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Siebzehntes Kapitel

Es war das erste Mal, daß Adeline etwas für sich selbst zu erbitten hatte.

Wie alle Abgeordneten, hatte er gar viele Stunden seines Lebens in den Vorzimmern der Minister gewartet und manches Paar Stiefel auf den staubigen Korridoren abgetreten, welche zu den Ressorts des Kriegs, der Finanzen, der Justiz, der Marine, des Handels, der Landwirtschaft, der öffentlichen Arbeiten, des Unterrichts, der auswärtigen Angelegenheiten, der Post, des Innern, zur Seinepräfektur, zur Polizeipräfektur, zu den Gesandtschaften, zu den Konsulaten führten, kurz überall hin, wo es ein Anliegen vorzutragen gibt und wo es gilt, Aktenstücke, die sich in den Fascikeln verstecken, wieder ans Tageslicht zu befördern. Aber es war dies immer im Interesse der Städte und Gemeinden seines Bezirks geschehen, in Angelegenheiten seiner Wähler, niemals für sich oder die Seinigen. Die Regierung konnte ihm keine Gefälligkeit erweisen, er hatte keinen stellensuchenden Verwandten unterzubringen, er hatte keine Finanzprojekte zu unterbreiten, er wollte keine Konzessionen erlangen. Als man ihm einen Orden gab, hatte man ihm denselben angetragen, und er brauchte bloß anzunehmen, was man ihm anbot.

Jetzt konnte er nicht mehr ruhig und abwartend zu Hause sitzen bleiben, er mußte den Bittsteller machen.

Daher rührte sein Unbehagen.

Wenn er nun als Bittsteller auftrat, geschah dies zwar in einem allgemeinen, alle persönlichen Rücksichten überwiegenden Interesse, allein schließlich hingen nichtsdestoweniger persönliche Vorteile für ihn damit zusammen, was ihn in seinem freien Auftreten hinderte. Er würde sich wohler gefühlt haben, er würde den Kopf höher getragen haben, wenn er zu der Sache in keinerlei Beziehung gestanden hätte.

Er nahm einen dreimaligen Anlauf, bevor er den Polizeipräfekten aufsuchte, so schwer entschloß er sich zu dem Gange.

Bei den ersten Worten ließ sich der Polizeipräfekt, welcher, seitdem er das Amt bekleidete, doch schon gelernt hatte, die Leute mit einer den Umständen angemessenen Miene anzuhören, ein Wort der Ueberraschung entschlüpfen: »Sie, mein lieber Herr Abgeordneter!« Allein Adeline hatte »seinen lieben Polizeipräfekten« nicht ausgesucht, ohne daß er von Friedrich vorbereitet worden war; er war darauf gefaßt, daß sein Gesuch mit einer gewissen Ueberraschung aufgenommen werden könnte, und er erwartete etwas derartiges. »Sie begreifen, daß der Präfekt eine gewisse Verwunderung nicht verhehlen wird, wenn er hört, daß Sie um eine Ermächtigung zur Bildung eines Klubs bitten, Sie, der Sie stets außerhalb der Klubs gelebt haben. Und dann wird sich zu seiner Verwunderung wahrscheinlich eine gewisse Verlegenheit gesellen, die nämlich, daß die Zahl dieser Ermächtigungen eine bestimmte Grenze nicht überschreiten darf. Es verhält sich damit wie mit den fünf oder sechs Goldstücken, die ein zu Grunde gerichteter Mensch noch in seiner Tasche hat. Wenn er eins ausgibt, zählt er die ihm übrig bleibenden und rechnet sich vor, daß er bald auf dem Trockenen sitzt. Und kein Mensch liebt, auf dem Trockenen zu sitzen. Um so mehr als diese Bewilligungen bequem verwendet werden können, um gewisse Dienste zu belohnen. Ich sage nicht, daß Ihr Präfekt dies thue, aber er hat Vorgänger gehabt, die es thaten.« Und Friedrich hatte die Geschichte eines liebenswürdigen und in den besten Jahren stehenden Präfekten erzählt, welcher die Unkosten einer Bekanntschaft mit einer Dame der Halbwelt mit einer solchen Ermächtigung gedeckt hatte; diejenige, welcher er sie erteilte, habe sie sofort für hundertzwanzigtausend Franken und einen Prozentsatz vom Spielgewinn verkauft. An diese Geschichte hatte er dann die Erzählung andrer angeknüpft, so daß Adeline wohl vorbereitet und auf dem Laufenden war. Wenn man jene Ermächtigungen mehr oder weniger anrüchigen Leuten erteilt hatte, wie konnte man dieselben einem Ehrenmanne, der die öffentliche Achtung genoß, dessen Name allein schon eine Bürgschaft war, abschlagen?

Diese Vorbereitung und diese Geschichte verliehen Adeline eine Sicherheit, die er sonst sicherlich nicht gehabt hätte.

»Und warum nicht, mein lieber Herr Präfekt?«

Er war ein feiner Mann, dieser Präfekt, nur vielleicht zu fein, denn in seinem Bestreben, alles zu verstehen und alles zu erraten, ging er oft über das, was man ihm sagte, hinaus, indem er die andern nach sich selbst beurteilte.

Die Sicherheit, mit der Adeline auftrat, überraschte ihn lebhaft.

»Wirklich,« sagte er, »warum nicht? Sie haben recht, sich über mein Erstaunen zu wundern, es rührt nur daher, glauben Sie es mir, daß ich der Meinung war, daß Sie außerhalb der Klubs lebten, wie ein guter Familienvater.«

»In Elbeuf bin ich Familienvater. In Paris habe ich meine Familie nicht, ich bin allein, die Abende sind lang. Und sie sind es nicht allein für mich, sondern auch für eine große Anzahl meiner Kollegen, die, wie ich, glücklich wären, einen Vereinigungspunkt zu haben. Wir würden ein Vergnügen darin erblicken und selbst ein Interesse daran haben, uns dort im intimen Freundeskreise zusammenzufinden, ohne fürchten zu müssen, von andern Leuten behelligt zu werden.«

»Und ist es ein geschlossener Klub, den sie gründen wollen?«

»O nein, wir haben neben, hinter uns eine Gesellschaft, die durch einen Geschäftsführer vertreten wird, welchen die Verantwortlichkeit in finanzieller Hinsicht trifft. Sonst würde ich, Sie werden das wohl begreifen, nicht das Amt des Präsidenten angenommen haben.«

Diesmal ließ sich der Präfekt keinen Ausruf der Ueberraschung entschlüpfen, aber er betrachtete Adeline mit einem Blicke, als wolle er fragen, ob er sich über ihn lustig mache?

War Adeline nicht der brave Provinziale, für den er ihn bisher gehalten? Oder war er im Gegenteil ein Schlaumaier, der den Biedermann herauskehrte? Oder war er gar noch ein ärgerer Provinziale, als man es füglich bei einem Kollegen voraussetzen konnte?

Das mußte er wissen.

»Und wer ist der Gerant?«

»Ein alter Notar aus der Provinz.«

»Sein Name?«

»Maurin.«

Das war ein Namen, der für den Präfekten nichts besagte; es gibt eine Menge Leute, welche Morin oder Maurin heißen.

»Ich habe die beste Auskunft über ihn erhalten,« sagte Adeline, einer neuen Frage zuvorkommend.

»Ich zweifle nicht daran, sonst würden Sie ihn nicht angenommen haben, denn einem Manne wie Ihnen habe ich nicht nötig zu bemerken, daß ein Geschäftsführer ... ein schlechter Geschäftsführer den Präsidenten und den Verwaltungsrat eines Klubs weit, sogar sehr weit bringen kann: Sie wissen das so gut wie ich.«

Das wurde nicht im Tone der Belehrung, oder als solle die direkte Aufmerksamkeit hierauf gelenkt werden, gesagt; aber es lag doch in der Betonung ein Ernst, der zu denken geben mußte.

»Wir werden von dieser Seite nichts zu fürchten haben,« sagte Adeline, indem er dabei weit mehr an seinen Freund, den Vicomte, der unter Maurins Namen der wahre Geschäftsführer sein würde, dachte, als an den alten Notar, den er kaum kannte.

Sicherlich, wenn er den Vicomte von Mussidan hätte nennen können, würde der Präfekt seine Bemerkung für sich behalten haben, oder sie wäre ihm vielmehr gar nicht in den Sinn gekommen; aber das wäre voreilig gewesen; der Vicomte hatte achtenswerte Gründe, hinter den Coulissen zu bleiben, es war nicht mehr als billig, ihm in dieser Beziehung den Gefallen zu thun.

»Und wer sind außer Ihnen die Gründer?« fragte der Präfekt.

»Hier sind die Namen derjenigen, die das Gesuch mit mir unterschrieben haben,« erwiderte Adeline, indem er ein Blatt Papier aus seiner Tasche zog.

Der Präfekt las die Namen: »Herzog von Arcala, Graf von Cheylus, Bunou-Bunou, General Castagnède ... «

Bei diesem Namen hielt er an, denn dieser General war gerade der, den man in Südfrankreich den General Epaminondas nannte, und den kannte er.

Er hielt auch beim Namen des früheren Botschafters an, dessen dürftige Lage ihm nicht unbekannt war.

Aber über die andern, Bagarry, den Komponisten, Fastou, den Bildhauer, las er flüchtig weg, ebenso wie über die großen Kaufleute, um deren Unterschrift Adeline sich selbst bemüht hatte.

Mit Ausnahme des Generals Epaminondas und des früheren Botschafters war über diese Namen nichts zu sagen, und was man denen, die nicht ganz sauber waren, hätte vorwerfen können, war noch dazu nicht nachzuweisen. Man sagte dem General nach, daß er falsch spiele, aber er war niemals aus irgend einem Klub ausgeschlossen worden; der frühere Botschafter brachte sein Leben in den Spielhöllen zu, das war gewiß, aber lebte er davon wirklich, wie man sich erzählte? Barthelasse und die Direktoren des Kasinos, die ihn beschäftigt, hatten sich wohl gehütet, ihre Memoiren mit Belegstücken zu veröffentlichen. Wie viele gleich ihm Hochgestellte waren, wie er, tief gesunken!

»Sie sehen,« sagte Adeline, der stolz auf seine Liste war, »daß ich Ihnen nur Namen vorlege, auf die man volles Vertrauen setzen kann.«

»Ganz gewiß.«

»Und ich glaube, daß mehr als einmal die Erlaubnis Leuten erteilt worden ist, welche nicht die Bürgschaften boten wie wir.«

»Unglücklicherweise; aber dann sind wir eben hinters Licht geführt worden. Wir sind nicht unfehlbar. Es ist vorgekommen, ich gebe es zu, daß man uns Listen vorlegte, mit ebenso ehrenwerten Namen, wie sie auf der Ihrigen stehen, mit einem Geschäftsführer, welcher in Bezug auf Moralität und pekuniäre Lage jede Sicherheit bot, und daß nichtsdestoweniger der von uns genehmigte Klub sich nach einigen Monaten in eine Spielhölle und ein Diebsnest verwandelte, wo man die Spielkasse zum Platzen füllte und mit den Spielmarken allerhand Betrügereien verübte. Aber ist das unser Fehler? Ist es nicht vielmehr der der Gründer, die sich haben täuschen lassen und von denen wir selbst getäuscht worden sind? Das ist's, was wir untersuchen müssen, das ist der Punkt, auf welchen ich Ihre Aufmerksamkeit hinlenke, indem ich mich, wenn Sie es gestatten, auf Sie und die Hochachtung, welche Sie mir einflößen, verlasse.«

Wenn Adeline ein einfältiger und harmloser Mensch war, der sich von Schurken, die sich geschickt zu verbergen wußten, mißbrauchen ließ, so war diese Bemerkung geeignet, ihm die Augen zu öffnen und ihm zu denken zu geben.

Aber Adeline hatte nicht nur zu seinem Freunde, dem Vicomte, sondern auch zu sich selbst, zu seiner Ehrenhaftigkeit, zu seinem Scharfblicke Vertrauen. Er würde kein Präsident sein, der den Dingen auf gut Glück ihren Lauf ließe, er würde seinem Klub seine Zeit widmen, ihn überwachen und mit fester Hand regieren.

»Wenn jene Klubs Spielhöllen geworden sind,« sagte er, »dann haben die Komitees sich nicht um die Verwaltung, dann haben die Präsidenten sich nicht um ihr Präsidium gekümmert. Was mich betrifft, so kann ich Ihnen mein Wort geben, daß ich ein Präsident sein werde, der seine Aufgabe ernst nimmt, und daß das Bild, welches Sie soeben entwerfen, bei uns nicht zur Wahrheit werden wird.«

War er wirklich taub oder wollte er nicht hören? Der Präfekt machte einen letzten Versuch; vertraulich schob er Adelines Arm in den seinigen.

»Seien Sie offen, mein lieber Herr Abgeordneter, glauben Sie, daß die Gründung eines neuen Klubs wirklich so sehr von nöten ist und daß Sie und Ihre Freunde nicht schon in einem der bestehenden Klubs den Mittelpunkt vertraulichen Verkehrs, den Sie suchen, finden können? Gibt es nicht schon genug Klubs?«

»Nein, mein lieber Herr Präfekt, und weil wir gerade dabei sind, gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß die Regierung die Entfaltung des weltstädtischen Lebens nicht genug begünstigt; wenn sich der Luxus in Paris hebt, hebt sich die Fabrikation in der Provinz.«

Und fast in den nämlichen Ausdrücken, wie Friedrich, behandelte Adeline dies ihm eingelernte Thema, ohne sich dessen bewußt zu werden, daß er nur ein Echo war.

»Sicherlich ist das ein Gesichtspunkt,« sagte der Präfekt, als Adeline geendet hatte.

Dabei beließ er es. Wozu sollte er sich weiter bemühen? Er hatte gesagt, was er sagen konnte, um diesem bewußten oder unbewußten Blinden die Augen zu öffnen und es war weder klug noch politisch, weiter auf die Sache einzugehen. Wer konnte wissen, was aus diesem Kollegen noch werden würde? Als Polizeipräfekt ist man kein Sittenlehrer, und es lag durchaus nicht in seinem Charakter, die Punkte auf die I's zu setzen.

»Ich werde die ordnungsmäßigen Erhebungen pflegen lassen,« sagte er, die Unterhaltung beendigend.

Dieselben wurden einem Agenten der Spielpolizei übertragen, welcher zunächst das Lokal in der Avenue de l'Opéra in Augenschein nahm und feststellte, daß keine zwei Treppen vorhanden waren, was die Hauptsache bei dieser Art von Nachforschungen ist, und der sich hierauf zu den zwanzig Mitbegründern, die das Gesuch unterzeichnet hatten, begab, indem er ihnen die einzige Frage vorlegte: ob die unter dem Gesuche befindliche Unterschrift auch die ihrige sei. Dann machte er seinen Bericht und gab ihn an seinen Chef weiter; dieser seinerseits machte einen zweiten, der den ersten guthieß, und gab ihn an den Chef der städtischen Polizei weiter; dieser wiederum machte einen dritten, der sich dem zweiten anschloß.

Alles war in Ordnung; der Präfekt brauchte die Erlaubnis bloß zu erteilen oder zu verweigern.

Konnte er sie verweigern, da sie von einem Manne in der Stellung Adelines verlangt worden war?

Er erteilte sie.

Zu guter Letzt würde man ja sehen.

Er hatte genug geredet, um sich den Rücken zu decken; wenn Adeline Schiffbruch litt, hatte er ihn gewarnt; wenn er es anstatt dessen eines Tages zum Minister brachte, würde der geleistete Dienst ihm ein Anrecht auf ein gutes Andenken geben.


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