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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Nun versetzen wir unsern Leser zurück in jene Nacht, die wir zu Anfang unsrer Erzählung geschildert, in der Salve, von seiner wilden, finstern Stimmung getrieben, mit seinem Sohne in die See gegangen war.

Diese Nacht verbrachte Elisabeth in einer Gemütsverfassung, die noch aufgeregter war als sonst nach ähnlichen Scenen.

Als Salve sich an ihrem Sohne vergriff, da war in ihr etwas aufgelodert, was sie nur mit Mühe zu unterdrücken vermochte, und mit einem gewissen Schreck empfand sie, wie nahe sie einem Ausbruche gewesen; nur die lange Gewohnheit der Unterwerfung hatte ihr möglich gemacht, auch diesmal zu schweigen.

Die so oft wiederholten Entschuldigungsgründe reichten diesmal nicht aus. Still saß Elisabeth in dieser Nacht, überblickte die entschwundenen Jahre und merkte mit Verzweiflung, daß sie watete und watete und nicht vorwärts kam und ihre Geduld nun endlich auf die Neige ging.

Hatte sie denn gar kein Recht? – Sollte so fortgeschwiegen werden, bis eins von ihnen auf dem Kirchhof zu Tromsö ruhte?

Diese Gedanken waren nun einmal geweckt und ließen sich nicht verscheuchen; sie ruhten auch am folgenden Tag nicht und ließen sie bei keiner Arbeit verweilen. Elisabeth fürchtete sich selbst davor, wie sie Salve empfangen würde, wenn er unvermutet von der Fahrt heimkäme; denn sie fühlte sich außer stand, sich zu beherrschen. Ihre Stube war so enge und schwül wie ein Gefängnis, in dem sie viele Jahre gesessen. Sie nahm den kleinen Henrik in die Arme, um sich zu beruhigen.

Am Abend überfiel sie heftiges Weinen, alle Gedanken, die sie gehegt, dünkten ihr so sündig, sie fühlte, wie sie Salve trotz alledem liebte, und sie schluchzte in ihre Hände hinein.

An einem der nächsten Tage kam ihr Nachbar in die Stube und brachte Botschaft von der Muhme. Dieselbe lag schwer krank darnieder und wünschte, daß Elisabeth zu ihr komme. Diese fuhr auch sogleich mit Henrik nach Arendal und hinterließ für Salve, den sie daheim erwartete, Bescheid über das Vorgefallene.

Sie freute sich fast, bei seiner Ankunft nicht zugegen zu sein.

*

Daß Mutter Kristine krank geworden, war im Orte ein Ereignis von einiger Bedeutung; denn durch ihre vieljährige Thätigkeit als Krankenpflegerin war sie mit vielen Familien in gewisser Verbindung – so auch mit der Beckschen.

Auch die junge Frau Beck hatte sich, gleich den andern, stets erkundigen lassen, wie es ging, und nun verlautete, das Schlimmste sei glücklich überstanden.

Frau Beck konnte diese gute Gelegenheit, Elisabeth zu sehen, nicht unbenutzt vorbeigehen lassen, und eines Vormittags begab sie sich hinüber.

Elisabeth hatte sie kommen sehen und war ihr, die vor der Thür zögerte, entgegen gegangen. Stumm standen sie einander gegenüber.

Elisabeths Augen waren voll Thränen, doch auch Frau Beck schien es nicht ganz leicht zu fallen. Ihr Blick hatte etwas vornehm Verlegenes und sie drückte Elisabeth die Hand, gleichsam um auf diese Art ihre Gefühle zu erwidern.

Elisabeth führte Frau Beck in Mutter Kristinens kleine gemütliche Küche, wo ein Topf mit Suppe für die Kranke schwach kochend über dem Feuer stand. Sie bat ihren Gast, sich zu setzen. In der Stille konnte man die Uhr aus dem Zimmer nebenan, in dem die Muhme schlief, ticken hören.

Es entstand eine Pause, ehe eine von ihnen sprach. Endlich fragte Frau Beck leise: »Wie geht es Ihrer Muhme?«

»Danke, es scheint sich zum Bessern zu wenden,« versetzte Elisabeth. »Im Augenblick schläft sie. Das wird ihr gut thun.«

»Es ist lange her, daß wir uns gesehen achtzehn Jahre?« sagte Frau Beck und ihr Auge ruhte auf Elisabeth, als suche es nach den Spuren, welche die Zeit zurückgelassen, »doch Sie sind stark gewesen, stärker als ich!«

»Es war an jenem Morgen, als ich nach Holland reiste,« bemerkte Elisabeth.

»Oft habe ich an jene Stunde gedacht,« flüsterte Frau Beck, und ihre Lippen zitterten leicht. Elisabeth las den Ausdruck stummen Schmerzes in ihren Zügen.

»Wenn Ihre Muhme etwas braucht, so wissen Sie, hoffe ich, daß sie sich nur an mich zu wenden hat,« sagte Frau Beck, Elisabeths Hand herzlich fassend. Am liebsten hätte sie gleich Elisabeth statt der Muhme genannt; allein sie fühlte, daß manches in ihrem gegenseitigen Verhältnis dies verbot, und die wahre Meinung war ja verständlich genug.

»Und Sie selbst, Elisabeth?« fuhr sie fort und sah ihr mit innigem Mitgefühl forschend in die Augen. »Ihnen geht es nicht gut – Sie sind leider unglücklich verheiratet!«

Eine heftige Röte flog über Elisabeths Antlitz und unwillkürlich zog sie die Hand zurück.

Sie blickte Frau Beck mit verletztem Stolze an.

»Nein, Frau Beck,« antwortete sie, »so verhält es sich nicht. Ich bin« – sie wollte sagen »glücklich«, zog aber vor zu sagen – »nicht unglücklich verheiratet.« Sie fühlte, daß dieser Ausspruch schwach klang, und fügte bei: »Ich habe nie jemand anders besitzen wollen als den, der nun mein Mann ist.«

»Das freut mich unaussprechlich, Elisabeth. Ich hatte etwas andres gehört,« bemerkte sie etwas verlegen, und wieder entstand eine Pause. Frau Beck erriet, daß sie so ungeschickt gewesen, jene zu verletzen, und daß ihre letzte Aeußerung die Sache noch verschlimmert hatte; denn Elisabeths Haltung zeigte würdevolles Selbstgefühl.

In der Stube drinnen rührte es sich, und Elisabeth ergriff den Anlaß, um das etwas peinliche Schweigen zu unterbrechen, indem sie zur Muhme hineinging.

Frau Beck schaute ihr mit verwunderten, prüfenden Blicken nach. Sie mußte sich also doch geirrt haben, allein glücklich war Elisabeth schwerlich. Und doch, dachte sie, welche Kluft zwischen ihnen! – Jene liebte ja ihren Mann.

Als Elisabeth zurückkam, sprach Frau Beck, indem sie den früheren schlechten Eindruck zu verwischen wünschte und zugleich ihrem eignen Bedürfnis nach einer vertraulichen Aussprache nachgab: »Sie nehmen sich doch nicht zu Herzen, was ich vorhin sagte, Elisabeth! Ich dachte, auch andre könnten Kummer haben.«

»Wir tragen alle unser Teil – und es ist oftmals recht schwer!« meinte Elisabeth; sie verstand gut, was in Frau Becks Worten lag, und sah sie teilnahmsvoll an. Geradezu antworten wollte sie nicht auf etwas, was, wie sie glaubte, der andern wider Willen entschlüpft war, deshalb sagte sie nur: »Sie haben einen Sohn, Frau Beck, glückliche Verhältnisse und vielerlei, wofür Sie leben können.«

»Wofür ich leben kann!« rief diese, »wofür ich leben kann! Ich will dir etwas sagen, was niemand weiß außer dir. Ich sterbe Tag für Tag, ich weiß am besten, wieviel von mir noch übrig ist. Es ist wenig genug und wird immer weniger. Du bist das einzige Geschöpf, dem ich das gesagt habe, eigentlich das einzige, aus dem ich mir etwas mache. Bewahre es und vergiß es, und nun adieu!« sprach sie; »treffen wir uns je wieder auf dieser Welt, so reden wir nicht mehr über diese Dinge.« Sie suchte in ihrer Bewegung nach der Thür und öffnete diese.

»Jedes Kreuz kommt von Gott, und die ärgste Sünde ist es, zu verzweifeln! Verlassen Sie sich darauf, das ist Wahrheit!« tröstete Elisabeth. Sie sagte das Beste, was sie zu sagen wußte.

Frau Beck wendete sich in der Thür noch einmal um und schaute sie mit ihrem stillen, blassen, freudlosen Gesichte an.

»Elisabeth,« sprach sie, »dies habe ich in meines Mannes Lade gefunden. Das will ich dir nur sagen, damit du nicht glaubst, es habe mir je Kummer verursacht.« – Und sie nahm aus der Tasche einen alten, vergilbten Papierfetzen und reichte ihr ihn hin.

Noch lange saß Elisabeth voll Betrübnis und dachte an Frau Beck.

Nun begriff sie, warum jene so bleich war! Sie hatte keine Runzel im Gesicht, es sah so vornehm aus; aber wie kalt und dürftig war es geworden! Die Arme, die Arme! Sie hatte es so schlimm! Man hätte in ihr nicht leicht wieder Marie Forstberg erkannt.

»Also, das heißt unglücklich verheiratet sein!« sagte sie zu sich. Ihr schien, als habe sie etwas Entsetzliches gesehen.

Dies verfolgte sie bis an das Bett ihrer Muhme und mit tiefem Mitleid sah sie die Gestalt ihrer Freundin vor sich.

Nachdem sich ihre Teilnahme etwas beruhigt, begann ein andrer Punkt des Gespräches, welcher bisher in ihrem Sinn zurückgedrängt gewesen, sie zu beschäftigen. Es waren die Worte, von denen sie sich plötzlich so verletzt gefühlt hatte.

»So, das sagt also die Welt von uns!« dachte sie. »Unglücklich verheiratet!«

Sie hatte Zeit und Einsamkeit genug, darüber nachzugrübeln, während sie die Kranke pflegte und bei ihr wachte. Mit halb erschrecktem prüfenden Blick betrachtete sie ihre eigne Ehe und den unaufhörlichen, fruchtlosen Kampf, unter welchem die Jahre vergangen. Nicht einen Schritt war sie vorwärts gekommen, sondern immer zurückgewichen, mehr und mehr. Konnte sie behaupten, ein solches Leben sei Glück?

Und war denn Salve glücklich?

Sie sah ihn vor sich, wie er in der ersten Jugend gewesen, und dann wieder, wie er seither geworden, finster, wild und mißtrauisch – dachte daran, wie sie ihn daheim mit geheimer Furcht empfing, statt mit der Freude der Gattin, wie sie neulich geschieden waren – an alles, was damals geschehen und was sie da gefühlt.

Lange und mit Bitterkeit weilte ihr Gedanke dabei; so arg war es also zwischen ihnen geworden!

Mit Angst begann sie zu denken: »Vielleicht heißt das unglücklich verheiratet sein!« – Früher war ihr nie eingefallen, daß man dies von ihr sagen könne; sie hatte ja den Mann bekommen, den sie einzig und allein gewollt hatte!

Gegen Morgen saß sie mit den Händen um die Kniee und starrte in die Stube hinein.

Das Nachtlicht leuchtete matt aus dem Glase hinter dem Bett. Die Worte, die Frau Beck gesprochen, klangen ihr noch immer in den Ohren; sie hörte sie deutlich, wortgetreu, einmal ums andremal, und sie wollten nicht weichen: »Ich sterbe Tag für Tag. Ich weiß selbst am besten, wieviel von mir noch übrig ist; es ist wenig genug und wird immer weniger!«

Und da ging es ihr plötzlich wie ein Licht auf.

»Das ist ja gerade so, wie Salve und ich miteinander leben! Wir sind beide beständig weniger geworden; wir sterben täglich nebeneinander; das thut man immer in einer unglücklichen Ehe!«

Lang saß sie gebeugt, schmerzvoll in diesen Gedanken versunken. In aller Aufopferung, die sie geübt, weil sie gemeint hatte, er vertrüge die Wahrheit nicht, sah sie nun nichts als eine aufreibende, jahrelange Lüge. Mangel an gegenseitiger Aufrichtigkeit war es, an dem ihr Verhältnis zu einander gekrankt.

Da warf sie mit einemmal den Kopf empor, und wilde Energie leuchtete in ihrem Antlitz auf. Sie sah schön, unbezwinglich stark aus!

»So darf es nicht weiter gehen! Wir dürfen einander nicht länger das Dasein zerstören!« rief sie und erhob sich in großer Erregung.

»Was sagst du, Elisabeth?« fragte die Muhme, die eben erwachte.

»Nichts, liebe Muhme!« antwortete diese.

»Du siehst so – so heiter aus, Elisabeth!«

»Ja, weil du so gut geschlafen hast, Muhme! Und nun trinke nur ein bißchen und du wirst sehen, du schläfst gleich wieder ein!«

Um ihre Lippen spielte ein Lächeln und ihre Haltung war selbstbewußt geworden. Sie fühlte sich in des Wortes tiefster Bedeutung erleichtert und innerlich befreit von vieljährigem Druck. Endlich hatte sie die richtige Einsicht und Klarheit gewonnen und konnte das durchschauen, was bisher wie ein feuchter, schwerer Nebel auf ihrem Leben gelastet und jeden Schritt, jeden Gedanken, jede Freude unsicher gemacht hatte. Nun wußte sie, wo ihre Pflicht lag, was sie wollte und sollte.

Sie erwartete Gjert und Salve im Laufe des Tages und dachte viel darüber nach, wie sie ihren Mann empfangen würde. Es sollte und mußte nun zwischen ihnen zu einer Erklärung kommen; aber sie fühlte auch, daß sie klug vorgehen mußte.

Und doch – mit welcher Freude und Sehnsucht erwartete sie ihn nun!


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