, wenn es Abgeordnete sind – die diese Einladung annehmen. In der Provinz herrschen über »Freundinnen« und Abgeordnete Ansichten, an die man am besten nicht rührt. Welches Dasein würde die Frau eines Abgeordneten, welche daheim bleibt, führen, wenn sie annehmen müßte, daß ihr Mann sich nicht ausschließlich von Politik ernährte, wenn sie nicht der Ueberzeugung lebte, daß, wenn er über die Stränge schlägt, es sich höchstens um eine Schmauserei handelt und daß, wenn er klatscht, er dies nur mit Freunden thut, welche aus seinem Bezirke kommen, um von ihm einen guten Tribünenplatz zu erbitten.

Wenn Adeline hin und wieder zu Raphaëlla ging, so that er nur, was mehrere seiner Kollegen auch thaten, welche, wie er, nichts darin fanden, sich an den Tisch einer alten Cocotte zu setzen. Ganz im Gegenteil, man war dort ungenierter, man speiste und unterhielt sich besser, als in vielen andern Häusern. Und schließlich, wer lud sie ein? Der Graf. Sie dinierten also bei dem Grafen. Keinem von ihnen wäre der Gedanke gekommen, daß sie nicht bei dem Grafen seien, welcher die Miete für dieses liebenswürdige Haus und auch die Tafelfreuden bezahlte. Der Graf war Witwer, er empfing bei seiner Freundin, man hätte ein übertriebener Puritaner sein müssen, um sich darüber aufzuhalten.

Zwar wußten diejenigen, welche ihr Paris kennen, daß der Graf von Cheylus schon lange nicht mehr im stande war, einen Haushalt gleich demjenigen einer Dame, wie Raphaëlla, zu bestreiten, aber nicht alle Abgeordneten, welche von Grund aus die französische und auswärtige Politik kennen, haben ebenso gründlich die Kehrseite des Pariser Lebens kennen gelernt. Diejenigen, welche Herr von Cheylus einlud, wobei er übrigens sorgfältig seine Auswahl traf, sahen, was man ihnen zeigte: Ein angenehmes Haus, eine Frau, die, obwohl nicht mehr jung, nichtsdestoweniger noch genug Spuren ehemaliger Schönheit und, was noch mehr ins Gewicht fiel, eine alte Berühmtheit sich bewahrt hatte – und mehr verlangten sie nicht. Zu wem konnte man denn überhaupt gehen, wenn man sich nicht mit dem Schein begnügte?

Wer hätte außerdem dem Grafen von Cheylus etwas abschlagen können? Er war der liebenswürdigste Mensch von der Welt und hatte keine andre Sorge, als allen zu gefallen, Freunden wie Gegnern und vielleicht sogar seinen Gegnern noch mehr, als seinen Freunden. Als Präfekt unter dem Kaiserreich verwaltete er die Departements, in die er nach und nach versetzt worden, mit freundlichen Worten, Lächeln, Versprechungen, Komplimenten und Banketten bei jeder Gelegenheit. Und als er nach zwanzig Jahren solchen Regiments mit dem Sturze der Regierung ebenfalls gefallen war, hatte sich einer jener Bezirke gefunden, wo die Gemeinderäte, die Pfarrer, die Pompiers, die Gesangvereinler und Mitglieder der Musikcorps, kurz alle, die mit ihm in Berührung gekommen und seine guten Freunde geblieben waren, ihn, ohne jede Rücksicht auf politische Meinung, in die Kammer geschickt hatten. Was lag ihm und ihnen an der Politik; er hatte sie zu seinem System bekehrt: »Es handelt sich nicht um Meinungen, es handelt sich nur um Interessen.« In der Kammer hatte er sein Lächeln, seine Liebenswürdigkeiten, seine sanften Worte beibehalten; er blieb in gutem Einvernehmen mit seiner Partei, im besten mit seinen Feinden und war keiner von denen, die Randal machten oder die sich von der Leidenschaft fortreißen ließen. Er pflegte jedem freundlich die Hand zu bieten und hatte stets ein »mein lieber Kollege« auf der Zunge und so gelang es ihm schließlich selbst diejenigen zu gewinnen, welche im Gefühle ihrer ernsten Aufgabe versuchten, ihn von oben herab zu betrachten und ihn ihre Mißachtung fühlen zu lassen.

»Mein lieber Kollege, wollen Sie nicht so liebenswürdig sein, nächsten Montag mit mir zu speisen?«

Wie konnte man voraussetzen, daß »mit mir« nicht heißen wolle »bei mir«, wenn man geradeswegs aus der Provinz kam, wo man bis zu dem glücklichen Tage, an dem die Wähler einen nach Paris geschickt hatten, die Zierde der Rechtsanwaltschaft zu Carpentras oder der Stolz der Elbeufer Industrie gewesen. Man wußte, daß der Graf von Cheylus schon lange ruiniert war, aber da er gute Diners gab, mußte er wohl die Mittel haben, sie zu bezahlen. Man unterschied zwischen Ruin und Ruin, und den gleichen Schluß, den man aus den Diners zog, zog man auch für die Freundin.

Was wäre das für eine Ueberraschung gewesen, wenn ein wirklicher Pariser diesen ehrbaren Tischgenossen die Wahrheit, die ganze Wahrheit aufgedeckt hätte.

Vor zwanzig Jahren schon hatte der Graf von Cheylus die Bekanntschaft Raphaëllas gemacht, die damals den Höhepunkt ihres Glanzes erreicht hatte und mit dem Herzog von Naurouse, dem Prinzen Savine, mit Poupardin von der Firma Poupardin, Allen & Cie., mit dem Prinzen von Kappel, kurz, mit der ganzen lustigen Brüderschaft jener Zeit auf dem besten Fuße stand. Er selbst war eine nicht minder glänzende Erscheinung, reich, bei Hofe gern gesehen, mit Aussicht auf eine hervorragende Stellung im Staatsdienste. Als sie sich wiederfanden, hatte der Graf sein ganzes Vermögen vergeudet und war nichts mehr als ein einfacher Abgeordneter, ohne irgend welchen Einfluß, selbst in seiner eignen Partei, wo niemand ihn ernst nahm. Was Raphaëlla betrifft, so hatte sie, wenn sie auch nicht ruiniert war, doch den größeren Teil dessen, was sie in der galanten Welt durch ihre berüchtigte Geldgier zusammengerafft, in abenteuerlichen Spekulationen wieder eingebüßt, und bei ihr, mehr noch als beim Grafen, hatten die zwanzig Jahre tiefe Spuren hinterlassen. Die schlanke Pariserin war schwerfällig und dick geworden, ihre lachenden Augen hatten einen harten Ausdruck angenommen, ihr heiteres, ausdrucksvolles, stets bewegliches Gesicht war unbeweglich geworden, vom Färben waren die Haare ausgetrocknet, das aufgelegte Weiß, Rot und Blau hatte die Haut welk gemacht.

Aber in Bezug auf weibliche Schönheit sind die Augen Sklaven der Ohren und die Tradition macht blind gegen die Wirklichkeit. Wenn man zehn Jahre lang für die Zeitungen und die Gesellschaft die schöne Frau X... oder das reizende Fräulein Z... gewesen ist, dann hat man alle Aussicht, es während fünfundzwanzig oder dreißig Jahren zu bleiben. Mit Gründen wird daran nichts geändert, nur eine Katastrophe kann die Brille zerbrechen, die man sich hat auf die Nase setzen lassen. So war es mit Raphaëlla gegangen, und Herr von Cheylus hatte in ihr nur die »reizende Raphaëlla« von ehemals gesehen.

Sie zählte noch mit in » tout Paris«, man sprach von ihr, die Zeitungen nannten gelegentlich theatralischer Soireen ihren Namen, man konnte sich mit ihr sehen lassen, insbesondre wenn man keine andern Mittel besaß, als die mageren Bezüge eines Abgeordneten. Wenn sie sich neuerdings mit ihm einließ, so geschah dies nicht aus Eigennutz und diese Ueberzeugung konnte der Eitelkeit eines alten Stutzers nur schmeicheln. Wenn eine Frau wie sie einen Liebhaber von achtundsechzig Jahren, der keinen Sou sein nannte, nahm, so zeigte sie, daß sie sich auf die Männer verstand, nichts weiter. Und in der That, er konnte ihr für diesen Beweis ihres Geschmacks nur erkenntlich sein.

Mit achtundsechzig Jahren erklärter Liebhaber, haha! Er war also doch nicht so ganz heruntergekommen!

Sein Leidwesen war, daß er es nicht von allen Dächern herabrufen konnte, aber der Stolz des zu Grunde gerichteten Mannes überwog die alberne Lust, sich als Sieger aufzuspielen. Daher wählte er auch, wenn er seine lieben Kollegen einlud, jene Wendung »mit mir«.

Sie war thatsächlich eine Art von Vorsehung für ihn, dieses gute Mädchen, und bei ihr fand er in seinem Unglück etwas von der Behaglichkeit seiner früheren Existenz wieder: ein modern eingerichtetes Heim, einen gut gedeckten Tisch und eine ebenso elegante Frau und Freundin, wie er sie früher geliebt hatte.

Und das Bewundernswerte an dieser Frau, deren Geldgier doch so viele Männer zu Grunde gerichtet und sprichwörtlich geworden, war, daß sie nichts von ihm annehmen wollte. Zwei- oder dreimal hatte er versucht, ihr die paar Louisdor, die das Glück im Ecarté ihm in den Schoß warf, zu schenken; sie hatte sich stets geweigert, sie anzunehmen.

»Nein, mein Freund, ich wünsche, daß zwischen uns auch nicht einmal der Schein eines Interesses vorhanden sei; eine Blume, wenn Sie wollen, so oft Sie wollen, aber nichts als eine Blume.«

Und er hatte um so viel lieber an die Blume geglaubt, als sie einmal etwas von ihm verlangt hatte, wenn es sich dabei auch nur um einen Gang, um einen Gefallen, einen Freundschaftsdienst handelte.

Die Sache war die einfachste von der Welt und derart, daß sie ihm, bei seiner einflußreichen Stellung, nicht abgeschlagen werden konnte. Sie bestand darin, daß er vom Polizeipräfekten die Erlaubnis erwirken sollte, einen neuen Klub aufthun zu dürfen, wonach sich das Bedürfnis wirklich fühlbar machte. Es würde leicht sein, dies nachzuweisen.

Wohl verstanden, nicht für sich verlangte sie diese Erlaubnis. Was sollte sie damit anfangen? Gott sei Dank, sie hatte genug zum Leben und es kam ihr nicht darauf an, Geld zu verdienen. Was soll der Ueberfluß, wenn man hat, was man braucht? Sie war von ihren früheren ehrgeizigen Plänen zurückgekommen; denn das ist den guten Naturen eigen, daß sie sich veredeln, wenn sie alt werden.

Die Sache betraf vielmehr einen jungen Mann, den Sohn einer noblen Familie, den Vicomte Friedrich von Mussidan, dessen Schwester den dramatischen Schriftsteller Faré geheiratet hatte. Dem Ansuchen lag die reine Uneigennützigkeit zu Grunde; freilich lief auch ein persönliches Interesse mit unter. Wenn sie diese Erlaubnis erlangte, so würde Faré aus Erkenntlichkeit für den Dienst, den sie seinem armen Schwager geleistet, ihr eine Rolle in seinem neuen Stück zuteilen, sie würde dann durch eine bedeutende Leistung auf dem Theater wieder festen Fuß fassen, und so die Freude haben, ihre alten Freundinnen vor Neid bersten zu sehen. Und was ihn, den Grafen von Cheylus betraf, warum sollte er nicht das Präsidium dieses Klubs, welcher mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit geleitet werden würde, annehmen? Das würde ihm so etwas wie zwanzigtausend Franken eintragen, die er mitnehmen konnte.

Auch wenn sie ihm nichts von diesen zwanzigtausend Franken gesagt hätte, würde er doch die von ihm erbetenen Schritte gethan haben, er war ihr das doch schuldig, dem guten Mädchen. Aber die zwanzigtausend Franken verliehen seinen Worten eine Ueberzeugungstreue und eine Wärme, die ihm gewöhnlich abgingen. Nun war er nicht mehr der Skeptiker, der sich über sich selbst lustig machte und die feierlichsten Reden mit einem spöttischen Lächeln begleitete: »Sie wissen, daß mir im Grunde alles das sehr einerlei ist, daß Sie es nicht ernsthafter zu nehmen brauchen als ich, und daß Sie es halten können, wie Sie wollen.«

Niemals war er so beredt, so überzeugend, so hinreißend gewesen, als da er das Gesuch seinem Freunde, dem Polizeipräfekten, ›seinem lieben Präfekten‹, vortrug.

»Fürchten Sie nicht, mein lieber Herr Abgeordneter, daß ein Klub, dessen Präsident Sie wären, infolge Ihres Wohlwollens und Ihrer Nachsicht sich sehr bald in eine Spielhölle verwandeln würde?«

»Nicht mehr als die andern.«

»Von jenen andern haben wir eben schon mehr als genug.«

Trotz seiner dringenden Bitten, seiner Beredsamkeit, seiner Diplomatie, trotz seiner wiederholten Gänge hatte er nichts zu erreichen vermocht.

Damals hatte sich die Gesinnung und die Uneigennützigkeit Raphaëllas – wenigstens in den Augen des Herrn von Cheylus – in ihrem vollen Lichte gezeigt. Er hatte sich auf Vorwürfe oder doch zum mindesten auf einen Ausbruch von Unzufriedenheit gefaßt gemacht, aber sie hatte für ihn nicht nur nicht den leisesten Vorwurf, sie äußerte nicht nur keine Unzufriedenheit, sondern sie bat ihn sogar noch am selben Tage, einige seiner Freunde einzuladen, am Montag bei ihr zu speisen.

»Sind Sie nicht hier zu Hause?«

Es lag nicht in dem Charakter Raphaëllas, sich je von Zorn oder Unwillen hinreißen zu lassen und ihre Interessen bloßzustellen.

Sie hatte nun aber ein eigenstes Interesse daran, ein wesentliches Interesse, jene Erlaubnis zu erhalten, und da, wo der Graf von Cheylus, auf den sie so einfältig war zu rechnen, nichts erreichte, würden andre zum Ziele gelangen; er sollte ihr diese andern zuführen und sie wollte sie dann über Tisch einer eingehenden Prüfung unterwerfen und denjenigen auswählen, der in der Lage wäre, durch seinen Einfluß die Erlaubnis zu ergattern, ohne fürchten zu müssen, daß man sie ihm abschlagen werde.

Sie hatte im vergangenen Jahre zu Biarritz in einem Klub, den sie zusammen mit einem alten Spielbankunternehmer, Namens Barthelasse, leitete, die Bekanntschaft des Vicomte von Mussidan gemacht, welchen unglückliche Zeitläufe und ein ungerechtes Schicksal als Croupier dorthin verschlagen hatten; er war jung, er war hübsch, er war von Adel, sie hatte sich in ihn verliebt und sich in die Idee vernarrt, ihn zu heiraten.

Vicomtesse von Mussidan! Welcher Traum, wenn man mit seinem wahren Namen Françoise Hurpin heißt und unter demjenigen von Raphaëlla eine wirklich etwas zu skandalöse Berühmtheit erlangt hat! Zwei ihrer früheren reich gewordenen Freundinnen hatten in ihren alten Jahren junge Männer geheiratet, aber keine hatte sich einen Vicomte leisten können. Sie hatte Prinzen, Herzöge, den Sohn eines Königs zu Liebhabern gehabt, aber seinen Namen hatte ihr keiner gegeben.

In der Bedrängnis, in der der Vicomte von Mussidan sich befand, hatte es den Anschein, als werde er sich von einer Frau, die ihn aus dem Elende zog, heiraten lassen; aber als sie das Heiratsprojekt in feiner Weise berührte, war ihm mit einem Male das Verständnis dafür abhanden gekommen; hernach, als sie es in präziserer Form vortrug, so daß es ihm unmöglich war auszuweichen, hatte er sie rundweg gefragt, welches Vermögen sie besitze.

Was würde sie für ein Heiratsgut mitbringen?

Aus der Rechnungsaufstellung ergab sich, daß dieses Vermögen zu einem Leben, wie er es zu führen gedachte, nicht ausreichend sei.

Sie war darüber trostlos, und da er ein gutmütiger Mensch war, tröstete er sie.

Sie brauchte das Vermögen nur zu verdoppeln, zu verdreifachen; das Ding war füglich nicht allzu schwer. Sie hatte Beziehungen, mochte sie doch für ihn die Erlaubnis zur Eröffnung eines Klubs in Paris erwirken, dann würden sie, sie und er vereint und hinter den Coulissen, ohne Zögern daran gehen, zu erwerben, was ihnen noch fehlte. Dann wollten sie einander heiraten, wie zwei ehrbare Brautleute, die sich ihr Heiratsgut verdient haben.


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