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Einundzwanzigstes Kapitel

So groß die Genugthuung war, die Adeline empfand, war sie doch keine ganz reine.

Wenn er sich sagte, daß Seine Hoheit der Prinz von ..., der Herzog von ..., der Marquis von ... einige tausend Franken bei ihm verspielt hatten, so hatte er ein Gefühl der Eitelkeit, gegen das er nicht ankämpfen konnte; und wenn er sich ferner sagte, daß der Klub, dessen Präsident er war, als Bindeglied zwischen dem republikanischen Bürgertum und der vornehmen Welt diente, war es ein Gefühl gerechten Stolzes, das ihn überkam und dem er sich völlig hingeben konnte, in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht.

Aber wenn er sich andrerseits sagte, daß er der Kasse seines Klubs gegen fünfzigtausend Franken schulde, der Kasse, die nicht seine Kasse war (unglücklicherweise), so war es ein Gefühl der Scham, das ihn niederdrückte.

Wie hatte er sich verleiten lassen können, zu spielen?

In gutem Glauben, mit voller Ueberzeugung hatte er seiner Frau, als sie Befürchtungen ausgesprochen, versichert, daß er kein Spieler werden würde.

»Ich, ein Spieler!«

Er glaubte damals um so gewisser davor sicher zu sein, als er in seiner Jugend gespielt hatte und aus Erfahrung die Klippen des Spiels kannte.

Wenn man ein erstes Mal verleitet worden ist und das Glück gehabt hat, sich aus der Schlinge zu ziehen, dann läßt man sich nicht ein zweites Mal fangen. Mit fünfundzwanzig Jahren ist man schwach und unwissend, leidenschaftlich und kühn, mit fünfzig, wenn man das Leben kennen gelernt, ist es anders.

Wenn er auch damals, als er in Deutschland reiste, gespielt und große Summen verloren, so gab es allerhand Gründe und Entschuldigungen für jene Schwäche; seine Begleiterin spielte, die Kasinos lagen mit ihren Versuchungen offen vor ihm da, das Geld, das er daran wagte, hatte er nicht selbst mühsam erwerben müssen, es hatte für ihn keinen Wert, so daß er nicht einmal ein besonders tiefes Bedauern empfand es zu verlieren, weil der Verlust für das Vermögen seiner Eltern belanglos war.

Unter solchen Bedingungen hatte er wohl spielen können. Sein Fehler war einfach der eines reichen jungen Mannes, eines Söhnchens, das sich Unterhaltung schafft, ohne irgend jemand großes Leid zuzufügen, weder seiner Familie noch sich selbst; es war eine heilsame Prüfung gewesen. Wenn er in den Schmelzofen gefallen war, so war er darin geglüht worden und zwar so gründlich, daß er fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr gespielt hatte. Warum hätte er auch spielen sollen? Er hatte niemals Vergnügen am Kartenspiel gefunden; sich stundenlang an einen grünen, vom Lampenlicht erhellten Tisch zu setzen, unbeweglich stillzuhalten, nicht zu reden, das langweilte ihn; er war reich genug, daß ihm das im Spiel gewonnene Geld kein Vergnügen machte, und er war nicht reich genug, daß das, welches er verlor, kein Bedauern und keine Gewissensbisse bei ihm hervorgerufen hätte. Seit zwanzig Jahren hatte er nicht aufgehört, diese Grundsätze den jungen Leuten, die er spielen sah, zu predigen.

»Was macht ihr da, ihr jungen Springinsfelde, wollt ihr wohl aufhören zu spielen! Vergnügt euch, soviel ihr wollt, aber spielt mir nicht.«

Und nun hatte er, ein alter Thor, das gethan, was er andern zum Vorwurf machte.

Und wie ernst nahm er es doch mit seinen Ermahnungen, wie verächtlich erschienen ihm die, welche der Leidenschaft des Spiels unterlagen!

Dazu waren jene noch bis zu einem gewissen Punkt entschuldbar, weil es Spielnarren waren, das heißt, unzurechnungsfähige Wesen, die man für ihre Handlungen kaum verantwortlich machen kann. Aber er war, als er sich das erste Mal an den Baccarattisch gesetzt hatte, nicht von der unwiderstehlichen Macht der Leidenschaft dazu getrieben worden. Gerade diese Gleichgültigkeit gegen das Spiel, diese Gewißheit, daß ihn die Karten langweilten (etwas, was aus seiner frühesten Jugend und seit mehr als fünfundzwanzig Jahren, in denen er keine Karte mehr berührt hatte, feststand), das war es, was ihm eine vollständige Sicherheit eingeflößt hatte, als er über die Frage, ob er Friedrichs Vorschläge annehmen oder ablehnen sollte, mit seinem Gewissen zu Rate gegangen war.

Warum hätte er zögern sollen, war er doch zum voraus versichert gewesen, daß er für sich selbst nichts zu fürchten habe; man wird kein Spieler, weil man mitten unter Spielern lebt und spielen sieht; das Spiel ist keine ansteckende Krankheit, die man durch Zuschauen erbt, besonders nicht, wenn man diejenigen verachtet, die das Unglück haben, davon angesteckt zu sein.

Wie lächerlich und beklagenswert kamen ihm diese von Fieber und Leidenschaft erfaßten Menschen vor; es gewährte ihm Unterhaltung, auf ihren verzerrten, je nach dem Temperamente geröteten oder bleichen Gesichtern zu lesen, aus ihren hastigen Bewegungen, aus ihren freudetrunkenen oder schmerzerfüllten Blicken, aus ihrer Erregung oder Abspannung zu folgern, was in ihrem Innern vorging.

Und mit der selbstsüchtigen Befriedigung desjenigen, der vom Ufer aus die Schrecken eines Sturmes genießt, sagte er sich, daß er glücklicherweise vor dieser Gefahr sicher sei.

Was hatte er in dieser Hölle zu suchen?

Aber da gerade die Selbstsucht durchaus nicht den Grundzug seiner Natur bildete, da er im Gegenteil ein guter Mensch war und fremden Schmerz und fremdes Unglück innig mitfühlte, so hatte er sich mehr als einmal veranlaßt gesehen, dem einen oder andern von denjenigen, für welche er sich aus irgend einem Grunde spezieller interessierte, Ermahnungen zu erteilen.

Anfangs that er dies in freundschaftlicher, herzlicher Weise, schob ihren Arm unter den seinigen, wie man's mit einem Kameraden macht, und redete ihnen zu, um ihnen die Augen zu öffnen, schalt sie, kapitelte sie herunter. Einigemal sogar, bei schweren Fällen, hatte er sie in sein Kabinett beschieden und hier unter vier Augen ernsthaft vorgenommen: »Sie spielen zu hoch, mein junger Freund, und erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, in einer Weise, die zu Ihren Mitteln in keinem Verhältnisse steht;« aber er hatte nicht lange gebraucht, um einzusehen, daß seine bestgemeinten Ratschläge ebenso wirkungslos blieben, wie die schärfsten Verweise; ob mild oder rauh, seine Worte machten keinerlei Eindruck.

So hatte er denn aufs Zureden verzichtet, mit Bedauern zwar, aber er hatte schließlich verzichtet, da er nicht der Mann war, an einer Aufgabe zu arbeiten, deren Aussichtslosigkeit er selbst eingesehen hatte.

Sie sind zu dumm, hatte er sich gesagt.

Aber wenn er auch nicht mehr den Mentor spielte, verzichtete er darum nicht auf seine Rolle als Präsident. Ihm war die Ehre seines Klubs anvertraut und die Ehre des »Grand I« erforderte es, daß das Spiel dort sich in angemessenen Grenzen hielt.

Darüber wollte er wachen, er wollte trotzdem und gegen ihren Willen die Hand über die Spieler halten, sein Klub sollte keine Spielhölle werden.

So kam es, daß man ihn noch spät im Klub antraf und daß er zuweilen sogar den größten Teil der Nacht dort zubrachte. Ohne Unterlaß spazierte er durch die Säle, strich um die Tische herum und beobachtete das Spiel, als wenn er die Pflicht gehabt hätte, es zu überwachen. Bisweilen fand man ihn in einem Sessel eingeschlafen, von Müdigkeit überwältigt. Aber sobald er erwachte, nahm er seinen Rundgang wieder auf und erkundigte sich, was sich zugetragen habe, während er geschlafen.

Mehr als einmal war es vorgekommen, daß während er die Hände in den Taschen am Baccarattische stand, ein Spieler zu ihm sagte: »Und Sie, Herr Präsident, wollen Sie nicht auch einmal ein Spielchen machen?«

Und darauf antwortete er, die Achseln zuckend: »Ich, spielen? Ich kenne ja kaum die Regeln des Baccarat, so einfach sie sind.«

»Es ist so leicht.«

»Leicht, mag sein, aber ich kann ihm keinen Geschmack abgewinnen. Es gibt Präsidenten, deren Stolz es ist, niemals eine Karte zu berühren – und ich bin einer von denen.«

Bisher hatte sich Friedrich, der Zeuge davon gewesen, wie sein Präsident den Versuch machte, einige junge Spieler abwendig zu machen, nie eingemischt, obgleich ihm das Verfahren durchaus nicht gefiel, weil es auf nichts weniger abzielte, als den Ertrag der Spielkasse zu vermindern: aber es war von Wichtigkeit, schonend mit ihm umzugehen, und im übrigen sprach die Wahrscheinlichkeit nicht dafür, daß er mit diesen Versuchen etwas ausrichten werde. Wer hat jemals einen Spieler am Spielen verhindert? Das hätte er Raphaëlla erwidern können, die auf Adeline teufelswild war.

»Lassen wir ihn machen, lassen wir ihn reden, das ist nicht sehr gefährlich und andrerseits kann es uns nur nützlich sein. Es ist gut, wenn man in Paris weiß, daß der Präsident des ›Grand J‹ die Spieler fernhält, anstatt sie anzuziehen: das macht sich gut.«

»Und wenn er sie abwendig macht?«

»Ich versichere dich, daß er nicht einen einzigen abwendig machen wird, während er jemand vielleicht fernhält, den von uns fernzuhalten wir ein Interesse haben.«

»Den Polizeipräfekten?«

»Wen sonst? Wie sollte man wohl je dazu kommen, die Schließung eines Klubs anzuordnen, wo das Spiel von seinem Präsidenten bekämpft wird?«

»Aber wenn er gegen das Spiel eifert, wird er selbst nicht zum Spielen kommen, und du weißt wohl, daß wir ihn nur festhalten, wenn er der Schuldner unsrer Kasse ist: bis dahin fürchte ich stets, er möchte unsern Händen entwischen: wen würden wir an seine Stelle setzen?«

»Sei ruhig, er wird spielen und Schulden machen, vielleicht mehr als dir lieb ist.«

»Treibe ihn dazu.«

Am selben Tage, an dem Adeline sich glücklich gepriesen hatte, keine Karte zu berühren, hatte Friedrich, wie immer der Anregung Raphaëllas nachgebend, folgende Bemerkung gemacht: »Meinen Sie, mein lieber Herr Präsident,« so sagte er im einschmeichelndsten Ton und in der liebenswürdigsten Art, »daß der Mann, welcher den größten Einfluß auf einen Spieler ausübt, derjenige ist, welcher selbst nicht spielt? Wissen Sie, daß ich gehört habe, wie zu einem von denen, welchen Sie kürzlich gepredigt haben, gesagt wurde – ich bitte darum, seinen Namen verschweigen zu dürfen – daß Sie nichts vom Spiele verstehen?«

»Das ist ganz richtig.«

»Sehr wohl; allein Sie werden begreifen, daß das Ihren Worten viel von ihrem Gewichte nimmt. Man erblickt in Ihrem Dazwischentreten nichts als eine grundsätzliche Gegnerschaft; nicht gegen den, der spielt, ergreifen Sie Partei, sondern gegen das Spiel selbst; dies Verhalten wird Ihnen als Prinzipienreiterei und nicht als Teilnahme für den einzelnen Spieler ausgelegt.«

»Ich habe ehemals gespielt.«

»Dann ist es zum Erstaunen, daß Sie nicht wieder zu spielen begannen; wer gespielt hat, spielt wieder ...«

»Im Leben nicht!«

»... Das ist ebenso wahr, als: Wer getrunken hat, trinkt wieder. Aber ich gehe darauf nicht weiter ein; ich sage nur, daß Ihre Worte mehr Gewicht hätten, wenn man in Ihnen einen Freund statt einen Gegner des Spiels sähe.«

In der That ging er nicht weiter darauf ein, sondern überließ es der Zeit und der Ueberlegung, zu vollenden, was er begonnen hatte; er kannte seinen Adeline und wußte, mit welcher Sicherheit das Körnchen keimte, welches man in ihn säete.

Mit seiner Kenntnis von der Welt und dem Spiele wußte er, wie selten eine nachhaltige Heilung der Spieler, und wie häufig im Gegenteil ein Rückfall eintritt. Wie viele Spieler, die zehn, zwanzig Jahre nicht gespielt hatten, kehrten im reiferen Alter zum Spieltische zurück! Und diese Leidenschaft, die in ihnen schon erstorben schien, erwachte nur um so heftiger und sollte künftig ihre einzige bleiben.


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